4. Juli 2017
REACH Brexit
Brexit

REACH und Brexit – Fluch oder Segen, und wenn ja, für wen?

In 21 Monaten wird der Brexit erfolgen. Für die chemische Industrie und verwandte Branchen kann dies im Hinblick auf die REACH Verordnung weitreichende Folgen haben.

Nachdem die britische Regierung am 29. März 2017 die Austrittserklärung gemäß Artikel 50 EUV abgegeben hat, steht das Austrittsdatum des Vereinigten Königreichs aus der EU fest. Es wird die EU spätestens Ende März 2019 verlassen. Mit einer Verlängerung der Zwei-Jahres-Frist ist kaum zu rechnen.

Unklar ist weiterhin, wie der Austritt aussehen wird. Theoretisch denkbar sind sowohl ein weicher Austritt, bei dem das Vereinigte Königreich über entsprechende Abkommen mehr oder weniger weitgehend in den Binnenmarkt integriert würde, wie beispielsweise die EWR-Staaten Norwegen, Liechtenstein und Island oder die Schweiz. Möglich ist aber auch ein harter Austritt, bei dem das Vereinigte Königreich nur noch den Status eines Drittstaates im Verhältnis zur EU hätte.

Bisher spricht mehr dafür, dass es auf einen harten Austritt hinausläuft. Hierzu käme es auch, wenn innerhalb der Zwei-Jahres-Frist keine Einigung gefunden wird. Die ersten beiden Wochen der Austrittsverhandlung lassen Letzteres nicht unwahrscheinlich erscheinen.

Harter Brexit hätte erhebliche Auswirkungen auf chemische Industrie

Im Falle eines harten Austritts hätte dies im Hinblick auf die REACH Verordnung erhebliche Auswirkungen auf die chemische Industrie und die weiteren von der Verordnung betroffenen Branchen. Das gilt nicht nur dies- und jenseits des Kanals, sondern gegebenenfalls auch für Nicht-EU-Hersteller mit Vertragsbeziehung in der EU.

Nach den Vorgaben der Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH Verordnung) unterliegen Hersteller und Importeure von Stoffen sowie von Stoffen in Gemischen und ggf. in Erzeugnissen zahlreichen Verpflichtungen.

Registrierungen werden unwirksam

Es gilt insbesondere die Registrierungspflicht: Sämtliche Stoffe, die in einer Menge von einer Tonne und mehr im Jahr im Europäischen Wirtschaftsraum hergestellt oder in diesen importiert werden, müssen bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) registriert werden.

Eine Registrierung ist nur möglich durch Hersteller oder Importeure mit Sitz in der EU. Darüber hinaus haben außereuropäische Stoffhersteller die Möglichkeit, einen Alleinvertreter mit Sitz in der EU zu bestellen, der die Registrierungspflichten übernimmt. Registrierungen sind – nach dem derzeit geltenden Rechtsrahmen – nicht übertragbar.

Mit dem Austritt läge das Vereinigte Königreich außerhalb des Geltungsbereichs der REACH Verordnung. Hersteller von Stoffen im Vereinigten Königreich und Importeure, die Stoffe aus Nicht-EU-Staaten in das Vereinigte Königreich importieren, unterlägen damit zwar auch nicht mehr der Registrierungsverpflichtung. Zugleich würden bereits bestehende Registrierungen von Herstellern und Importeuren im Vereinigten Königreich aber mit dem Austritt unwirksam. Letzteres würde grundsätzlich auch für die Registrierungen der zahlreichen Alleinvertreter mit Sitz im Vereinigten Königreich gelten.

Bereits für die Registrierung getätigte Investitionen würden damit wertlos. Da der Brexit zudem erst nach Ablauf der letzten Registrierungsfrist zum 31. Mai 2018 kommen wird und die Registrierungspflicht bis zum Ausscheiden des Vereinigten Königreiches aus der EU gilt, sind Hersteller und Importeure, für die diese letzte Registrierungsfrist gilt, gezwungen, ihre Registrierungen noch vorzunehmen, sofern sie ihre Tätigkeit ohne Unterbrechung fortsetzen wollen.

Für die Hersteller und Händler von Stoffen im Vereinigten Königreich hätte ein harter Brexit zudem zur Folge, dass sie die Stoffe nicht mehr ohne weiteres in den EU-Staaten in den Verkehr bringen können. Sie wären darauf angewiesen, dass ihre Kunden mit Sitz in der EU, die nach der REACH Verordnung als Importeure zu bewerten wären, eine eigene Registrierung vornehmen. Alternativ hätten Hersteller zudem die Möglichkeit, einen Alleinvertreter mit Sitz in der EU zu bestimmen, der die Registrierungspflichten übernimmt. Für Händler besteht letztere Möglichkeit nicht. Alleinvertreter können nur von Herstellern benannt werden.

EU-Kunden der UK-Hersteller und -Händler müssten – sofern kein Alleinvertreter bestellt wird oder bestellt werden kann – frühzeitig überlegen, ob sie eine eigene kostenintensive und zeitaufwendige Registrierung vornehmen wollen oder die Stoffe von anderen Lieferanten mit Sitz in der EU bezogen werden können.

Alleinvertreter mit Sitz im Vereinigten Königreich müssten – sofern sie ihre Tätigkeit fortsetzen wollen – ihren Sitz zudem in einen EU-Mitgliedsstaat verlegen. Stoffhersteller mit Sitz außerhalb der EU mit einem Alleinvertreter im Vereinigten Königreich müssten – sofern ihr Alleinvertreter zum Umzug nicht bereit ist – einen neuen Alleinvertreter bestellen.

Bewertungsprozess: Erhebliche Mehrkosten bei der Erfüllung der Datenanforderung?

Mit dem Wegfall der Registrantenstellung entfallen auch die Pflichten zur Erfüllung von Datenanforderung im Rahmen der Dossier- oder Stoffbewertung. Sofern keine anderweitigen vertraglichen Regelungen getroffen wurden, haben ausschließlich die verbleibenden Registranten die mit der Erfüllung der Datenanforderung einhergehenden Kosten zu tragen (vgl. hierzu aber noch unten). Insbesondere bei Stoffen, die lediglich durch wenige Unternehmen registriert wurden bzw. bei denen ein großer Anteil an Registranten entfällt, dürfte dies zu erheblichen Mehrkosten führen. Die zu erwartenden Kostenfolgen sollten frühzeitig geprüft werden, um hierauf rechtzeitig reagieren zu können.

Zulassungspflicht: Sunset-Dates im Blick behalten

Bestimmte Stoffe mit hohem Gefährdungspotential unterliegen zudem einer Zulassungspflicht. Sofern ein Stoff als besonders besorgniserregender Stoff (SVHC) in Anhang XIV der REACH Verordnung gelistet ist, muss für diesen vor Ablauf des Sunset-Date eine Zulassung vorliegen bzw. diese zumindest rechtzeitig beantragt worden sein.

Andernfalls ist nach Ablauf des Sunset-Date ein Inverkehrbringen und die Verwendung des Stoffes verboten. Insbesondere wenn das Sunset-Date für einen Stoff kurz vor dem Brexit liegt, kann dies bei Lieferbeziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU zu Schwierigkeiten führen. Aufgrund der erheblichen Kosten, die mit der Beantragung von Zulassungen verbunden sind, ist damit zu rechnen, dass UK-Lieferanten ggf. keine Zulassungsanträge stellen.

Bestehende Zulassungen werden mit dem Brexit zudem unwirksam. EU-Kunden sollten daher frühzeitig prüfen, ab wann Zulassungspflichten gelten und ob und bis wann diese erfüllt werden. Sofern die Erfüllung der Zulassungspflicht durch den UK-Lieferanten nicht (mehr) sichergestellt ist, sind anderweitige Bezugsmöglichkeiten zu prüfen oder ggf. eigene Zulassungsanträge zu stellen.

Einhaltung der Kommunikations- und Meldepflichten sichergestellt?

Auch die Kommunikationspflichten innerhalb der Lieferkette gemäß Artikel 31 f. REACH Verordnung würden für UK-Lieferanten entfallen. EU-Kunden müssten daher ggf. selbst Sicherheitsdatenblätter erstellen. Kunden von UK-Lieferanten sollten prüfen, ob eine ausreichende vertragliche Verpflichtung bereits besteht, bzw. versuchen, eine entsprechende Anpassung der Verträge zu vereinbaren. Gleiches gilt für die Informationspflichten bezüglich SVHC in Erzeugnissen gemäß Artikel 33 REACH Verordnung.

Da EU-Kunden von UK-Lieferanten mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU zu Importeuren im Sinne der REACH Verordnung werden, trifft diese mit dem Brexit auch die Meldeverpflichtung gegenüber der ECHA bezüglich des SVHC-Gehalts in Erzeugnissen gemäß Artikel 7 Abs. 2 REACH.

Auswirkung auf „REACH-Vereinbarungen“?

Darüber hinaus kann ein harter Brexit auch Auswirkungen auf Verträge haben, die zur Erfüllung der Anforderungen der REACH Verordnung geschlossen wurden. Auswirkungen sind insbesondere denkbar auf SIEF- und Datenteilungsvereinbarungen, Konsortialverträge, Verträge mit Alleinvertretern sowie auf Lieferverträge. Sofern die Verträge zum Brexit keine ausdrückliche Regelung enthalten, stellt sich stets die Frage, ob vertragliche Verpflichtungen auf Grund einer Störung der Geschäftsgrundlage, einer ergänzenden Vertragsauslegung oder vergleichbarer Rechtsinstitute entfallen oder anzupassen sind.

Sofern das festgelegte Recht ein entsprechendes Rechtsinstitut vorsieht, kommt dies im Rahmen von SIEF-Vereinbarungen und Konsortialverträgen insbesondere hinsichtlich solcher Regelungen in Betracht, die Mitwirkungs- oder Kostentragungsverpflichtungen nach dem Brexit begründen, d. h. insbesondere Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Dossier- oder Stoffbewertung.

Bei Alleinvertreterverträgen, die aufgrund des fehlenden Sitzes des Alleinvertreters in der EU nicht mehr erfüllt werden können, ist zudem eine Vertragsauflösung denkbar. Gleiches gilt bei Lieferverträgen, wenn beispielsweise die Registrierung durch den Verkäufer ein wesentlicher Vertragsbestandteil ist.

Auch wenn entsprechende Rechtsinstitute bestehen, bringt dies jedoch zahlreiche Unwägbarkeiten und Auslegungsfragen mit sich. Zur Vermeidung von Streitigkeiten ist daher zu empfehlen, bereits jetzt vertragliche Regelungen für den Fall des Brexit vorzusehen bzw. in bereits bestehenden Verträgen zu ergänzen.

Bereits jetzt Vorbereitungen für den Fall eines harten Brexit treffen

Zwar haben die Verhandlungen über den Brexit gerade erst begonnen. Aufgrund der erheblichen Auswirkungen eines harten Brexit sollten dennoch bereits jetzt Vorbereitungen getroffen werden. Zwar wäre es wünschenswert, dass Übergangsregelungen getroffen werden, um die Auswirkungen abzumildern. Ob es solche geben wird, ist allerdings nicht absehbar.

Verlassen sollte man sich hierauf nicht. Insbesondere folgende Vorbereitungshandlungen sollten daher getroffen werden:

  • Sofern der UK-Lieferant Hersteller ist: Abstimmung, ob Alleinvertreter bestellt wird bzw. Prüfung anderweitiger Bezugsmöglichkeiten oder ggf. Vornahme einer eigenen Registrierung
  • Umzug von Alleinvertretern
  • Bestellung eines neuen Alleinvertreters
  • Prüfung möglicher Kostenfolgen des Ausscheidens von UK-Registranten im Rahmen der Dossier- oder Stoffbewertung
  • Prüfung, ab wann Zulassungspflichten gelten und ob und bis wann diese erfüllt werden können, sowie Prüfung anderweitiger Bezugsmöglichkeiten oder ggf. Beantragung einer Zulassung
  • Prüfung, ob die Einhaltung der Kommunikationspflichten gemäß Artikel 31 f. REACH Verordnung und der Informationspflichten gemäß Artikel 33 REACH Verordnung vertraglich abgesichert ist. Gegebenenfalls sollten die Verträge schon jetzt angepasst werden.
  • Prüfung bestehender Verträge mit UK-Akteuren auf Anpassungsbedarf. Unter Umständen sollten Regelungen zu den Folgen des Brexits ergänzt werden.
  • Regelung der Folgen des Brexit bei Abschluss neuer Verträge

Weitere Regulierungsbereiche von Brexit betroffen

Neben REACH wird der Brexit auch Auswirkungen auf weitere Regulierungsbereiche haben, die die chemische Industrie betreffen. Dies gilt beispielsweise im Hinblick auf die CLP Verordnung, die Biozidverordnung, das Abfallrecht und insbesondere auf die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle.

Tags: Brexit Reach