27. September 2021
Gemeinschaftsbetrieb Arbeitnehmerüberlassung
Arbeitsrecht

Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs als Gestaltungsmittel zum Ausschluss einer Arbeitnehmerüberlassung

Ein unternehmensübergreifender (dauerhafter) Personaleinsatz kann über einen Gemeinschaftsbetrieb abgebildet werden, ohne dass die Voraussetzungen einer Arbeitnehmerüberlassung vorliegen. Der Gemeinschaftsbetrieb kann sich daher als Gestaltungsmittel anbieten, um die Anwendung des AÜG auszuschließen.

In der Praxis stellt sich verstärkt die Frage, wie die Arbeitnehmerüberlassung* von einem im Rahmen eines unternehmensübergreifenden, aber gesetzlich nicht nach Maßgabe des AÜG regulierten Personaleinsatzes in einem Gemeinschaftsbetrieb abgegrenzt oder wie dieser (bewusst) genutzt werden kann, um eine Arbeitnehmerüberlassung zu vermeiden; dies gilt gerade in Konstellationen, in denen ein längerfristiger oder gar dauerhafter Arbeitskräftebedarf besteht.

Arbeitnehmerüberlassung und Gemeinschaftsbetrieb schließen sich gegenseitig aus

Maßgebliches Unterscheidungskriterium ist insoweit der – im Gegensatz zur Arbeitnehmerüberlassung – bei einem Gemeinschaftsbetrieb bestehende gemeinsame Betriebszweck.

Anders als im Fall der Arbeitnehmerüberlassung unterliegt der Arbeitnehmer im Gemeinschaftsbetrieb nicht dem Weisungsrecht eines anderen Arbeitgebers. Das Weisungsrecht wird vielmehr vom einheitlichen Leitungsapparat der am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen ausgeübt. Dass eine Arbeitnehmerüberlassung und ein Gemeinschaftsbetrieb sich gegenseitig ausschließen, haben in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Instanzgerichte unter Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des BAG – auch in Konzernstrukturen – immer wieder bestätigt (vgl. LAG Köln, Urteil v. 24. Februar 2021 – 5 Sa 820/20; LAG Bremen, Urteil v. 6. Mai 2020 – 3 Sa 47/19). 

(Ehemalige) Verleiher und Entleiher bilden einen Gemeinschaftsbetrieb 

In diese Rechtsprechung reiht sich auch das Hess. LAG (Urteil v. 15. Januar 2021 – 3 Sa 1115/19) ein. 

Der Kläger des Verfahrens war zumindest bis zum 30. Juni 2017 als Zeitarbeitnehmer eingesetzt worden. Mit Schreiben vom 27. Juni 2017 wurde er darüber informiert, dass zwischen dem (vormaligen) Verleiher und dem (vormaligen) Entleiher sowie einem weiteren Unternehmen ein Gemeinschaftsbetrieb gebildet wurde. Der Kläger begehrt mit seiner Klage u.a. die Feststellung, dass wegen der Überschreitung der Überlassungshöchstdauer seit dem 1. Oktober 2018 ein Arbeitsverhältnis mit dem (vermeintlichen) „Entleiher″ besteht.

Die Klage hatte vor dem ArbG Frankfurt a.M. keinen Erfolg. Die Berufung wurde von dem Hess. LAG zurückgewiesen. Zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) als dem vormaligen Entleiher sei nicht kraft gesetzlicher Fiktion gem. § 10 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 9 Nr. 1b AÜG wegen Überschreitung der Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b AÜG ein Arbeitsverhältnis begründet worden, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Arbeitnehmerüberlassung nicht erfüllt seien.

Das Gericht bestätigt zunächst die ganz herrschende Auffassung, dass sich eine Arbeitnehmerüberlassung und ein gemeinsamer Betrieb gegenseitig ausschließen. In dem Leitsatz der o.g. Entscheidung wird die „wesentliche Erkenntnis″ nochmals sehr plastisch zusammengefasst. Dort heißt es:

Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. AÜG liegt nicht vor, wenn Arbeitnehmer von ihrem Vertragsarbeitgeber in einen Gemeinschaftsbetrieb entsendet werden, zu dessen gemeinsamer Führung sich der Vertragsarbeitgeber und der Dritte rechtlich verbunden haben. In einem solchen Fall begründen auch ein fachliches Weisungsreicht des Dritten und die Zusammenarbeit des Arbeitnehmers mit dessen Arbeitnehmern keine Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. AÜG, weil der Vertragsarbeitgeber mit dem drittbezogenen Personaleinsatz (auch) eigene Betriebszwecke verfolgt.

Der entschiedene Fall belegt eindrucksvoll, dass durch eine entsprechende (Um-)Gestaltung der Zusammenarbeit der Unternehmen und der Prozesse eine vormals praktizierte Arbeitnehmerüberlassung in einen Gemeinschaftsbetrieb abgeändert bzw. „überführt″ werden kann.

Personaldienstleister kann ausschließlich Personal in den Gemeinschaftsbetrieb einbringen

Interessant ist die Entscheidung des Hess. LAG auch vor dem Hintergrund, dass eines der am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen ganz überwiegend Personal, jedoch nur in einem begrenzten Umfang sachliche Betriebsmittel einbringt. Hierzu wird in der Literatur darauf verwiesen, dass der Begriff des Gemeinschaftsbetriebs nicht festlege, in welchem Umfang und ob überhaupt von beiden Unternehmen jeweils ein Teil der Betriebsmittel eingebracht werden müsse. Ausreichend sei die gemeinsame Nutzung von Betriebsmitteln zur Verfolgung der arbeitstechnischen Zwecke. Aus diesem Grund solle ein Gemeinschaftsbetrieb selbst unter Beteiligung einer reinen Personalführungsgesellschaft entstehen können. Für dessen Bildung reiche es folglich aus, wenn sich der Beitrag eines am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmens darin erschöpfe, in diesen eigenes Personal einzubringen (vgl. Panzer-Heemeier/Schwipper, DB 2017, 1584; in diese Richtung auch: Hamann, jurisPR-ArbR 35/2017 Anm. 1; einschränkend hingegen: Groeger, ArbRB 2017, 218).

Entscheidende Voraussetzung für einen Gemeinschaftsbetrieb ist richtigerweise nicht, dass von einem Unternehmen u.a. Sachmittel bereit zu stellen sind; notwendig ist lediglich, dass der Personaleinsatz unternehmensübergreifend von einem institutionell eingerichteten einheitlichen Leitungsapparat im Sinne der gemeinsamen Zweckerreichung im Gemeinschaftsbetrieb gesteuert wird. Dieser Grundsatz wird von dem Hess. LAG in der vorliegenden Konstellation überzeugend und richtigerweise bestätigt.

Der im Gemeinschaftsbetrieb verfolgte Betriebszweck sollte dokumentiert werden

Vor diesem Hintergrund ist es darstellbar, dass ein Personaldienstleister und ein Kunde ohne die Anwendung der Vorschriften des AÜG einen Gemeinschaftsbetrieb etablieren, in den der (ehemalige) Personaldienstleister schlichtweg Personal einbringt (vgl. Bissels/Falter, MDR 2019, 203; Panzer-Heemeier/Schwipper, DB 2018, 2931). U.a. die gesetzliche Überlassungshöchstdauer ist in diesem Fall nicht zu beachten; dies gilt auch für die zwingende Anwendung des equal-pay-Grundsatzes nach dem neunten Einsatzmonat. Dabei ist es grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich, den unter Einbindung einer Personalführungsgesellschaft zu bildenden Gemeinschaftsbetrieb zur Senkung der Personalkosten zu nutzen. Dies war in dem vom Hess. LAG entschiedenen Fall jedoch nicht der Anlass für die Bildung des Gemeinschaftsbetriebs und spielte damit keine Rolle.

Der im Gemeinschaftsbetrieb notwendigerweise über die reine Personalgestellung hinausgehende Betriebszweck sollte in der Führungsvereinbarung, im Gesellschaftervertrag und im Handelsregister – optimalerweise vor der Bildung des Gemeinschaftsbetriebs – dokumentiert werden, wie dies in dem Fall vor dem Hess. LAG auch geschehen ist. Aus der grundsätzlich schriftlich abzuschließenden Führungsvereinbarung sollte sich ergeben, dass eine gemeinsame Willensbildung in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten stattfindet. Dieser gemeinsame Wille sollte sich in einer gemeinsam genutzten Personalabteilung niederschlagen, die für sämtliche in dem Gemeinschaftsbetrieb tätigen Arbeitnehmer zuständig ist und die entsprechenden Arbeitgeberfunktionen in den wesentlichen personellen und sozialen Fragen wahrnimmt.

BAG dürfte sich zu „Leistungsbeiträgen″ der an einem Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen äußern 

Letztlich bleibt der Gemeinschaftsbetrieb damit unter Berücksichtigung der bislang veröffentlichten Entscheidungen ein probates Mittel, um eine Arbeitnehmerüberlassung und die Anwendung der damit zusammenhängenden strengen regulatorischen Bestimmungen des AÜG auszuschließen – insoweit eine rechtliche Gestaltungsform, die sich je nach Sachverhalt anbieten kann, um Arbeitnehmer längerfristig in einem Kundeneinsatz halten zu können (vgl. zu den Konsequenzen eines Gemeinschaftsbetriebs, u.a. in Zusammenhang mit betriebs- und kündigungsschutzrechtlichen Fragen, ausführlich: Lembke/Fischels, RdA 2021, 222 ff.).

Das Hess. LAG hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen die Revision zum BAG zugelassen, die inzwischen eingelegt worden ist (Az. 9 AZR 339/21). Erfurt wird vor diesem Hintergrund Gelegenheit haben, sich (erneut) mit der Abgrenzung einer Arbeitnehmerüberlassung von einem Gemeinschaftsbetrieb auseinanderzusetzen. Dabei ist zu erwarten, dass sich der 9. Senat zu den einzelnen „Leistungsbeiträgen″ der an einem Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen äußern bzw. positionieren wird.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte unserem „Infobrief Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

Tags: Arbeitnehmerüberlassung Betriebszweck Gemeinschaftsbetrieb Personal