Der BGH verneint die Anwendung des EU-Rechts auf eine UK-Ltd. Die Entscheidung und daraus entstehende Folgen für UK-Gesellschaften zeigen wir auf.
Seit Einleitung des Austrittsverfahrens des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) vor knapp viereinhalb Jahren herrscht bei Gesellschaften in den Rechtsformen des UK-Rechts (UK-Gesellschaften), insbesondere mit Geschäftsbezug nach oder Verwaltungssitz in Deutschland, große Ungewissheit. Gerade die Reichweite der Rechtsfolgen des Art. 50 EUV und der angeordneten Unanwendbarkeit der EU-Verträge (Art. 50 Abs. 3 EUV) ab dem Austrittszeitpunkt und Ablauf eines potentiellen Übergangszeitraums (Brexit) werfen zahlreiche Fragen auf.
Erstmals mit Beschluss vom 14. Februar 2021 (II ZB 25/17) hat der BGH entschieden, dass die Gesellschaftsrechts-RL (RL 2017/1132) und die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AUEV) seit dem Brexit auf eine UK-Ltd. keine Anwendung findet.
Der Sachverhalt: Eine unscheinbare Registereintragung
Im Jahr 2014 und damit rund zwei Jahre vor dem Brexit-Referendum meldete die Antragstellerin, eine UK-Ltd. (genauer: Private Company Limited by Shares), die Eintragung einer Zweigniederlassung in das Handelsregister an.
Das Registergericht verweigerte die Eintragung. Beanstandet wurden zwei Aspekte: Zum einen habe die Antragstellerin die Höhe des Stammkapitals nicht angegeben (vgl. § 13g Abs. 1 u. 3 HGB i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 GmbHG); zum anderen habe der Geschäftsführer seine Amtsfähigkeit versichert (sog. Inhabilitäts-Erklärung), aber nicht seine ordnungsgemäße Belehrung über seine diesbezügliche Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht (vgl. § 13g Abs. 2 Satz 2 HGB i.V.m. § 8 Abs. 3 GmbHG).
Nach Zurückweisung der Beschwerde wandte sich die Antragstellerin mit der Rechtsbeschwerde an den BGH.
Die Vorlagefrage: Eine schlichte Auslegung
Die Bundesrichter urteilten zunächst nicht selbst, sondern beschlossen im Jahr 2019, dem EuGH eine Vorlagefrage (Art. 267 Abs. 1 u. 3 AEUV) zu stellen: Es sollte die Vereinbarkeit der genannten Vorschriften mit Art. 30 der Gesellschaftsrechts‑RL (RL 2017/1132) und der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AUEV) erörtert werden.
Doch schon bald wurde der Brexit Realität: Das Vereinigte Königreich trat bekanntlich am 1. Februar 2020 aus der EU aus und der Übergangszeitraum endete am 31. Dezember 2020 (Art. 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft).
Nach dem Brexit sah der Gesellschaftsrechtssenat keine Notwendigkeit, eine Beantwortung der Vorlagefrage durch den EuGH abzuwarten: Der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss aus dem Jahr 2019 wurde aufgehoben (BGH, Beschluss v. 16. Februar 2021 – II ZB 25/17, Rn. 5).
Die rechtliche Würdigung: Keine europarechtliche Niederlassungsfreiheit für eine UK-Ltd.
Der BGH beginnt seine rechtliche Würdigung unaufgeregt mit einer Feststellung zum anwendbaren Recht bei einer Rechtsbeschwerde: Dies ist das zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Recht (BGH, Beschluss v.16. Februar 2021 – II ZB 25/17, Rn. 6).
Direkt im Anschluss folgt die weitreichende Randnummer zum Schicksal der UK‑Gesellschaften, insbesondere mit Geschäftsbezug nach oder Verwaltungssitz in Deutschland, nach dem Brexit: Art. 30 der Gesellschaftsrechts-RL (RL 2017/1132) ist auf die Anmeldung der inländischen Zweigniederlassung der UK-Ltd. nicht mehr anzuwenden; sie kann sich auch nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AUEV) berufen (BGH, Beschluss v. 16. Februar 2021 – II ZB 25/17, Rn. 7).
Für die konkrete Registersache bedeutet dies: Die – nunmehr – in einem Drittstaat gegründeten Antragstellerin muss bei Anmeldung einer Zweigniederlassung in Deutschland die Höhe des Stammkapitals angeben und der Geschäftsführer muss neben der Versicherung seiner Amtsfähigkeit (sog. Inhabilitäts-Erklärung) auch seine ordnungsgemäße Belehrung über seine diesbezügliche Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht versichern. Eine europarechtliche Auslegung der zugrundeliegenden Vorschriften wurde abgelehnt.
Die Folge: Keine Anwendung des EU-Rechts auf und implizite Bejahung der Sitztheorie gegenüber UK-Gesellschaften
Aus der Begründung lässt sich ablesen, dass der Gesellschaftsrechtssenat das Vereinigte Königreich als Drittstaat klassifiziert und das EU-Recht im Verhältnis zum Vereinigten Königreich wegen Art. 50 Abs. 3 i.V.m. Art. 1 Abs. 3 EUV seit dem Brexit nicht mehr anzuwenden ist (BGH, Beschluss v. 16. Februar 2021 – II ZB 25/17, Rn. 8–11).
Weil genau diese Klassifikation infolge des Brexit befürchtet wurde, konnte in den letzten viereinhalb Jahren der Zuzug diverser UK-Gesellschaften mit Sitz im Vereinigten Königreich durch Sitzverlegung oder Umwandlung in die Mitgliedstaaten der EU beobachtet werden: Sei es aus ökonomischen Gründen (bspw. wegen der Bedeutung des EU-Binnenmarkts für den zollfreien Absatz) oder aus rechtlichen Gründen (bspw. wegen des drohenden Verlusts von Passporting-Rechten im Finanzdienstleistungssektor und der offenen Frage nach der Anerkennung der Äquivalenz).
Darüber hinaus impliziert der BGH mit seiner Begründung das Festhalten an der sog. Sitztheorie (vgl. BGH, Beschluss v. 16. Februar 2021 – II ZB 25/17, Rn. 11). Danach wird auch künftig außerhalb des Anwendungsbereichs der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit das anwendbare Gesellschaftsrecht aus deutscher Perspektive (genauer: Perspektive des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts) am Verwaltungssitz einer Gesellschaft bestimmt. Ergo: Auf UK‑Gesellschaften mit deutschem Verwaltungssitz findet deutsches Recht Anwendung. In der Konsequenz dürfte dies dazu führen, dass UK-Gesellschaften mit deutschem Verwaltungssitz regelmäßig mangels Einhaltung der Gründungsvorschriften deutscher Kapitalgesellschaften als deutsche Außen-GbR oder beim Betrieb eines Handelsgewerbes (vgl. § 1 Abs. 2 HGB) als oHG eingestuft würden: Es droht den Gesellschaftern die persönliche Haftung. Dies entspräche der Rechtsprechungslinie des BGH seit seiner Trabrennbahn-Rechtsprechung (BGH, Urteil v. 27. Oktober 2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192).
Auch diese potentielle Haftungsgefahr des Brexit für die Gesellschafter von UK‑Gesellschaften wurde in den letzten viereinhalb Jahren befürchtet. Ihnen wurde durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes (BGBl. v. 31. Dezember 2018, Teil I, S. 2694 ff.) durch die neuen §§ 122a ff. UmwG die grenzüberschreitende Verschmelzung auf eine deutsche Personengesellschaft ermöglicht. Die Umwandlung zahlreicher Ltd. und LLP in deutsche Rechtsformen war ebenfalls zu beobachten.
Das Fazit: Ausnahme von der Unanwendbarkeit der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit angedeutet, jedoch sollten gestalterische Vorkehrungen getroffen werden
Die Aussage des BGH ist eindeutig, aber auch mit einer Hintertür aufgeweicht: So haben die Bundesrichter in der Begründung zur Unanwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit auf die UK-Ltd. nach dem Brexit das Wörtchen „grundsätzlich“ eingebaut (BGH, Beschluss v. 16. Februar 2021 – II ZB 25/17, Rn. 9).
Dem geübten Leser ist bekannt, dass dies ein Einfallstor für Ausnahmekonstellationen darstellt: So könnte sich der BGH für besonders gelagerte Fälle hier eine Möglichkeit offengehalten haben, entsprechend unterschiedlicher Stimmen aus dem deutschen Schrifttum den UK-Gesellschaften nach dem Brexit bspw. einen Bestands- und Vertrauensschutz oder den Vorzug einer ausnahmsweise bestehenden personengesellschaftsrechtlichen Haftungsbeschränkung zu gewähren.
Allerdings ist das reine Kaffeesatzleserei: Auf der sicheren Seite sind UK‑Gesellschaften, die bereits gestalterische Vorkehrungen getroffen haben oder schnellstmöglich Vorkehrungen treffen.
UK-Gesellschaft mit Geschäftsbezug nach oder Verwaltungssitz in Deutschland sind also gut beraten, gestalterische Vorkehrungen zu treffen. Nun ist mit dem Brexit in Konsequenz der Unanwendbarkeit des EU-Rechts auf UK-Gesellschaften der Weg über eine günstige grenzüberschreitende Verschmelzung oder Sitzverlegung zwar versperrt. Allerdings besteht weiterhin die Möglichkeit (i) eines Asset Deal mit anschließender Auflösung und Beendigung der UK-Gesellschaft (vorzugswürdig bei Fortsetzung des operativen Geschäfts) oder (ii) einer geordneten Abwicklung zwecks Vermeidung der Firmenfortführung (§ 25 Abs. 1 HGB; vorzugswürdig bei Einstellung des operativen Geschäfts).