6. Dezember 2022
DSA Aktive Nutzer Digital Service Act
TMC – Technology, Media & Communications

„Aktive Nutzer“ im DSA: Mehr Fragen als Antworten!

Ab 45 Mio. „aktiven Nutzern“ gelten für Online-Plattformen nach dem DSA deutlich strengere Regeln. Die Definition des Begriffs lässt viele Fragen offen.

Am 16. November 2022 ist das „Gesetz über digitale Dienste“ in Kraft getreten (Englisch: Digital Services Act – DSA). Der DSA ist ein Meilenstein für die Regulierung von Online-Plattformen in der EU und wird den digitalen (Rechts-)‌Raum zukünftig prägen. Als Verordnung gilt der DSA unmittelbar in allen Mitgliedstaaten und führt so zu einer Harmonisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen. Verbindliche Wirkung entfaltet der DSA spätestens ab dem 17. Februar 2024. 

Definition der „aktiven Nutzer“ von zentraler Bedeutung

Der DSA ist für sämtliche „Vermittlungsdienste“ anwendbar, zu denen insbesondere Hostingdienste zählen. Für Online-Plattformen, die eine eigene Unterkategorie der Hostingdienste bilden, sind weitreichende Sorgfalts- und Transparenzpflichten vorgesehen. Besonders regelungsintensiv ist der DSA für sog. „sehr große Online-Plattformen“ (kurz SGOP), die als „sehr groß“ gelten, wenn sie eine durchschnittliche monatliche Zahl von mind. 45 Millionen aktiven Nutzenden in der Union haben. Für SGOP kann der DSA auch schon vor dem 17. Februar 2024 Wirkung entfalten, wenn sie mehr als vier Monate vor diesem Datum von der EU-Kommission als SGOP benannt wurden. Die Schwelle von 45 Millionen aktiven Nutzenden ist für Betreiber von Online-Plattformen also von zentraler Bedeutung. 

Dies hat der Verordnungsgeber auch grds. erkannt und den Begriff „aktiver Nutzer einer Online-Plattform“ in Art. 3 (p) DSA wie folgt definiert:

Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck „aktiver Nutzer einer Online-Plattform“ einen Nutzer des Dienstes, der eine Online-Plattform nutzt, indem er die Online-Plattform damit beauftragt, Informationen zur Verfügung zu stellen, oder der den Inhalten der Online-Plattform ausgesetzt ist, die diese zur Verfügung stellt und über ihre Online-Schnittstelle verbreitet.

Zudem besteht nach Art. 33 Abs. 3 DSA die Möglichkeit, dass die Kommission einen sog. „delegierten Rechtsakt“ erlässt, 

indem sie die Methode zur Berechnung der durchschnittlichen monatlichen Zahl der aktiven Nutzer in der Union ergänzt und sicherstellt, dass die Methode den Markt- und Technologieentwicklungen Rechnung trägt.

Von dieser Kompetenz hat die Kommission bisher allerdings keinen Gebrauch gemacht.

45 Millionen „unique user“ erforderlich

Plattform-Betreiber müssen spätestens am 17. Februar 2023 und danach mind. alle sechs Monate Informationen über die Zahl ihrer aktiven Nutzenden in der Union veröffentlichen. Ausschlaggebend ist dabei die durchschnittliche monatliche Zahl der aktiven Nutzenden, berechnet als Durchschnitt der vergangenen sechs Monate (Art. 24 Abs. 2 DSA). Um dieser Pflicht entsprechen zu können, müssen für Plattform-Betreiber klare Leitlinien für eine exakte Berechnungsmethode existieren. Dies ist bisher nicht in ausreichendem Maße der Fall.

Aufbauend auf der Definition in Art. 3(p) DSA konkretisiert Erwägungsgrund 77 des DSA das Verständnis eines „aktiven Nutzers“ zunächst wie folgt:

Um die Reichweite einer bestimmten Online-Plattform oder Online-Suchmaschine zu bestimmen, muss die durchschnittliche Zahl der aktiven Nutzer jedes Dienstes einzeln ermittelt werden. Dementsprechend sollte die Zahl der durchschnittlichen monatlichen aktiven Nutzer einer Online-Plattform alle Nutzer widerspiegeln, die den Dienst in einem bestimmten Zeitraum tatsächlich mindestens einmal in Anspruch nehmen, indem sie Informationen ausgesetzt sind, die über die Online-Schnittstelle der Online-Plattform verbreitet werden, etwa indem sie sie ansehen oder anhören oder Informationen bereitstellen, wie z. B. Unternehmer auf einer Online-Plattform, die Verbrauchern den Abschluss von Fernabsatzverträgen mit Unternehmern ermöglicht.

Weiterhin heißt es in Erwägungsgrund 77, dass es nur auf sog. „unique user“ ankommt (bzw. „einmalige Nutzer“). Daraus folgt insbesondere, dass mehrfache Aufrufe durch dieselben Nutzenden „nach Möglichkeit“ nur einmal gezählt werden sollen:

Für die Zwecke dieser Verordnung beschränkt sich die Inanspruchnahme nicht auf die Interaktion mit Informationen durch Anklicken, Kommentieren, Verlinken, Teilen, Kaufen oder Durchführen von Transaktionen auf einer Online-Plattform. Folglich stimmt das Konzept des aktiven Nutzers nicht zwangsläufig mit dem des registrierten Nutzers eines Dienstes überein. (…) Die Zahl der aktiven Nutzer eines Dienstes sollte alle einmaligen Nutzer umfassen, die den betreffenden Dienst in Anspruch nehmen. Zu diesem Zweck sollte ein Nutzer, der verschiedene Online-Schnittstellen wie Websites oder Anwendungen verwendet, auch wenn die Dienste über verschiedene URL (sic!) oder Domänennamen abgerufen werden, nach Möglichkeit nur einmal gezählt werden.

Kein spezifisches Online-Tracking erforderlich

Der im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens stark veränderte Erwägungsgrund 77 sieht zudem vor, dass Anbieter nicht verpflichtet sein sollen, 

ein spezifisches Online-Tracking von Einzelpersonen durchzuführen.

Dies wäre nach geltendem Datenschutzrecht auch nur schwer vertretbar. Automatisierte Nutzer wie z.B. Bots oder Scraper dürfen außerdem unberücksichtigt bleiben. Das Gleiche gilt für „indirekte Zugriffe“ auf gespeicherte Informationen über eine Verknüpfung oder Indexierung durch Online-Suchmaschinen.

Mehr Fragen als Antworten bei der Zählung „aktiver Nutzer“ 

Die recht umfangreichen Einlassungen in den Erwägungsgründen zeigen, dass sich der Gesetzgeber durchaus Gedanken über die Eigenschaften eines „aktiven Nutzers“ gemacht hat. Trotzdem verbleiben erhebliche Unschärfen, die praktisch zu großer Rechtsunsicherheit führen. Es wird z.B. häufig vorkommen, dass Personen mehrfach gezählt werden, weil sie über verschiedene Endgeräte und Netzwerke auf die Plattform zugreifen. Diese Mehrfachzählungen sind kaum vermeidbar. Umgekehrt können z.B. in Familien oder Wohngemeinschaften mehrere Personen über das gleiche Endgerät und Netzwerk auf eine Plattform zugreifen, ohne dass die Zahl der „aktiven Nutzer“ entsprechend steigt.

Nicht geklärt ist zudem die Frage, wann die Plattform „in Anspruch genommen“ wird und die Nutzenden folglich als „aktiv“ gelten. Zählt dazu jeder Zugriff auf die Plattform, wenn auch nur für wenige Sekunden? Oder bedarf es einer gewissen Verweildauer? Muss die Person zudem klicken, wischen oder scrollen? Oder genügt ein Zugriff ohne jegliche darüber hinausgehende Aktivität? 

Und was ist z.B. mit Nutzenden, die nicht auf gehosteten, User-generierten Content, sondern nur auf Inhalte des Plattformanbieters zugreifen (z.B. Hilfeseiten, AGB)? Und sollen auch Nutzende in die Statistik eingehen, die vor fünf Jahren eine nach wie vor abrufbare Kundenbewertung erstellt haben (= gehosteter, User-generierter Inhalt), seitdem aber nie mehr auf die Plattform zurückgekehrt sind? Diese Fragen sind nach aktuellem Rechtsstand weitestgehend ungeklärt. Sie können jedoch für betroffene Unternehmen erhebliche Auswirkungen haben. 

„Aktivität“ muss als qualitative Hürde verstanden werden

Es bleibt zu hoffen, dass die Kommission in diesen Fragen mit Augenmaß vorgeht und sich am Wortlaut orientiert. Wenn Nutzende als „aktiv“ gelten sollen, bedarf es nach vernünftiger Auslegung zunächst einer gewissen Qualität des Zugriffs. Diese „Aktivität“ kann z.B. darin liegen, dass sich die Nutzenden auf der Seite „bewegen“, d.h. wischen, scrollen oder klicken.

Auch eine gewisse zeitliche Komponente ist sinnvoll, um rein zufällige oder versehentliche Zugriffe auszuschließen (z.B. mind. fünf Sekunden). Und dass nur Zugriffe auf Fremdinhalte zählen sollten, ergibt sich bereits aus dem Schutzzweck des DSA. Dieser besteht nämlich insbesondere darin, der Verbreitung von rechtswidrigen Inhalte und von Desinformationen entgegenzuwirken (Erwägungsgrund 9 DSA). Ohne einen Zugriff auf User-generierte Inhalte ist diese Verbreitung nicht zu befürchten.

Das Problem wird sich nicht „von allein“ lösen. Es ist den Betreibern von Online-Plattformen auch nicht zumutbar, DSA-Verstöße durch „falsche“ Berechnungsmethoden zu riskieren. Hier sollte die Kommission mit äußerster Rücksicht agieren, da die gesetzlichen Regelungen derzeit ungenügend sind und erhebliche Rechtsunsicherheit herrscht. Zudem sollte die Kommission schnellstmöglich einen delegierten Rechtsakt erlassen, in dem eine Berechnungsmethode dargelegt wird, die auf praktisch relevante Fragen pragmatische Antworten liefert. 

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