Der Bundestag hat das Gesetz gegen Korruption im Gesundheitswesen beschlossen: Compliance-Risiko für Pharma- und Medizinprodukteunternehmen.
Am 14. April 2016 hat der Bundestag das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen verabschiedet (Plenarprotokoll 18/164), mit dem die Straftatbestände „Bestechlichkeit im Gesundheitswesen″ (§ 299a StGB) und „Bestechung im Gesundheitswesen″ (§ 299b StGB) eingeführt werden. Damit geht eine vierjährige politische und wissenschaftliche Diskussion zu Ende.
Gesetzeslücke soll geschlossen werden
Der Einführung der neuen Strafgesetze ging eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2012 (GSSt 2/11) voraus. Der Bundesgerichtshof entschied, dass niedergelassene Ärzte weder Amtsträger i.S.d. Korruptionsdelikte noch Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen i.S.v. § 299 StGB sind. Sie konnten also nach diesen Vorschriften weder als Vorteilsnehmer noch als Vorteilsgeber bestraft werden – eine Gesetzeslücke.
Inhalt des Gesetzes gegen Korruption im Gesundheitswesen
Die § 299a und § 299b StGB schließen diese Gesetzeslücke. Nach § 299a StGB macht sich strafbar,
„wer als Angehöriger eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er
- bei der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten,
- bei dem Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten, die jeweils zur unmittelbaren Anwendung durch den Heilberufsangehörigen oder einen seiner Berufshelfer bestimmt sind, oder
- bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial
einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge.″
Spiegelbildlich macht sich nach § 299b StGB strafbar, wer einer der vorgenannten Personen einen solchen Vorteil anbietet, verspricht oder gewährt. Tauglicher Täter kann damit Jedermann sein, also vor allem Mitarbeiter von Pharma- und Medizinprodukteunternehmen, die mit Angehörigen eines Heilberufs (also insbesondere mit Ärzten und Apothekern) zusammenarbeiten.
Keine Strafbarkeit bei der Verletzung berufsrechtlicher Pflichten
Im Vergleich zu früheren Gesetzesentwürfen gibt es zwei wesentliche Änderungen. § 299a Abs. 1 Nr. 2 StGB war als Auffangtatbestand konzipiert, der eine Strafbarkeit auch bei der (bloßen) Verletzung berufsrechtlicher Pflichten vorsah. Dieser ist entfallen. Diese Tatalternative war im Vorfeld erheblich kritisiert worden. Der Tatbestand galt als zu unbestimmt.
Kein Strafantrag mehr erforderlich
Die zweite wesentliche Änderung liegt in der Streichung des Strafantragserfordernisses. Der Straftatbestand ist nunmehr ein Offizialdelikt und wird von Amts wegen bereits bei Vorliegen eines Anfangsverdachts verfolgt. Ein Strafantrag ist nicht erforderlich.
Die Straftatbestände sollen einen fairen Wettbewerb im Gesundheitswesen sichern sowie das Vertrauen der Patienten in die Integrität heilberuflicher Entscheidungen sichern. Mittelbar werden die neuen Straftatbestände auch die Vermögensinteressen der Wettbewerber im Gesundheitswesen sowie der Patienten und der gesetzlichen Krankenversicherung schützen (BT-Drucks. 18/6446).
Zwischen Kooperation und Korruption – Compliance-Risiko für Pharma- und Medizinprodukteunternehmen
Die neuen Straftatbestände haben nicht nur Konsequenzen für das Verschreibungs- und Abgabeverhalten von Ärzten und Apothekern. Auch für Pharma- und Medizinprodukteunternehmen, die mit Ärzten zusammenarbeiten, stellt die Gesetzesänderung ein (weiteres) Compliance-Risiko dar. Sie werden sich künftig den üblichen Formen des Pharmamarketings mit erhöhter Aufmerksamkeit widmen müssen.
Bereits jetzt hat sich eine Vielzahl von Pharmaunternehmen einer Selbstkontrolle unterworfen. Sanktionsbewährte Verhaltenskodizes sollen den lauteren Wettbewerb sichern (z.B. „Freiwillige Selbstkontrolle der Arzneimittelindustrie e.V.″). Künftig werden sämtliche Formen der Zusammenarbeit, wie z.B. Anwendungsbeobachtungen, jedwede Form des Sponsorings sowie ärztliche Fortbildungsveranstaltungen verstärkt in den Fokus der Staatsanwaltschaften rücken.
Dabei wird sich herausstellen, wo genau die Grenze zwischen Kooperation und Korruption liegt. Diese Entwicklung dürfen Unternehmen jedoch nicht abwarten. Ihnen ist bereits jetzt dringend zu empfehlen, bestehende Verträge und Praktiken zu überprüfen, (noch) genau(er) zu dokumentieren. Und sie sollten – soweit noch nicht vorhanden – endlich Compliance-Systeme einrichten. Zwar hat der Pharmasektor im Vergleich zu anderen Branchen wesentlich häufiger Verhaltenskodizes implementiert und Compliance-Systeme eingerichtet. Insbesondere kleinere Unternehmen haben hier jedoch immer noch Nachholbedarf.
Arbeitsrechtliche Bedeutung
Compliance-Verstöße von Mitarbeitern können – unabhängig von deren strafrechtlicher Relevanz – weitreichende Haftungsrisiken für das Unternehmen nach sich ziehen. Kann dem gesetzlichen Vertreter eines Unternehmens eine Aufsichtspflichtverletzung bzw. ein Organisationsverschulden i.S.v. §§ 30, 130 Abs. 1 OWiG nachgewiesen werden, drohen dem Unternehmen Geldbußen in Millionenhöhe (§ 30 Abs. 2 OWiG), die das Unternehmen unter Umständen existentiell belasten können.
Stellt ein Unternehmen Compliance-Regeln auf, z.B. durch Implementierung von Compliance-Richtlinien, müssen diese also auch arbeitsrechtlich um- und konsequent durchgesetzt werden. Es sind die Mitarbeiter, wie zum Beispiel Pharmareferenten, die mit Ärzten zusammenarbeiten und beispielsweise ärztliche Fortbildungsveranstaltungen durchführen.
Wenn ein Arbeitnehmer Compliance-Verstöße begeht, etwa indem er Ärzten unlautere Vorteile anbietet, verspricht oder gewährt, verletzt er seine vertraglichen Pflichten. Dies kann einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen.
Effektives Compliance-System ermöglicht wirksame Sanktionierung von Verstößen
Für eine gute Compliance-Organisation muss das Unternehmen Pflichtverstöße verhindern und begangene Verstöße ahnden. Probleme für den Arbeitgeber ergeben sich aber dann, wenn es im Unternehmen an einem effektiven Compliance-System mangelt und Pflichtverstöße folgenlos bleiben. Um Compliance-Verstöße von Mitarbeitern jedoch effektiv arbeitsrechtlich sanktionieren zu können, so das BAG (Urt. v. 21.06.2012 – 2 AZR 694/11), obliegt es dem Arbeitgeber zu beweisen, dass der einzelne Arbeitnehmer Kenntnis von den jeweils gültigen Compliance-Vorgaben hatte und diese auch verstanden hat.
Schulungen und schriftlich dokumentierte Verhaltensanweisungen sind also ebenso unerlässlich wie die schriftliche Bestätigung des Arbeitnehmers, diese gelesen und verstanden zu haben.
Korrespondierend dazu müssen Arbeitgeber in regelmäßigen Abständen kontrollieren, ob ihre Compliance-Vorgaben eingehalten werden. Andernfalls ist eine arbeitsrechtliche Sanktionierung von Compliance-Verstößen schwierig, insbesondere wenn Vorgesetzte Compliance-Verstöße dulden. Daher sind auch die jeweiligen Vorgesetzten entsprechend zu schulen.
Denn nur wenn im Unternehmen ein effektives Compliance-System existiert, können Compliance-Verstöße des Arbeitnehmers wirksam sanktioniert werden.