Das Ergebnis eines Unternehmens bestimmt dessen Preis. In „Distressed“-Situationen ist der Preis gering, eine Earn-out-Komponente bietet die Chance auf mehr.
Die Automobilbranche steht vor einer ihrer größten Herausforderungen. Die Corona-Pandemie hat zu Produktionsausfällen geführt und die Konjunktur nachhaltig beeinträchtigt. Die Absatzmärkte sind weltweit eingebrochen. Der Wandel der Antriebssysteme und die Digitalisierung zwingen die Unternehmen der Branche in dieser angespannten Situation zu Investitionen. Unternehmen finden sich schnell in einer finanziell angespannten Situation wieder (Distressed). Spitzt sich diese Situation zu, hilft am Ende oft nur die Aufnahme von Investoren oder gar der Verkauf des Unternehmens.
Schlechtes Ergebnis = geringer Kaufpreis?
Grundlage der Kaufpreisermittlung ist immer die Bewertung des zu verkaufenden Unternehmens. Zur Ermittlung des Unternehmenswerts (Enterprise Value) gibt es unterschiedliche Bewertungsmodelle, die den Unternehmenswert entweder kapitalwertbasiert anhand der Wertentwicklung des investierten Kapitals oder marktvergleichsbasiert mithilfe von vergleichbaren Unternehmen derselben Branche bemessen. Die marktüblichen Bewertungsmethoden berücksichtigen dabei maßgeblich die letzten Ergebnisse des Unternehmens.
Von dem ermittelten Unternehmenswert oder Enterprise Value wird dann in einer Überleitungsrechnung der Equity Value abgeleitet, der am Ende den Kaufpreis bestimmt. Hierzu werden vom Enterprise Value Finanzierungsverbindlichkeiten abgezogen und Barmittel hinzugerechnet. Unternehmen in finanziell angespannter Situation werden regelmäßig nicht die gewünschten Jahresergebnisse erzielen und durch hohe Finanzierungsverbindlichkeiten belastet sein. Der im Rahmen einer M&A-Transaktion zu erwartende Kaufpreis wird daher meist nicht üppig ausfallen.
In die Kaufpreisermittlung können natürlich auch künftige Ertragschancen und günstige Zukunftsprognosen einfließen. Von den Parteien wird allerdings oft unterschiedlich eingeschätzt werden, wie belastbar diese Prognosen und Chancen sind. Hinzukommt die aktuell unsichere wirtschaftliche Lage. Ein Investor wird nicht immer bereit sein, für unsichere Prognosen und Chancen zu bezahlen. Ist der Verkäufer bereit, einen variablen Kaufpreisbestandteil zu akzeptieren, der erst nach dem Vollzug fällig wird, ist ein Earn-out denkbar. Es besteht dann die Möglichkeit abzuwarten, wie sich das Unternehmen tatsächlich entwickelt oder ob geplante Erfolge erzielt werden und in Abhängigkeit hiervon einen Nachschlag auf den Kaufpreis zu vereinbaren.
Earn-out als variabler Kaufpreisbestandteil
Ein Earn-out ist eine Komponente des Kaufpreises, die an einen vereinbarten Erfolg des Unternehmens anknüpft. Dies kann das Erreichen bestimmter Meilensteine sein, beispielsweise bei einem Zulieferer die Entwicklung neuer Technologien, die Markteinführung neuer Produkte oder das Erreichen definierter Absatzzahlen. Ein so gestalteter Earn-out gleicht dem „Kaufpreisnachschlag“ bei einem Spielertransfer im Fußball, der zu zahlen ist, wenn der erwerbende Klub die Meisterschaft gewinnt.
Daneben kann ein Earn-out aber auch an die künftige Performance eines Unternehmens anknüpfen. Während der Basiskaufpreis schon im Rahmen des Vollzugs des Kaufvertrags (Closing), also bei der Übertragung des Unternehmens zu zahlen ist, ist der durch die Earn-out-Regelung vereinbarte höhere Kaufpreis erst später und nur dann zu zahlen, wenn die zuvor festgelegten Erfolge eintreten.
Eine Komplikation ist, dass der Käufer bereits das Schicksal des Unternehmens lenkt, wenn der vereinbarte Erfolg eintreten soll, der Käufer es also letztlich in der Hand hat, ob die Earn-out-Zahlung ausgelöst wird. Insoweit hinkt der Vergleich zum Fußball. Ein Fußballverein wird dem Erreichen der Meisterschaft immer alles unterordnen, selbst wenn dies die Zahlung eines Kaufpreisnachschlags auslöst.
Die Suche nach dem richtigen Parameter für ergebnisabhängige Earn-outs
Im Unternehmenskaufvertrag sind in der Earn-out-Klausel die Bedingungen festzulegen, bei deren Eintritt der zusätzliche Kaufpreis durch den Käufer zu bezahlen ist. Hierfür müssen sich die Parteien auf bestimmte Parameter einigen. Auf den ersten Blick scheinen Meilensteine wie Technologie- und Produktentwicklungen, Markteinführungen oder bestimmte Absatzzahlen relativ klar definierbar zu sein.
Der Teufel kann aber im Detail stecken. Schwierig wird es, wenn der Earn-out von der Performance des Zielunternehmens abhängt. Als Auslöser der Earn-out-Zahlung kommt dann das Erreichen bestimmter Finanzkennzahlen in Betracht, beispielsweise von Umsatzschwellen oder festgelegter EBIT-, EBITDA- oder Cash-Flow-Werte.
Bei der vertraglichen Gestaltung ist es wichtig, nicht nur die Finanzkennzahlen zu bestimmen und entsprechende Schwellenwerte festzusetzen, sondern auch die Parameter eindeutig festzulegen, nach deren Maßgabe die Werte zu berechnen sind. Es muss nicht nur klar geregelt werden, welche Grundsätze bei der Ermittlung der Werte anzulegen sind, sondern auch, welche Bilanzpositionen berücksichtigt werden. Hierbei hilft es, eine Beispielsrechnung auf der Grundlage der letzten bei Unterzeichnung des Unternehmenskaufvertrags vorliegenden Bilanz zu erstellen und dem Unternehmenskaufvertrag beizufügen. Zudem muss die Earn-out-Klausel die relevante Earn-out-Periode und den Schwellenwert festlegen, den der Parameter erreichen muss, um den Anspruch auf den zusätzlichen Kaufpreis auszulösen.
Earn-out-Klauseln sind streitträchtig und nicht selten Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen den Parteien. Es ist daher zu empfehlen, einen Streitschlichtungsmechanismus bereits im Unternehmenskaufvertrag anzulegen.
Absicherung des Verkäufers
Ein aus Verkäufersicht systemimmanenter Nachteil des Earn-outs ist, dass der Käufer ab dem Closing und mithin während der Earn-out-Periode die Geschicke der Zielgesellschaft bestimmt. Der Verkäufer gibt mit dem Closing das Heft des Handelns aus der Hand. Dem Verkäufer verbleiben nur noch begrenzte – oder bei einem vollständigen Verkauf sogar gar keine – Einflussmöglichkeiten mehr auf die Performance des Unternehmens. Die wirtschaftliche Entwicklung hängt ab dem Closing maßgeblich von den Entscheidungen des Käufers ab. Der Käufer kann daher maßgeblichen Einfluss auf die Erreichung der Earn-out-Ziele nehmen.
Aus Verkäufersicht ist es wichtig, einen Absicherungsmechanismus im Unternehmenskaufvertrag vorzusehen. Bei Meilenstein basierten Earn-out-Klauseln können dies beispielsweise Mitwirkungsrechte des Verkäufers gepaart mit Kooperationsverpflichtungen des Käufers sein. Bei Finanzkennzahlen basierten Earn-out-Klauseln sollte das Going-Concern des Zielunternehmens sichergestellt werden. Das Unternehmen ist wie zuvor fortzuführen und Strukturmaßnahmen sind zu unterlassen. Andernfalls könnte beispielsweise durch die Ausgliederung des umsatzstärksten Teilbetriebs der Gewinn des Zielunternehmens maßgeblich reduziert werden. Nimmt der Käufer solche Maßnahmen dennoch vor, kann ein festgelegter Mindestkaufpreisnachschlag fällig werden oder die Maßnahme für die Earn-out-Ermittlung rechnerisch zu neutralisieren sein.
Earn-out in der „Distressed“-Situation – Chance oder Risiko?
Ob ein Earn-out in „Distressed“-Situationen für den Verkäufer eines Unternehmens aus der Automobilbranche vor- oder nachteilig ist, hängt maßgeblich also von der Gesamtsituation ab. Entscheidend ist, ob der Käufer überhaupt bereit ist, auf den Earn-out zu verzichten und einen höheren Basiskaufpreis auf der Grundlage von Prognosen und Planungen zu zahlen. Wird ein Earn-out vereinbart, hängt alles davon ab, wie sich das Unternehmen und der Automotive Sector im Ganzen nach dem Verkauf entwickeln.
Für beide Parteien sind Verkauf und Kauf eines Unternehmens mit gewissen wirtschaftlichen Risiken verbunden. In der „Distressed“-Situation verstärkt sich dieser Effekt noch, sodass für beide Parteien die Einigung über den Kaufpreis mit viel Unsicherheit verknüpft sein kann. Ein Kaufpreis mit variablem Bestandteil kann oftmals die Brücke zwischen zwei gegenläufigen Interessenlagen bilden. Für einen Verkäufer, der krisenbedingt verkaufen muss, kann ein Earn-out daher die Chance auf einen höheren Kaufpreis darstellen. Für den Käufer kann ein Earn-out dazu dienen, das wirtschaftliche Risiko zu minimieren. Der Verkäufer muss sich aber bewusst sein, dass der Kaufpreisnachschlag in der Regel alles andere als sicher ist.
Earn-out: Interessenausgleich mit Konfliktpotential
Ohne Zweifel ist ein Earn-out aus Sicht des Verkäufers mit Unsicherheit verbunden. Ob und in welcher Höhe er einen Kaufpreisnachschlag erhalten kann, entzieht sich meist seinem Einflussbereich. Gerade in „Distressed“-Situationen kann ein Earn-out aber die Chance bieten, am künftigen Erfolg des Unternehmens zu partizipieren, nachdem sich die finanzielle Situation gebessert hat. Für den Käufer minimiert der Earn-out in unsicheren Zeiten, wie sie der Automobilsektor gerade erlebt, das wirtschaftliche Risiko. Der Earn-out könnte daher als fairer Interessenausgleich gesehen werden. Gleichwohl birgt ein Earn-out erhebliches Konfliktpotenzial. Durch entsprechende vertragliche Regelungen sollte und kann dieses Konfliktpotential reduziert werden. Es verbleibt dennoch ein gewisses Restrisiko, dem sich beide Parteien bewusst sein müssen.
Nach dem Auftakt zu unserer Blog-Serie „Distressed M&A im Automobilbereich“ haben wir anschließen gezeigt, warum der wesentliche Teil des Kapitals nicht vom Neu- an den Altgesellschafter fließt. Anschließend folgten unsere Beiträge zur Gesellschaftervereinbarung zum Interessenausgleich zwischen Altgesellschafter und Investor und mit einem insolvenzrechtlichen Blick auf Unternehmenskäufe. Zuletzt haben wir uns mit dem Schutzschirmverfahren und Insolvenzplan befasst.