10. November 2021
Betriebsrätemodernisierungsgesetz
Social and Human Rights (ESG) Arbeitsrecht

Fünf Mythen zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz lässt auf Großes hoffen. Doch hält das Gesetz, was der Titel verspricht? Wir räumen mit fünf Fehlvorstellungen auf!

Das Gesetzt „zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt“ (Betriebsrätemodernisierungsgesetz) hat erhebliche Stärken und Schwächen. Die Relevanz des Themas zeigt sich bereits in verstärkten Gründungsaktivitäten im mittelständischen Bereich – so z.B. der aufsehenerregende Kampf um Betriebsratsgründungen beim Lieferservice Gorillas. 

Demokratie sind nicht nur die Parlamente, sondern Demokratie sind auch Betriebsräte. Deshalb herzlichen Dank an die Betriebsräte in Deutschland. Wir stärken ihnen heute den Rücken.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zur Einführung des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz erleichtert Betriebsratsgründungen durch eine Vereinfachung des Wahlverfahrens

Falsch: Das am 18. Juni 2021 in Kraft getretene Gesetz vereinfacht nicht das Wahlverfahren an sich. Es werden lediglich die Vorschriften zum sogenannten vereinfachten Wahlverfahren, das auch bisher schon im BetrVG vorgesehen ist, ausgeweitet. Dieses findet nun verpflichtend nicht nur auf Betriebe mit bis zu 50 wahlberechtigten Arbeitnehmern, sondern auf Betriebe mit bis zu 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern Anwendung (§ 14a Abs. 1 S. 1 BetrVG n.F.). 

Eine freiwillige Durchführung nach Vereinbarung mit dem Arbeitgeber ist fortan in Betrieben mit 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern – statt bislang nur in Betrieben mit bis zu 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern – möglich (§ 14a Abs. 5 BetrVG n.F.). Dabei zeichnet sich das vereinfachte Wahlverfahren eher durch verkürzte Fristen als durch eine wirkliche Vereinfachung aus; es bleibt also komplex. Auch der vielfach geforderte Schritt zur Einführung von digitalen Betriebsratswahlen ist ausgeblieben. 

Eine im Ergebnis ggf. erleichterte Gründung von Betriebsräten ergibt sich allerdings aus anderen Regelungen des Gesetzes wie insbesondere der Absenkung des aktiven Wahlrechts auf 16 Jahre (§ 7 Abs. 1 BetrVG) und der Herabsetzung der für Wahlvorschläge erforderlichen Anzahl an Stützunterschriften in kleinen und mittelgroßen Betrieben. So bedarf es in Betrieben mit bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern keinerlei Stützunterschriften mehr, in Betrieben mit bis zu 100 Arbeitnehmern genügen nunmehr bereits zwei Unterstützer für einen Wahlvorschlag (§ 14 Abs. 4 BetrVG n.F.).

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz fördert Betriebsratsgründungen durch einen größeren Schutz der Wahlinitiatoren

Falsch: Der Schutz von Wahlinitiatoren ist unverändert geblieben. Diese können ab dem Zeitpunkt der Einladung zu einer Betriebsratswahl bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses nur außerordentlich aus wichtigem Grund gekündigt werden; einen daran anschließenden Nachwirkungszeitraum sieht das Gesetz für Wahlinitiatoren unverändert nicht vor. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz verdoppelt lediglich die Zahl der in dieser Weise geschützten Wahlinitiatoren von drei auf sechs (§ 15 Abs. 3a S. 1 Hs. 2 KSchG n.F.), um die Besetzung des Wahlvorstands sicherzustellen. 

Ergänzend hierzu wird der Sonderkündigungsschutz im Kontext von Betriebsratswahlen durch die zusätzliche Erstreckung auf eine unbestimmte Anzahl so genannter „Vorfeld-Initiatoren“ in bedenklich unbestimmter Art und Weise zeitlich vorverlagert (§ 15 Abs. 3b KSchG n.F.). Hierbei handelt es sich nach dem Gesetz um Arbeitnehmer*, die (nicht näher definierte) „Vorbereitungshandlungen“ für eine Betriebsratsgründung vornehmen und eine öffentlich beglaubigte Erklärung abgegeben haben, einen Betriebsrat errichten zu wollen. 

Die nun ebenfalls geschützten Vorfeld-Initiatoren sind bis zur Betriebsratsgründung nicht kündbar

Falsch: Der Kündigungsschutz der Vorfeld-Initiatoren ist den anderen Sonderkündigungstatbeständen bei Betriebsratswahlen zeitlich vorgelagert und greift ohne Nachwirkung: von der Abgabe der öffentlich beglaubigten Erklärung, einen Betriebsrat errichten zu wollen, bis zum Zeitpunkt der Einladung zur Betriebswahl, längstens jedoch für drei Monate (§ 15 Abs. 3b S. 2 KSchG n.F). Zudem werden die Vorfeld-Initiatoren nur vor personen- und verhaltensbedingten, nicht aber vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt. Hierdurch soll vermieden werden, dass Arbeitnehmer kurz nach Bekanntgabe eines geplanten Personalabbaus rechtsmissbräuchlich allein mit dem Ziel des Sonderkündigungsschutzes eine Betriebsratswahl initiieren. Die außerordentliche Kündigung von Vorfeld-Initiatoren ist zudem – anders als noch im ersten Gesetzesentwurf vorgesehen – ebenso wie die von Wahlinitiatoren ohne gerichtliche Zustimmung möglich. Damit ist eine gerichtliche Zustimmungsersetzung im betriebsratslosen Betrieb weiterhin nur bei Kündigung von Wahlvorstandsmitgliedern und Wahlbewerbern notwendig (§ 103 Abs. 1, 2a BetrVG). 

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz überführt die zu Beginn der Coronapandemie eingeführte Übergangslösung des § 129 BetrVG in eine dauerhafte Regelung zur Teilnahme an Betriebsratssitzungen sowie Beschlussfassung mittels Video- und Telefonkonferenz

Falsch: Zwar bleibt die digitale Betriebsratsarbeit weiterhin möglich; § 30 Abs. 1 S. 5 und Abs. 2 S. 1 BetrVG n.F. normieren jedoch einen klaren „Vorrang der Präsenzsitzung“. Demnach ist die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- und Telefonkonferenz (nur noch) zulässig, wenn

  1. die Voraussetzungen für eine solche Teilnahme in der Geschäftsordnung unter Sicherung des Vorrangs der Präsenzsitzung festgelegt sind,
  2. nicht mindestens ein Viertel der Mitglieder des Betriebsrats binnen einer von dem Vorsitzenden zu bestimmenden Frist diesem gegenüber widerspricht und
  3. sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.

Liegen diese Voraussetzungen bei Durchführung einer virtuellen Sitzung nicht vor, sind die hierbei gefassten Beschlüsse unwirksam. 

Sitzungen von Einigungsstellen und Wirtschaftsausschüssen dürfen – trotz der überwiegend positiven Erfahrungen unserer Mandanten mit der inzwischen aufgehobenen Regelung des § 129 Abs. 2, Abs. 1 BetrVG – nicht mehr digital stattfinden. 

Positiv zu bewerten ist allerdings, dass künftig die Möglichkeit besteht, Betriebsvereinbarungen unter Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur abzuschließen (§ 77 Abs. 2 S. 3 BetrVG).

Der Betriebsrat hat fortan ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung mobiler Arbeit 

Falsch: Der Betriebsrat hat kein Initiativrecht. Er kann die Einführung mobiler Arbeit also nicht erzwingen. Denn das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG n.F. bezieht sich nur auf die Ausgestaltung (das „Wie“), nicht aber auf die Einführung (das „Ob“) mobiler Arbeit. Die Entscheidung zur Einführung mobiler Arbeit liegt damit weiterhin in der freien Entscheidung des Arbeitgebers. Es bleibt aber abzuwarten, was die Rechtsprechung unter „Ausgestaltung“ versteht. Diese sollte sich beschränken auf Regelungen über die technische Ausstattung und z.B. den Ort, von welchem aus mobil gearbeitet werden kann (das „Wo“), wie auch der deren zeitlichen Umfang, also z.B. Beginn und Ende (das „Wann“). 

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

In unserer Reihe „Fünf Mythen“ zu ESG, Sustainability und CSR räumen wir monatlich mit Unwahrheiten und Clichés auf, die ihnen als Rechtsanwender, z.B. im Bereich von Arbeitsrecht oder Compliance, begegnen. Rechtsberatung rund um nachhaltiges Wirtschaften! Los geht es mit den Mythen zur Frauenquote für den Vorstand.

Tags: Betriebsrat Betriebsrätemodernisierungsgesetz Digitalisierung ESG Kündigungsschutz