26. Juli 2019
Liquidationspräferenz
Venture Capital

Was ist eine Liquidationspräferenz?

Viel Geld für den Investor, wenig für die Gründer?  Die "Liquidationspräferenz" regelt die Verteilung der Exit-Erlöse. Hier lohnt sich der Blick ins Detail.

Wer als Investor Geld in ein Start-up investiert, nimmt ein hohes Risiko auf sich. Im Gegenzug wird er häufig verlangen, dass etwaige Erlöse des Start-ups erst einmal nur ihm zu Gute kommen, nicht den Gründern. Man kann darüber streiten, ob diese Absicherung gerechtfertigt ist. Sie hat sich jedoch zum Marktstandard entwickelt und wird regelmäßig in der Gesellschaftervereinbarung oder dem Gesellschaftsvertrag vorgesehen.

Dabei ist es wichtig, zwei Varianten der sog. „Liquidationspräferenz″ auseinander zu halten, die sich grundlegend unterscheiden:

  • die sog. „anrechenbare″ Liquidationspräferenz (engl. „non-participating″ liquidation preference), einerseits;
  • die sog. „nicht-anrechenbare″ Liquidationspräferenz (engl. „participating″ liquidation preference), andererseits.

„Anrechenbare″ Liquidationspräferenz: Absicherung gegen einen Exit unter dem Erwartungswert

Die sog. „anrechenbare″ Liquidationspräferenz ist ein Schutz des Investors gegen das negative Szenario (engl. down-side) eines Verkaufs des Start-ups „unter Wert″. Daher wird die „anrechenbare″ Liquidationspräferenz auch als Down-side-protection bezeichnet.

Die Idee ist: Der Investor soll insbesondere bei einem Exit vorab vor den Gründern mindestens einen solchen Betrag aus den Erlösen erhalten, der seiner Rückzahlungserwartung entspricht, den sog. Vorzugsbetrag.

Dabei wird der Vorzugsbetrag häufig dem einfachen Investment des Investors entsprechen („1x″). Teilweise wird als Vorzugsbetrag jedoch auch ein höherer Betrag vereinbart, um die Renditeerwartung des Investors mitabzubilden. Z.B. wird der Vorzugsbetrag dann definiert als das ursprüngliche Investment plus eine Verzinsung bis zum Exit oder sogar ein Vielfaches (engl. multiple, z.B. 1,5x, 2x) auf das ursprüngliche Investment.

Diese Idee eines Vorzugsbetrags steht in einem Spannungsverhältnis zur gewöhnlichen Verteilung von Unternehmenserlösen. Denn eigentlich ist jeder Gesellschafter im Verhältnis seiner Beteiligung am Stammkapital einer Gesellschaft an ihren Erlösen berechtigt. Hält ein Gesellschafter 50% der Geschäftsanteile, bekommt er die Hälfte des ausgeschütteten Gewinns; hält er 10% der Geschäftsanteile, bekommt er 10% des ausgeschütteten Gewinns. Das ist die sog. „pro-rata-Verteilung″.

Die „anrechenbare″ Liquidationspräferenz geht nun davon aus, dass der Investor den Vorzugsbetrag als Mindestbetrag erhalten soll, dass er darüber hinaus aber nur dann Erlöse erhalten soll, wenn sich dies aus einer „pro-rata-Verteilung″ aller Erlöse ergibt. Vereinfacht wird dieses Prinzip häufig in der Formulierung ausgedrückt, der Investor solle „das Höhere von (i) Vorzugsbetrag und (ii) pro-rata-Erlös″ erhalten.

Sind die Erlöse so hoch, dass die Erlöse des Investors bei einer „pro-rata-Verteilung″ seinen Vorzugsbetrag übersteigen, wirkt sich die Existenz der „anrechenbaren Liquidationspräferenz″ im Ergebnis nicht aus. Denn seinen pro-rata-Anteil hätte der Investor auch ohne Existenz einer Liquidationspräferenz erhalten. Der Vorzugsbetrag taucht in diesem Fall gar nicht auf; er wird auf den pro-rata-Erlös „angerechnet″.

Liegt der (hypothetische) pro-rata-Erlös des Investors aber unter seinem Vorzugsbetrag, liegt also ein Negativszenario vor, bedeutet die „anrechenbare Liquidationspräferenz″ eine Abweichung von der „pro-rata-Verteilung″ zugunsten des Investors: denn er erhält die vorhandenen Erlöse bis zur Höhe seines Vorzugsbetrags vorab, d.h. ohne sie sich mit den Gründern teilen zu müssen.

„Nicht-anrechenbare″ Liquidationspräferenz: Prämie für den Investor

Anders als die „anrechenbare″ Liquidationspräferenz ist die „nicht-anrechenbare″ Liquidationspräferenz nicht auf eine Absicherung gegen das Negativszenario eines Exits unter dem Erwartungswert begrenzt. Vielmehr dient die „nicht-anrechenbare″ Liquidationspräferenz darüberhinausgehend dazu, dem Investor eine Prämie auf sein Investment zu sichern, so dass der Investorenerlös pro Anteil in jedem Fall (gleich ob Positivszenario oder Negativszenario) denjenigen Betrag übersteigt, den die Gründer pro Anteil erhalten.

Dazu wird auch für die „nicht-anrechenbare″ Liquidationspräferenz wieder ein Vorzugsbetrag in Abhängigkeit des Investments definiert (z.B. 1x, 1x plus Zins, 1,5x, 2x).

Jedoch gilt nun das Prinzip, dass der Investor „die Summe von (i) Vorzugsbetrag und (ii) pro-rata-Erlös″ erhält (sog. „double-dipping″ des Investors). Der Investor erhält also sowohl seinen Vorzugsbetrag als auch einen pro-rata-Anteil an den über den Vorzugsbetrag hinausgehenden Erlösen. Eine „Anrechnung″ des bereits durch den Investor erhaltenen Vorzugsbetrags bei der Ermittlung des pro-rata-Anteils des Investors findet – anders als bei der „anrechenbaren Liquidationspräferenz″ nicht statt.

Bei einer Betrachtung pro Anteil wird der Investor durch den bereits erhaltenen Vorzugsbetrag also dauerhaft ein „Mehr″ gegenüber dem durch die Gründer erlösten Betrag behalten. Denn ein (nachträgliches) Aufholen der Gründererlöse auf den Investorenerlös ist nicht vorgesehen.

„Anrechenbare″ Liquidationspräferenz wird im Markt häufig vereinbart

Die „anrechenbare″ Liquidationspräferenz ist als Kompromisslösung im Markt weit verbreitet. Sie sichert einerseits das Interesse des Investors an einer Absicherung gegen einen Exit unter dem Erwartungswert und kann insofern auch dazu dienen, die Geschäftsführung der Gründer entsprechend zu incentivieren. Andererseits stellt sie sicher, dass dann, wenn der Exit-Erlös den Erwartungswert des Investors übersteigt, alle Gesellschafter – Gründer wie Investoren – zu gleichen Teilen (pro-rata) an den Erlösen beteiligt sind, also ab dann keine Bevorzugung bzw. Prämie des Investors mehr besteht.

Natürlich kann es aber auch Verhandlungssituationen geben, in denen das Risikoprofil des Start-ups das Verlangen des Investors nach einer „nicht-anrechenbaren″ Liquidationspräferenz durchaus als gerechtfertigt erscheinen lässt. Die Praxis ist hier – naturgemäß – vielfältig.

Abstimmung von Liquidationspräferenz und Drag-Along wichtig

Das Wechselspiel zwischen Liquidationspräferenz und Drag-Along-Recht ist leicht zu übersehen, kann aber erhebliche Folgen haben.

Sollte dem Investor durch eine Gesellschaftervereinbarung ein Drag-Along-Recht gegen die Gründer eingeräumt sein, d.h. ein Recht, die Gründer zu einem Exit zu zwingen, könnte der Investor die Gründer theoretisch zu einem Verkauf ihrer Geschäftsanteile verpflichten, ohne dass die Gründer irgendeinen Anteil am Exit-Erlös erhalten würden. Denn wenn der Exit-Erlös maximal für den Vorzugsbetrag des Investors ausreicht, gehen die Gründer – sowohl bei der „anrechenbaren″ wie bei der „nicht-anrechenbaren″ Liquidationspräferenz – leer aus.

Das wäre aus Sicht der Gründer ein nachteiliges Szenario. Daher werden sie regelmäßig verlangen, dass ein gegen ihren Willen ausübbares Drag-Along-Recht erst ab einer bestimmten Erlösschwelle („Floor″) eingreift. Ein solcher Floor ist aber wiederum meistens für die Investoren nicht akzeptabel, weil dies das Drag-Along-Recht zu stark einschränken würde. Am Ende wird es auf die konkrete Verhandlungssituation ankommen, welche Lösung gefunden wird.

Auslöser einer Liquidationspräferenz: Nur Exit oder auch Dividenden?

Kurioser Weise passt die in der Praxis regelmäßig verwendete Bezeichnung „Liquidationspräferenz″ terminologisch gar nicht zu einer Präferenz, die im Exit-Fall greifen soll. Denn ein Exit wird eher selten durch einen Verkauf der Vermögensgegenstände eines Start-ups (engl. asset deal) und anschließende Liquidation herbeigeführt. Häufiger ist der Verkauf von 50% oder mehr der Anteile des Start-ups an einen strategischen Investor (engl. share deal, bei einem Mehrheitsverkauf: change of control). Trotzdem hat sich der Begriff „Liquidationspräferenz″ allgemein für alle Exit-bezogenen Präferenzen eingebürgert. Treffender ist aber eigentlich der Begriff der „Erlöspräferenz″.

Dies gilt insbesondere dann, wenn der Investor verlangt, dass nicht nur im Falle eines Mehrheitsverkaufs die Erlöse unter Berücksichtigung der Liquidationspräferenz verteilt werden, sondern auch bei sonstigen Anteilsveräußerungen, nämlich dann, wenn Investoren- und Gründeranteile gemeinsam veräußert werden. Kann der Investor diese Regelung durchsetzen, beschränkt dies faktisch ein etwaiges Mitverkaufsrecht der Gründer. Denn wenn die Erlöse aus einem gemeinsamen Verkauf von Anteilen lt. Liquidationspräferenz nur zur Befriedigung des Vorzugsbetrags des Investors ausreichen, aber keine Erlöse bei den Gründern ankommen, werden diese von ihrem Mitverkaufsrecht eher keinen Gebrauch machen wollen.

Schließlich stellt sich aus Investorensicht die Frage, ob die Liquidationspräferenz neben dem Exit-Fall nicht auch sonstige Ausschüttungen an Gesellschafter, also Dividenden, erfassen sollte. Sonst könnte ja – so die Sorge – ein erfolgreiches Start-up die Präferenz des Investors dadurch konterkarieren, dass Dividenden pro-rata an alle Gesellschafter ausgezahlt werden, aber es nie zum Exit, also nie zur Anwendung der Präferenz zugunsten des Investors kommt. Dieses Szenario dürfte allerdings eher theoretischer Natur sein: Zumindest in der Frühphase sind nur die wenigsten Start-ups zur Ausschüttung von Dividenden in der Lage; zudem wird sich der Investor regelmäßig ein Vetorecht auf Dividendenausschüttungen einräumen lassen, so dass er Missbrauch verhindern könnte. Trotzdem finden sich Regelungen zu Präferenzen auf Dividenden in vielen Gesellschaftervereinbarungen und Gesellschaftsverträgen. Wenn solche Regelungen verwendet werden, ist ihr Verhältnis zur eigentlichen (Exit-)Liquidationspräferenz genau abzustimmen. Denn eine „doppelte″ Präferenz des Investors wird im Regelfall nicht gewollt sein.

Bei mehreren Investoren gilt im Hinblick auf Liquidationspräferenzen: „Last in, first out″

Schließlich lohnt noch ein Blick auf den (Regel-)Fall von Liquidationspräferenzen, die sich überlagern. Hintergrund ist: Ein Start-up wird nach dem Einstieg des ersten Investors regelmäßig Folgeinvestitionen weiterer Investoren benötigen. Auch diese werden bei ihrem Einstieg im Rahmen weiterer Finanzierungsrunden regelmäßig zumindest eine „anrechenbare″ Liquidationspräferenz verlangen. Wie verhält sich nun diese neue Liquidationspräferenz zu den existierenden Präferenzen?

Dazu hat sich im Venture Capital eine Vertragspraxis entwickelt, die nach dem Prinzip „last in, first out″ funktioniert. Wer als letzter Investor sein Geld in das Start-up investiert hat (engl. last in), soll der erste sein, der in einem Exit seinen Vorzugsbetrag erhält (engl. first out). Letztlich reflektiert das die Verhandlungsmacht des zuletzt investierenden Investors. Da er – anders als die übrigen Investoren – bereit ist, „frisches Geld″ zu investieren, verlangt er für sich auch die bestmögliche Absicherung seiner Auszahlungserwartung.

Auch hier gilt, dass die Vertragspraxis das erläuterte Prinzip in vielfacher Weise modifiziert, wenn es die Interessen der Parteien im Einzelfall erfordern.

Fazit zur Liquidationspräferenz: Hier spielt die Musik!

Im Falle der im Markt weit verbreiteten „anrechenbaren″ Liquidationspräferenz beschränkt sich ihre Funktion im Grundsatz auf eine Absicherung des Investors gegen einen Exit unter dem Erwartungswert. Trotzdem ist hier Fokus und Genauigkeit geboten: Die Liquidationspräferenz stellt eine Abrede über die zukünftige Verteilung von Erlösen der Gesellschaft dar. Das hier festgelegte Rangverhältnis wird die spätere Interessenlage der verschiedenen Investoren und Gründer erheblich beeinflussen, je näher ein Exit kommt. Je nach Ausgestaltung der Liquidationspräferenz kann sich zudem die Bedeutung von Mitverkaufsrechten und -pflichten erheblich verändern.

Daher gilt: Wenn eine Regelung der Gesellschaftervereinbarung zwischen Investoren und Gründern die Aufmerksamkeit aller Beteiligten in besonderer Weise fordert, dann ist es die Liquidationspräferenz.

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