2. April 2020
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Distressed M&A im Automobilbereich Restrukturierung und Insolvenz

Distressed M&A: Verwässern oder Verbluten, lieber Altgesellschafter?

Bei Distressed M&A ist nicht nur in der Automobilbranche Vieles anders. Wir zeigen, warum der wesentliche Teil des Kapitals nicht vom Neu- an den Altgesellschafter fließt.

Im Normalfall wird ein Unternehmen verkauft, wenn es nicht in einer Krisensituation ist. Bei Share Deals fließt das Kapital in solchen Fällen an den bisherigen Gesellschafter (Altgesellschafter). Er verkauft und überträgt die Gesellschaftsanteile an der Zielgesellschaft an den Erwerber (Neugesellschafter). Hierfür bezahlt der Neugesellschafter einen Kaufpreis als Gegenleistung für die Gesellschaftsanteile an den Altgesellschafter als Verkäufer.

Die Gründe für den Verkauf eines Unternehmens sind vielfältig. Ist weder das Unternehmen noch der Altgesellschafter selbst in einer wirtschaftlichen Krise, treiben den Altgesellschafter meist autonome Motive und Interessen zum Verkauf: Beispielsweise kann er einen Nachfolger suchen, aus strategischen Gründen zur Konzentration auf seine Kernkompetenz verkaufen oder er nutzt schlicht eine günstige Verkaufsmöglichkeit, um aus unternehmerisch gebundenem Vermögen frei verfügbares Vermögen zu machen.

In der Krise wird meist alles anders: Distressed M&A

Demgegenüber wird in der Krise meist alles anders. Eine Krise wird juristisch beschrieben als eine Situation, in der ein außenstehender Dritter dem Unternehmen keinen Kredit mehr zu marktüblichen Bedingungen gewährt und das Unternehmen ohne Kapitalzufuhr liquidiert werden müsste. Der Gesellschafter kann also zum Handeln gezwungen sein, um die Sanierung des Unternehmens zu erreichen und so die Insolvenz des Unternehmens zu verhindern. Denn die Insolvenz ist schlecht für den Gesellschafter: Wird das Gesellschaftsvermögen verwertet, erhält er sein Eigenkapital erst zurück, wenn alle Schulden des Unternehmens beglichen sind. In den allermeisten Fällen geht der Gesellschafter dabei leer aus. Sein Kapital ist verloren.

Ganz unterschiedliche Gründe führen Unternehmen in wirtschaftliche Krisen. Zurzeit sind gerade Unternehmen im Automobilbereich mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Während Auftragslage und Gewinn rückläufig sind, muss die Automobilindustrie hohe Investitionen tätigen, um technologische Transformationsprozesse vom Verbrennungsmotor hin zu Elektroantrieben sowie zu autonomem und vernetztem Fahren zu bewältigen. Zulieferer geraten in dieser Situation zunehmend unter Druck, da ihre Technik für Verbrennungsantriebe immer weniger gefragt ist und sie neue Technologien entwickeln müssen, um am Markt zu bleiben. Zusätzlicher Kapitalbedarf ist deshalb gerade für Unternehmen im Automobilbereich aktuell eine große Herausforderung. Distressed M&A wird deshalb in den kommenden Jahren immer mehr zum Thema werden.

Um eine Krisensituation zu bewältigen, wird das Unternehmen in aller Regel zusätzlichen Finanzierungsbedarf haben, das heißt „Fresh Money″ benötigen. Das kann mehrere Gründe haben. Zunächst müssen die gesetzlichen Pflichten zur Insolvenzantragstellung überwacht und eingehalten werden. Neues Geld kann sowohl die Überschuldung als auch die Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens abwenden und so die Gründe für die Stellung eines Insolvenzantrags beseitigen. Ferner verlangen finanzierende Banken in Krisensituationen regelmäßig die Verbesserung der Eigenkapitalbasis ihrer Kreditnehmer, auch um den eigenen regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden. Ein gängiger Indikator ist die Eigenkapitalquote, also das Verhältnis des Eigenkapitals zur Bilanzsumme. Häufig ist eine bestimmte Eigenkapitalquote des Unternehmens als Darlehensnehmer in Form sogenannter Covenants als Nebenverpflichtung in Darlehensverträgen geregelt. Ist sie nicht erfüllt, kann die Bank die Darlehenskonditionen anpassen oder im Extremfall den Darlehensvertrag kündigen.

Gesellschafter können oder wollen im Falle einer Krisensituation in vielen Fällen keine Nachfinanzierung zur Verfügung stellen. Zunächst müssen Gesellschafter über die entsprechenden Mittel überhaupt verfügen. Selbst wenn dies der Fall ist, werden Gesellschafter in einer Krise unter Umständen keine weitere Finanzierung zur Verfügung stellen wollen. Die langfristige Sanierung des Unternehmens kann trotz Nachfinanzierung unsicher sein. Das wirtschaftliche Risiko der Altgesellschafter erhöht sich durch die Nachfinanzierung. Es kann also naheliegen, dass Altgesellschafter ihre Verluste begrenzen wollen.

Die Finanzierung durch Aufnahme neuer Gesellschafter bei Distressed M&A

In dieser Situation stellt daher die Nachfinanzierung durch die Aufnahme neuer Gesellschafter eine interessante Alternative dar. Altgesellschafter schlagen damit im Idealfall zwei Fliegen mit einer Klappe: Dem Unternehmen selbst fließt Kapital in Form von Fresh Money zu, um die Sanierung in Angriff zu nehmen, ohne dass die Altgesellschafter das Geld selbst aufbringen müssen. Das Überleben des Unternehmens ist zugleich gesichert und die Altgesellschafter bleiben am Unternehmen beteiligt. Sie können so darauf hoffen, Erträge mit ihrer Beteiligung zu erzielen, wenn die Sanierung gelingt. Misslingt die Sanierung, haben sie immerhin in der Krise nicht mehr nachfinanzieren müssen und ihre Verluste begrenzt.

Variante 1: Beteiligung durch Kapitalerhöhung

Die Beteiligung neuer Gesellschafter kann auf verschiedene Arten durchgeführt werden. Eine Variante stellt die Aufnahme von Gesellschaftern gegen Einzahlung von Eigenkapital dar, im Falle der GmbH durch Erhöhung des Stammkapitals gemäß §§ 55 ff. GmbHG. In der Krise sind von den verschiedenen Arten der Kapitalerhöhung nur diejenigen von Bedeutung, bei denen das Eigenkapital der Gesellschaft tatsächlich gestärkt wird, die sogenannte effektive oder auch ordentliche Kapitalerhöhung gemäß §§ 55 bis 57a GmbHG. Dies liegt daran, dass nur die effektive Kapitalerhöhung dem Vermögen der Gesellschaft neue Eigenmittel zuführt. Das ist notwendige Bedingung, damit die Krise überwunden werden kann.

Für die ordentliche Kapitalerhöhung sind bei der GmbH verschiedene Schritte nötig, beginnend mit dem Kapitalerhöhungsbeschluss der Gesellschafterversammlung. Die Altgesellschafter verzichten dabei auf ihr Bezugsrecht und lassen den Neugesellschafter zur Zeichnung der neuen Geschäftsanteile zu. Der Neugesellschafter erklärt die Übernahme der neuen Geschäftsanteile und zahlt das Kapital in die Gesellschaft ein. Mit der Eintragung im Handelsregister wird die Kapitalerhöhung wirksam.

Hervorzuheben ist, dass der Kapitalerhöhungsbeschluss eine Satzungsänderung bedeutet, weshalb er notariell zu beurkunden ist und mindestens mit ¾-Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst werden muss. Sollte die erforderliche Mehrheit nicht erreicht werden, kann sich die Pflicht zur Zustimmung zur Kapitalerhöhung aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht dann ergeben, wenn die Kapitalerhöhung im Interesse der Gesellschaft geboten ist  und – so die Formel des Blockadeverbots der Rechtsprechung – der widerwillige Gesellschafter im Fall der Liquidation oder Insolvenz gleich oder schlechter stünde.

Zu beachten ist ferner das gesetzliche Bezugsrecht der Altgesellschafter bei einer Kapitalerhöhung. Wird das Kapital erhöht, haben alle Gesellschafter im Verhältnis ihrer bisherigen Beteiligung zueinander das Recht, neue Anteile zu zeichnen. Das Bezugsrecht schützt die Altgesellschafter vor der sogenannten Verwässerung ihrer Beteiligung. Damit ist gemeint, dass sich ihre Beteiligungsquote und ihr Anteil am Gewinn der Gesellschaft nicht gegen ihren Willen verändern können. Bei der Kapitalerhöhung in der Krise werden indessen häufig nur neue Gesellschafter aufgenommen. Die Altgesellschafter müssen in der Regel auf ihr Bezugsrecht verzichten und ihre Beteiligung verwässert dadurch.

Die Kapitalerhöhung darf erst zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden, wenn (a) der gesamte Betrag der Kapitalerhöhung vollständig gezeichnet wurde und (b) die Mindesteinlagen auf die neuen Geschäftsanteile (im Falle von Barkapitalerhöhungen 25 % des Nennbetrags der Geschäftsanteile) endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsführer geleistet worden sind.

Variante 2: Beteiligung durch Verkauf mit Kapitalzusage

Alternativ kommt eine „klassische″ Veräußerung der Gesellschaftsanteile durch Altgesellschafter an Neugesellschafter in Betracht. In einem Krisenszenario ist es gängige Praxis, dass die Neugesellschafter in Kombination mit dem Anteilserwerb die Verpflichtung übernehmen, der Gesellschaft Kapital zuzuführen. Daneben fließt meist ein geringer und oftmals nur symbolischer Kaufpreis direkt an die Altgesellschafter.

Die Art der Kapitalzuführung kann unterschiedlich aussehen. So kann sich der erwerbende Neugesellschafter beispielsweise verpflichten, eine Zuzahlung gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB in die Kapitalrücklage der Gesellschaft gemäß § 266 Abs. 3 A. II. HGB zu leisten oder der Gesellschaft ein Gesellschafterdarlehen zur Verfügung zu stellen.

Der Neugesellschafter wird sich zur Leistung in die Kapitalrücklage der Gesellschaft regelmäßig nur gegenüber den veräußernden Altgesellschaftern und gerade nicht der Gesellschaft selbst verpflichten wollen. Durch diese Gestaltung kann der Neugesellschafter erreichen, dass der Insolvenzverwalter im Falle der späteren Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft die Einlageleistung nicht vom Neugesellschafter einfordern und damit zur Insolvenzmasse ziehen kann.

Gesellschafterdarlehen tragen in Krisensituationen zur Sanierung bei, da Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen bei der Prüfung der Überschuldung als Verbindlichkeiten unberücksichtigt bleiben können, wenn die Gesellschaft und der Gesellschafter gemäß §§ 19 Abs. 2 S. 2, 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO eine Nachrangvereinbarung abgeschlossen haben. Gesellschafterdarlehen können daher als sogenanntes „wirtschaftliches Eigenkapital″ eingeordnet werden. Ist die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig, überschuldet oder droht sie zahlungsunfähig zu werden, gilt das Sanierungsprivileg des § 39 Abs. Abs. 4 S. 2 InsO. Leistet der Neugesellschafter sein Darlehen gerade zum Zweck der Sanierung, ist er nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger, sondern gleichrangig mit allen anderen normalen Gläubigern der Gesellschaft. Sofern genug Insolvenzmasse vorhanden ist, heißt das auch, dass der Neugesellschafter zunächst sein gesamtes Darlehen aus der Masse zurückbezahlt bekommt, bevor Altgesellschafter Gesellschafterdarlehen oder Eigenkapital zurückbezahlt bekommen.

Der Altgesellschafter verliert durch die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen hier ebenfalls Kontrolle. Mit anderen Worten: Er verwässert. Im Gegenzug erhält allerdings die Gesellschaft ebenfalls die nötige Stärkung des Eigenkapitals. Auch hier findet also der wesentliche Kapitalfluss zwischen dem Neugesellschafter und der Gesellschaft statt.

Fazit: In der Krise werden Unternehmen oft ohne Kaufpreis erworben

Gesellschafter stehen in der Krise von Unternehmen vor mitunter schwierigen Entscheidungen. Oft üben Gläubiger des Unternehmens und Banken Druck auf sie aus. Wenn Gesellschafter nachfinanzieren, erhöhen sie ihr Risiko. Entscheiden sie sich dagegen, ist der Wert ihrer Beteiligung am Unternehmen oftmals verloren, wenn das Unternehmen in Insolvenz verfällt. Bildlich gesprochen verbluten die Gesellschafter in diesem Fall.

Wie der Beitrag gezeigt hat, muss das aber nicht sein. Findet sich ein Investor können Gesellschafter am Unternehmen beteiligt bleiben, müssen aber im Gegenzug hinnehmen, dass sie verwässern, also ihr Einfluss auf das Unternehmen sinkt und sie einen geringeren Anteil an künftigen Gewinnen hinnehmen müssen. Vor diese Wahl gestellt, handeln Gesellschafter natürlich vernünftiger, wenn sie sich gegen das Verbluten und für das Verwässern entscheiden. Der Neugesellschafter seinerseits erwirbt einen Teil des Unternehmens. Dass hierbei kein Kaufpreis oder kein wesentlicher Kaufpreis fließt, ist das Wesen vieler Distressed M&A-Transaktionen.

Nach dem Auftakt zu unserer Blog-Serie „Distressed M&A im Automobilbereich“ zeigen wir auf, warum der wesentliche Teil des Kapitals nicht vom Neu- an den Altgesellschafter fließt. Anschließend erscheint ein Beitrag zur Gesellschaftervereinbarung zum Interessenausgleich zwischen Altgesellschafter und Investor.

Tags: Altgesellschafter Distressed M&A Kapital Neugesellschafter