Bei #MeToo Vorfällen dürfen Arbeitgeber*innen nicht weggucken, sondern müssen aktiv werden und ihre Arbeitnehmer*innen schützen.
Medial ist die #MeToo-Bewegung, die 2017 mit dem Weinstein-Skandal startete, deutlich leiser geworden. Im Arbeitsrecht zeigen jedoch Entscheidungen wie die des LAG Köln (Urteil v. 3. März 2023 – 6 Sa 385/21), dass der Umgang mit sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz ein Thema ist, das nach wie vor nicht an Aktualität verloren hat.
In der genannten Entscheidung urteilte das Gericht, dass eine außerordentliche fristlose Kündigung bei sexueller Belästigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung nicht nur bei körperlichen und verbalen Übergriffen möglich sei. Sie solle auch dann möglich sein, wenn durch sexuelle Belästigungen eine Gesamtsituation am Arbeitsplatz aufgebaut und aufrechterhalten werde, die von sexualisierter hierarchischer Einflussnahme geprägt sei. Ein Arbeitnehmer*, der als stellvertretender Fachbereichsleiter in einer Behörde tätig war, hatte sich über mehrere Jahre hinweg körperlich und verbal übergriffig seinen Kolleginnen gegenüber verhalten. Er kommentierte regelmäßig Gewicht, Kleidung, Figur und Frisur von Kolleginnen in abfälliger Weise. Zudem kniff er diese teilweise in den Bauch und tätigte Aussagen wie „Geh‘ mal Kaffeekochen“. Das Gericht stellte fest, dass er dadurch eine
Grundsituation […] von sexualisierter hierarchischer Einflussnahme […]
geschaffen und aufrechterhalten hatte.
Arbeitgeber*innen müssen in solchen Situationen nicht nur reaktiv tätig werden und eingreifen, sondern auch dafür Sorge tragen, dass sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz möglichst gar nicht erst passieren. Der Gesetzgeber hat insbesondere im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) die Anforderungen festgelegt, denen Arbeitgeber*innen gerecht werden müssen.
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – Was ist das eigentlich?
Das AGG verbietet ausdrücklich Beschäftigte am Arbeitsplatz sexuell zu belästigen. Die sexuelle Belästigung stellt eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar (§ 7 Abs. 3 AGG) und eignet sich „an sich“ als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung (BAG, Urteil v. 20. Mai 2021- 2 AZR 596/20).
Definiert wird die sexuelle Belästigung in § 3 Abs. 4 AGG als
[…] ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
Kurzgefasst: Hierunter fällt demnach jedes unerwünschte sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Arbeitnehmer*innen am Arbeitsplatz verletzt.
Täter*innen müssen nicht einmal die Intention haben, Kolleg*innen sexuell zu belästigen
Ein Vorsatz zur Belästigung ist nicht zwingend erforderlich. Auch auf eine bestimmte Motivation kommt es nicht an, sondern darauf wie ein objektiver Dritter ein Verhalten verstehen durfte. Schon einmalige, sexuell bestimmte Handlungen sind ausreichend eine Würdeverletzung herbeizuführen. Das ist etwa bei einer absichtlichen Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale der Fall (vgl. BAG, Urteil v. 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16). Auch ist nicht erforderlich, dass die betroffene Person das Verhalten der schädigenden Person explizit ablehnt, also ausspricht, dass ein bestimmtes Handeln des Gegenübers nicht akzeptiert wird. Es ist ausreichend, wenn sich die Unerwünschtheit des Verhaltens aus der jeweiligen Situation ergibt. Ein Irrtum über die Unerwünschtheit ist insofern unerheblich (vgl. BAG, Urteil v. 20. November 2014 – 2 AZR 651/13).
Vor dem Hintergrund des sehr weiten Schutzes des AGG entstehen in der Praxis oftmals Abgrenzungsfragen. Gerade bei Witzen und „Komplimenten“ ist nicht immer eindeutig, ob das Verhalten eine sexuelle Belästigung darstellt. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, dass Arbeitgeber*innen ihre Beschäftigten sensibilisieren.
Welche präventiven Pflichten treffen Arbeitgeber*innen in diesem Zusammenhang?
Das AGG verpflichtet Arbeitgeber*innen ausdrücklich ihre Beschäftigten vor Benachteiligungen und damit auch vor sexuellen Belästigungen zu schützen, vgl. § 12 Abs. 1 AGG. Sie müssen also bereits vorbeugend tätig werden. Welche Maßnahmen in diesem Rahmen konkret zu treffen sind, kann je nach Größe des Betriebs variieren.
Arbeitgeber*innen sollen nämlich in geeigneter Art und Weise, insbesondere im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung, auf die Unzulässigkeit von Benachteiligungen nach dem AGG hinweisen und darauf hinwirken, dass diese unterbleiben – so § 12 Abs. 2 S. 1 AGG. Schulungen in geeigneter Weise zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligung erfüllen die Schutzpflicht des § 12 Abs. 1 AGG.
In der Praxis wird der vorgenannten Schutzpflicht oftmals durch die Einführung von Verhaltensrichtlinien begegnet, die über die Unzulässigkeit von Benachteiligungen und (sexuellen) Belästigungen informieren und klarstellen, dass solche arbeitgeberseitig nicht akzeptiert und entsprechend sanktioniert werden.
Sinnvoll sind auch verpflichtende E-Learnings zu Benachteiligungen und Belästigungen. Damit solche als geeignet i.S.d. AGG angesehen werden, müssen Arbeitgeber*innen darauf achten, dass die Schulungen auf den jeweiligen Adressat*innenkreis zugeschnitten sind. Es muss auch die Möglichkeit bestehen Rückfragen zu stellen. Arbeitgeber*innen sind gut beraten, wenn sämtliche neu beginnende Beschäftigte zeitnah nach Beschäftigungsbeginn geschult und die Schulungen in regelmäßigen Abständen wiederholt werden.
Weitere Maßnahmen, die in Betracht kommen können, sind:
- Zurverfügungstellung von Informationsschreiben und Informationsmaterial (auch zu Beratungsstellen)
- Fortbildungen für Führungskräfte mit Personalverantwortung
- Teamsitzungen der Führungskräfte mit den Beschäftigten
- Umfragen
Einrichtung einer Beschwerdestelle
Arbeitgeber*innen sind außerdem verpflichtet eine Beschwerdestelle zu benennen. Denn gem. § 13 Abs. 1 AGG haben Beschäftigte das Recht, sich bei den „zuständigen Stellen“ zu beschweren, wenn sie im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis sexuell belästigt werden. Vorgaben dazu, wer bzw. was die „zuständige Stelle“ sein soll, macht das Gesetz nicht. Es obliegt damit den Arbeitgeber*innen, diese zu bestimmen, wobei ein weiter Ermessensspielraum besteht.
Geeignete und in der Praxis häufig genutzte Beschwerdestellen sind Vorgesetzte, Gleichstellungs- oder Behindertenbeauftragte oder auch die Personalabteilung. Idealerweise sollte darauf geachtet werden, dass bei sexueller Belästigung die Beschwerde an eine Person des eigenen Geschlechts angetragen werden kann (vgl. S. 19 Leitfaden für Beschäftigte, Arbeitgeber*innen und Betriebsräte / Betriebsrätinnen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Stand Oktober 2023). Zudem empfiehlt sich eine detaillierte Regelung des Beschwerdeverfahrens, die z.B. auf Themen wie Anonymität und Vertrauensschutz eingeht.
Die Einrichtung der Beschwerdestelle muss im Betrieb, z.B. im Intranet oder per Aushang, bekannt gemacht werden, § 12 Abs. 5 S. 1 AGG. Straf- oder Bußgeldandrohungen für Verstöße gegen die Einrichtungspflicht einer Beschwerdestelle und/oder die vorgenannten Bekanntmachungspflichten gibt es im AGG aber nicht.
Welche repressiven Pflichten treffen Arbeitgeber*innen in diesem Zusammenhang?
Wird beschäftigtenseitig ein Vorwurf der sexuellen Belästigung laut, so ist der*die Arbeitgeber*in dazu verpflichtet, diesem nachzugehen und Ermittlungen anzustellen. Stellt sich der Vorwurf der sexuellen Belästigung als erwiesen heraus, greift § 12 Abs. 3 AGG: Der*Die Arbeitgeber*in hat
die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen.
Rechtsfolgen und Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen die Schutzpflichten des AGG
Eine direkte Sanktion nach § 15 AGG (Entschädigung, Schadensersatz) für einen Verstoß gegen die Pflicht aus § 12 AGG, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen zu treffen, kommt nicht in Betracht. Vielmehr steht den Beschäftigten ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 14 AGG zu, wenn der*die Arbeitgeber*in
keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz
ergreift. In diesem Fall sind die Beschäftigten berechtigt, ihre Tätigkeit ohne Verlust ihres Arbeitsentgelts einzustellen, soweit das zu ihrem Schutz erforderlich ist.
Wenn hingegen Arbeitgeber*innen selbst oder ihnen zurechenbare Personen – wie etwa Beschäftigte mit Vorgesetztenfunktion/Personalverantwortliche – Verursacher einer sexuellen Belästigung sind, kommt ein Schadensersatz- bzw. ein Entschädigungsanspruch durchaus in Betracht. Solche Verstöße sollten (durch präventive Maßnahmen) dringend vermieden werden. Der Eintritt eines immateriellen Schadens für den dann Schmerzensgeld zu zahlen wäre wird nämlich bei einer AGG-relevanten Rechtsverletzung vermutet (BAG, Urteil v. 19. August 2010 – 8 AZR 530/09).
In unserer CMS-Blogserie informieren wir Sie mit Beiträgen über das Phänomen #MeToo im Kontext der Compliance-Beratung.