11. April 2023
Vorsorgevollmacht Persönliche Aufgabenwahrnehmung
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Vorsorgevollmacht: Persönliche Aufgabenwahrnehmung notwendig?

Ist ein in einer Vorsorgevollmacht eingesetzter Bevollmächtigter verpflichtet, seine Aufgaben vor Ort persönlich auszuüben? Nein, sagt der BGH.

Der BGH hat mit Beschluss vom 16. November 2022 (Aktenzeichen XII ZB 212/22) konkrete Vorgaben für die Errichtung und die Handhabung einer Vorsorgevollmacht getroffen: Der in einer Vorsorgevollmacht eingesetzte Bevollmächtigte* muss – wenn das in der Vorsorgevollmacht nicht ausdrücklich angeordnet ist – Hilfeleistungen nicht selbst erbringen, sondern kann sie auf Dritte übertragen. Daher kann auch ein Bevollmächtigter, der mehrere Autostunden vom Vollmachtgeber entfernt wohnt, zur Wahrnehmung der Aufgaben geeignet sein.

Vorsorgevollmacht in Deutschland

Auch bedingt durch den demographischen Wandel entscheiden sich immer mehr Menschen in Deutschland dafür, für den Fall einer Erkrankung oder eines Unfalls Vorsorge durch die Bevollmächtigung einer nahestehenden Person zu treffen. Sie errichten hierzu eine Vorsorgevollmacht. Der Vorsorgebevollmächtigte kann dann im Notfall für den Vollmachtgeber handeln und alle notwendigen Entscheidungen treffen. Eine gerichtlich angeordnete Betreuung soll damit vermieden werden. 

In einigen Fällen wird ein Betreuungsgericht dennoch einen gesetzlichen Betreuer bestellen (müssen), oftmals auch nur für einzelne Bereiche. Hier sorgen viele Menschen ebenfalls vor: Die Vorsorgevollmacht enthält zugleich eine (ergänzende) Betreuungsverfügung. Wenn eine gesetzliche Betreuung erforderlich ist, schlägt der Betroffene selbst eine bestimmte Person als Betreuer vor. Oftmals handelt es sich dabei um dieselbe Person, die er auch als Vorsorgebevollmächtigte einsetzt. Der Vorschlag ist vom Betreuungsgericht regelmäßig zu beachten.

Der vom BGH zu entscheidende Fall

Für eine an paranoider Schizophrenie erkrankte Frau bestellte das Betreuungsgericht im Februar 2019 eine gesetzliche Betreuerin. Die Betreute war anschließend von Herbst 2020 bis Frühjahr 2022 in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht – einige Autostunden von ihrem eigentlichen Wohnsitz entfernt. Im August 2021 erteilte sie ihrem Ehemann (wirksam) eine umfassende Vorsorgevollmacht. Ferner errichtete sie zugleich auch eine (ergänzende) Betreuungsverfügung: Werde eine Betreuung erforderlich, so solle ihr Ehemann zum Betreuer bestellt werden. Sie beantragte anschließend beim Amtsgericht, die gerichtliche Betreuung aufgrund der nunmehr erteilten Vorsorgevollmacht entweder aufzuheben oder ihren Ehemann zum Betreuer zu bestellen.

Nachdem das Amtsgericht beide Anträge in zwei Beschlüssen abgelehnt hatte (Beschluss vom 22. September 2021 – 23 XVII 6/19 Z), hat das Landgericht die dagegen eingelegten Beschwerden zurückgewiesen: Der Ehemann sei als Bevollmächtigter ungeeignet, da eine zu große räumliche Entfernung zwischen dem beabsichtigten Wohnort der Betreuten (in der Nähe der geschlossenen Einrichtung) und dem Wohnort des Bevollmächtigten bestehe. Eine ausreichende Versorgung im Bereich der Gesundheitssorge und eine Aufenthaltsbestimmung seien dadurch nicht gewährleistet. 

Der BGH stützte sich bei seiner Entscheidung auf die folgenden Argumente:

Vorsorgevollmacht steht Betreuung grundsätzlich entgegen

Ein gesetzlicher Betreuer dürfe erst dann bestellt werden, wenn dies erforderlich sei (§ 1896 Abs. 2 S. 1 a.F. BGB). An einer solchen Erforderlichkeit fehle es, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden könnten (§ 1896 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB). 

Bei einer wirksamen Vorsorgevollmacht sei daher regelmäßig von einer Entbehrlichkeit der (gerichtlich angeordneten) Betreuung auszugehen. 

Betreuung dennoch erforderlich bei Ungeeignetheit des Betreuers

Unter bestimmten Umständen, so der BGH, kann jedoch eine Betreuung trotz (wirksamer) Vorsorgevollmacht notwendig sein, und zwar dann, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen. Das gilt insbesondere, wenn zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch den Bevollmächtigten eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet (bspw. bei mangelnder Befähigung oder Unredlichkeit). 

Räumliche Entfernung zwischen Bevollmächtigtem und Betreutem

Der BGH stellte anschließend fest, dass eine räumliche Distanz zwischen dem Vollmachtgeber und dem Bevollmächtigten allein kein Grund für die Ungeeignetheit des Bevollmächtigten ist. 

Zwar könnten die zu regelnden Angelegenheiten

möglicherweise effektiver erledigt werden,

wenn eine räumliche Nähe bestehe. Man müsse aber auch bedenken, dass der Vollmachtgeber bei der Auswahl der Person des Bevollmächtigten die räumliche Entfernung und die sich hieraus ergebenden Herausforderungen berücksichtigt habe. Daher sei eine Ungeeignetheit nur gegeben,

wenn tragfähige Gründe dafür festgestellt werden können, dass er aufgrund der räumlichen Entfernung zum Betroffenen die Vollmacht nicht zu dessen Wohl ausüben kann oder will.

Die Bundesrichter stellten außerdem klar, dass ein Vorsorgebevollmächtigter zwar zu einem regelmäßigen persönlichen Kontakt zum Vollmachtgeber verpflichtet sei, schon um Informationen zu erhalten, die für die Ausübung seiner Tätigkeit erforderlich seien. Ansonsten berechtige die Vorsorgevollmacht den Bevollmächtigten lediglich zur rechtlichen Vertretung, verpflichte ihn aber

nicht dazu, die tatsächlichen Lebens- und Pflegebedürfnisse des Betroffenen in eigener Person zu befriedigen.

Etwas anderes gelte nur, wenn der Vollmachtgeber in seiner Vorsorgevollmacht eine bestimmte Art der persönlichen Betreuung durch den Bevollmächtigten angeordnet habe.

Einordnung der Entscheidung und Auswirkungen auf die Praxis 

Die Entscheidung des BGH wiederholt den grundsätzlichen – und gesetzlich normierten – Vorrang einer Vorsorgevollmacht vor der Anordnung einer gerichtlichen Betreuung. Das ist auch gut so: Denn dieser Vorrang wahrt das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen und entlastet den Staat.

Ebenfalls sinnvoll ist es, von diesem Grundsatz dann eine Ausnahme zu machen, wenn der vom Vollmachtgeber eingesetzte Bevollmächtigte nicht fähig ist, seine Tätigkeit ordnungsgemäß auszuüben. Hier gilt es, den Vollmachtgeber zu schützen.

Dass der BGH nun ausdrücklich festgestellt hat, eine persönliche Betreuung sei im Normalfall nicht geschuldet, ist begrüßenswert. Die Anzahl der Vorsorgevollmachten in Deutschland nimmt jährlich zu. Wichtig ist es, dass sowohl für den Vollmachtgeber als auch für den Bevollmächtigten Klarheit darüber herrscht, inwiefern auch eine persönliche Betreuung erforderlich ist.

Bei der Errichtung einer Vorsorgevollmacht gilt es zukünftig, in der Praxis Folgendes zu bedenken: 

  • Als Vorsorgebevollmächtigter kann der Vollmachtgeber grds. auch eine Person einsetzen, die nicht in räumlicher Nähe des Vollmachtgebers wohnt. Bei der Auswahl des Bevollmächtigten sollte er sich jedoch bewusst sein, dass der Bevollmächtigte seine Tätigkeit oft schneller und einfacher ausführen kann, wenn er vor Ort ist.
  • Möchte der Vollmachtgeber, dass der Vorsorgebevollmächtigte Pflegeleistungen selbst erbringt und im Alltag selbst persönliche Hilfe leistet, so sollte der Vollmachtgeber das in der Vorsorgevollmacht ausdrücklich festhalten. Denn im Normalfall wird eine solche persönliche Betreuung durch den Bevollmächtigten nicht geschuldet. 

Die gesetzlichen Neuerungen, die durch die Reform des Betreuungs- und Vormundschaftsrecht zum 1. Januar 2023 erfolgten, spielten bei der Entscheidung keine Rolle. Auch nach der neuen Rechtslage wäre der Beschluss nicht anders ausgefallen.

*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Persönliche Aufgabenwahrnehmung Private Clients Vorsorgevollmacht
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Anna-Sophie Schütte