16. August 2023
Mythos Metaverse
Metaverse

Fünf Mythen zum Metaverse

Chancen und Risiken von KI sind in aller Munde. Die Revolution des Internets durch das Metaverse hingegen scheint fast in Vergessenheit geraten zu sein. Zu Unrecht.

Wir glauben daran, dass das Metaverse der Nachfolger des mobilen Internets sein wird. Wir werden uns präsent fühlen, als ob wir direkt vor Ort wären – egal wie weit weg wir voneinander sind.

Mit diesen Worten präsentierte Mark Zuckerberg im Oktober 2021 seine Version des Metaverse. Mittels Augmented- und Virtual-Reality-Brillen, Haptikanzügen oder auch nur einem Browser (wie derzeit etwa bei Decentraland) soll die virtuelle und physische Welt in Zukunft miteinander verschmelzen. Virtuelle Interaktionen sollen mit Erlebnissen in der physischen Welt kombiniert werden, sodass User z.B. eine Ausstellung im Louvre in Paris besuchen können, ohne in Frankreich sein zu müssen. Je originalgetreuer die virtuelle Nachbildung ist, desto stärker kann eine Person das Gefühl empfinden, tatsächlich real vor Ort zu sein. Dabei geht die gesellschaftspolitische Zielsetzung weit über eine Intensivierung von Entertainment-Erlebnissen (wie z.B. beim Gaming) hinaus. 

So soll das Metaverse eine verbesserte gesellschaftliche Teilhabe für Menschen, die von bestimmten Erlebnissen in der realen Welt abgeschnitten sind (bspw. Menschen mit körperlichen Einschränkungen, ältere Menschen oder solche, die abgelegen wohnen) ermöglichen. Zudem soll es die Arbeitswelt revolutionieren, indem Videokonferenzen durch Meetings in virtuellen (3-D-)Räumen ersetzt werden. Die Nutzung der Blockchain-Technologie und darauf basierender Kryptowährungen sowie Non-Fungible Tokens (NFTs) ermöglicht eine Schaffung und Handelbarkeit von virtuellen Vermögensgegenständen, deren Inhaberschaft durch NFTs nachweisbar gemacht wird.

The metaverse is here, and it’s not only transforming how we see the world but how we participate in it – from the factory floor to the meeting room.

Satya Nadella, CEO of Microsoft

Mythos 1: Das Metaverse ist ein Produkt eines einzelnen Unternehmens.

Falsch: Zwar liegt es nahe, das Metaverse spätestens seit 2021 mit bestimmten Unternehmen in Verbindung zu bringen. Die ersten Ideen eines „Metaverse“ gehen aber bereits auf den 1992 erschienenen Roman „Snow Crash“ von Neal Stephenson zurück. Darin beschreibt er eine globale, virtuelle Parallelwelt als Evolution des Internets, in der sich die Nutzer durch die Verwendung von Virtual Reality Headsets und anderer Hilfsmittel (bspw. Tasthandschuhe, Laufbänder, etc.) im virtuellen Raum bewegen können. Seither ist bereits eine Reihe an virtuellen Welten entstanden, die sich oftmals als „Metaversum“ bezeichnen.

Metaverse isn’t a thing a company builds. It’s the next chapter of the internet overall.

Mark Zuckerberg, CEO of Meta

Richtigerweise existieren „Metaversen“ ebenso wenig wie es mehrere „Internets“ (im Plural) gibt. Das Metaverse ist kein Produkt eines einzelnen Unternehmens, sondern das Konzept – oder man könnte auch sagen, die Vision Vieler des Internets der Zukunft. So wie sich das Internet aus einer Vielzahl an einzelnen Webseiten zusammensetzt, setzt sich das Metaverse aus einer Vielzahl an virtuellen Welten zusammen. Eine der bekanntesten dieser virtuellen Welten ist Decentraland, es existieren aber noch zahlreiche weitere Beispiele. Jede dieser virtuellen Welten stellt dabei ein Puzzleteil dar, das zusammen mit unzähligen weiteren Teilen in der Gesamtheit „das Metaverse“ bildet.

Die Konsequenz der fehlenden Urheberschaft oder Rückführbarkeit auf ein einziges Unternehmen ist fehlende Definitionshoheit und damit Vielfalt: Während sich die einen unter dem Metaverse virtuelle Welten vorstellen, in die wir zukünftig sämtliche Lebenssachverhalte (vom ersten Date über Konzertbesuche bis zu virtuellen Hausarztterminen) verlagern (assoziierte Technologien und Trends: VR, AR, MR, Spatial Computing), gehen wieder andere davon aus, dass wir im Metaverse bald virtuelle Gegenstände und Grundstücke kaufen, nutzen, vermieten, weiterverkaufen oder an nachfolgende Generationen vererben (assoziierte Technologien und Trends: Blockchain, Web3, Non-fungible Token). Wieder andere sehen im Metaverse dagegen weniger eine Entwicklung im Frontend-Bereich, sondern mehr eine Weiterentwicklung der verwendeten Technologien im Backend und erwarten beispielsweise ein Internet, das im Sinne eines semantischen Webs den Inhalt von Webseiten nicht nur wiedergeben kann, sondern diesen versteht und daher Nutzern individuelle Ergebnisse liefern oder gar selbst generieren kann (assoziierte Technologien und Trends: Web 3.0, semantisches Web, generative künstliche Intelligenz (KI)), oder aber ein Internet, in dem Mensch und Maschine miteinander vernetzt sind und interagieren können (assoziierte Technologien und Trends: Smart Wearables, Smart Home, automatisiertes Fahren, automatisierte Drohnen, Industrie 4.0, Internet of Things). Die Wahrheit ist: Jede dieser Visionen ist korrekt, denn das Metaverse hat wie das Internet selbst tausende Gesichter und ist von der konkreten Verwendung abhängig. So kann das Metaverse aus Sicht eines Unternehmens tatsächlich in erster Linie eine Virtualisierung und Automatisierung der bestehenden Fertigungsanlagen bedeuten, für einen Privatnutzer dagegen der virtuelle Besuch eines Museums. Die hierfür erforderlichen Technologien sind eine Komposition aller technologischen Entwicklungen und Megatrends der letzten Jahre und Jahrzehnte: vom Telefon bis zur generativen KI. In summa: Das Metaverse ist Werk einer Vielzahl von Playern und damit das, was sich aus dem Zusammenspiel all dieser Player und deren Technologien ergibt.

Mythos 2: Das Metaverse ist Zukunftsmusik; bis zur Einführung dauert es jedenfalls noch Jahrzehnte.

Falsch: Zwar suggerieren Blockbuster wie „Ready Player One“, bei dem Metaverse handle es sich um eine Zukunft, in der jeglicher Lebenssachverhalt nur noch in virtuellen Welten stattfindet und jeder Mensch daher ständig ein Virtual Reality Headset trägt, währenddessen das Leben in der „echten Welt“ praktisch zum Stillstand gekommen ist. In Wahrheit hat das Metaverse aber weder eine Zielformgebung, noch bedarf es eines bestimmten technologischen Durchbruchs (oder wie in Ready Player One des Untergangs der Zivilgesellschaft). Es gibt daher keinen „Tag X“, ab dem das Metaverse plötzlich „Realität“ wird und nicht mehr nur Science Fiction ist. Vielmehr existiert das Metaverse bereits heute und jede virtuelle Welt (Second Life, Fortnite, World of Warcraft, Pokemon Go) und jedes Gerät bzw. jede App, die virtuelle und reale Welten miteinander verschmelzen lassen (dazu gehören nicht nur Virtual Reality Headsets, sondern letztendlich bereits das Navi im Auto!), bilden ein Teil von dem, was als Gesamtheit unter dem Metaverse zu verstehen ist.

Zur Klarstellung: Da das Metaverse keine Zielformgebung hat, bedarf es auch nicht eines bestimmten Anteils der Gesellschaft, die VR-Headsets nutzt oder einer bestimmten Anzahl an Unternehmen, die virtuelle Geschäftsräume anbieten, bis das Metaverse Realität wird – ebenso wenig, wie es keiner bestimmten Anzahl vernetzter Haushaltsgegenstände bedarf, um von einem „Smart Home“ zu sprechen. Es gibt aus diesem Grund auch keine „Version 1.0“ des Metaverse, auf die wir in Zukunft zurückblicken werden: Wir leben bereits heute im und mit dem Metaverse.

Mythos 3: Während KI das neue große Ding ist, ist der Hype um das Metaverse bereits verblasst. 

Falsch: Zwar trifft es zu, dass in jüngster Vergangenheit Meldungen über KI-Trends und -investments die Schlagzeilen dominierten und auch mögen Start-ups mit KI-Bezug derzeit schneller an Investorengelder gelangen als solche mit Bezug zum Metaverse. Insofern ist der Eindruck, KI habe das Metaverse als Zukunftstechnologie verdrängt nachvollziehbar und auch weit verbreitet. Denkt man etwas weiter, erkennt man aber, dass diese Sichtweise auf der Fehlannahme beruht, KI und Metaverse würden einander ausschließen.

Aber weit gefehlt: Nicht nur rekrutieren sich die „Macher“ von KI und des Metaverse aus demselben Ökosystem. Es spricht auch viel für die Annahme, dass KI ein wichtiger Treiber des Metaverse sein und dabei helfen wird, dessen Entwicklung zu beschleunigen und das volle Potential des Metaverse freizusetzen. So kann KI z.B. beim Konzipieren neuer digitaler Welten unterstützen und dadurch dabei helfen, ungeahnte Erlebnisse im virtuellen Raum (z.B. bei Events) zu ermöglichen. KI ist damit keineswegs „Sargnagel“, sondern vielmehr „Katalysator“ des Metaverse. 

Zudem sprechen gegen die eingangs genannte Annahme klare Zahlen: Einer Erhebung des Bundesverbandes der Digitalen Wirtschaft (BVDW) zufolge plant bereits ein Drittel aller Unternehmen Investitionen in „das“ Metaverse. McKinsey prognostiziert sogar, dass das Metaverse bis 2030 einen Wert von bis zu 5 Billionen US-Dollar erreichen könnte. Keine große Überraschung: Denn mit Blick auf die im ersten Mythos dargelegte Vielzahl an Anwendungsfeldern gibt es kaum einen Bereich, von E-Commerce und Beratung über virtuelles Arbeiten und virtuelles Lernen bis hin zu Unterhaltung, Kommunikation und Gaming, in dem das Metaverse nicht eine neue Dimensionen von Interaktion und Erfahrbarkeit ermöglicht und damit verbunden letztendlich neue wirtschaftliche Potenziale freisetzen wird. Nicht ohne Grund wurde das Metaverse daher auch auf der letzten Consumer Electronics Show als einer der wichtigsten Zukunftstrends bezeichnet. Bedeutende Anwendungsfelder ergeben sich aber nicht nur für Endverbraucher, sondern entlang der gesamten Wertschöpfungskette und in der Arbeitswelt. So können Schulungen in der virtuellen Welt nahezu realitätsnah durchgeführt werden und AR-Anwendungen lassen Montage- und Wartungsarbeiten erleichtern und Prozesse deutlich optimieren. Letztendlich wird das Metaverse sämtliche Bereiche unseres Lebens- und Arbeitens mit einer neuen, zusätzlichen Dimension der Realität erweitern.

Mythos 4: Das Metaverse ist dezentral und daher unreguliert.

Falsch: Zwar steht in Regel 4 und Regel 3 der inoffiziellen Regeln des Metaverses: „The metaverse is open“ und „nobody controls the metaverse”. Eine neue, freie und offene Realität, in der sich die Nutzer ohne Beschränkungen bewegen können, ist daher durchaus Ursprungsgedanke des Metaverses und mag auf den ersten Blick den Eindruck eines von den bestehenden Rechtsordnungen losgelösten Raums vermitteln. Das mag an die frühe Zeit des Internets erinnern. Ähnlich wie dort handelt es sich aber keineswegs um einen rechtsfreien Raum. Denn das Recht ist grundsätzlich technologieneutral, weswegen auch neue digitale Universen den hergebrachten Strukturen des geltenden Rechts unterfallen, mit den bewährten juristischen Instrumentarien erschlossen und unter bestehende Normen subsumiert werden.

Das europäische Datenschutzrecht folgt beispielsweise dem sog. „Niederlassungs- und Marktortprinzip“ (Art. 3 DSGVO). Dieses besagt, dass die Regeln der Datenschutz-Grundverordnung immer dann anwendbar sind, wenn personenbezogene Daten von EU-Bürgern verarbeitet werden und der Verantwortliche innerhalb der Europäischen Union eine Niederlassung betreibt oder sich die jeweiligen Dienstleistungen auch an EU-Bürger richten. Kurz gesagt: Wenn Daten von EU-Bürgern im Metaverse verarbeitet werden, findet die DSGVO in der Regel Anwendung. 

Ähnlich sieht es mit weiteren zivilrechtlichen Fragestellungen aus. Das Internationale Privatrecht (IPR) regelt als Kollisionsrecht die Frage, welches Recht bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Anwendung finden soll. Darüber hinaus ist es möglich, durch Rechtswahl- und Gerichtsstandsvereinbarungen das anzuwendende Recht explizit in den jeweiligen Verträgen zu bestimmen. Davon ausgenommen sind allerdings zwingende Vorschriften wie z.B. Verbraucherschutzvorschriften. Nach Art. 6 Rom I-VO gilt das Verbraucherrecht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und daher unter Umständen zusätzlich zum vereinbarten Recht. Für strafrechtliche Sachverhalte ist zudem das internationale Strafrecht zu beachten.

Fest steht insofern, dass es auch im Metaverse an geltenden Regeln nicht mangelt. Ganz im Gegenteil wird sich im Metaverse die Frage, „ob“ ein Recht greift, deutlich seltener stellen als die Frage, „welche“ der zahlreich in Betracht kommenden Rechtsordnungen zur Anwendung kommt.

Mythos Nr. 5: Während das Metaverse bereits in der Unternehmenswirklichkeit angekommen ist, spielt es für Kanzleien bislang keine Rolle. Diese hinken – wie üblich – hinterher.

Falsch: Die Mär von Technologieverweigerung betreibenden Rechtsanwälten, welche Aktenberge wühlen, in der Kanzleibibliothek übernachten und noch Diktiergeräte bzw. Faxgeräte nutzen, spiegelt schon lange nicht mehr die Wirklichkeit – zumindest in größeren Anwaltskanzleien – wider.

Vielmehr nutzen Anwälte legal tech bei der Arbeit und öffnen sich auch zunehmend für die Chancen, welche das Metaverse für sie bereithält: Inzwischen haben bereits einige Kanzleien den Schritt ins Metaverse gewagt. So hat bereits 2022 eine deutsche Wirtschaftskanzlei ein eigenes Büro im Metaverse (Decentraland) eröffnet und viele Kanzleien haben inzwischen bereits kanzleiinterne Strukturen, wie z.B. eigens hierfür eingerichtete „task forces“ geschaffen, in denen das neue Beratungsfeld multidisziplinär gefördert wird und für welche ein extra Budgetposten bereitgestellt wird. Hinter diesen Maßnahmen stehen zugegebenermaßen nicht nur Technologieaffinität und Neugier, sondern auch knallharte wirtschaftliche Interessen.

Dabei geht es in erster Linie nicht um einen Marketing-Gag oder Recruitingmaßnahmen, um sich von anderen Kanzleien abzugrenzen. Im Vordergrund steht vielmehr die wirtschaftliche Notwendigkeit. die Mandanten, ihre Produkte und Probleme zu verstehen, um eine effiziente und lösungsorientierte Beratung sicherzustellen. Denn wie bereits im vierten Mythos dargestellt, hält das Metaverse einen bunten Strauß alter und neuer Rechtsfragen bereit, welche es zu lösen gilt. Entwickler von Metaversen müsse alle relevanten Rechtsfragen bereits von Anfang an berücksichtigen und bspw. Privacy-by-Design-Grundsätze schon ab der ersten Code-Zeile implementieren oder Vorgaben für die Bewerbung von Produkten im Metaverse transparent in Händler-AGB vorgeben. Wird das Recht nichts bereits in der Entwicklungsphase mitbedacht, sind ggf. später große Veränderungen notwendig, die schnell sehr kostspielig und ggf. sogar unternehmensgefährdend werden können. 

In unserem CMS-Blog informieren wir Sie im Rahmen unserer Blog-Serie „Metaverse“ fortlaufend mit aktuellen Beiträgen zum Metaversum. Nach einer Einführung in das „Metaverse“ sind wir bereits eingegangen auf Healthcare Metaverse, Arbeit im Metaverse, auf Rechtsberatung im Metaverse und geben einen Überblick über Steuern im Metaverse sowie über die Umsatzsteuer bei der Vermietung von virtuellem Land im Metaverse. Darüber hinaus haben wir uns mit dem Markenschutz für Blockchain- und andere Krypto-Projekte, dem Markenschutz vs. Kunstfreiheit bei mit NFTs verlinkten Medien sowie mit dem Markenschutz für digitale Produkte im „Metaverse“ und den EUIPO-Leitlinien zur Eintragung virtueller Waren und NFTs beschäftigt. Außerdem prüfen wir, welche rechtlichen Anforderungen bei dem Einsatz von Wearables bestehen, ob das Markenrecht bereit für das Metaverse ist und schauen uns die Grundlagen von VR/AR und Datenschutz an.

Darüber hinaus halten wir Sie auf unserer Insight-Seite zum Metaverse auf dem Laufenden!

Der Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit Rechtsreferendar Johannes Noller erstellt.

This article is also available in English.

Tags: Digitale Transformation Metaverse Mythos