17. Oktober 2019
Gleitzone Sozialversicherungsbeitrag
Sozialversicherungsrecht für Arbeitgeber

Sozialversicherungsrecht für Arbeitgeber: Die Gleitzone

Der Grundsatz ist, dass sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge teilen. Aber es gibt Ausnahmen. Eine hiervon ist die Gleitzone.

Aus sozialen Erwägungen heraus sollen Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer* und Arbeitgeber die Beiträge zur Sozialversicherung paritätisch, also je zur Hälfte, aufbringen. Dieser Grundsatz gilt nicht für alle Zweige der Sozialversicherung. Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung sowie die Umlagen zur Finanzierung der Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Schwangerschaft zahlt der Arbeitgeber allein (§ 150 SGB VII, §§ 1 ff. AAG). Relevant ist der Grundsatz der paritätischen Beitragszahlung somit für die Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung.

Bei einem Entgelt bis EUR 450 zahlt der Arbeitgeber allein die Sozialversicherungsbeiträge

Besonderheiten gelten, wenn es sich um eine geringfügige Beschäftigung, einen sogenannten „Minijob″, handelt. Ein „Minijob″ liegt vor, wenn das monatliche Arbeitsentgelt höchstens EUR 450 beträgt (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV, sog. Entgeltgeringfügigkeit). In diesem Fall besteht für diese Beschäftigung weder in der gesetzlichen Krankenversicherung noch in der gesetzlichen Pflegeversicherung noch in der Arbeitslosenversicherung eine Versicherungspflicht (§ 7 Abs. 1 SGB V, § 27 Abs. 2 SGB III).

Weil der Gesetzgeber verhindern wollte, dass solche Beschäftigungsverhältnisse „zu attraktiv″ werden, hat er gleichwohl eine Beitragspflicht für Arbeitgeber eingeführt: Sie müssen für jeden geringfügig Beschäftigten einen Pauschalbeitrag in Höhe von 13 % des monatlichen Arbeitsentgelts entrichten (§ 249b SGB V). Dieser Betrag fließt der Krankenversicherung zu. Für die Pflege- und Arbeitslosenversicherung sind keine Beiträge abzuführen.

In der Rentenversicherung sind hingegen geringfügig Beschäftigte, wenn ihr Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2012 begann, versicherungspflichtig. Es gilt der übliche Beitragssatz von 18,6 %. Allerdings teilen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Beiträge nicht hälftig. Vielmehr zahlt der Arbeitgeber einen Beitragssatz von 15 % und der Arbeitnehmer einen solchen von 3,8 % (§ 168 Abs. 1 Nr. 1b SGB VI).

Der Arbeitnehmer kann sich von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreien lassen (§ 6 Abs. 1b SGB VI). Macht er von dieser Möglichkeit Gebrauch, entfällt sein Beitragsanteil. Der Arbeitgeber hingegen muss weiterhin den Pauschalbeitrag von 15 % entrichten.

Zusammengefasst gilt also, dass bei einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis lediglich Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung abgeführt werden. Für den Arbeitnehmer hingegen ist der gesamte Bruttobetrag seines Arbeitsentgelts zugleich der Nettobetrag. Ein geringer Abzug ergibt sich für ihn nur, wenn er hinsichtlich dieser Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert ist, er sich also von der Rentenversicherungspflicht nicht hat befreien lassen.

Bei 1 Cent mehr Entgelt ergäben sich EUR 90 Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung

Für den Arbeitnehmer stellt sich die Situation somit wie folgt dar: Verdient er EUR 450 brutto monatlich und verzichtet er auf die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, zahlt sein Arbeitgeber ihm am Monatsende EUR 450 netto aus. Verdiente er aber nur einen Cent mehr, würden von seinem Entgelt die vollen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung abgezogen. Da sich diese auf knapp 20 % belaufen, erhielte er bei einem Brutto-Gehalt von EUR 450,01 einen Netto-Lohn von ca. EUR 360. Er verlöre also netto EUR 90. Ein Arbeitnehmer könnte daher auf die Idee kommen, dass ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis viel attraktiver sei als ein solches mit einem Arbeitsentgelt von mehr als EUR 450.

In der Gleitzone werden Arbeitnehmerbeiträge aus abgesenktem Entgelt berechnet

Um diesen im Zweifel falschen Anreiz zu verhindern, hat der Gesetzgeber die Gleitzone eingeführt. Sie kommt zur Anwendung, wenn das Arbeitsentgelt zwischen EUR 450,01 und EUR 1.300 monatlich liegt. In diesem Fall wird das Bruttoentgelt fiktiv abgesenkt (§ 20 Abs. 2 SGB IV, § 163 Abs. 10 SGB VI, § 226 Abs. 4 SGB IV). Nur das so geminderte Entgelt ist Grundlage für die Berechnung des Arbeitnehmeranteils an den Sozialversicherungsbeiträgen. Demgegenüber werden die Arbeitgeberbeiträge weiterhin ausgehend von dem tatsächlichen Entgelt berechnet.

Die Formel zur Absenkung des Gehalts sieht auf den ersten Blick kompliziert aus, ist aber bei näherer Betrachtung recht einfach zu durchschauen:

Dabei ist AE das tatsächlich vereinbarte Bruttoarbeitsentgelt und F ein Faktor. Dieser Faktor wird ermittelt, in dem der Wert 30 vom Hundert durch die Summe der Beitragssätze für alle vier Sozialversicherungen geteilt wird. Die Summe der Beitragssätze beträgt im Jahr 2019 39,65 % (nämlich 3,05 % in der Pflegeversicherung, 18,6 % in der Rentenversicherung, 2,5 % in der Arbeitslosenversicherung und 14,6 % in der Krankenversicherung, in letzterer zuzüglich eines durchschnittlichen Zusatzbeitrags von 0,9 %). Dividiert man 30 % durch 38,75 %, ergibt sich für das Jahr 2019 ein Faktor von 0,7566. Um Arbeitgebern die Berechnung zu erleichtern, wird die Höhe des Faktors alljährlich im Bundesanzeiger veröffentlicht.

Gleitzone führt zu Ersparnissen für Arbeitnehmer

Bei einem Brutto-Entgelt von EUR 1.000 beträgt das abgesenkte Entgelt, wenn man in die obige Formel alle Werte einträgt, EUR 961,34. Der Arbeitnehmer spart Arbeitnehmerbeiträge in Höhe von ca. EUR 15. Die Ersparnis ist umso höher, je näher das Arbeitsentgelt an der „Minijob″-Grenze von EUR 450 liegt. Bei einem Bruttoentgelt von EUR 500 beläuft sich das abgesenkte Entgelt auf EUR 396,91. Infolge dessen spart der Arbeitnehmer Beiträge in Höhe von ca. EUR 40.

Gleitzonenregelung gilt auch bei Altersteilzeit

Unklar war lange, ob die Absenkung des Entgelts auch dann gilt, wenn das Arbeitsentgelt aufgrund einer Altersteilzeitvereinbarung in den Bereich zwischen EUR 450,01 und EUR 1.300 fällt. Die Sozialversicherungsträger gingen davon aus, dass die Gleitzonenregelung einen Anreiz zur Aufnahme von Teilzeitbeschäftigungen oberhalb der „Minijob″-Grenze habe schaffen sollen. Dieses gesetzgeberische Anliegen, so meinten sie, könne bei Beschäftigten in der Altersteilzeit nicht mehr erreicht werden, weil sie am Ende ihres Berufslebens stünden und demnächst in Rente gingen. Deshalb sei die Gleitzonenregelung bei Beschäftigten in der Altersteilzeit nicht anwendbar.

Mit dieser Begründung forderten die Rentenversicherungsträger über mehrere Jahre hinweg Arbeitnehmerbeiträge von solchen Arbeitgebern nach, die die Beiträge unter Berücksichtigung der Gleitzonenregelung berechnet hatten. Dieser Praxis hat das BSG (Urteil v. 15. August 2018 – B 12 R 4/18 R) jüngst ein Ende gesetzt. Es hat entschieden, dass die Gleitzonenregelung für alle Beschäftigten gilt. Eine vom Gesetzgeber beabsichtigte Beschränkung auf bestimmte Personengruppen oder Sachverhalte, so das BSG, sei den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen. Einzige Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Gleitzonenregelung ist demnach ein Arbeitsentgelt zwischen EUR 450,01 und EUR 1.300.

Unsere Beitragsreihe informiert rund um das Sozialversicherungsrecht für Arbeitgeber. Nach Informationen zur Probearbeit und Unfallversicherung und zur Auslandsentsendung folgen unsere Hinweise zur Gleitzone.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Altersteilzeit Gleitzone Gleitzonenregelung Krankenversicherung Minijob Pflegeversicherung Rentenversicherung Sozialversicherungsbeitrag