20. Februar 2019
Auftragswert Planungsleistung
Vergaberecht

Showdown bei der Vergabe von Planungsleistungen

EU-Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen europarechtswidriger Ermittlung des Auftragswerts bei Planungsleistungen ein.

Die EU-Kommission hat gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren wegen des schon lange schwelenden Streits über die Berechnung des Auftragswerts bei Planungsleistungen eingeleitet. Sie hält § 3 Abs. 7 Satz 2 Vergabeverordnung (VgV) für europarechtswidrig.

Deutschland: Verschiedene Leistungsbilder der HOAI sind keine gleichartigen Leistungen – Addition aller Planungsleistungen bei einem Bauwerk ist nicht erforderlich

Hintergrund des Vorwurfs ist Folgender:

Dienstleistungsaufträge müssen bei Erreichen eines bestimmten Schwellenwerts (derzeit: EUR 221.000 für öffentliche Auftraggeber) europaweit ausgeschrieben werden. § 5 Abs. 8 und § 3 Abs. 7 Satz 1 VgV bestimmen, dass bei Dienstleistungen, die in mehreren Losen vergeben werden, für die Schätzung des Auftragswerts alle Lose zugrunde zu legen sind. § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV legt fest, dass dies bei Planungsleistungen nur für Lose über gleichartige Leistungen gilt.

Grund für diese Einschränkung ist, dass die Vergabepraxis in Deutschland davon ausgeht, dass es sich bei den verschiedenen Leistungsbildern der HOAI nicht um gleichartige Leistungen handele und diese daher bei der Berechnung des Auftragswerts der für ein Bauwerk benötigten Planungsleistungen nicht zu addieren seien. Diese Praxis führt selbstverständlich dazu, dass weitaus weniger Planungsleistungen europaweit ausgeschrieben werden müssen als dies bei einer Addition der Auftragswerte der Fall wäre.

EU-Kommission: Addition aller Planungsleistungen bei einem Bauwerk sehr wohl erforderlich

Der EU-Kommission ist die deutsche Praxis schon seit langem ein Dorn im Auge. Sie hat in diesem Zusammenhang schon einmal eine Verurteilung Deutschlands vor dem EuGH erwirkt:

Im Urteil „Gemeinde Niedernhausen″ (v. 15. März 2012 – C-574/10) wurde festgestellt, dass die abschnittsweise Beauftragung eines Architekten für ein Bauvorhaben nur einen öffentlichen Auftrag darstellt und die verschiedenen Abschnitte bei der Auftragswertberechnung zu addieren sind. Deutschland argumentiert, dass es sich bei der Frage der Addition von Planungsabschnitten um einen anderen Fall handelt als bei der Frage der Addition verschiedener Planungsleistungen.

Ein weiteres von der EU-Kommission eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren in Sachen „Stadt Elze″, in dem die EU-Kommission die nicht erfolgte Addition verschiedener Planungsleistungen beanstandete, wurde wegen vollständiger Abwicklung der Planungsleistung eingestellt, da der Rechtsverstoß nicht mehr fortbestand. Die EU-Kommission ließ aber erkennen, dass sie trotz Einstellung dieses Verfahrens an ihrer Auffassung zur gebotenen Addition aller Planungsleistungen festhält.

Durch die erneute Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens in Deutschland will die EU-Kommission ihre Rechtsauffassung nunmehr durchsetzen.

Konsequenzen des Wegfalls von § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV

Ziel der EU-Kommission ist die Streichung oder Änderung von § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV, entweder freiwillig oder aufgrund einer Feststellung der Europarechtswidrigkeit durch den EuGH. Der Wegfall von § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV hätte erhebliche Auswirkungen auf die Vergabepraxis in Deutschland:

  • Öffentliche Auftraggeber müssten in weitaus mehr Fällen als bisher Planungsleistungen europaweit ausschreiben. In vielen Fällen würde dies auch für Projekte gelten, bei denen die Bauleistungen selbst nicht europaweit ausgeschrieben werden müssen, was in der Tat nur schwer nachvollziehbar wäre.
  • Architekten und Ingenieure sehen in der erweiterten Pflicht zur europaweiten Ausschreibung eine Bedrohung kleiner und junger Büros, für die die Beteiligung an einem europaweiten Vergabeverfahren einen zu großen Aufwand bedeutet und die häufig auch nicht die dort geforderten Eignungsnachweise vorlegen können. Zusammen mit dem gegen die HOAI gerichteten Vertragsverletzungsverfahren wird darin zum Teil ein Generalangriff auf die mittelständische Struktur der Planungsbüros in Deutschland gesehen.

Das Vertragsverletzungsverfahren wird sich voraussichtlich noch einige Jahre hinziehen. Zunächst ist die Bundesregierung aufgerufen, zur Rechtsauffassung der EU-Kommission Stellung zu nehmen. Sollte diese Stellungnahme die EU-Kommission nicht überzeugen – wonach nach dem bisherigen Verlauf der Auseinandersetzung zwischen der EU-Kommission und Deutschland auszugehen ist – würde Deutschland aufgefordert werden, § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV innerhalb einer von der EU-Kommission gesetzten Frist zu streichen oder abzuändern.

Würde Deutschland dem nicht nachkommen, kann die Kommission das Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH fortsetzen und Feststellung beantragen, dass § 3 Abs. 7 Satz 2 gegen EU-Recht verstößt. Wir werden weiter berichten!

Tags: Auftragswert Planungsleistung Vergabe Vertragsverletzungsverfahren