18. September 2024
Sozialauswahl
Chancen durch Transformation

Die Sozialauswahl – Überblick und Praxistipps

Nahezu jeder betriebsbedingte Personalabbau erfordert eine Sozialauswahl. Wir geben einen Überblick über die wichtigsten Fragen.

Bei einem betriebsbedingten Personalabbau ist fast immer eine Sozialauswahl notwendig. Daher müssen Unternehmen bei arbeitsrechtlichen Restrukturierungen regelmäßig bewerten, ob eine Sozialauswahl durchzuführen ist, welche Arbeitnehmer darin einzubeziehen sind und wie sie die gesetzlich vorgegebenen Sozialkriterien jeweils werten wollen. Um das Risiko unwirksamer betriebsbedingter Kündigungen zu verringern, nutzen Unternehmen häufig ein sogenanntes Punkteschema. In diesem Blogbeitrag geben wir einen Überblick über die wichtigsten Fragen zur Sozialauswahl sowie Hinweise zur aktuellen Rechtsprechung.

Wann ist eine Sozialauswahl erforderlich?

Gilt in einem Betrieb der allgemeine Kündigungsschutz (§ 23 KSchG), muss eine Kündigung eines Arbeitnehmers, der die Wartefrist von sechs Monaten ab Beschäftigungsbeginn überstanden hat, nach § 1 KSchG sozial gerechtfertigt sein. Eine Kündigung ist unter anderem dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb des Arbeitgebers entgegenstehen (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG) – so die gesetzliche Definition der betriebsbedingten Kündigung, wie sie zumeist genannt wird.

Eine solche betriebsbedingte Kündigung ist trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer die gesetzlichen Sozialkriterien nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (§ 1 Abs. 3 S. 1 KSchG). Ziel der Sozialauswahl ist es, festzulegen, welcher von mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern eines Betriebs am wenigsten sozial schutzwürdig ist und daher am ehesten gekündigt werden muss. Bei unvermeidbaren betriebsbedingten Kündigungen werden aus dem Kreis vergleichbarer Arbeitnehmer die „sozial Stärksten″ ermittelt. Die sozial stärksten Arbeitnehmer sind nach der Wertung des Gesetzgebers diejenigen, die, gemessen an ihren Sozialdaten, am wenigsten auf ihren Arbeitsplatz angewiesen sind.

Keine Sozialauswahl bei vollständiger Stilllegung eines Betriebs

Eine Sozialauswahl ist nicht erforderlich, wenn der gesamte Betrieb des Arbeitgebers stillgelegt wird und allen Arbeitnehmern des betroffenen Betriebs gekündigt wird. Das folgt aus der Betriebsbezogenheit der Sozialauswahl, näher dazu sogleich. Wie so oft im Arbeitsrecht, kommt es hier auf die Bestimmung des Betriebs an und damit auf die Frage, welche Arbeitnehmer diesem eingegliedert sind. 

Unter einem Betrieb im kündigungsrechtlichen Sinne ist nach allgemeinen Maßstäben eine organisatorische Einheit zu verstehen, innerhalb derer der Arbeitgeber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sächlichen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen (BAG, Urteil v. 17. Januar 2008 – 2 AZR 902/06). So sperrig sich diese Definition lesen mag, in den meisten Fällen fällt die Bestimmung der Grenzen des Betriebs leicht. In anderen Fällen hingegen, etwa bei Filialbetrieben oder bei stringent in der Matrix organisierten Unternehmen und Konzernen, kann diese Festlegung allerdings schwieriger sein.

Sozialauswahl bei etappenweiser Betriebsstillegung

Sind nach einer Betriebsstilllegung restliche Abwicklungsarbeiten erforderlich, wird hierfür in der Regel noch eine geringe Anzahl von Arbeitnehmern benötigt. Das führt zu einem schrittweisen Abbau von Arbeitsplätzen. Auch bei einem solchen schrittweisen Abbau von Arbeitsplätzen ist der Arbeitgeber verpflichtet, eine Sozialauswahl durchzuführen (LAG Düsseldorf, Urteil v. 9. Januar2024 – 3 Sa 529/23). Infolgedessen werden grundsätzlich die Arbeitnehmer mit der größten sozialen Schutzbedürftigkeit zuletzt entlassen und mit den verbleibenden Arbeiten betraut (LAG Düsseldorf, Urteil v. 9. Januar 2024 – 3 Sa 529/23). Dies gilt folglich auch, wenn die Etappen lediglich durch noch ausstehende Aufräum- und Restabwicklungsarbeiten entstehen (LAG Düsseldorf, Urteil v. 9. Januar 2024 – 3 Sa 529/23). Hierbei kann nicht nur die bisher ausgeübte Tätigkeit berücksichtigt werden. Entscheidend für die Ermittlung der Vergleichsgruppe ist vielmehr, welche Qualifikationen für die anstehenden Aufräum- und Restabwicklungsarbeiten erforderlich sind.

Welche Kriterien sind für die Sozialauswahl relevant?

Das Gesetz nennt in § Abs. 3 S. 1 KSchG vier Kriterien: 

  1. Die Betriebszugehörigkeit, 
  2. das Lebensalter, 
  3. die Unterhaltspflichten und 
  4. die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers.

Das Kriterium der Betriebszugehörigkeit ist missverständlich formuliert. Gemeint ist der rechtlich ununterbrochene Bestand des Arbeitsverhältnisses. Dabei ist jedoch nicht – anders als der Wortlaut vermuten lässt – auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Betrieb, sondern auf die Dauer der arbeitsvertraglichen Bindung zum selben Arbeitgeber abzustellen (vgl. BAG, Urteil v. 2. Juni 2005 – 2 AZR 158/04). Auch die Tätigkeit in verschiedenen Betrieben desselben Arbeitgebers ist deshalb im Rahmen des Kriteriums der Betriebszugehörigkeit einzuberechnen. Gleiches gilt auch dann, wenn frühere Betriebszugehörigkeitszeiten bei einem anderen Unternehmen anerkannt worden sind, etwa bei einem anderen Konzernunternehmen.

Das zu berücksichtigende Kriterium des Lebensalters basiert auf dem Erfahrungssatz, dass die Chancen, nach einer Kündigung eine neue Anstellung zu finden, mit zunehmendem Alter abnehmen. Jüngeren Arbeitnehmern ist die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz demzufolge eher zuzumuten als älteren Arbeitnehmern (vgl. BAG, Urteil v. 8. Dezember 2022 – 6 AZR 31/22). Allerdings darf das Kriterium des Lebensalters auch nicht unangemessen hoch berücksichtigt werden und nicht ohne weiteres linear zugunsten von älteren Arbeitnehmern gewichtet werden (vgl. BAG, Urteil v. 8. Dezember2022 – 6 AZR 31/22). 

Als weiteres Kriterium nennt das Gesetz das Bestehen von Unterhaltspflichten. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass in diesem Fall nicht nur der Arbeitnehmer selbst, sondern noch weitere Personen auf dessen Einkommen angewiesen sind. Zu berücksichtigen sind allerdings lediglich gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen. Sofern der Arbeitnehmer freiwillig die Pflege aufgrund einer vertraglichen Grundlage übernimmt, kann dies nicht zu seinen Gunsten gewertet werden (vgl. BAG, Urteil v. 12. August 2010 − 2 AZR 945/08). Denn Hintergrund ist eine höhere wirtschaftliche Belastung, welcher sich der Arbeitnehmer nicht entziehen kann.

Abschließend ist auch eine vorhandene Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Wann eine solche Schwerbehinderung vorliegt, ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 2 und Abs. 3 SGB IX. Demnach ist das Kriterium für schwerbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 sowie für Gleichgestellte mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 30 abwägungsrelevant. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung der Schwerbehinderung ist – wie bei den anderen Sozialkriterien auch – der Zeitpunkt des Ausspruchs (Zugangs) der Kündigung. Behinderungen, die nicht oder nicht im erforderlichen Umfang (GdB) anerkannt sind, dürfen selbst dann nicht in die Abwägung einbezogen werden, wenn sie die Chancen auf eine weitere Arbeitsvermittlung erheblich beeinträchtigen könnten (vgl. BAG, Urteil v. 17. März 2005 – 2 AZR 4/04).

Welche Arbeitnehmer müssen miteinander verglichen werden?

Die Sozialauswahl ist (1.) unter Einbeziehung aller Arbeitnehmer des Betriebs durchzuführen, die (2.) horizontal miteinander vergleichbar sind:

  1. Betriebsbezogenheit: Zunächst einmal ist die Sozialauswahl betriebsbezogen. Das bedeutet, dass nur Arbeitnehmer miteinander verglichen werden, die demselben Betrieb zuzuordnen sind. Das gilt auch dann, wenn sich der Arbeitgeber ein betriebsübergreifendes Versetzungsrecht vorbehalten hat (BAG, Urteil v. 31. Mai 2007 – 2 AZR 276/06). Die Betriebsbezogenheit gilt grundsätzlich auch innerhalb eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen (Gemeinschaftsbetrieb, § 1 Abs. 2 BetrVG). In diesem Fall sind Arbeitnehmer unternehmensübergreifend für die Sozialauswahl zu vergleichen. Eine Ausnahme hierzu bildet wiederum die Stilllegung einer der beiden Teile des Gemeinschaftsbetriebs: Wenn eines der beiden am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen beschließt, „seinen″ Teil des Gemeinschaftsbetriebs vollständig zu schließen,  endet mit dieser Teilstilllegung der gemeinsame Betrieb. Dann ergibt auch eine gemeinschaftsbetriebsweite Sozialauswahl keinen Sinn mehr (vgl. BAG, Urteil v. 11. Mai 2023 – 6 AZR 121/22; BAG, Urteil v. 23. März 2006 – 2 AZR 177/05).
  2. Vergleichbarkeit: In die Vergleichsgruppe sind nur diejenigen Arbeitnehmer des Betriebes einzubeziehen, die miteinander vergleichbar sind. Dies setzt kumulativ (i) eine arbeitsplatzbezogene, (ii) eine qualifikationsbezogene und (iii) einearbeitsvertragsbezogene Austauschbarkeit voraus.

Arbeitsplatzbezogen sind Arbeitnehmer austauschbar, die identische oder andersartige, aber gleichwertige Tätigkeiten verüben (sog. horizontale Gleichwertigkeit). 

Qualifikationsbezogen sind Arbeitnehmer austauschbar, wenn die Übernahme der jeweils anderen Tätigkeit mit ihren vorhandenen Kenntnissen und Fähigkeiten unter Berücksichtigung einer Einarbeitungszeit möglich ist.  

Arbeitsvertragsbezogen sind Arbeitnehmer austauschbar, wenn der Arbeitgeber sie durch arbeitgeberseitige Weisung (§ 106 GewO) miteinander austauschen kann. 

Eine wechselseitige Austausch- und Versetzbarkeit ist aber nicht erforderlich. Es genügt, wenn die potentiell zu entlassende Person auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt werden und die dortigen Aufgaben übernehmen könnte. Die dort arbeitende Person ist auch dann in die Sozialauswahl miteinzubeziehen, wenn diese nicht auf den Arbeitsplatz der potentiell zu entlassenden Person versetzt werden könnte. Das führt einerseits dazu, dass die Sozialauswahl nur innerhalb einer Hierarchieebene durchzuführen ist und andererseits dazu, dass im Rahmen der Vergleichsgruppenbildung auch überlegt werden muss, welche andere Tätigkeit die potentiell zu entlassende Person ausgehend von ihren Kenntnissen und Fähigkeiten übernehmen könnte.

Können Leistungsträger von der Sozialauswahl ausgenommen werden?

Nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG können Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herausgenommen werden,

deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen […] im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.

Was sich womöglich erst einmal recht einfach lesen mag, unterliegt aufgrund des Ausnahmecharakters dieser Vorschrift rechtlich doch einigen Hürden:

Die für die Herausnahme aus der Sozialauswahl erforderlichen besonderen Kenntnisse liegen vor, wenn Arbeitnehmer durch besonderes Wissen im Betrieb vielseitiger einsetzbar sind als vergleichbare Arbeitnehmer. Derartige Kenntnisse können durch Zusatzqualifikationen sowie Schulungen erworben werden. Das Einsatzspektrum des Arbeitnehmers muss durch seine besonderen Kenntnisse nachhaltig erweitert werden können, sodass er beispielsweise regelmäßig spezialisierte Aufgaben übernehmen oder aufgrund besonderer Sprachkenntnisse mit ausländischen Kunden, Geschäftspartnern oder Kollegen kommunizieren kann.

Das im Gesetz ebenso genannte Kriterium der besonderen Fähigkeiten kann sich in fachlicher oder sozialer Kompetenz zeigen oder körperliche Voraussetzungen betreffen. Ein Beispiel sind etwa persönliche Verbindungen zu Kunden oder Lieferanten, die sich als besonders vorteilhaft für den Betrieb erweisen. Ebenso kann ein gut ausgebautes Netzwerk, das der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber zur Verfügung stellt, als besondere Fähigkeit im weiteren Sinne angesehen werden. Auch Führungsqualitäten und soziale Kompetenzen, wie die Fähigkeit, Konflikte unter Kollegen zu schlichten oder Meinungsverschiedenheiten mit Vorgesetzten auszubalancieren, können hierunter gefasst werden.

Besondere Leistungen können eine außergewöhnliche Schnelligkeit, eine besonders niedrige Fehlerquote sowie eine herausragende Einsatzbereitschaft und Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers bei der Erbringung seiner Arbeitsleistung sein. Anhand einer Beurteilung oder Feststellungen eines bestimmten Leistungspensums gemessen am Durchschnitt können diese bis zu einem bestimmten Grad objektiviert und gerichtlich nachvollziehbar sein.

Die vom Gesetz aufgeführten besonderen Merkmale des aus der Sozialauswahl herauszunehmenden Arbeitnehmers müssen dem Arbeitgeber, gemessen an dessen frei bestimmten Unternehmenszweck, einen nicht unerheblichen Vorteil bringen, der im Rahmen der Sozialauswahl nicht angemessen berücksichtigt würde. Diese Feststellung verlangt eine Abwägung des Interesses eines sozial schwächeren Arbeitnehmers gegen das betriebliche Interesse des Arbeitgebers an der Herausnahme des von ihm identifizierten Leistungsträgers. 

Die Herausnahme von Arbeitnehmern aus der Sozialauswahl ist als Ausnahmeregelung eng auszulegen; die Auswahl nach sozialen Kriterien ist hingegen die Regel (vgl. BAG, Urt. v. 5. Juni 2008 – 2 AZR 907/06). Im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung muss der Arbeitgeber darlegen und ggf. beweisen können, dass die Herausnahme von der Sozialauswahl gerechtfertigt war. Dabei wird durchaus kritisch überprüft, ob die getroffenen Entscheidungen den zitierten gesetzlichen Vorgaben entsprechen und die betrieblichen Gründe tatsächlich so gewichtig waren, dass sie die sozialen Belange überwiegen. 

Wann ist die Sozialauswahl „richtig“?

Dieser Frage muss man sich von der anderen Seite nähern, denn eine betriebsbedingte Kündigung ist nur dann unwirksam, wenn mit der Kündigung des betroffenen Arbeitnehmers eine unvertretbare Auswahlentscheidung getroffen wurde (BAG, Urteil v. 7. Juli 2011 – 2 AZR 476/10). Entscheidend ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts also nicht, ob im Rahmen eines Personalabbaus das soziale Auswahlverfahren beanstandungsfrei ist. Denn auch ein mangelhaftes Auswahlverfahren kann zu einem zutreffenden – nach Maßgabe des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG „ausreichenden“ – Auswahlergebnis führen. Daher ist die Kündigung selbst bei fehlender oder methodisch fehlerhafter Sozialauswahl nicht unwirksam, wenn im Ergebnis gleichwohl ein objektiv vertretbares Auswahlergebnis vorliegt (std. Rspr, vgl. BAG, Urteil v. 27.Juni 2019 – 2 AZR 50/19).

Im Prozess ist dabei wichtig, dass der klagende Arbeitnehmer in einem Kündigungsschutzverfahren für die rechtswidrige Sozialauswahl darlegungs- und beweisbelastet ist (§ 1 Abs. 3 S. 3 KSchG). Dieser Grundsatz ist jedoch insoweit eingeschränkt, als hier ein Fall der sog. abgestuften Darlegungs- und Beweislast vorliegt: Wenn der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzverfahren erste Anhaltspunkte für eine falsche Sozialauswahl liefert, indem er etwa potentiell vergleichbare Arbeitnehmer nennt, die der Arbeitgeber bei der Sozialauswahl nicht berücksichtigt hat, dann muss sich der beklagte Arbeitgeber hierzu erklären und im Zweifel die Auswahlentscheidung rechtfertigen.

Welche Bedeutung haben Punkteschemata?

Natürlich ist der Auswahlprozess dennoch risikobehaftet, und Arbeitgeber sollten nicht darauf vertrauen, zufälligerweise ein vertretbares Auswahlergebnis zu treffen. Um dieses Risiko zu verringern, bietet sich die Nutzung eines Punkteschemas an. Dabei werden den o.g. Sozialauswahlkriterien Punktewerte zugeteilt und auf dieser Grundlage die „sozial Stärksten″ der vergleichbaren Arbeitnehmer bestimmt. Dabei ist es sinnvoll, ein Punkteschema zu verwenden, das das BAG bereits explizit als „wirksam″ erachtet hat, welches also zu einem „ausreichenden“ Auswahlergebnis führt. Darüber hinaus nimmt das BAG an, dass eine Sozialauswahl, bei der sich der Arbeitgeber an einem durch die Rechtsprechung bereits akzeptierten Schema orientiert, im Zweifel ein Indiz für eine ausreichende Gewichtung der Sozialdaten ist (vgl. BAG, Urteil v. 29. Januar2015 – 2 AZR 164/14).

Vier solcher Punkteschemata haben wir nachfolgend dargestellt:

 BAG, Urteil v. 6. November 2008 –
2 AZR 523/07
BAG, Urteil v. 12. März 2009 –
2 AZR 418/07
BAG, Urteil v. 5. November 2009 –
2 AZR 676/08
BAG, Urteil v. 18. September 2018 –
9 AZR 20/18
Betriebszugehörigkeit (Punkte / Jahr)1,5 Punkte 2 Punkte1 Punkt
Ab dem 11. Jahr: 2 Punkte (max. 70)
1,5 Punkte
Lebensalter 
(Punkte / Jahr)
1 Punkt 
(ab dem 18. Lebensjahr)
1 Punkt1 Punkt1 Punkt
Schwerbehinderung / Gleichstellung50 % und mehr 11 PunkteGleichgestellte 9 Punkte10 Punkte10 Punkte5 Punkte ab GdB 50vH 
plus 1 Punkt pro bei Überschreiten dieses GdB um jew. 10vH.
Unterhaltspflichten
– Ehegatten
– Kinder

5 Punkte
7 Punkte

5 Punkte
10 Punkte

2 Punkte
2 Punkte

8 Punkte
8 Punkte

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats

Bei der Durchführung der Sozialauswahl als solcher hat der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht. Allerdings hat der Betriebsrat nach § 95 Abs. 1 BetrVG bei der Aufstellung sog. Auswahlrichtlinien mitzubestimmen – wozu auch die Nutzung von Punkteschemata zur Durchführung einer Sozialauswahl zählt. Hinzu kommt, dass in Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern der Betriebsrat sogar ein Initiativrecht hat, das er über die Einigungsstelle durchsetzen kann (vgl. § 95 Abs. 2 S. 2 BetrVG).

Ob eine solche Auswahlrichtlinie aus Arbeitgebersicht strategisch sinnvoll ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Folgende Gesichtspunkte sollten Arbeitgeber abwägen:

  • Zunächst führt die Vereinbarung einer Auswahlrichtlinie gem. § 1 Abs. 4 KSchG dazu, dass die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann. Das kann die gewünschte Rechtssicherheit für den Arbeitgeber im Rahmen des Personalabbaus deutlich erhöhen.
  • Allerdings haben, wie oben dargestellt, Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des BAG bei der Gewichtung der Kriterien gemäß § 1 Abs. 3 KSchG ohnehin einen gewissen Ermessensspielraum. Damit erreicht man ein ähnliches Maß an Rechtssicherheit wie mit einer Auswahlrichtlinie.
  • Zudem verlieren Arbeitgeber durch die Vereinbarung einer Auswahlrichtlinie Flexibilität für ein bestimmtes Projekt. Die zu kündigenden Personen werden durch die Auswahlrichtlinie ein Stück weit determiniert.
  • Schließlich könnten die vereinbarten Punkteschemata bei nachfolgenden Betriebsänderungen von Betriebsratsseite erneut herangezogen werden. Dies kann ungewollte Fernwirkungen für andere Maßnahmen, ggf. sogar für andere Betriebe, mit sich bringen

Häufig besteht der Betriebsrat allerdings schon gar nicht auf die Aufstellung von Auswahlrichtlinien, da er schließlich an der Bestimmung der zu kündigenden Mitarbeiter beteiligt ist. Indem der Betriebsrat eine Auswahlrichtlinie vereinbart, erschwert er letztlich den betroffenen Mitarbeitern, sich gegen eventuelle Kündigungen zur Wehr zu setzen. 

Häufige Fehler / To dos / Praxistipps

In der Praxis treten bei der Sozialauswahl immer wieder Fehler auf, die zur rechtlichen Unwirksamkeit betriebsbedingter Kündigungen führen können. Hieraus ergeben sich unserer Erfahrung nach folgende To dos für Arbeitgeber:

  • Arbeitgeber sollten bereits im Vorfeld der Planung eines Personalabbaus sicherstellen, dass die Personaldaten (insb. bezogen auf die Sozialauswahlkriterien) vollständig und richtig erfasst sind. Es kommt nicht selten vor, dass bestimmte Sozialdaten bei einzelnen Arbeitnehmern fehlen und deren Beschaffung kurz vor Ausspruch der geplanten Kündigungen nicht mehr möglich ist.
  • Arbeitgeber sollten außerdem frühzeitig (und kritisch) bewerten, welche Arbeitnehmer untereinander austauschbar sind. Dies ist, wie dargestellt, wichtig für die richtige Vergleichsgruppenbildung, im Detail häufig aber nicht ganz einfach. 
  • Arbeitgeber sollten schließlich nicht nur die Sozialauswahlkriterien nachvollziehbar gewichten, sondern die Auswahlentscheidung auch so dokumentieren, dass sie die getroffene Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt (insbesondere in etwaigen Gerichtsverfahren) erklären und ggf. nachweisen können.

Sozialauswahl mit Legal Tech

Wie gezeigt, handelt es sich bei der Sozialauswahl um einen sehr datenlastigen, geradezu arithmetischen Vorgang sein – der noch dazu recht fehleranfällig ist. Damit bietet es sich geradezu an, dieses Verfahren mit digitalen Hilfsmitteln zu unterstützen oder gleich mit einer spezialisierten Lösung (Legal-Tech-Produkt) durchzuführen. CMS Select ist eine onlinebasierte Applikation, mit der die in arbeitsrechtlichen Restrukturierungen erforderliche Sozialauswahl so weit als möglich automatisiert durchgeführt werden kann. Die Applikation ermöglicht eine flexible Koordination von Mitarbeiterdaten, Restrukturierungsmaßnamen und Vergleichsgruppen sowie die Durchführung verschiedener Simulationsberechnungen. Projektbetreuende HR-Mitarbeiter und Anwälte werden von administrativen Tätigkeiten weitgehend entlastet. Dies ermöglicht ein hohes Maß an Effizienzsteigerung und die Fokussierung auf juristische Fragestellungen.

Tags: Arbeitsrecht Chancen durch Transformation Sozialauswahl