In der Zeitarbeitsbranche ist gegenwärtig die Aufregung groß: Das BAG hatte durch Beschluss am 14.12.2010 festgestellt, dass die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) nicht tariffähig ist (1 ABR 19/10, wir berichteten). Insbesondere mittelständische Zeitarbeitsunternehmen haben in dem mit den Leiharbeitnehmern geschlossenen Arbeitsverträgen auf die von der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge Bezug genommen, um die Anwendung des sog. equal pay-Grundsatzes auszuschließen, der besagt, dass den verliehenen Arbeitnehmern grundsätzlich das gleiche Entgelt zu gewähren ist wie den Stammarbeitskräften des Entleihers.
Das hat Folgen: Zahlreiche Leiharbeitnehmer haben nach Bekanntwerden des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 ihren Arbeitgeber aus dem equal pay-Grundsatz in Anspruch genommen und rückwirkend Lohnnachzahlungen geltend gemacht, wenn die ihnen in der Vergangenheit auf Grundlage der in Bezug genommenen Tarifverträge der CGZP gezahlte Vergütung unter dem Entgelt von vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers lag. Dabei haben Sie sich regelmäßig auf die vom BAG vermeintlich auch für die Vergangenheit festgestellte Tarifunfähigkeit der CGZP berufen, die zu einer Unwirksamkeit der von der Tarifgemeinschaft abgeschlossenen Tarifverträge führen soll.
Zu Unrecht, wie inzwischen zahlreiche Arbeitsgerichte festgestellt haben. In einem kürzlich veröffentlichten Beschluss des ArbG Freiburg vom 13.04.2011 (Az. 3 Ca 497/010) merkte die 3. Kammer an, dass das BAG die Tarifunfähigkeit der CGZP nur gegenwartsbezogen festgestellt hat. Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits davon ab, ob die CGZP zu einem früheren Zeitpunkt tariffähig war oder nicht, ist der Rechtsstreit bis zur Erledigung eines gesondert durchzuführenden Beschlussverfahrens, in dem über die Tariffähigkeit der CGZP zu dem früheren Zeitpunkt entschieden wird, auszusetzen. Diese Auffassung vertreten auch das ArbG Potsdam (Beschl. v. 29.04.2011 – 3 Ca 156/011), das ArbG Bautzen (Beschl. v. 04.05.2011 – 2 Ca 2328/01) und das ArbG Siegen (Beschl. v. 10.03.2011 – 3 Ca 1678/010 O; Beschl. v. 17.03.2011 – 3 Ca 236/011 O) und setzten entsprechende equal pay-Verfahren aus.
Für die Praxis bedeutet dies, dass von Leiharbeitnehmern in Anspruch genommene Zeitarbeitsunternehmen auf Grundlage der jüngeren Entwicklung in der Rechtsprechung gute Chancen haben, bis zu einer rechtskräftigen Klärung der Tariffähigkeit der CGZP vor dem 14.12.2010 nicht wegen der Nichteinhaltung des equal pay-Grundsatzes auf Lohnnachzahlungen verurteilt zu werden. Eine entsprechende Aussetzung ist bei dem jeweiligen Arbeitsgericht unter Bezugnahme auf die oben genannten Beschlüsse anzuregen.
In diesem Zusammenhang ist zu erwarten, dass das ArbG Berlin (Az. 29 BV 13947/010) am 30.05.2011 eine Entscheidung zur Tariffähigkeit der CGZP mit einem vergangenheitsbezogenen Bezug verkünden wird. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht Berlin, dürften von dem unterlegenen Beteiligten Rechtsmittel gegen diese Entscheidung eingelegt werden, so dass auch nach dem 30.052011 zumindest nicht rechtskräftig entschieden ist, ob die CGZP in der Vergangenheit tatsächlich tariffähig war oder nicht.
Bis über die ersten Klagen von Leiharbeitnehmern auf Gewährung von equal pay entschieden wird, dürfte im Falle der Aussetzung der entsprechenden Verfahren und bis zum rechtskräftigen Abschluss des Beschlussverfahrens vor dem ArbG Berlin noch mehr als ein Jahr vergehen. Insbesondere für den beklagten Arbeitgeber bliebe folglich noch hinreichend Zeit, sich mit den betreffenden Leiharbeitnehmern mit Blick auf die verlangten Lohnnachzahlungen zu vergleichen.
Ich meine, das BAG wird auch für die Vergangenheit die Ansprüche zuerkennen. Bekanntermaßen hat das BAG die tariflichen Ausschlußfristen bei Ansprüchen von Leiharbeitnehmern „kassiert“, so daß ich mir nicht vorstellen kann, daß das BAG bei der geschilderten Problematik ernsthafte Probleme sehen wird.
Es spricht einiges dafür, daß sich die BAG Entscheidung jedenfalls auf den Zeitraum seit der letzten mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz, also auf den 7.12.2009 und nicht erst ab dem 14.12.2010 bezieht, so jedenfalls AG Freiburg (3 Ca 497/10):
„Die Feststellung des Bundesarbeitsgerichts über die Tarifunfähigkeit der CGZP hat damit Wirkung für und gegen alle lediglich ab dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Da hierbei auf die letzte mündliche Verhandlung in der Tatsacheninstanz abzustellen ist (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 28. Aufl. vor § 322 Rdnr. 53), bezieht sich die Feststellung des Bundesarbeitsgerichts zur Tarifunfähigkeit der CGZP auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg als Tatsacheninstanz am 7.12.2009 – 23 TaBV 1016/09 – BB 2010, 1927 und nicht nur auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts am 14.12.2010.“
Es wird interessant, ob wir beim Vergangenheitsbezug das schöne Wort der Nichtigkeit in einem der nächsten Urteile lesen werden oder nicht. Nach meiner Auffassung müsste es sich um selbige handeln und folglich wären ALLE Tarifverträge der CGZP vom Tisch und keiner müsste klagen. Sittenwidrige oder rechtswidrige Verträge unterliegen nicht der Verjährung und somit gäbe es für diese Sauerei die Höchststrafe: Nachzahlung für ALLE. Sollte man lediglich die Unwirksamkeit feststellen, so würden alle, die nicht geklagt haben von der Verjährung um einen Teil der Ansprüche gebracht und die Schweinerei mit der CGZP würde zumindest teilweise mit Lohneinsparungen belohnt werden.
Der maßgebliche Zeitpunkts des gegenwartsbezogenen Beschlussses des BAG vom 14.12.2010 ist in Anbetracht der UFO-Entscheidung des BAG vom 14.12.2004 (1 ABR 51/03) wohl die letzte Rechtsmittelinstanz, d.h. der Termin zur mündlichen Verhandlung, gleichzeitig auch der Entscheidungsverkündungstermin, vor dem BAG am 14.12.2010, so dass der BAG-Beschluss zur Tarifunfähigkeit der CGZP als Spitzenorganisation nur Rechtskräft für die Zeit ab Mitte Dezember 2010 entfalltet.
Somit ist auch die Entscheidung des ArbG Potsdam richtig, dass auch für Lohnforderungen in den Jahren 2009 und 2010 ausgesetzt werden muss, da das BAG hierüber nicht rechtskräftig entschieden hat.