Mit deutlichen Worten äußern die Richter ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Facebook-Entscheidung. Ein Vorgeschmack auf die Hauptsacheentscheidung?!
Facebook hat im Eilverfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf einen ersten Erfolg gegen den Beschluss des Bundeskartellamts vom 6. Februar 2019 (B6 – 22/16) erringen können (VI-Kart 1/19 (V)). Der Senat hat den Eilanträgen des Tech-Giganten stattgegeben und die aufschiebende Wirkung der Beschwerde Facebooks angeordnet. Die Richter äußern deutliche Kritik am Beschluss aus Bonn.
Facebooks Nutzungsbedingungen ermöglichen Zusammenführung zu Nutzerprofil
Das im März 2016 initiierte Kartellverfahren richtet sich gegen die Nutzungsbedingungen von Facebook zur Sammlung und Verarbeitung von Daten aus „Drittquellen″. Danach können Nutzer das soziale Netzwerk nur nutzen, wenn Facebook auch außerhalb der Facebook-Seite Daten über den Nutzer im Internet oder auf Smartphone-Apps sammeln und dem Facebook-Nutzerkonto zuordnen darf. Außerhalb des eigentlichen sozialen Netzwerks sammelt Facebook Daten über konzerneigene Diensten (z.B. WhatsApp und Instagram) sowie auf Dritt-Webseiten/-Apps mittels sog. „Facebook Business Tools″ (z.B. mittels eines Facebook „Like-Buttons″, eines „Facebook Logins″ oder „Facebook Analytics″). Durch die Zusammenführung von Eigen- und Drittdaten kann Facebook für jeden Nutzer ein genaues Profil erstellen.
Bundeskartellamt hat „innere Entflechtung″ angeordnet
Das Bundeskartellamt hat Facebook als Marktbeherrscher auf dem deutschen Markt für soziale Medien eingestuft und die Nutzungsbedingungen als einen kartellrechtswidrigen Marktmachtmissbrauch bewertet. Die Bonner Wettbewerbshüter haben Facebook dazu verpflichtet, seine Nutzungsbedingungen anzupassen und sein Geschäftsmodell in Bezug auf Datensammlung und -verarbeitung zu ändern. Hinsichtlich der Daten sollte es zu einer Art „innerer Entflechtung″ kommen (zu den Einzelheiten unser Blog-Beitrag vom 8. Februar 2019 sowie das Hintergrundpapier des Bundeskartellamts).
Beschwerde und einstweiliger Rechtsschutz
Gegen den Beschluss des Bundeskartellamts hat Facebook Beschwerde beim OLG Düsseldorf eingelegt (VI-Kart 2/19 (V)). Weil die Beschwerde aber von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat, d.h. Facebook trotz Rechtsmittels verpflichtet gewesen wäre, die Entscheidung aus Bonn innerhalb der vom Amt gesetzten Zwölf-Monats-Frist umzusetzen, hat Facebook im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde anzuordnen. Ein solcher Antrag ist u.a. begründet, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen (§ 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB). Im Rahmen einer summarischen Überprüfung muss die Aufhebung der Entscheidung überwiegend wahrscheinlich sein. Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung des Düsseldorfer Senats vor. Darauf, ob die Datenverarbeitung DSGVO-konform ist, komme es zur Stattgabe der Eilanträge nicht einmal an.
Konditionenmissbrauch als Schnittstelle von Datenschutz- und Kartellrecht
Zunächst äußert das OLG Düsseldorf Bedenken an der Annahme eines Ausbeutungsmissbrauchs zum Nachteil der Facebook-Nutzer. Im Rahmen des sog. Konditionenmissbrauchs ist die Missbräuchlichkeit von Geschäftsbedingungen am Maßstab der Wertungen des Kartellrechts und der Rechtsordnung zu untersuchen. In die erforderliche Interessenabwägung können u.a. u.a. auch datenschutzrechtliche Wertungen herangezogen werden; es öffnet sich, so das Amt, eine Schnittstelle von Datenschutz- und Kartellrecht.
Facebook-Nutzer: Keine wirtschaftliche Schwächung und kein Kontrollverlust
Die OLG-Richter sehen aber kein wettbewerbsschädliches Ergebnis der Datensammlung und -verarbeitung. Die Hingabe der Drittdaten führe nicht zu einer Ausbeutung der (privaten) Nutzer:
- Eine wirtschaftliche Schwächung des Nutzers erfolge nicht. Die Daten seien ohne weiteres duplizierbar und der Nutzer könne sie beliebig oft Dritten (z.B. auch Wettbewerbern von Facebook) zur Verfügung stellen.
- Auch erleide der Nutzer als Schaden nicht den vom Bundeskartellamt propagierten Kontrollverlust. Die Drittdatensammlung und -verarbeitung erfolge gemäß den Facebook-Nutzungsbedingungen mit Zustimmung des Facebook-Nutzers, d.h. mit seinem Wissen und Wollen und damit „sehr wohl″ unter seiner Kontrolle. Der Umstand, dass die Nutzung von Facebook von der Einwilligung zur Datensammlung und -verarbeitung abhängig sei, begründe keine Zwangslage und keinen Kontrollverlust für den Nutzer. Das Bundeskartellamt hatte insofern die Auffassung vertreten, dass das obligatorische Häkchen bei der Zustimmung in die Nutzungsbedingungen keine ausreichende Grundlage für eine derart intensive Datenverarbeitung darstelle. Weil der Nutzer sich in einer Zwangssituation befinde, er also entweder die umfassende Datenzusammenführung akzeptieren oder aber ganz auf die Nutzung von Facebook verzichten muss – fehle eine freiwillige Einwilligung. Dem entgegnet das OLG Düsseldorf, die Kopplung der Nutzung von Facebook mit der Einwilligung erfordere für den Nutzer lediglich eine Abwägung zwischen den Vorteilen aus der Nutzung des werbefinanzierten, unentgeltlichen sozialen Netzwerks einerseits und den mit der Verwendung der Drittdaten durch Facebook einhergehenden Konsequenzen andererseits. Diese Abwägung könne der Nutzer unbeeinflusst und vollkommen autonom treffen.
Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit des Facebook-Nutzers
Unzureichend und pauschal sei ferner die Behauptung des Bundeskartellamts, der private Facebook-Nutzer könne bei der Hin- und Weitergabe persönlicher Daten nur schwer überblicken, welche Daten in welchem Umfang bei welchem Unternehmen erhoben und an wen sie weitergegeben werden. Dass der Kunde die Nutzungsbedingungen nicht lese und daher die Tragweiter seiner Einwilligung in die Datenverarbeitung nicht überblicke, beruhe aber nach Auffassung der Düsseldorfer Richter nicht auf der Marktmacht von Facebook. Vielmehr ergebe sich dieses Informationsdefizit bei lebensnaher Würdigung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit aus der Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit des Facebook-Nutzers.
Kein Kausalzusammenhang zwischen Marktbeherrschung und etwaigem Datenschutzrechtsverstoß
Außerdem fehle es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der marktbeherrschenden Stellung von Facebook und dem etwaigen Datenschutzrechtsverstoß. Maßgeblich sei, ob die den Nutzern bei der Registrierung für das soziale Netzwerk abverlangte Zustimmung in die Verarbeitung und Zusammenführung der Drittdaten aufgrund der marktbeherrschenden Stellung von Facebook derart fremdbestimmt sei, dass die Einverständniserklärung nicht mehr als auf einer autonomen Entscheidung des Nutzers beruhend angesehen werden könne. Das habe das Bundeskartellamt nicht nachgewiesen. Es bestehe zum Zeitpunkt der Registrierung auch keine irgendwie geartete Abhängigkeit des Nutzers von Facebook; der Nutzer könne das Angebot autonom und selbstbestimmt, unbeeinflusst und frei an- oder ablehnen.
Keine Behinderung von Wettbewerbern
Auch einen Behinderungsmissbrauch (§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB) zum Nachteil der Wettbewerber von Facebook sehen die OLG-Richter nicht.
- Zum einen sei bereits die vom Amt erlassene Abstellungsverfügung ungeeignet, einen solchen Behinderungsmissbrauch abzustellen. Denn die Entscheidung untersage die Drittdatennutzung nur für den Fall, dass der Facebook-Nutzer nicht gesondert zustimme. Die Behinderung von Wettbewerbern Facebooks könne aber nicht davon abhängen, ob die Facebook-Nutzer in diese Datenverarbeitung einwilligen oder nicht.
- Zum andern sei auch nicht festzustellen, dass die Nutzungsbedingungen zu einer Behinderung aktueller oder potentieller Wettbewerber von Facebook führe, insbesondere würden keine Marktzutrittsschranken auf dem Markt für soziale Netzwerke erhöht.
Erheblicher Dämpfer für das Bundeskartellamt
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist ein erheblicher Dämpfer für das Bundeskartellamt. Das Facebook-Verfahren war zu einer Art „Leuchtturmprojekt″ für die ambitionierten Bonner Wettbewerbshüter avanciert, die damit die Rolle einer Avantgarde eingenommen und in vielerlei Hinsicht Neuland betreten haben. Es bleibt abzuwarten, was von den „kartellrechtlichen Leitplanken in der Internetökonomie″ (so der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt) übrig bleiben wird.
Deutliche Kritik der Richter gibt Ausblick auf die Hauptsache
Das OLG Düsseldorf offenbart in seiner Entscheidung eine klare Tendenz dafür, dass die vom Amt angesprochenen Leitplanken nach dem Hauptsacheverfahren keinen Halt mehr geben werden. Die Richter finden bei ihrer Kritik deutliche Worte: „unzureichend″, „nicht ansatzweise″; „wie auf der Hand liegt″, „keine hinreichenden Ermittlungen″, „Betrachtungsweise greift zu kurz″. Dass das Amt den Senat im Hauptsacheverfahren noch umzustimmen vermag, erscheint unwahrscheinlich.