26. April 2012
Öffentliches Wirtschaftsrecht

Zicke Zacke Hühnerkacke oder: „O Bioaerosole mio!″

Die Hinterlassenschaften des Federviehs spielten bei den jüngst hier veröffentlichten lupenreinen markenrechtlichen Ausführungen zum Kükenmastrahmenvertrag keine Rolle. Richtig schmutzig wird es erst bei öffentlich-rechtlicher Betrachtung. Anlass hierzu bieten zwei aktuelle Entscheidungen, die sich mit der umweltrechtlichen Bedeutung sog. Bioaerosole bei der Geflügelmast befassen und dabei auch die unterschiedlichen Eingriffsschwellen von immissionsschutzrechtlicher Vorsorge- und Schutzpflicht verdeutlichen.

Doch zunächst: Was sind überhaupt Bioaerosole?

Bioaerosole sind luftgetragene Teilchen biologischer Herkunft wie etwa Pilze, Bakterien, Viren sowie ihre Stoffwechselprodukte und Zellwandbestandteile (Endotoxine). Die Luft in Tierhaltungsanlagen enthält stets erhebliche Mengen Bioaerosole, die aus den unterschiedlichsten Quellen herrühren (Federn, Haare, Fäkalien, Futter, Einstreu etc.). „Gefürchtet″ sind Bioaerosole v. a. in der unmittelbaren Umgebung größerer Ställe wegen ihrer biologischen Aktivität mit dem Potential zur Infektion, Allergie oder Giftigkeit.

Gesetzliche Regelungen speziell zu Bioaerosolen existieren nicht. Nach der allgemeinen Vorschrift des § 5 Abs. 1 BImSchG gilt folgendes: Anlagen sind so zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können (Schutzpflicht). Daneben muss der Anlagenbetreiber Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen treffen, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen (Vorsorgepflicht).

Doch stellen bei der Tierhaltung entstehende Bioaerosole schädliche Umwelteinwirkungen dar – also für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft gefährliche bzw. jedenfalls erheblich nachteilige oder belästigende Immissionen? Und inwieweit können technische Schutzmaßnahmen verlangt werden?

Entscheidung des OVG Lüneburg vom 13.03.2012 – Vorsorgepflicht

Das OVG Lüneburg geht in seiner Entscheidung u. a. der Frage nach, welche Maßnahmen im Hinblick auf Bioaerosole bei der Geflügelmast – zur Erfüllung der Vorsorgepflicht – dem Stand der Technik entsprechen (Beschluss vom 13.03.2012 – 12 ME 270/11). Die Behörde hatte die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für eine Mastgeflügelanlage mit insgesamt 82.786 Mastplätzen nur unter der Auflage erteilt, die Anlage zum Schutz der umliegenden Wohnbebauung vor Zusatzbelastungen durch Bioaerosole mit einer bestimmten Abluftbehandlungsanlage auszustatten. Gegen diese Auflage wandte sich der Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutz. Aus wirtschaftlicher Sicht durchaus verständlich: Die geforderte Anlage würde ca. 220.000 EUR kosten, die gesamte Mastanlage ansonsten ca. 940.000 EUR.

Das OVG Lüneburg stellt zunächst grundsätzlich fest, es gebe hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass Bioaerosole aus Tierhaltungsanlagen möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen. Zwar gebe es keine abschließenden wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, an welcher Schwelle dieses Risiko in eine Gesundheitsgefahr umschlagen kann. Unter Vorsorgegesichtspunkten könne es jedoch in Betracht kommen, jegliche Erhöhung von Immissionskonzentrationen vermeiden zu müssen. Eine solche Vorsorge könne allerdings nicht unbegrenzt verlangt werden; die Verhältnismäßigkeit sei nur gewahrt, sofern die geforderten technischen Maßnahmen dem Stand der Technik entsprächen.

Diese Grenze der Verhältnismäßigkeit überschreite die behördliche Auflage, so das OVG Lüneburg nach summarischer Prüfung. Insbesondere sei selbst in Fachkreisen zweifelhaft, ob die geforderte Abluftbehandlungsanlage in der Geflügelmast bereits dem Stand der Technik entspreche. Die Geflügelmastanlage darf nun also – jedenfalls vorerst – ohne die teure Abluftbehandlungsanlage errichtet und betrieben werden.

Entscheidung des BayVGH von 22.03.2012 – Schutzpflicht

In Bayern hatten sich zwei Nachbarn, die jeweils ca. 120 bzw. 150 m von den Hühnerställen – geplant waren zwei Masthähnchenställe mit insgesamt 84.900 Mastplätzen – entfernt wohnten, gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung gewehrt (Beschluss vom 22.03.2012 – 22 ZB 12.149 und 22 ZB 12.151). Im Rahmen des Klageverfahrens machten sie u. a. auch Gesundheitsgefahren durch Bioaerosole geltend, im Ergebnis ohne Erfolg.

Der BayVGH nimmt die Schutzpflicht in den Blick und stellt hierzu fest, das Immissionsschutzrecht vermittle – jedenfalls derzeit – keinen Nachbarschutz gegen Bioaerosole. Der fachtechnische Kenntnisstand lasse keine hinreichend sicheren Aussagen über deren Gefährlichkeit für Menschen zu. Es gebe weder verbindliche Grenzwerte noch einen wissenschaftlichen Konsens über einzuhaltende Mindestabstände. Allenfalls ausnahmsweise könne wegen eines besonders hohen Infektionsrisikos im Einzelfall eine Gesundheitsgefährdung angenommen werden. Ein solcher Ausnahmefall sei jedoch – trotz der Nähe zur Wohnbebauung – wegen der konkreten Ableitmodalitäten (3 m über First, Austrittsgeschwindigkeit von mindestens 10 m/s, vorherrschende Windrichtung weg von der Wohnbebauung) nicht gegeben.

Fazit

Die immissionsschutzrechtliche Schutzpflicht greift als Instrument der Gefahrenabwehr erst ein, wenn ein Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich ist, nicht bei entsprechender fachtechnischer Ungewissheit. Maßnahmen der allgemeinen Vorsorge können dahingegen grundsätzlich auch bei lediglich potentiell schädlichen Umwelteinwirkungen – also bei bloß möglichem Zusammenhang zwischen Emissionen und Schadenseintritt – angeordnet werden.

Dabei ist zu beachten: Nur die Schutzpflicht vermittelt auch Drittschutz. Eine drittschützende Wirkung der Vorsorgepflicht hat das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich verneint; diese diene allein der Minderung eines Kollektivrisikos und nicht der Begünstigung eines konkreten Personenkreises (etwa der Nachbarschaft). Will ein im Einwirkungsbereich einer geplanten Tierhaltungsanlage wohnender Dritter also aus Furcht vor Bioaerosolen gegen eine erteilte Genehmigung vorgehen, kann er sich nur auf die – strengeren Anforderungen unterliegende – Schutzpflicht berufen. Dies schränkt die Rechtsschutzmöglichkeiten erheblich ein. Wegen der fachtechnischen Ungewissheit über den Grad der Schädlichkeit von Bioaerosolen dürfte es – jedenfalls nach aktuellem Stand – schwerfallen, über die Eingriffsschwelle der Schutzpflicht zu gelangen, um so die Errichtung der Tierhaltungsanlagen verhindern oder jedenfalls Schutzmaßnahmen erstreiten zu können. Nicht gefeit sind die Anlagenbetreiber indes gegen von der Behörde aus Gründen der allgemeinen Vorsorge verlangte Maßnahmen, solange diese verhältnismäßig sind, insbesondere dem Stand der Technik entsprechen und auch wirtschaftlich zumutbar sind.

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