14. Februar 2019
Entleiherhaftung Arbeitnehmerüberlassung
Arbeitsrecht

Das Damoklesschwert der Entleiherhaftung bei der Arbeitnehmerüberlassung

Nicht nur der Verleiher, sondern auch der Entleiher haftet unter Umständen für die Sozialversicherungsbeiträge, die für einen Leiharbeitnehmer abzuführen sind.

Bei der Arbeitnehmerüberlassung ist der Verleiher der Arbeitgeber der Leiharbeitnehmer. Der Entleiher steht zu ihnen in keiner vertraglichen Beziehung. Trotzdem haftet er unter Umständen für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge aus dem zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer bestehenden Arbeitsverhältnis.

Entleiher haftet für Sozialversicherungsbeiträge wie ein Bürge

Bereits seit 1971 gilt im deutschen Sozialversicherungsrecht die Bürgenhaftung des Entleihers: Zwar schuldet die Sozialversicherungsbeiträge in erster Linie der Verleiher, weil er der Arbeitgeber ist. Der Entleiher kann aber gemäß § 28e Abs. 2 SGB IV ebenfalls für diese haftbar gemacht und in Anspruch genommen werden. Diese Mithaftung des Entleihers wird Bürgenhaftung genannt, weil der Entleiher wie ein Bürge haftet.

Die Mithaftung gilt für die Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen-, Renten- und Unfallversicherung. Sie erstreckt sich sowohl auf die Arbeitnehmer- als auch für die Arbeitgeberbeiträge. Und sie besteht für den jeweiligen Überlassungszeitraum hinsichtlich aller Beschäftigten, die dem Entleiher gegen eine Vergütung zur Arbeitsleistung von dem Verleiher überlassen worden sind.

Bemessungsgrundlage der Haftung ist das Arbeitsentgelt, das der Verleiher dem Leiharbeitnehmer schuldet – einschließlich aller sozialversicherungsrechtlich relevanten Zulagen, Zuschläge etc. Bei einem monatlichen Bruttoentgelt von EUR 2.000 und einem Beitragssatz von insgesamt etwa 40 % (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge) beträgt das Haftungsrisiko des Entleihers pro Arbeitnehmer und pro Monat also EUR 800. Hier können immense Beitragsforderungen auf den Entleiher zukommen.

Für den Einzug der Beiträge zur Unfallversicherung sind die Berufsgenossenschaften zuständig. Die Beiträge für alle anderen Zweige der Sozialversicherung ziehen die Krankenkassen als zentrale Einzugsstellen ein.

Beitragsforderungen aus heiterem Himmel

Viele Entleiher werden durch solche Beitragsforderungen völlig überrascht. Manche Krankenkassen und Berufsgenossenschaften versenden ohne vorherige Ankündigung Beitragsbescheide über die ausstehenden Sozialversicherungsbeiträge, andere hören den Entleiher zu der beabsichtigten Inanspruchnahme zunächst an.

Die Erfahrung zeigt, dass viele Einzugsstellen Zahlungsfristen setzen, die noch vor der Widerspruchsfrist ablaufen. Damit zwingen sie den Entleiher zur Entrichtung der Beiträge, bevor die Zahlungspflicht durch Bescheid bestandskräftig festgestellt ist. Anträge auf eine Aussetzung der sofortigen Vollziehung haben nur Aussicht auf Erfolg, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheids bestehen oder die Beitragslast so hoch ist, dass der Entleiher durch die Zahlung in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten geriete.

Gegen den Beitragsbescheid kann Widerspruch erhoben werden, wobei die Widerspruchsverfahren oft Monate dauern. Wird die Beitragspflicht im Widerspruchsbescheid bestätigt, kann das Sozialgericht angerufen werden. Gegen dessen Urteil ist die Berufung möglich. Die Ausschöpfung des Rechtsmittelwegs kann Jahre in Anspruch nehmen. Wird im Nachhinein festgestellt, dass die Beiträge nicht geschuldet waren, muss die Einzugsstelle sie nebst jährlichen Zinsen in Höhe von 4 % zurückzahlen.

Hohe Risiken bei Insolvenz des Verleihers

Besonders hoch ist das Risiko des Entleihers, Beitragsforderungen ausgesetzt zu sein, wenn über das Vermögen des Verleihers das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Oftmals hat dieser schon Monate vor der Insolvenzeröffnung jedenfalls die Arbeitgeberbeiträge nicht mehr abgeführt. Häufig sind in der Praxis auch die Fälle, dass der Verleiher zwar noch Beiträge entrichtet hat, aber unter Zugrundelegung eines zu niedrigen Arbeitsentgelts. Dies passiert vor allem dann, wenn der Verleiher seine Arbeitnehmer „untertariflich“ entlohnt hat, etwa weil er (fälschlicherweise) davon ausging, dass durch die Anwendung eines Tarifvertrages der „equal-pay“-Grundsatz wirksam abbedungen worden sei (sog. „CGZP-Fälle„). Bezüglich der „Differenzlöhne“ haftet dann der Entleiher für die nicht vom Verleiher abgeführten Sozialversicherungsbeiträge.

Hat der Verleiher vor Insolvenzeröffnungen noch Zahlungen an die Einzugsstelle geleistet, ist bezogen auf diese Monate zwar zunächst die Beitragspflicht erfüllt worden, so dass auch der Entleiher nicht mehr haftet. Die Zahlungen, die zu einer Zeit erfolgten, in der der Verleiher bereits am wirtschaftlichen Abgrund operierte, können aber nach den Vorschriften über die Insolvenzanfechtung anfechtbar sein. Der Insolvenzverwalter kann solche Gelder von der Einzugsstelle zurückfordern. Zahlt diese sie zurück, lebt die ursprüngliche Beitragsforderung und damit auch die Mithaftung des Entleihers wieder auf.

Zwar kann die Einzugsstelle die Beitragsansprüche im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Verleihers anmelden. Dies tut sie in der Regel auch. Da die Ansprüche im Insolvenzverfahren aber nur in den seltensten Fällen in voller Höhe befriedigt werden, nimmt die Einzugsstelle im Zweifel auch den Entleiher in Anspruch. Dieser kann die Einzugsstelle nicht darauf verweisen, zunächst den Ausgang des Insolvenzverfahrens abzuwarten. Er muss die Ansprüche, soweit sie berechtigt sind, sofort in voller Höhe begleichen und dann versuchen, einen Teil aus der Insolvenzmasse erstattet zu erhalten.

Abwehr der Beitragsansprüche ist möglich

Die Erfahrung zeigt, dass eine Abwehr der gegen den Entleiher gerichteten Beitragsforderungen in vielen Fällen zumindest teilweise möglich ist. In jedem Einzelfall ist gründlich zu prüfen, ob die Ansprüche bereits verjährt sind, ob die Leiharbeitnehmer, für die die Einzugsstelle Beiträge verlangt, tatsächlich in der maßgeblichen Zeit im Betrieb des Entleihers eingesetzt waren und ob der Beitragsberechnung das zutreffende Arbeitsentgelt zugrunde gelegt wurde. Besonders aufwendig ist die Prüfung, wenn die Einzugsstelle Sozialversicherungsbeiträge auf sogenannte „Differenzlöhne“ verlangt.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Abwehr der Ansprüche ist, dass der Entleiher über die nötigen Beweismittel verfügt. Nicht nur die Rechnungen des Verleihers, sondern auch die Zeiterfassungslisten sollten über die gesetzlichen Fristen hinaus aufbewahrt werden. Sie werden benötigt, um zu prüfen, ob die jeweiligen Zeitarbeitnehmer in der fraglichen Zeit tatsächlich bei dem Entleiher tätig waren. Denn Beitragsansprüche können noch viele Jahre nach dem Einsatz der Leiharbeitnehmer geltend gemacht werden.

Haftung für Sozialversicherungsbeiträge durch Bankbürgschaft vermeiden

Daneben gibt es für Entleiher Möglichkeiten, deren Haftungsrisiko von vornherein zu begrenzen. Im Zweifel kann sich der Entleiher von dem Verleiher eine Bankbürgschaft geben lassen und von ihr Gebrauch machen, wenn Beiträge an die Einzugsstelle gezahlt werden müssen.

Eine solche Bürgschaft muss, um einen wirksamen Schutz zu bieten, verschiedene Voraussetzungen erfüllen. Sie muss unbefristet, unwiderruflich und selbstschuldnerisch sein. Sie muss vorsehen, dass das Kreditinstitut bereits auf erstes Anfordern zur Zahlung verpflichtet ist. Ferner sollte sie ausdrücklich auch für den Fall gelten, dass Beiträge infolge einer Insolvenzanfechtung entrichtet werden müssen. Schließlich darf die Bürgschaftsurkunde nicht zu früh zurückgegeben werden. Denn gerade im Fall der Insolvenzanfechtung ist noch nach vielen Jahren mit einer Beitragsforderung durch die Einzugsstelle zu rechnen.

Alternativ kann der Entleiher auch einen Teil der dem Verleiher für die Überlassung der Leiharbeitnehmer geschuldeten Vergütung zurückbehalten, um damit etwaige Haftungsansprüche wegen der Forderungen der Einzugsstellen begleichen zu können. Sowohl die Stellung einer Bürgschaft als auch der Einbehalt der Vergütung müssen zwischen Ent- und Verleiher vereinbart werden.

Zudem ist der Entleiher gut beraten, sich regelmäßig und/oder auf entsprechende Anfrage Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Einzugsstellen und der Berufsgenossenschaften vorlegen zu lassen. Eine entsprechende Vorlagepflicht des Verleihers sollte vertraglich vereinbart werden. Aus den Bescheinigungen ergibt sich zwar lediglich, dass der Verleiher die für die gemeldeten Leiharbeitnehmer entsprechend der angezeigten Entgelte anfallenden Sozialversicherungsbeiträge abgeführt hat, nicht aber, dass die Berechnung der Entgelte korrekt ist und dass die Beiträge auch zukünftig abgeführt werden. Der Entleiher kann sich durch die Vorlage der Unbedenklichkeitsbescheinigungen jedoch eine „relative Sicherheit″ verschaffen, indem er eine Geschäftsbeziehung mit einem Verleiher nicht eingeht oder kurzfristig beendet, wenn er aus den vorgelegten Unterlagen ableiten kann, dass der Verleiher in der Vergangenheit Beiträge nicht, nicht regelmäßig oder nicht ordnungsgemäß abgeführt hat.

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