21. Februar 2020
AÜG Altvertrag Verstoß
Arbeitsrecht

AÜG-Reform 2017: Die Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht in der Praxis – Teil 3

Im abschließenden Beitrag legen wir das Augenmerk auf die Wirkung für Altverträge sowie mögliche Sanktionen bei Verstößen.

In den ersten beiden Beiträgen haben wir uns der Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht der AÜG-Reform 2017 gewidmet.

Geltung der Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten für Altverträge?

Die Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht gem. § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG gelten nach Auffassung der BA (FW AÜG zu § 1 Ziff. 1.1.6.7 Abs. 4, S. 20 f.) ebenfalls für sog. Altverträge. Das sind solche, die vor dem 1. April 2017 geschlossen und über dieses Datum hinaus fortgesetzt werden. Diese müssten ab Inkrafttreten der AÜG-Reform mit Wirkung zum 1. April 2017 die gesetzlichen Erfordernisse erfüllen (Böhm/Hennig/Popp, Rn. 73). Eine rückwirkende Heilung soll nicht möglich sein (dazu: Bissels, NZA 2017, 215).

Dieser Ansicht ist nicht zu folgen (so ausdrücklich: ArbG Mainz, Urteil v. 28. Juni 2018 – 3 Ca 111/18, NZA-RR 2019, 21; zustimmend: Bissels, NZA-RR 2019, 23 f.; Hamann, jurisPR-ArbR 9/2019 Anm. 2; a.A. Kock/Motz, AIP 6/2018, 6; Scharff, BB 2018, 1143; Thüsing/Mengel, § 9 AÜG Rn. 26a). Der BA ist zwar zuzugeben, dass ein Überlassungsvorgang, der sich über einen längeren Zeitraum von mehreren Tagen, Wochen oder Monaten erstrecken kann, an sich als ein sich „fortsetzender Vorgang“ zu bezeichnen ist. Darauf stellt das Gesetz mit Blick auf den Zeitpunkt der vorzunehmenden Offenlegung und Konkretisierung aber nicht ab.

Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes und der Gesetzesbegründung, dass es auf den Beginn der Überlassung und damit den erstmaligen Einsatz des Zeitarbeitnehmers* bei dem Kunden ankommt. Besonders plastisch ergibt sich dies aus der Formulierung der Festhaltenserklärung in § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG, die „bis zum Ablauf eines Monats nach dem zwischen Personaldienstleister und Kunden für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt“ vom Zeitarbeitnehmer abgegeben worden sein muss. Dabei kann es ersichtlich aber nur auf den Zeitpunkt der erstmaligen Überlassung ankommen.

Gesetzesbegründung spricht gegen Rückwirkung

Auch die Gesetzesbegründung formuliert in diesem Sinne, dass „der Verleiher die Namen der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer vor Beginn der Überlassung unter Bezugnahme auf den Überlassungsvertrag zu konkretisieren hat“ (vgl. BT-Drucks. 18/9232, 17). Richtigerweise lehnt das ArbG Mainz – unter Berücksichtigung der Übergangsvorschrift in § 19 Abs. 2 AÜG – eine rückwirkende Erstreckung von § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG auf Altverträge ab (ArbG Mainz, Urteil v. 28. Juni 2018 – 3 Ca 111/18, NZA-RR 2019, 21; zustimmend: Bissels, NZA-RR 2019, 23 f.).

Eine solche ist gesetzlich schlichtweg nicht vorgesehen und wäre im Zweifel verfassungsrechtlich bedenklich (in diesem Sinne schon: Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 1 AÜG Rn. 294; a.A. Scharff, BB 2018, 1143; BT-Drucks. 19/11667, 6: zulässige unechte Rückwirkung). Eine Geltung von § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG kommt daher frühestens ab dem 1. April 2017 in Betracht, jedoch nur für ab diesem Zeitpunkt neu abgeschlossene Verträge.

Rechtsfolgen bei einem Verstoß

Der zwischen dem Personaldienstleister und dem Zeitarbeitnehmer geschlossene Arbeitsvertrag ist – trotz bestehender Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis – unwirksam, wenn die Arbeitnehmerüberlassung nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Zeitarbeitnehmers nicht konkretisiert worden ist (§ 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG).

Der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zwischen Personaldienstleister und Kunden bleibt wirksam. Es wird zudem ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kunden und dem Zeitarbeitnehmer nach § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG fingiert (zur Möglichkeit des Zeitarbeitnehmers eine sog. Festhaltenserklärung abzugeben, die zu einem „Rückfall“ des Arbeitsverhältnisses an den Personaldienstleister führt: Henssler/Grau/Bissels, Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträgen, 2017, § 5 Rn. 216 ff.).

Dies gilt unabhängig von der Kenntnis der Beteiligten und ihrem Willen (Thüsing/Mengel, § 10 AÜG Rn. 12). Auf einen „Schuldvorwurf“ kommt es nicht an. Der Zeitarbeitnehmer kann allerdings durch die Abgabe einer sog. Festhaltenserklärung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 und 3 AÜG) bewirken, dass sein Arbeitsverhältnis mit Rückwirkung „an den Personaldienstleister zurückfällt“.

Fiktion eines Arbeitsverhältnisses nur bei kumulativem Verstoß

Die Formulierung von § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG ist durch die „Und“-Verknüpfung zwischen der Offenlegungs- und der Konkretisierungspflicht so zu verstehen, dass sowohl § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG als auch § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG verletzt sein müssen, um auf der Rechtsfolgenseite die Unwirksamkeit des zwischen dem Personaldienstleister und dem Zeitarbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrags auszulösen (ausführlich dazu: Bissels, NZA 2017, 214 ff.; Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 1 AÜG Rn. 284, § 9 AÜG Rn. 31; Greiner, NZA 2018, 749 f.; Schiefer/Köster/Borchard/Korte, DB 2017, 549; Kainer/Schweipert, NZA 2017, 17; a.A. Schüren/Pütz, NZA 2017, 483; Ulrici, § 9 AÜG Rn. 67: „Redaktionsversehen“; Kössel/Stütze, DB 2017, 3073; Lembke, NZA 2018, 396; Ulber, § 9 AÜG Rn. 60; Henssler, RdA 2017, 89; Gaul/Hahne, BB 2016, 59 („und/oder“); Sprenger, ZTR 2016, 558; unklar: Hamann, jurisPR-ArbR 6/2017 Anm. 2).

Ansonsten hätte der Gesetzgeber dies durch eine „Oder“-Verbindung der beiden Verpflichtungen eindeutig(-er) formulieren können und auch müssen. Die Missachtung der Offenlegungs- oder der Konkretisierungspflicht ist dafür nicht ausreichend. Bestätigt wird dieser Befund durch die Gesetzesbegründung, in der immer kumulativ an die Verletzung von § 1 Abs. 1 S. 5 und S. 6 AÜG angeknüpft wird (vgl. BT-Drucks. 18/9232, 25). Dies bedeutet, dass die Verletzung nur der Offenlegungspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG bei gleichzeitiger Erfüllung der Konkretisierungspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG genauso wenig wie der umgekehrte Fall hinreichend ist, um die Unwirksamkeit des zwischen dem Personaldienstleister und dem Zeitarbeitnehmer bestehenden Arbeitsvertrags zu begründen (ausführlich dazu: Bissels, NZA 2017, 214 ff.; Bissels, DB 2017, 248; Bissels/Falter, ArbR 2017, 34 f.; Henssler/Grau/Bissels, Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträgen, 2017, § 5 Rn. 215; Kainer/Schweipert, NZA 2017, 17; Lembke, NZA 2017, 9).

Regelmäßig werden beide Pflichten in der Praxis verletzt werden

In der Praxis werden die beiden Pflichtverstöße allerdings regelmäßig parallel erfüllt sein: Wenn die Parteien übereinstimmend davon ausgehen, einen Werk-/Dienstvertrag abzuschließen und durchzuführen, besteht keine Notwendigkeit eine Arbeitnehmerüberlassung offenzulegen (eine solche ist gerade nicht gewollt) oder die überlassenen Arbeitnehmer vor dem Einsatz zu konkretisieren. Zu einem Auseinanderfallen kann es aber kommen, wenn die Parteien tatsächlich ausdrücklich eine Arbeitnehmerüberlassung in einem Rahmenvertrag vereinbart und dies dort gem. § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG (schriftlich) offengelegt haben, es aber versäumt wird, insbesondere nach einem kurzfristigen krankheitsbedingten Ausfall eines überlassenen (und im Vorfeld konkretisierten) Zeitarbeitnehmers, die von dem Kunden angefragte und vom Personaldienstleister zur Verfügung gestellte Ersatzkraft rechtzeitig i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG zu bezeichnen.

In diesem Fall ist nach der gesetzlichen Systematik der zwischen dem Personaldienstleister und dem Zeitarbeitnehmer geschlossene Arbeitsvertrag nicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG unwirksam. Ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Zeitarbeitnehmer und dem Kunden wird nicht fingiert (vgl. Bissels, NZA 2017, 214 ff.; Bissels, DB 2017, 248; Bissels/Falter, ArbR 2017, 34 f.; Lembke, NZA 2017, 9). Der singulare Pflichtverstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 5 oder S. 6 AÜG wird daher auf arbeitsrechtlicher Ebene nicht entsprechend sanktioniert.

Selbst wenn eine solche Pflichtverletzung grundsätzlich als ausreichend angesehen werden sollte, um die Rechtsfolgen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a, § 10 Abs. 1 AÜG auszulösen, ist unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks davon auszugehen, dass der entsprechenden Pflicht in Gänze nicht entsprochen werden muss. Das heißt, es erfolgt schlichtweg keine Offenlegung der Arbeitnehmerüberlassung oder keine Konkretisierung des eingesetzten Zeitarbeitnehmers.

Wird die Pflicht dem Grunde nach erfüllt, dabei aber nicht die (vermeintlich) erforderliche Form eingehalten, haben die Parteien den Normbefehl verstanden und beabsichtigten, diesen zu befolgen. Mit der Neuregelung in § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG sollen nach dem Willen des Gesetzgebers missbräuchliche Gestaltungen des Fremdpersonaleinsatzes in Form der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung vermieden werden (BT-Drucks. 18/9232, 19).

Die Parteien, die die Offenlegungs- und/oder Konkretisierungspflicht lediglich nicht formgerecht erfüllt haben, haben sich aber ausdrücklich zur Arbeitnehmerüberlassung bekannt. Ein missbräuchlicher Fremdpersonaleinsatz in Form eines Scheinwerk-/Scheindienstvertrags war gerade nicht vorgesehen (so auch: Henssler, RdA 2017, 88).

Verstöße können Ordnungswidrigkeit darstellen

Zudem können der vermeintliche Werkunternehmer/Dienstleister und tatsächliche Verleiher sowie der vermeintliche Werkbesteller/Auftraggeber und tatsächliche Entleiher bei einem Verstoß gegen die Offenlegungspflicht jeweils mit einem Bußgeld von bis zu EUR 30.000,00 belegt werden (§ 16 Abs. 1 Nr. 1c, Abs. 2 AÜG).

Da sich die Konkretisierungspflicht gem. § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG nur an den Personaldienstleister richtet, kann auch nur dieser, nicht hingegen der Kunde, gegen diese verstoßen und Adressat der Ordnungswidrigkeit gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1d, Abs. 2 AÜG sein (Bußgeldrahmen bis zu EUR 30.000,00, vgl. Schüren/Hamann/Hamann, § 1 AÜG Rn. 423; a.A. h.M.: Thüsing/Kudlich, § 16 AÜG Rn. 16d; Ulrici, § 16 AÜG Rn. 30; Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 16 AÜG Rn. 22.; so auch noch: Bissels, DB 2017, 251).

Erlaubnisrechtliche Schritte gegen den Personaldienstleister

Durch den Verstoß gegen die Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht riskiert der Personaldienstleister ergänzend erlaubnisrechtliche Schritte, die bis zum Widerruf bzw. Ablehnung der Verlängerung der diesem erteilten Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis reichen können (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, §§ 4, 5 AÜG).

Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrates des Kunden

Ob der im Entleiherbetrieb gewählte Betriebsrat aufgrund eines Verstoßes gegen die Pflichten nach § 1 Abs. 1 S. 5 oder S. 6 AÜG berechtigt ist, dem Einsatz von Fremdpersonal zu widersprechen, wenn – statt eines „echten“ Werk-/Dienstvertrages – eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung durchgeführt wird, ist bislang von der Rechtsprechung nicht geklärt. Dies dürfte nicht der Fall sein, da § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG keine Verbotsnorm gem. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG darstellen dürfte. Durch die betreffenden Regelungen soll im Sinne einer „Absperrtechnik“ nicht verhindert werden, dass bestimmte Arbeitnehmer überhaupt in den Betrieb aufgenommen werden (so auch: Bissels, DB 2017, 249, 251; Greiner, NZA 2018, 750; offenlassend: Thüsing/Waas, § 1 AÜG Rn. 124; a.A. Lembke, NZA 2017, 9; Ulrici, § 14 AÜG Rn. 51).

Belange der Stammmitarbeiter, die bei einem Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG zur Zustimmungsverweigerung des Betriebsrates beeinträchtigt sein könnten, sind nicht betroffen (Greiner, NZA 2018, 750). Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass die Rechtsprechung einen Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 5 oder S. 6 AÜG als hinreichend ansieht, um eine Zustimmungsverweigerung des bestehenden Betriebsrates bzw. ein Verfahren nach § 101 BetrVG zu rechtfertigen. Grund dafür ist zum einen, dass das BAG ein Zustimmungsverweigerungsrecht des im Entleiherbetrieb bestehenden Betriebsrates bei einem Verstoß gegen den nicht mehr nur vorübergehenden Einsatz eines Zeitarbeitnehmers (§ 1 Abs. 1 S. 2 AÜG a.F.) anerkannt hat. Zum anderen soll das AÜG nach Ansicht des BAG als gewerbliches Erlaubnisrecht eine rechtswidrige Beschäftigung selbiger untersagen (vgl. BAG, Beschl. v. 30. September 2014 – 1 ABR 79/12, NZA 2015, 240),

Fazit zu Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten der AÜG-Reform 2017

Die neu in das AÜG aufgenommenen Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten stellen in vielerlei Hinsicht noch ein arbeitsrechtliches „Mysterium“ dar (dazu: Lembke, NZA 2017, 8 f.). Insbesondere ist nach wie vor nicht abschließend geklärt, ob und in welchen Fällen eine namentliche Konkretisierung des Zeitarbeitnehmers in Textform oder gar formfrei möglich ist. Offen ist auch, ob eine formunwirksame Konkretisierung die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses auszulösen vermag und ob dazu die kumulative Verletzung von Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht erforderlich ist oder ob bereits der singulare Pflichtenverstoß ausreicht.

Mit dieser Rechtsunsicherheit wird die Praxis bedauerlicherweise bis zu einer (höchstrichterlichen) Klärung durch die Rechtsprechung leben müssen. Die Bundesregierung hat in diesem Zusammenhang erklärt, dass eine (klarstellende) Anpassung von § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG hinsichtlich der einzuhaltenden Form nicht geplant ist (BT-Drucks. 19/11667, 5). Vielmehr werde – so die Bundesregierung – die in § 20 AÜG vorgesehene Evaluierung angestoßen, die sich mit den Auswirkungen der AÜG-Reform 2017 befasst. Die Ergebnisse dazu werden erst im Jahr 2021 vorliegen. Je nach „politischer Couleur“ mögen dann die Erkenntnisse der Evaluierung dergestalt interpretiert werden, das Recht der Arbeitnehmerüberlassung einschließlich der erst im Jahr 2017 neu in das Gesetz eingefügten Pflichten gem. § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG wieder zu deregulieren oder umgekehrt gesetzlich weiter zu beschränken.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Altvertrag Arbeitnehmerüberlassung AÜG Reform Sanktion Verstoß