Auch wenn ein Arbeitnehmer im Ausland eingesetzt wird, kann deutsches Sozialversicherungsrecht gelten.
Wer in Deutschland beschäftigt ist, unterliegt im Regelfall der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Was aber gilt, wenn die oder der Beschäftigte* in das Ausland entsandt wird?
„Ausstrahlung“ des Sozialversicherungsrechts auf Tätigkeiten im Ausland
Das Gesetz sieht Folgendes vor: Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie auch für Personen, die im Rahmen eines in Deutschland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb Deutschlands entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist (§ 4 Abs. 1 SGB IV). Man spricht von Ausstrahlung, weil das deutsche Sozialversicherungsrecht auf die Tätigkeit im Ausland ausstrahlt.
Die Ausstrahlung hat weitreichende Konsequenzen: Gilt deutsches Sozialversicherungsrecht, ist der Arbeitnehmer beispielsweise in der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung auch für Arbeitsunfälle versichert, die er im Ausland erleidet (BSG, Urteil v. 19. Dezember 2013 – B 2 U 14/12 R). Ferner kann der Arbeitnehmer der Versicherungspflicht in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung unterliegen (LSG NRW, Beschl. v. 11.04.2018 – L 11 KR 639/17 B ER).
Erste Voraussetzung: Inländisches Beschäftigungsverhältnis
Erste Voraussetzung für die Geltung des deutschen Sozialversicherungsrechts ist, dass trotz der Arbeitsleistung im Ausland ein Beschäftigungsverhältnis im Inland erhalten bleibt. Nicht erforderlich ist allerdings, dass dieses Beschäftigungsverhältnis bereits vor der Entsendung bestand. Es genügt, wenn das Beschäftigungsverhältnis zum Zwecke der Entsendung begründet wird, der Beschäftigte also vom ersten Tag an im Ausland eingesetzt wird. Jedoch ist in diesem Fall erforderlich, dass der Beschäftigte sich bereits zuvor in Deutschland aufgehalten hat und das Beschäftigungsverhältnis nach der Entsendung in Deutschland fortgeführt werden soll (BSG, Urteil v. 23. Februar 2017 – B 11 AL 1/16 R).
Der Merksatz ist also: Wird jemand, der in Deutschland weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, für eine Tätigkeit im Ausland eingestellt, gilt deutsches Sozialversicherungsrecht nicht (BSG, Urteil v. 25. August 1994 – 2 RU 14/93).
Zweite Voraussetzung: Auslandentsendung muss im Voraus zeitlich begrenzt sein
Zweite Voraussetzung für die Geltung des deutschen Sozialversicherungsrechts ist, dass die Entsendung im Voraus zeitlich begrenzt ist, entweder aufgrund der Eigenart der Beschäftigung oder aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung.
Aufgrund der Eigenart der Beschäftigung liegt eine zeitliche Begrenzung etwa vor, wenn der Beschäftigte auf einer ausländischen Baustelle bestimmte Arbeiten erbringen soll, bei denen von vornherein feststeht, dass sie nach einer gewissen Zeit abgeschlossen sein werden.
Bei der vertraglichen Vereinbarung einer zeitlichen Begrenzung ist Vorsicht geboten: In der Vereinbarung sollte für das Ende der Entsendung ein genaues Datum angegeben werden. Eine Formulierung wie „vorerst bis zum …″ oder „voraussichtlich bis zum …″ sollte vermieden werden.
Wird ein Beschäftigter immer wieder aufs Neue in das Ausland entsandt, hängt die Beurteilung, ob die einzelnen Auslandstätigkeiten isoliert oder als Einheit zu werten sind, davon ab, was jeweils im Voraus – also vor den einzelnen Tätigkeiten – vereinbart wird. Wird jeder Auslandseinsatz erst mit Abschluss des vorangegangenen neu vereinbart, sind die einzelnen Entsendungen isoliert zu betrachten, sofern im Zeitpunkt einer jeden Vereinbarung zumindest die ernsthafte Möglichkeit dafür bestand, dass der Beschäftigte anschließend in Deutschland eingesetzt würde. Ist hingegen von Anfang an geplant, dass der Beschäftigte immer wieder – also ohne zwischenzeitliche Arbeitseinsätze in Deutschland – ins Ausland entsendet wird, sind die Entsendungen als Einheit zu sehen. In diesem Fall liegt keine zeitliche Begrenzung vor, so dass deutsches Sozialversicherungsrecht nicht anwendbar ist (BSG, Urteil v. 25. August 1994 – 2 RU 14/93).
Europäisches und internationales Recht hat Vorrang: EU-Verordnung und Sozialversicherungsabkommen prüfen!
Das Vorstehende gilt, soweit keine speziellen Vorschriften existieren.
Erfolgt die Entsendung in einen anderen EU-Mitgliedstaat, in einen EWR-Staat oder in die Schweiz, gelten die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und die dazugehörige Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009. Daneben gelten für mehrere Nicht-EU-Staaten Sozialversicherungsabkommen, die zwischen ihnen und der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen wurden.
Diese völkerrechtlichen Verträge sind nicht inhaltlich gleich. Es ist daher in jedem Fall eine gründliche Prüfung erforderlich, ob das Abkommen anwendbar ist und welche Bestimmungen es enthält. So sieht das Sozialversicherungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bosnien und Herzegowina beispielsweise vor, dass bei einem Aufenthalt in Bosnien und Herzegowina zwar Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Kranken-, nicht jedoch aus der deutschen gesetzlichen Pflegeversicherung erbracht werden (LSG Bayern, Beschluss v. 17. Dezember 2018 – L 4 P 28/18 B PKH).
Unsere Beitragsreihe informiert rund um das Sozialversicherungsrecht für Arbeitgeber. Nach Informationen zur Probearbeit und Unfallversicherung folgen unsere Hinweise zur Auslandsentsendung.
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.