Personalabbau geht oft mit einer Massenentlassung iSv. § 17 KSchG einher. Das Konsultations- und das Anzeigeverfahren sind jedoch fehleranfällig, die Folgen können erheblich sein.
Planen Arbeitgeber den Abbau von Personal werden oftmals die in § 17 Abs. 1 KSchG konkretisierten Schwellenwerte überschritten. Hierfür genügt oft schon der beabsichtigte Abbau von 5 bis 10 % der Arbeitsplätze eines Betriebes (sog. „Massenentlassung“). Die Folge ist – neben der Verpflichtung zur Verhandlung eines Interessenausgleichs und Abschluss eines Sozialplans – die Pflicht zur Durchführung eines zusätzlichen Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat sowie im Einzelfall auch die Abgabe einer sog. Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit.
Die hierbei zu beachtenden Vorgaben aus § 17 KSchG kommen jedoch nur auf den ersten Blick unscheinbar daher. Die gesetzliche Regelung basiert auf der Massenentlassungsrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft und ist somit europarechtskonform auszulegen. Zudem sind die Einzelheiten des Konsultations- und Anzeigeverfahrens Gegenstand zahlreicher Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, des Bundesarbeitsgerichts sowie der Instanzgerichte. Ohne deren Kenntnis sind Fehler kaum zu vermeiden. Dies haben eindrücklich u.a. die „Air-Berlin“-Urteile des BAG gezeigt (BAG, Urteil v. 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19; Urteil v. 27. Februar 2020 – 8 AZR 215/19; Urteil v. 14. Mai 2020 – 6 AZR 235/19). Im Zweifel sind alle „Entlassungen“ unwirksam, sodass erhebliche finanzielle Risiken drohen.
Der „Betrieb“ als Bezugspunkt
Die Konsultations- und Anzeigepflicht hängt maßgeblich von der Betriebsgröße ab. Nach der ständigen Rechtsprechung ist hierbei nicht der betriebsverfassungsrechtliche, sondern der unionsrechtliche Betriebsbegriff maßgeblich. Ausreichend – aber auch erforderlich – ist eine
unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität, die zur Erledigung einer oder mehrerer Aufgaben bestimmt ist und die über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt.
Dies hat zur Folge, dass zum Beispiel auch einzelne Filialen eines Filialnetzes als jeweils eigenständige Betriebe im Sinne des § 17 Abs. 1 KSchG angesehen werden könnten, während diese betriebsverfassungsrechtlich u.U. dem Hauptbetrieb (z.B. der Region oder Verwaltungszentrale) zuzuordnen wären. Aber auch sogenannte gewillkürte Betriebsratsstrukturen im Sinne von § 3 BetrVG (z.B. Regionalbetriebsräte, Spartenbetriebsräte etc.) führen nicht dazu, dass sich der Bezugspunkt für die Schwellenwerte aus § 17 Abs. 1 KSchG ändert. Legte man den falschen Betriebsbegriff und damit u.U. einen falschen Schwellenwert bei den Planungen des Personalabbaus zugrunde, wird im Zweifel irrtümlich das Konsultations- und Anzeigeverfahren nicht durchgeführt. Die ausgesprochenen Kündigungen wären schon aus formellen Gründen unwirksam.
Nichtsdestotrotz kann die betriebsverfassungsrechtliche Struktur nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Sie bleibt für die Bestimmung des richtigen Konsultationspartners relevant. Insbesondere bei Spartenbetriebsräten oder Betriebsräten für bestimmte Berufsgruppen (z.B. Betriebsrat Cockpit, Betriebsrat Kabine) sowie bei der Existenz eines Sprecherausschusses müssen im Zweifel alle für den Betrieb örtlich zuständigen Arbeitnehmergremien am Konsultationsverfahren beteiligt werden (vgl. BAG, Urteil v. 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19).
Anzahl der „in der Regel“ beschäftigten „Arbeitnehmer“
Ist der maßgebliche Betrieb identifiziert, stellt sich die Frage nach dessen Größe, um den richtigen Schwellenwert des § 17 Abs. 1 KSchG zu ermitteln. Der Wortlaut stellt auf die Anzahl der „in der Regel“ beschäftigten „Arbeitnehmer“* ab. Auch hier ist nicht der nationale Arbeitnehmerbegriff maßgeblich (vgl. § 611a BGB), sondern der deutlich weitere unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff (vgl. EuGH, Urteil v. 9. Juli 2015 – C-229/14 [„Balkaya“]). Es genügt schon die Weisungsgebundenheit einer Person mit der Folge, dass auch – entgegen dem Wortlaut des § 17 Abs. 5 KSchG – Fremd-Geschäftsführer einer GmbH und leitende Angestellte jedenfalls bei der Bestimmung der Betriebsgröße mitgezählt werden sollten. Dies gilt ebenso für im Betrieb eingesetzte Leiharbeitnehmer (vgl. BAG, Urteil v. 16. November 2017 – 2 AZR 90/17). Ungeklärt ist die Rechtslage noch im Falle von Matrix-Strukturen. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere Matrix-Manager im Zweifel mehreren Betrieben zuzuordnen sind (vgl. BAG, Urteil v. 12. Juni 2019 – 1 ABR 5/18), was oftmals in den Personallisten der Arbeitgeber kaum abgebildet sein dürfte.
Die Größe des Betriebs ist nach der bisherigen Rechtsprechung zudem nicht stichtagsbezogen zu ermitteln (vgl. BAG, Urteil v. 11. Mai 2023 – 6 AZR 157/22 [A]). Maßgeblich soll vielmehr diejenige Personalstärke sein, die bei regelmäßigem Geschäftsgang für den Betrieb kennzeichnend ist. Dieser wertende Ansatz ist für die Praxis besonders misslich, da in aller Regel auf Basis von Personallisten gearbeitet und die Betriebsgröße nicht „über den Daumen“ gepeilt wird. Die Kunst im Rahmen der Konsultation liegt hier darin, die zugrunde gelegte Personalstärke und den für maßgeblich erachteten Schwellenwert aus § 17 Abs. 1 KSchG in einen Kontext mit den Entwicklungen des Betriebs in der jüngeren Vergangenheit nachvollziehbar darzustellen.
„Entlassungen“ als Auslöser für die Konsultations- und Anzeigepflicht
Zentrale Tatbestandsvoraussetzung für die Konsultations- und Anzeigepflicht sind die vom Arbeitgeber im Betrieb beabsichtigten „Entlassungen“. Das Gesetz stellt hier nicht nur auf Arbeitgeberkündigungen ab, die aus betriebsbedingten Gründen erfolgen. Als Entlassungen gelten auch alle sonstigen, arbeitgeberseitig veranlasste Beendigungen des Arbeitsverhältnisses und damit grds. auch Änderungskündigungen, Aufhebungsverträge und „betriebsbedingte“ Eigenkündigungen durch Arbeitnehmer. Die Instanzgerichte betrachten mitunter auch alle sonstigen Arbeitgeberkündigungen (z.B. verhaltens- oder personenbedingte Kündigungen) als relevante Entlassungen (LAG Düsseldorf, Urteil v. 15. Oktober 2021 – 7 Sa 405/21). Höchstrichterlich noch immer ungeklärt ist zudem, ob die Abmeldung von im Betrieb eingesetzten Leiharbeitnehmern, der Wechsel in eine Transfer- oder Qualifizierungsgesellschaft, der Wechsel in eine andere Konzerngesellschaft oder der Abschluss eines Vorruhestands oder einer Altersteilzeit als „Entlassung“ mitzuzählen wären.
Zu beachten ist ferner, dass ein Personalabbau in mehreren kleinen Schritten nur im Ausnahmefall das Konsultationsverfahren entbehrlich machen kann, wie der EuGH erst jüngst noch einmal verdeutlich hat (EuGH, Urteil v. 22. Februar 2024 – C-589/22; vgl. auch BAG, Urteil v. 26. Januar 2017 – 6 AZR 442/16). Eine solche Ausnahme kommt etwa in Betracht, wenn ein Überschreiten der Schwellenwerte aus § 17 Abs. 1 KSchG innerhalb des 30-Tageszeitraums sicher ausgeschlossen werden kann. Mit Blick auf die Unwägbarkeiten bei den zu berücksichtigenden Entlassungen wäre ein Verzicht auf die Durchführung des Konsultationsverfahrens oftmals ein unvertretbares Wagnis.
Ablauf und Informationsinhalte des Konsultationsverfahrens
Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 KSchG „rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte erteilen“ und er muss mit dem Betriebsrat die Möglichkeiten beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Das Konsultationsverfahren wird damit idealerweise mit Beginn der Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan eingeleitet, deren Verhandlungsgegenstand im Wesentlichen identisch zu dem Inhalt des Konsultationsverfahrens ist. Der in § 17 Abs. 2 KSchG enthaltene Unterrichtungskatalog lässt sich dabei gut mit einem ergänzenden Verweis auf die Entwürfe zum Interessenausgleich und Sozialplan abarbeiten. Als ergänzende „zweckdienliche Auskünfte“ kommen insbesondere Angaben zur Art und Weise der Umsetzung des Personalabbaus in Betracht, z.B. Angaben zu einem geplanten Freiwilligenprogramm, besonderen Qualifizierungsangeboten oder dem Angebot einer Transfergesellschaft.
Schwierigkeiten bereiten indes in der Praxis oft die Angaben zu den „Berufsgruppen“ der beschäftigen und zu entlassenden Arbeitnehmer. Der Begriff ist gesetzlich nicht definiert und dürfte der Klassifikation der Berufe, wie sie die Bundesagentur für Arbeit für ihre Vermittlungstätigkeiten zugrunde legt, entsprechen. Die Berufsgruppe lässt sich aus den ersten drei Ziffern aus den sog. DEÜV-Meldenummern bzw. den Tätigkeitsschlüsseln herleiten, welche in den meisten Personalverwaltungssystemen für jeden Arbeitnehmer hinterlegt sind.
Für das Konsultationsverfahren ist weder eine Mindestdauer vorgesehen, noch existiert ein Einigungszwang (BAG, Urteil v. 22 September 2016 – 2 AZR 276/16). Anders als die Verhandlungen über den Interessenausgleich und Sozialplan kann das Konsultationsverfahren daher kaum durch den Betriebsrat verzögert werden. Ohne eine formelle Beendigung des Konsultationsverfahrens müssen zwischen der Unterrichtung des Betriebsrats und der Anzeige der Massenentlassung gegenüber der Agentur für Arbeit lediglich zwei Wochen liegen und der Stand der Beratungen muss glaubhaft gemacht werden.
Rechtsfolge einer unterbliebenen oder fehlerhaften Konsultation
Ist die erforderliche Konsultation des Betriebsrats unterblieben, sind die ausgesprochenen Kündigungen nach der ständigen Rechtsprechung des BAG unwirksam, da der Arbeitgeber mit der Kündigung gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB verstoßen habe. Höchstrichterlich ungeklärt ist die Frage, ob auch Aufhebungsverträge unwirksam sind und wenn ja, unter welchen Umständen Arbeitnehmer die Unwirksamkeit später noch geltend machen könnten. Auch im Zusammenhang von Freiwilligenprogrammen sollte das Konsultationsverfahren daher stets im Blick behalten werden.
Dieselben Grundsätze dürften zudem gelten, wenn die Unterrichtung des Betriebsrats „nur“ fehlerhaft war und damit negative Folgen für die Prüfung konstruktiver Vorschläge zur Vermeidung von Kündigungen zu erwarten wären. Erfahrungsgemäß können solche Fehler im Konsultationsverfahren durch die Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess aber nur sehr schwer aufgedeckt werden.
Erstattung der Massenentlassungsanzeige
Ist das Konsultationsverfahren durchgeführt worden, bedarf es noch der Erstattung der Massenentlassungsanzeige, bevor innerhalb von 30 Kalendertagen Entlassungen durchgeführt werden, die den Schwellenwert aus § 17 Abs. 1 KSchG überschreiten. Die Anzeigepflicht kann somit auch nachträglich für bereits ausgesprochene Kündigungen entstehen, wenn der gesetzliche Schwellenwert durch spätere Kündigungen innerhalb des 30-Tageszeitraums überschritten wird. Abhängig von der Anzahl der geplanten Entlassungen und dem Zeitdruck für die Umsetzung des Personalabbaus kann die Notwendigkeit einer Anzeige mit sorgfältiger Planung aber auch vermieden werden, z.B. durch einen zeitlich gestaffelten Ausspruch von Kündigungen.
Das Gesetz differenziert im Rahmen des Anzeigeverfahrens zwischen den sog. „Muss-Angaben“ und den „Soll-Angaben“. Die Muss-Angaben entsprechen weitestgehend dem Informationsgehalt, der dem Betriebsrat im Rahmen des Konsultationsverfahren zur Verfügung gestellt worden ist, vgl. § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG. Die Soll-Angaben (d.h. Geschlecht, Alter, erlernter Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer) sind in der Praxis für Arbeitgeber oftmals auch kaum zu ermitteln. Das BAG hat glücklicherweise aber für Rechtssicherheit gesorgt und erachtet die Soll-Angaben lediglich als optional (BAG, Urteil v. 19. Mai 2022 – 2 AZR 467/21).
In der Praxis ist insbesondere bei der Durchführung von Freiwilligenprogrammen (ggf. parallel zu dem Ausspruch von Kündigungen oder vor dem Ausspruch von Kündigungen) zu Beginn oft noch unklar, welche und wie viele Arbeitnehmer tatsächlich innerhalb von 30 Kalendertagen entlassen werden sollen. Die zwingend erforderlichen Angaben im Rahmen der Massenentlassungsanzeige zu der Anzahl der Entlassungen und zu den Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer sind damit besonders fehleranfällig, im schlimmsten Fall handelt es sich um eine unzulässige Vorratsanzeige. Dies sollte bereits bei der Planung zur Ausgestaltung der Umsetzungsschritte des Personalabbaus berücksichtigt werden.
Rechtsfolge einer unterbliebenen oder fehlerhaften Anzeige
Während das BAG bisher davon ausging, dass auch Fehler im Anzeigeverfahren zur Unwirksamkeit aller anzeigepflichtigen Entlassungen führte, deutet sich hier eine Rechtsprechungsänderung an. Der 2. Senat des BAG wollte von dieser strengen Sanktion, die zuvor auch der 6. Senat des BAG noch vertreten hat, abweichen. Dazu musste er aber zuvor noch bei dem 6. Senat des BAG eine sog. Divergenzanfrage stellen, um eine einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung zu gewährleisten. Der 6. Senat sah sich aber nicht in der Lage, die Anfrage zu beantworten und verfolgt wohl auch einen etwas restriktiveren Ansatz und fragte den EuGH an, ob Fehler im Anzeigeverfahren zur Anwendung der sog. Entlassungssperre aus § 18 KSchG führen. Dies hätte zur Folge, dass die Arbeitsverhältnisse nicht enden würden, bevor eine fehlerfreie Anzeige erstattet worden ist. Eine fehlerhafte Anzeige könnte somit – anders als bisher – zumindest noch nachträglich geheilt werden und der Ausspruch weiterer Kündigungen (nebst neuer Massenentlassungsanzeige) würde entbehrlich.
Höchstrichterlich ungeklärt ist ferner die Frage, ob eine Bestätigung der Agentur für Arbeit über den „vollständigen Eingang“ der Massenentlassungsanzeige – trotz deren objektiver Fehlerhaftigkeit – weitergehende Sanktionen entbehrlich werden lässt. Der BAG hat auch diese Frage (s. Pressemitteilung vom 23. Mai 2024) dem EuGH vorgelegt.
Bis zu einer Entscheidung des EuGH und Einigung der BAG-Senate (ggf. durch eine Entscheidung des Großen Senats des BAG) bleiben Arbeitgeber daher gut beraten, auch das Anzeigeverfahren weiterhin sorgfältig vorzubereiten und durchzuführen.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.