6. Dezember 2021
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Social and Human Rights (ESG) Arbeitsrecht

Fünf Mythen zum Lieferkettengesetz

Hart wurde um das Lieferkettengesetz gerungen. Ziel: Unternehmen sollen Menschenrechte und Umweltschutz „auf die Kette“ bekommen - die gesamte Lieferkette!

Nachdem freiwillige Standards und Selbstverpflichtungen keine zufriedenstellenden Ergebnisse geliefert haben, stimmte der Bundesrat am 25. Juni 2021 nicht nur verbindlichen Regelungen zur Frauenquote im Vorstand, sondern auch mehr Regulierung in der Lieferkette zu.

Alle großen Unternehmen, die auf dem weltweiten Markt aktiv sind, müssen sich jetzt kümmern, in ihren Zulieferketten, in ihrem eigenen Geschäftsbereich. Wir haben hart gerungen, es ist ein Gesetz mit Rechtsfolgen, es ist ein Gesetz mit Biss.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zur Einführung des Lieferkettengesetzes

Fortan ist eine sorgfältige Risikoanalyse dahingehend erforderlich, ob es in der Vergangenheit zu einer Verletzung von Menschenrechts- und Umweltstandards kam bzw. eine solche in Zukunft zu erwarten ist. 

Viele deutsche Unternehmen hadern schon in der Vorbereitungsphase mit dem immensen bürokratischen Aufwand. Umweltverbänden und Menschenrechtsgruppen geht das Gesetz hingegen nicht weit genug. Wir räumen mit fünf Fehlvorstellungen auf.

Das Lieferkettengesetz gilt nur für Unternehmen ab 3.000 Arbeitnehmern, wir können daher nicht betroffen sein

Falsch: Zwar stimmt es, dass das Gesetz ab dem 1. Januar 2023 zunächst nur für Großunternehmen mit Sitz in Deutschland gilt, die mehr als 3.000 Arbeitnehmer* beschäftigen (§ 1 Abs. 1 S. 1 LkSG; laut Gesetzesbegründung ca. 600 Unternehmen). Nach einer Einführungsphase von einem Jahr wird es dann allerdings ab dem 1. Januar 2024 auf Unternehmen mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern ausgeweitet (§ 1 Abs. 1 S. 3 LkSG; laut Gesetzesbegründung ca. 2.800 Unternehmen). 

Selbst wenn das eigene Unternehmen die genannten Schwellenwerte nicht erreicht, ist aber damit zu rechnen, dass auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mittelbar betroffen sein werden. Denn es ist zu erwarten, dass die adressierten Großunternehmen die ihnen gesetzlich auferlegten Sorgfaltspflichten an ihre Lieferanten weitergeben werden. Kleinere Unternehmen werden künftig also – ohne selbst Normadressat zu sein – ebenfalls vom „Dunstkreis“ des Lieferkettengesetzes erfasst.

Das Gesetz wird uns nicht vor nennenswerte Probleme stellen, da unsere Lieferanten die menschenrechtskritischen Produkte nicht selbst herstellen, sondern von Dritten einkaufen

Falsch: Mit Blick auf sogenannte mittelbare Zulieferer (§ 2 Abs. 8 LkSG), also auf Unternehmen, die zwar zur Lieferkette des betroffenen (deutschen) Unternehmens gehören, aber nicht dessen Vertragspartner sind, enthält das Gesetz zwar eine notwendige Entschärfung der Sorgfaltspflichten. Andernfalls wäre es auch im Hinblick auf mangelnde Kenntnis und fehlende Durchgriffsmöglichkeiten kaum praktikabel. Um die Unternehmen aber nicht ganz aus der Verantwortung zu entlassen, bestehen auch hier Pflichten.

Konkret: Bei mittelbaren Zulieferern wird die Pflicht zur Risikoanalyse dann ausgelöst, wenn dem betroffenen Unternehmen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die eine Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder einer umweltbezogenen Pflicht beim mittelbaren Zulieferer möglich erscheinen lassen (sogenannte substantiierte Kenntnis, § 9 Abs. 3 LkSG). Sodann hat es u.a. „angemessene Präventionsmaßnahmen“ gegenüber dem Verursacher zu verankern, etwa im Wege der Durchführung von Kontrollmaßnahmen, und muss ein Konzept zur Verhinderung, Beendigung oder Minimierung der Sorgfaltspflichtverstöße erstellen und umsetzen. 

Demgegenüber ist die Risikoanalyse bei unmittelbaren Zulieferern, also Vertragspartnern (§ 2 Abs. 7 LkSG), von Beginn an einmal im Jahr und anlassbezogen durchzuführen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1 und 4 LkSG).

Zu beachten ist ferner, dass mittelbare Zulieferer wie unmittelbare Zulieferer zu behandeln sind, wenn die Sorgfaltspflichten durch Umgehungsgeschäfte oder missbräuchliche Ausgestaltung der unmittelbaren Zuliefererbeziehung umgangen werden (§ 5 Abs. 1 S. 2 LkSG). Dies gilt insbesondere für den Fall eines „formellen Dazwischenschaltens“ eines Unternehmens, um es – obwohl es sich tatsächlich um einen unmittelbaren Zulieferer handelt – formell als nachgelagertes Glied der Lieferkette auszuweisen.

Das Gesetz sieht keine zivilrechtliche Haftung deutscher Unternehmen im Fall von Menschenrechtsverletzungen vor, es drohen also allenfalls Bußgelder 

Falsch: Zwar ist es richtig, dass nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers durch das Lieferkettengesetz keine zusätzlichen zivilrechtlichen Haftungsrisiken für Unternehmen begründet werden sollen. Dies wurde in § 3 Abs. 3 S. 1 LkSG ausdrücklich klargestellt.

In der Konsequenz wird die Umsetzung der im Gesetz niedergeschriebenen Sorgfaltspflichten, die durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) kontrolliert werden, somit primär durch das Verwaltungs- bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahren angestrebt (vgl. §§ 22, 23 LkSG). Hiermit korrespondierend werden Verstöße mit Bußgeldern von – je nach Art des Verstoßes – bis zu EUR 8 Mio. oder 2 % des weltweiten Jahresumsatzes (bei Unternehmen mit mehr als EUR 400 Mio. Umsatz) geahndet. 

Eine zivilrechtliche Haftung ist damit jedoch nicht vom Tisch. Denn Ansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt einer Verkehrspflichtverletzung und Ansprüche nach ausländischem Recht sind ein durchaus realistisches Szenario für deutsche Unternehmen.

Für diesen Fall sieht – gewissermaßen als Ausgleich für den Ausschluss nach § 3 Abs. 3 S. 1 LkSG – das LkSG in § 11 Abs. 1 vor, dass Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) künftig die Möglichkeit bekommen, Betroffene in Schadensersatzprozessen vor deutschen Gerichten zu unterstützen. Sofern es in der Lieferkette also zu der Verletzung einer „überragend wichtigen geschützten Rechtsposition“ kommt, können Gewerkschaften die Ansprüche von Betroffenen nach den allgemeinen Vorschriften gerichtlich im eigenen Namen geltend machen („Besondere Prozessstandschaft“).

Da das Lieferkettengesetz auf mein Unternehmen Anwendung findet, benötigen wir einen eigenen Menschenrechtsbeauftragten

Falsch: In § 4 Abs. 3 S. 1 LkSG wird beispielhaft ein Menschenrechtsbeauftragter genannt, der von dem Unternehmen benannt werden muss, um das Risikomanagement für die in § 3 Abs. 1 S. 2 LkSG genannten Sorgfaltspflichten durchzuführen. Nach § 4 Abs. 3 S. 2 LkSG muss sich die Geschäftsleitung zudem mindestens einmal im Jahr über die Arbeit der Stelle informieren. 

Dies schließt aber nicht aus, die Aufgabe des Risikomanagements bei bereits existierenden Stellen (bspw. Compliance-Officer, Stabsstelle Nachhaltigkeit) anzubinden und dort miterledigen zu lassen. Die Neuschaffung eines Arbeitsplatzes oder die Neueinstellung eines Beschäftigten muss damit also nicht zwingend verbunden sein. Nichtsdestotrotz dürften die mit den Sorgfaltspflichten einhergehenden Aufgaben nach § 3 Abs. 1 S. 2 LkSG – zumindest in den meisten Unternehmen – einen durchaus relevanten Umfang annehmen, sodass hierfür entsprechende Kapazitäten geschaffen werden müssen.

Das Gesetz ist für uns von geringer Relevanz, da es zeitnah durch eine europäische Regelung ersetzt werden wird

Falsch: Zwar ist es richtig, dass auch auf europäischer Ebene von verschiedenen Institutionen Vorschläge zur Einführung unternehmerischer Sorgfaltspflichten vorbereitet werden. So leitete die EU-Kommission schon im Oktober 2020 ein öffentliches Konsultationsverfahren ein, an dem verschiedenartige Akteure wie Unternehmen und gesellschaftliche Gruppen mitwirkten. Parallel dazu erarbeitete der Rechtsausschuss des EU-Parlaments einen Bericht mit Empfehlungen an die Kommission, der im März 2021 vom Europäischen Parlament angenommen wurde. Dieser enthält u.a. einen Vorschlag für eine Richtlinie, die den Unternehmen noch deutlich strengere Pflichten auferlegen würde, als es das deutsche LkSG derzeit vorsieht.

Die ursprünglich für Juni 2021 angedachte Präsentation eines eigenen Entwurfs für ein EU-weites Lieferkettengesetz hatte die EU-Kommission dem hingegen mehrfach verschoben. Der Richtlinien-Vorschlag war zuletzt am 8. Dezember 2021 erwartet worden und soll nun doch erst im März 2022 vorgestellt werden.

Klar scheint aber schon jetzt zu sein: Auch wenn sich der genaue Inhalt mangels Vorschlags seitens der Kommission noch nicht prognostizieren lässt, wird es sich verglichen mit dem deutschen Gesetz um ein strenges Regelungsregime handeln. 

So äußert sich EU-Justizkommissar Reynders: 

Wir wollen weit gehen, weit die Lieferkette herunter und weit, was die Zahl der betroffenen Unternehmen betrifft.

Diese Aussage lässt darauf schließen, dass sich die Kommission an dem Richtlinienvorschlag des EU-Parlaments orientieren wird, demzufolge die Regelungen auch für kleine und mittlere Unternehmen gelten, die entweder an der Börse notiert oder in sogenannten Risikobranchen tätig sind. Der Anwendungsbereich der Richtlinie wird daher voraussichtlich deutlich weiter sein. Anders als beim deutschen Lieferkettengesetz wird die europäische Richtlinie, wenn es nach dem Willen des EU-Parlaments geht, zudem die Unterscheidung zwischen mittelbarem und unmittelbarem Zulieferer nicht aufgreifen, sondern vielmehr darauf abstellen, ob eine Unternehmung risikobehaftet ist. Ist das der Fall, ist das Unternehmen also in einer der vorher festgelegten Risikobranchen tätig, droht es auch für schädliches Verhalten von in der Lieferkette weiter zurückliegenden Zulieferern und damit in Fällen einstehen zu müssen, in denen eine Verantwortlichkeit nach deutschem Recht nicht gegeben wäre. Darüber hinaus ist denkbar, dass eine durchaus strenge, originär zivilrechtliche (Konzern-)Haftung mit vermutetem Verschulden für Sorgfaltspflichtverstöße auf EU-Ebene normiert wird.

Insofern ist es korrekt, dass ein die Richtlinie umsetzendes Gesetz das derzeitige Lieferkettengesetz aller Voraussicht nach ablösen und es vermutlich auch „überholen“ wird. Auch mit Blick auf das europäische Regelungsvorhaben ist es aus unserer Sicht empfehlenswert, sich schon jetzt mit den Anforderungen des LkSG vertraut zu machen und sie unter Beachtung zukünftiger Handreichungen des BAFA in das vorhandene Compliance Management System (CMS) zu integrieren: Nicht nur, um Gefahren für die Unternehmensreputation auszuschließen oder für Marketingzwecke, sondern auch, um hinsichtlich der zu erwartenden künftigen Verschärfungen gewappnet zu sein. 

In unserer Reihe „Fünf Mythen“ zu ESG, Sustainability und CSR räumen wir monatlich mit Unwahrheiten und Clichés auf, die ihnen als Rechtsanwender, z.B. im Bereich von Arbeitsrecht oder Compliance, begegnen. Rechtsberatung rund um nachhaltiges Wirtschaften! Los geht es mit den Mythen zur Frauenquote für den Vorstand und zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz.

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*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: ESG Human Rights Lieferkettengesetz Menschenrechte Sorgfaltspflichten