24. Juni 2021
Klimaschutzgesetz
Environment and Climate Change (ESG) Energiewirtschaft & Klimaschutz

Doppelter Paukenschlag beim Klimaschutz – Update #1

Nachdem das Bundesverfassungsgericht das Klimaschutzgesetz 2019 im März 2021 in Teilen für grundgesetzwidrig erklärt hatte, hat der Bundestag am 24. Juni 2021 eine Novelle des Gesetzes beschlossen.

Am 18. Dezember 2019 trat das Klimaschutzgesetz in Kraft. Es setzt die Verpflichtung nach dem Übereinkommen von Paris um, das auf der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen aufbaut. Danach soll der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden, um die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels so gering wie möglich zu halten.

Kernpunkt des Gesetzes ist die Festlegung des Klimaschutzziels für 2030. Danach sollen die Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zurückgefahren werden. Außerdem postuliert das Gesetz das „Bekenntnis″ zur Treibhausgasneutralität bis 2050. Das Klimaschutzgesetz legt jährliche Emissionsziele in Form von maximalen Emissionsmengen für die einzelnen Sektoren Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft fest. Damit gibt das Gesetz vor, in welchem Maße die Emissionen in den Sektoren bis 2030 reduziert werden müssen. Für die Einhaltung steht das jeweils zuständige Bundesministerium in der Pflicht.

Über 2030 hinausgehende Zielvorgaben wurden nicht festgelegt. Vielmehr ist vorgesehen, dass die Bundesregierung im Jahr 2025 für weitere Zeiträume nach dem Jahr 2030 jährlich absinkende Emissionsmengen festlegt. Der Bundestag muss dem zustimmen.

Klimaschutzgesetz überwiegend kritisch bewertet

Die Kritik der Oppositionsparteien im Bundestag am Klimaschutzgesetz als Teil der Klimaschutzpakets fiel – nach kontroversen Diskussionen im Vorfeld der Verabschiedung nicht überraschend – vernichtend aus. Grundtenor war, dass sowohl die selbst gesetzten Klimaziele und auch die Pariser Klimaziele mit dem Klimapaket nicht erreicht können. Der Thinktank Agora Energiewende hatte nach Veröffentlichung des Klimapakets errechnet, dass die Maßnahmen der Bundesregierung gerade einmal ausreichen, um ein Drittel der nötigen Emissionen einzusparen. 

Auch die Wirtschaftsverbände reagierten überwiegend kritisch. Das Klimaschutzgesetz sei nicht kohärent mit der Energiewende. Das 65-Prozent-Ziel für den Erneuerbaren-Ausbau sei damit kaum zu erreichen. Die fundamentale Rolle der erneuerbaren Energien für den Klimaschutz werde nicht durch wirksame Maßnahmen unterstützt.

Bundesverfassungsgericht erklärt Teile des Gesetzes für verfassungswidrig

Mit seinem grundlegenden und teilweise als historisch bezeichneten Beschluss vom 24. März 2021 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Regelungen des Klimaschutzgesetzes insofern mit Grundrechten unvereinbar sind, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen. Nach Auffassung des Gerichts verschiebt das Gesetz hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030. Die Pflicht zur Minderung der Treibhausgasemissionen folge auch aus dem Grundgesetz. Das verfassungsrechtliche Klimaschutzziel des Art. 20a GG sei dahingehend konkretisiert, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur entsprechend dem Übereinkommen von Paris auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Um das zu erreichen, müssten die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten sei praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind. Es dürfe nicht dazu kommen, dass einer Generation das Recht zugestanden werde, „unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde″. Der Gesetzgeber hätte daher Vorkehrungen treffen müssen, um diese hohen Lasten abzumildern. Zu dem danach gebotenen rechtzeitigen Übergang zur Klimaneutralität reichten die gesetzlichen Maßgaben für die Fortschreibung des Reduktionspfads der Treibhausgasemissionen ab dem Jahr 2031 nicht aus. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31. Dezember 2022 näher zu regeln.

Bundestag verabschiedet Novelle des Klimaschutzgesetzes

Die überaus positive Bewertung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts wurde auch von der Regierungskoalition geteilt, die das in Teilen für verfassungswidrig erachtete Gesetz beschlossen hatte. Für mindestens gleiches Erstaunen sorgte das Tempo der Regierung, mit dem sie die vom Gericht geforderten Anpassungen des Gesetzes nicht erst Ende 2022, sondern innerhalb kürzester Zeit vorgenommen hat. Bereits am 12. Mai 2021 verabschiedete das Bundeskabinett die Novelle des Klimaschutzgesetzes, mit der die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden sollen. Das überraschende Tempo der Regierungskoalition erklärt sich aus den bevorstehenden Bundestagswahlen im September 2021 und der hohen Bedeutung des Klimaschutzes für breite Wählerschichten. 

Der Bundestag hat die Novelle am 24. Juni 2021 verabschiedet. Am 25. Juni 2021 hat der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt.

Kern der Novelle des Klimaschutzgesetzes ist die Klimaneutralität Deutschlands bis 2045 und die Vorgabe verbindlicher Ziele auf dem Weg dorthin für die 2020er und 2030er Jahre. Bislang war die Treibhausgasneutralität bis 2050 angestrebt. Das Zwischenziel für 2030 wird von derzeit 55 auf 65 Prozent Treibhausgasminderung gegenüber 1990 angehoben. Dies war allerdings ohnehin erforderlich geworden, um die zwischenzeitlich verschärften europäischen Klimaschutzziele für Deutschland umzusetzen. Für 2040 soll ein neues Zwischenziel von 88 Prozent Minderung gelten. 

Die Novelle des Klimaschutzgesetzes führt das System der jahresscharfen zulässigen Emissionsmengen für die einzelnen Sektoren für die 2020er Jahre fort und senkt sie teilweise deutlich ab. Den größten Anteil der zusätzlichen Minderung bis 2030 sollen die Sektoren Energiewirtschaft und Industrie übernehmen. Der Energiesektor soll danach im Jahr 2030 nur noch 108 statt 175 Mio. t CO2 emittieren dürfen, die Industrie nunmehr 118 statt 140 Mio. t CO2. Die Verringerung des CO2-Budgets der Energiewirtschaft im Vergleich zur bisher vorgesehenen Emissionsmenge beträgt damit knapp 40 Prozent, die der Industrie etwa 16 Prozent. Die Verschärfung der Reduktionsziele für die anderen Sektoren fällt deutlich niedriger aus. Auch für die Jahre ab 2040 sieht das Gesetz für jedes einzelne Jahr konkrete Minderungsziele vor. Über den konkreten Anteil der einzelnen Sektoren soll aber erst nach entsprechender Weichenstellung auf europäischer Ebene ab 2024 entschieden werden, und zwar 2024 für die Jahre 2031 bis 2040. Spätestens 2032 soll die Festlegung der jährlichen Minderungsziele pro Sektor für die Jahre 2041 bis 2045 erfolgen. 2034 erfolgt dann die Festlegung der jährlichen Minderungsziele für die letzte Phase von 2041 bis 2045. Zur Förderung hat die Bundesregierung ein Sofortprogramm mit einem zusätzlichen Umfang von bis zu 8 Milliarden Euro angekündigt.

Klimaschutzgesetz 2021 führt zu fundamentaler Änderung bestehender Strukturen

Die Novelle des Klimaschutzgesetzes wird die Ziellatte der Reduktionsziele deutlich höher legen, sektorspezifisch vor allem für Energie und Industrie. Ohne Übertreibung dürfen die Auswirkungen als fundamental bezeichnet werden. Allerdings – und hieran entzündet sich bereits vor Verabschiedung der Novelle verbreitet Kritik – werden weiterhin lediglich Ziele vorgegeben. An konkreten Umsetzungsschritten mangelt es derzeit noch. Wenn die Ziele nicht nur Ankündigungspolitik bleiben, sondern tatsächlich in funktionierenden Klimaschutz münden sollen, bedarf es umfassender und zeitnaher Maßnahmen in allen von dem Gesetz betroffenen Sektoren. Die bisherigen Erfahrungen mit der Energiewende machen nicht unbedingt Mut, dass die Politik in der Lage sein wird, ein konsistentes und zur Zielerreichung geeignetes Gesamtpaket zu schnüren, das die Wechselwirkungen zwischen Maßnahmen, Instrumenten und gesamtgesellschaftlichen Belangen austariert. Aber nichts anderes ist vonnöten, um die Herkulesaufgabe zu bewältigen, die aus den vom Klimaschutzgesetz 2021 postulierten Zielen folgt.

Energiewirtschaft vor tiefgreifendem Umbruch

Der Energiewirtschaft kommt eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der Klimaschutzziele zu. Der Kohlekompromiss mit dem Kohleausstieg bis 2038 wird wohl das Klimaschutzgesetz 2021 nicht überleben. So haben z.B. Prognos, Öko-Institut und Wuppertal-Institut aktuell vorgeschlagen, den Kohleausstieg bereits auf 2030 vorzuverlegen. Die Erneuerbaren Energien müssen dann einen Anteil von rund 70 Prozent am Bruttostromverbrauch übernehmen. 

Hieraus folgt die Notwendigkeit eines zügigen Ausbaus der Erneuerbaren Energien, der deutlich über die derzeitigen Ausbaupfade hinausgehen muss. Dies betrifft insbesondere die Offshore- und Onshore-Windkraft sowie die Photovoltaik. Die bereits bekannten Hindernisse stehen dem entgegen: Flächen sind nicht in ausreichendem Maße ausgewiesen, Genehmigungsverfahren zu komplex und langwierig. Je bedeutsamer der Anteil der Erneuerbaren Energien wird, desto schwerwiegender wiegen solche administrativen und gesetzgeberischen Versäumnisse. So wäre ein Beschleunigungsgesetz mit Verfahrensvereinfachungen nicht nur für Infrastrukturvorhaben, sondern auch für Anlagen zur Energieerzeugung aus Erneuerbaren Energien wünschenswert. Auch für den – nach wie vor schleichenden – Netzausbau, ohne den der Umbau der Energiewirtschaft nicht gelingen kann, sind weitere Erleichterungen erforderlich.

Auch für Gaskraftwerke brechen neue Zeiten an. Experten gehen davon aus, dass wegen des Reduktionsziels überwiegend nur noch GuD-Anlagen eingesetzt werden, dezentrale KWK-Anlagen dagegen Probleme bekommen. Mit Blick auf die fluktuierende Einspeisung von Strom aus Erneuerbaren Energien stellt sich angesichts solcher Reduktionsziele überdies die Frage, ob Gaskraftwerke in dem Übergangszeitraum die Back-up Funktion in dem bislang angenommen Umfang übernehmen können – zumal auch hier die langen Genehmigungsverfahren und die ungewisse Wirtschaftlichkeit echte Hemmschuhe sind. Der Erhöhung der Flexibilität von Erzeugung und Verbrauch wird deutlich mehr Bedeutung zukommen. Speichertechnologien, Sektorkopplung und Demand Side Management – um nur einige zu nennen – werden eine größere Rolle spielen müssen. 

Industriesektor mit großen Herausforderungen

Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie wird durch die ehrgeizigeren Reduktionsziele stark beeinträchtigt, so dass Gegenmaßnahmen unerlässlich sein werden. Dies gilt insbesondere für eine notwendige Abfederung eines deutlich höheren CO2-Preises. Hier wird in erster Linie an Subventionen für Investitionen in neue Technologien zu denken sein. Gleichzeitig gilt es aber, solche Unterstützungsmaßnahmen zeitlich zu begrenzen, um Dauersubventionen zu vermeiden. 

Allein die Dekarbonisierung der Chemieindustrie wird nach aktuellen Schätzungen so viel grünen Strom benötigen wie heute produziert wird. Auch die Umstellung von Produktionsprozessen wie beispielsweise in der Stahlindustrie auf Wasserstoff ist alles andere als ein Selbstläufer. Wenn man davon ausgeht, dass vielleicht rund 10 Prozent des Bedarfs an grünem Wasserstoff in Deutschland hergestellt werden können, klafft eine riesige Lücke, die durch Importe gefüllt werden muss. Zudem befindet sich die Erzeugung grünen Wasserstoffs noch in den Kinderschuhen. Die Erreichung der Reduktionsziele bis 2030 wird ohne blauen Wasserstoff nicht erreichbar sein. Dem Thema CO2-Abscheidung und Speicherung wird man sich also stellen müssen, wenn der Bedarf nicht allein mit importiertem blauem Wasserstoff dargestellt werden kann.

Auch wenn die Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft hier nicht näher betrachtet wurden, lässt sich zusammenfassend betrachtet feststellen, dass die geschilderten Implikationen der gebotenen Emissionsreduzierung im Grundsatz zwar heute erkannt, aber nicht gelöst sind. Das Klimaschutzgesetz 2021 verleiht den Herausforderungen durch die deutlich anspruchsvolleren Klimaziele eine neue Qualität. Die Energie- und Klimapolitik wird damit einen noch höheren Stellenwert bekommen (müssen).

In der Serie „Environment and Climate Change″ sind wir eingegangen auf neue Gesetze im Energierecht, den Inhalt des 12. Deutschen Energiekongresses, haben uns mit dem Mieterstrom, mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und der H2O-Politik und der Herstellerhaftung in Russland befasst sowie die Konsultation und das Feedback zur BNetzA-Konsultation Wasserstoffnetze dargestellt. Weiter beschäftigt haben wir uns mit der Wasserstoffstrategie, der Einwegkunststoffverbotsverordnung, dem „Green Deal″ sowie den Auswirkungen der EU-Taxonomie auf die Immobilienwirtschaft.

Tags: 2021 Klimaschutzgesetz Novelle Sustainability