Der im Sommer veröffentlichte Regierungsentwurf hat trotz aller Kritik die nächste Hürde genommen und weitgehend unbeschadet den Bundesrat passiert.
Vor einigen Tagen war die Überraschung groß, als der federführende Rechtsausschuss und der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates die Empfehlung aussprachen, den Regierungsentwurf des Verbandssanktionengesetzes (VerSanG-E) insgesamt abzulehnen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme den Gesetzesentwurf nun doch im Wesentlichen befürwortet und lediglich mehrere Änderungen vorgeschlagen. Das Gesetzesvorhaben könnte in absehbarer Zeit umgesetzt werden.
Der Bundesrat befasste sich in seiner Sitzung am 18. September 2020 mit insgesamt 29 Beschlussvorschlägen, darunter insbesondere der vollständigen Ablehnung des Gesetzesentwurfs. So weit kam es dann aber doch nicht.
Grundsätzliche Befürwortung des Gesetzesvorhabens
Der Gesetzesentwurf wurde von der Mehrheit des Bundesrates im Grundsatz befürwortet. Die vollständige Ablehnung des Gesetzesentwurfs fand keine Mehrheit. Auch die vom Rechts- und Wirtschaftsausschuss empfohlenen Prüfungen, ob die „Konzeption der Verbandsverantwortlichkeit sachgerecht und im Hinblick auf das rechtsstaatlich verankerte Schuldprinzip angemessen ist“ und ob der „erhöhte Sanktionsrahmen für Verbände mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro erforderlich und angemessen ist“, lehnte der Bundesrat ab.
Der Bundesrat sprach sich zudem gegen die von den Ausschüssen geforderte Streichung der ununterbrochenen und uneingeschränkten Zusammenarbeit des betroffenen Verbandes mit den Verfolgungsbehörden aus, welche nach dem Gesetzesentwurf Voraussetzung für eine Milderung der Verbandssanktion sein soll. Es wird somit wohl bei der Konzeption des Gesetzesentwurfs bleiben, dass Unternehmen nur dann in den Genuss einer Sanktionsmilderung kommen können, wenn sie umfassend mit den Behörden kooperieren.
Änderungsvorschläge des Bundesrates
Der Bundesrat sprach sich mehrheitlich dafür aus, den Gesetzesentwurf weiter zu verfolgen, wies jedoch auf Prüfungs-, Änderungs- und Streichungsbedarf hin:
- Einen Fokus legten die Beschlussempfehlungen auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU). So bat der Bundesrat um Prüfung, ob das VerSanG-E für KMU verhältnismäßig ist und für diese bestimmte Verbandstaten ausgenommen werden sollten. Er ist der Auffassung, dass an Compliance-Maßnahmen von KMU geringere Anforderungen zu stellen seien und dies auch im Gesetzeswortlaut deutlich werden solle.
- Mit Blick auf international agierende Unternehmen bat der Bundesrat um Prüfung, ob an die in § 2 Abs. 2 Nr. 3 VerSanG-E genannte Voraussetzung des Sitzes im Inland „weitere Anforderungen zu stellen sind, um eine ausufernde Befassung deutscher Strafverfolgungsbehörden mit Auslandstaten zu verhindern“. Erfasst wären bislang auch ausländische Unternehmen, die in Deutschland lediglich geringfügig aktiv sind.
- Ebenfalls mit Blick auf internationale Sachverhalte soll § 153c StPO auch im Rahmen des VerSanG zur Anwendung kommen können, wonach die Staatsanwaltschaft grundsätzlich von der Verfolgung absehen kann, wenn die Verbandstat im Ausland begangen wurde. Nach dem bisherigen Entwurf wäre insbesondere bei Auslandstaten von einfachen Mitarbeitern des Verbandes unklar gewesen, ob ein Absehen von der Verfolgung möglich ist.
- Rechtsdogmatisch sprach sich der Bundesrat im Hinblick auf § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E dafür aus, bei Verbandstaten von Personen, die nicht „Leitungspersonen“ sind, die Verhängung einer Verbandssanktion gleichwohl an ein Verschulden einer Leitungsperson betreffend „Organisation, Auswahl, Anleitung und Aufsicht“ zu knüpfen. In der Begründung hierzu wird zutreffend darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht das Schuldprinzip auch auf juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften anwendet. Bislang stellt der Gesetzesentwurf in diesen Fällen nicht auf die individuelle Verantwortlichkeit der Leitungspersonen ab.
- Der Bundesrat stimmte des Weiteren für eine Einschränkung des Legalitätsprinzips in bestimmten Fällen. Demnach soll von einer Verbandssanktion abgesehen werden können, wenn die Verbandsverantwortlichkeit neben dem individuellen Verschulden des Täters nicht beträchtlich ins Gewicht fällt. So soll verhindert werden, dass in geringfügigen Fällen, in denen kein Bedürfnis für eine Verbandssanktion besteht, staatliche Ressourcen unnötig aufgebraucht werden. Ferner sollen die bislang in § 3 Abs. 2 VerSanG-E vorgesehenen Regelbeispiele für besonders schwere Fälle von Verbandstaten gestrichen werden. Stattdessen soll nun bei schweren Verbandstaten ein Absehen von der Verfolgung des Verbands ausgeschlossen sein.
- Die Regelungen zur öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes in § 14 VerSanG-E sollen mit Blick auf die „Prangerwirkung“ gestrichen werden, da dies rechtsstaatlichen Bedenken begegnet.
- Auch die bisherige Konzeption des VerSanG-E, wonach die strafverfahrensrechtlichen Regelungen im Sanktionsverfahren anwendbar sein sollen (§ 24 Abs. 1 VerSanG-E), soll nach dem Willen des Bundesrates grundsätzlich überarbeitet werden. Dabei soll darauf geachtet werden, dass das Sanktionsverfahren effektiv und weniger missbrauchsanfällig ausgestaltet wird. Nach Meinung des Bundesrates sind nicht alle Vorschriften der StPO für die Anwendung im Verbandsverfahren geeignet. Der Bundesrat schlägt daher vor, einzelne Verfahrenshandlungen aus der Hauptverhandlung auszulagern oder besonders besetzte Spruchkörper für Verbandsverfahren einzurichten.
- Gestrichen werden sollen nach dem Vorschlag des Bundesrates auch mehrere Regelungen zu einem im VerSanG-E bislang vorgesehenen Schweigerecht der gesetzlichen Vertreter eines Verbandes. Der Bundesrat befürchtet durch diese Schweigerechte eine erhebliche Beeinträchtigung der Effektivität der Strafverfolgung. Zudem sei völlig unklar, ob die Strafverfolgungsbehörden im Fall des Schweigens der gesetzlichen Vertreter überhaupt noch von einer ununterbrochenen und uneingeschränkten Kooperation des Verbandes ausgehen könnten, welche wiederum Voraussetzung für eine Sanktionsmilderung sein soll.
- Schließlich soll nach dem Votum des Bundesrates die bislang vorgesehene zweijährige Übergangsfrist nach Inkrafttreten des Gesetzes um ein Jahr auf drei Jahre ausgedehnt werden. Anderenfalls wären Unternehmen auf Basis einer noch ungeklärten Rechtslage faktisch bereits heute gezwungen, Compliance-Prozesse zu entwickeln oder zu überarbeiten. Dies soll auch angesichts der derzeitigen Belastungen infolge der Corona-Pandemie vermieden werden.
Fazit: Das Verbandssanktionengesetz wird kommen
Inwieweit die Forderungen und Vorschläge des Bundesrates in den Gesetzesentwurf einfließen werden, bleibt abzuwarten. Eine wichtige Hürde auf dem Weg zur Gesetzeswerdung hat das VerSanG mit der Stellungnahme des Bundesrates jedenfalls genommen. Unternehmen sollten sich daher weiter darauf einstellen, dass das Verbandssanktionengesetz kommen wird.
Nach dem Auftakt zu unserer Serie zum Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz folgten Informationen zu Änderungen bei Internal Investigations, zum faktischen Kooperationszwang und der Aushöhlung von Verteidigungsrechten sowie zu den Verbandsgeldsanktionen und der „fachkundigen Stelle″. Zuletzt haben wir uns mit den Risiken nach einer M&A-Transaktion sowie der Neuordnung des Sanktionsrechts und den Kritiken aus der Wirtschaft und den Regelungen zu internen Untersuchungen beschäftigt. Im Anschluss folgte die Untersuchung der Empfehlung zu Ablehnung des Entwurfs durch den federführenden Rechtsausschuss und Wirtschaftsausschuss.