31. Januar 2020
AÜG Offenlegungspflicht Konkretisierungspflicht
Arbeitsrecht

AÜG-Reform 2017: Die Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht in der Praxis – Teil 1

Im Rahmen der AÜG-Reform 2017 wurde eine Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht geschaffen. Die rechtlichen Grundlagen werden in einer dreiteiligen Blogreihe dargestellt.

Das AÜG ist mit Wirkung zum 1. April 2017 reformiert worden. Die Arbeitnehmerüberlassung soll nach dem gesetzgeberischen Willen auf ihre Kernfunktion beschränkt und Scheinwerk-/Dienstverträge in ihrer Erscheinung als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vermieden werden. Zur Erreichung dieser Zielsetzung wurden zum einen eine gesetzliche Überlassungshöchstdauer von grundsätzlich 18 Monaten eingeführt (dazu: Bissels/Falter, MDR 2019, 198 ff.). Zum anderen wurde die Möglichkeit, vom Gleichstellungsgrundsatz hinsichtlich des Entgelts (sog. equal pay) abzuweichen, beschränkt (dazu: Bissels/Falter, MDR 2019, 641 ff.).

In dieser kurzen Beitragsreihe werden die rechtlichen Grundlagen des dritten Kernelements der AÜG-Reform 2017, nämlich der Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht, und die für die Praxis maßgeblichen Fragen, dargestellt. Dies betrifft insbesondere die einzuhaltende Form bei der Konkretisierung der zu überlassenden Zeitarbeitnehmer. In diesem ersten Beitrag soll zunächst das Augenmerk auf den genauen Gesetzeszweck sowie die Anforderungen an die Offenlegung gelegt werden.

Der Gesetzeszweck der AÜG-Reform 2017

Mit Wirkung zum 1. April 2017 wurden in § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG weitere formale Pflichten in Zusammenhang mit dem Abschluss des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags und dem Einsatz eines Zeitarbeitnehmers* begründet. Danach haben Personaldienstleister und Kunde die Überlassung von Zeitarbeitnehmern in ihrem Vertrag ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen, bevor sie den Zeitarbeitnehmer einsetzen oder tätig werden lassen. Vor der Überlassung haben sie die Person des Zeitarbeitnehmers zudem unter Bezugnahme auf diesen Vertrag (namentlich) zu konkretisieren.

Mit der Neuregelung in § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG sollen laut Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 18/9232, 14 f., 19) missbräuchliche Gestaltungen des Fremdpersonaleinsatzes in Form der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung vermieden werden. In der Vergangenheit sind Fälle aufgetreten, bei denen Arbeitnehmer im Rahmen eines bloß formal als Werk-/Dienstvertrag bezeichneten Vertrags an einen Dritten überlassen worden sind. Gleichzeitig hat der vermeintliche Werkunternehmer/Dienstleister eine Verleiherlaubnis vorrätig gehalten.

Die „Fallschirmlösung“ möchte der Gesetzgeber nicht mehr zulassen

Wurde deutlich, dass der vermeintliche Werk-/Dienstvertrag tatsächlich als Arbeitnehmerüberlassung zwischen den Parteien gelebt wurde, weil der Auftraggeber arbeitgeberseitige Weisungsrechte gegenüber den eingesetzten Arbeitnehmern ausübte, konnte der vermeintliche Werkunternehmer/Dienstleister die auf Vorrat gehaltene Verleiherlaubnis vorlegen. So wurde das Eingreifen der im AÜG vorgesehenen Rechtsfolgen einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung, insbesondere die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses (vgl. BAG, Urteil v. 12. Juli 2016 – 9 AZR 352/15, BB 2016, 2686; Bissels/Falter, DB 2015, 1842; Bissels, jurisPR-ArbR 32/2015 Anm. 2; Hamann, jurisPR-ArbR 14/2015 Anm. 1; a.A. LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 3. Dezember 2014 – 4 Sa 41/14, NZA-RR 2015, 177), verhindert (sog. Fallschirmlösung).

Der vermeintliche Werkunternehmer/Dienstleister und sein Auftraggeber sollen durch die Änderung des AÜG zukünftig auch bei Vorlage einer Verleiherlaubnis nicht bessergestellt sein als derjenige, der ohne die erforderliche Erlaubnis Arbeitnehmerüberlassung betreibt. Eine solche soll deshalb nach der Neuregelung gem. § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG zwingend offengelegt erfolgen und die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung sanktioniert werden (so ausdrücklich: BT-Drucks. 18/9232, 19 f.).

Die Anforderungen an die Offenlegung (§ 1 Abs. 1 S. 5 AÜG)

Der Offenlegungspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG wird Genüge getan, wenn die Vereinbarung zwischen Personaldienstleister und Kunde ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag abgeschlossen wird. Alternativ muss sich die Bezeichnung „Arbeitnehmerüberlassung“ (nicht: Personalgestellungs-, Kooperations- oder Dienstleistungsvertrag, vgl. BT-Drucks. 19/11667, 4; Bissels, DB 2017, 246) in dem Vertrag wiederfinden und sich auch im Übrigen aus den Regelungen und deren Gesamtzusammenhang ergeben, dass eine solche betrieben werden soll (Bissels, DB 2017, 247; Ulrici, § 1 AÜG Rn. 131; enger: Schüren/Hamann/Hamann, § 1 AÜG Rn. 405: Es ist nicht ausreichend, wenn sich die Arbeitnehmerüberlassung erst mittelbar aus den vereinbarten Vertragspflichten ergibt).

Dies gilt jedenfalls, wenn sich die Parteien im Vertragstext nicht sprachlich von der Durchführung einer Arbeitnehmerüberlassung distanzieren (so: Ulrici, AÜG, § 1 Rn. 131).

Die Beachtung der Schriftform ist Pflicht

Dabei ist die Schriftform nach § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG zu beachten (Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 1 AÜG Rn. 279; Bissels, DB 2017, 247; Henssler/Grau/Bissels, Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträge, 2017, § 5 Rn. 200; Ulrici, § 1 AÜG Rn. 131; Greiner, NZA 2018, 746; Henssler, RdA 2017, 88; Thüsing/Mengel, § 9 AÜG Rn. 26a; a.A. Traut/Pötters, DB 2017, 846 f.). Systematisch hätte der Gesetzgeber die Offenlegungspflicht daher nicht in § 1 AÜG, sondern in § 12 Abs. 1 AÜG verorten sollen (vgl. Lembke, NZA 2018, 396). Erforderlich ist, dass der Vertrag wechselseitig von den Parteien unterzeichnet wird oder bei mehreren gleichlautenden Urkunden jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterschreibt oder die elektronische Form gewahrt wird.

Wesentlich ist dabei, dass die entsprechende schriftliche Offenlegung vor der Überlassung durch den Personaldienstleister bzw. vor dem tatsächlichen Einsatz der überlassenen Zeitarbeitnehmer bei dem Kunden erfolgen muss. Es ist also nicht ausreichend, dass der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nach Beginn des Einsatzes von beiden oder auch nur von einer Partei – ggf. rückdatiert – unterzeichnet wird (vgl. Bissels, DB 2017, 247). Vielmehr muss der Vertrag durch die Wahrung der Schriftform formwirksam geschlossen worden sein, bevor die Überlassung faktisch beginnt (Bissels, DB 2017, 247; Ulrici, § 1 AÜG Rn. 131; Müller, FA 2018, 359).

Dabei ist es noch hinreichend, wenn die Parteien zumindest eine juristische Sekunde vor der Aufnahme der Tätigkeit des Zeitarbeitnehmers den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag abschließen (vgl. Ulrici, § 1 AÜG Rn. 132). Dies bedeutet aber auch, dass der Vertrag nicht nur von den Beteiligten unterzeichnet worden sein muss, sondern dass die unterschriebene Vereinbarung der jeweils anderen Partei zugegangen ist. Für den Zugang gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen (§§ 130 ff. BGB). § 151 S. 1 BGB findet ebenfalls Anwendung.

Festlegung des Vertragstypus bei sog. Mischunternehmen

Die formale Anforderung der Offenlegung dürfte in der Praxis bei reinen Zeitarbeitsunternehmen selbst ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung in der Regel bereits erfüllt sein. Schwieriger gestaltet sich die Situation hingegen bei sog. Mischunternehmen, die Fremdpersonal sowohl im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung als auch im Rahmen von Werk- oder Dienstverträgen einsetzen. Gleiches gilt für Unternehmen, die ausschließlich auf Grundlage von Werk- oder Dienstverträgen mit einer gewissen Nähe zur Arbeitnehmerüberlassung tätig sind.

Die beteiligten Parteien müssen im Vorhinein den gewählten Vertragstypus festlegen und sich – sofern diese eine Arbeitnehmerüberlassung betreiben wollen – dazu durch eine entsprechende Gestaltung des Vertrags ausdrücklich bekennen. Dies kann gerade im Grenzbereich, in dem nicht hinreichend klar abgrenzbar ist, ob noch ein Werk-/Dienstvertrag oder schon eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, mit gewissen (Prognose-)Risiken verbunden sein. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der immer nur den Einzelfall betrachtenden und inzwischen höchst unübersichtlichen Rechtsprechung.

Vorherige Festlegung ist notwendig – externe Unterstützung kann hier helfen

Die Parteien müssen sich deutlich in dem zu schließenden Vertrag auf eine Arbeitnehmerüberlassung festlegen, wenn und soweit sie die mit einem Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG verbundenen Rechtsfolgen vermeiden möchten. Die Beteiligten können sich zukünftig nicht mehr auf die legitimierende Wirkung einer Vorratserlaubnis nach § 1 AÜG verlassen, indem sich diese für den gesetzlich weniger reglementierten Werk-/Dienstvertrag entscheiden, selbst wenn sich dieser im Nachhinein als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung darstellen sollte.

Im Zweifel ist eine vertiefte Prüfung der bekannten Einsatzumstände – auch durch externe Unterstützung – erforderlich, um eine belastbare Entscheidung treffen zu können, welcher Vertragstyp der gesetzlich vorgesehene für den geplanten Einsatz ist.

Risiken treffen auch denjenigen, der ohne Verschulden falsch einordnet

Kritisch ist anzumerken, dass der Gesetzgeber die im Einzelfall äußerst schwierige Prüfung, ob eine Arbeitnehmerüberlassung oder ein Werk-/Dienstvertrag vorliegt, und die damit verbundenen Risiken seit dem 1. April 2017 nicht mehr nur demjenigen aufbürdet, der rechtsmissbräuchlich handelt, sondern ebenso demjenigen, der den Vertrag nicht vorwerfbar objektiv fehlerhaft einordnet (so zu Recht: Seel, öAT 2016, 26).

Vor diesem Hintergrund verdient ein Vorschlag von Greiner Zustimmung, nach dem sich die Parteien weiterhin auf die legitimierende Wirkung einer (vorsorglichen) Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis berufen können, wenn diese nicht rechtsmissbräuchlich handeln, indem die Parteien vorsätzlich eine objektiv nicht bestehende Rechtslage vorspiegeln oder durch eine Bezeichnung „ins Blaue“ hinein eine nicht bestehende Sicherheit suggerieren, sondern bestehende „Klassifikationszweifel“ von vornherein in dem geschlossenen Werk-/Dienstvertrag offenlegen (vgl. Greiner, NZA 2018, 747 ff., der aber selbst gleichermaßen auf die bestehenden Risiken eines solchen Vorgehens hinweist).

In der Praxis kann zudem erwogen werden, dass in dem zwischen den Parteien zu schließenden Vertrag vorsorglich eine Offenlegung einer etwaigen Arbeitnehmerüberlassung erfolgt. Diese schließen einen „echten“ Werk-/Dienstvertrag, da sie nach einer entsprechenden Prüfung der Ansicht sind, dass die rechtlichen Anforderungen an einen solchen erfüllt sind. Daneben erklären die Parteien aber vorsorglich für den Fall, dass sich diese hinsichtlich der vertragsrechtlichen Einordnung des Einsatzes irren sollten und tatsächlich eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, dass eine solche betrieben wird (in eine ähnliche Richtung geht auch Greiner, NZA 2018, 747 ff.; a.A. Schüren/Hamann/Hamann, § 1 AÜG Rn. 406).

Im nächsten Beitrag zur „Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht der AÜG-Reform 2017 in der Praxis″ wird die Anforderung an die Konkretisierung nach § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG im Detail analysiert.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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