3. November 2025
Fehler Massenentlassungsanzeige Kündigung
Arbeitsrecht

Fehler im Massenentlassungsverfahren: Kündigungen weiterhin unwirksam 

Der Europäische Gerichtshof hat die vom 6. Senat des BAG geplante Lockerung der Unwirksamkeitsfolge bei Fehlern im Massenentlassungsverfahren verworfen. 

Nach zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 30. Oktober 2025 (Tomann C-134/24 sowie Sewel C-402/24) führt eine unterlassene Anzeige der Entlassungen bei der Agentur für Arbeit zwingend zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen. Insbesondere könne ein Arbeitgeber* die fehlende Massenentlassungsanzeige nicht in der Weise nachholen, dass damit die Kündigung 30 Tage nach der Nachholung wirksam würde. Eine nachträgliche Heilung sei ausgeschlossen. In Fällen, in denen die Massenentlassungsanzeige versäumt wurde, ist es demnach weiterhin erforderlich, die Anzeige vorzunehmen. Im Anschluss muss der Arbeitgeber neue Kündigungen aussprechen – die dann erst zum Ablauf der dann laufenden Kündigungsfrist wirksam werden. Die Folge sind hohe finanzielle Einbußen aufgrund der bis zum Ablauf der Kündigungsfrist (der erneuten Kündigung) zu zahlenden Gehälter. 

Die Fälle – Kündigung ohne Anzeige bei der Agentur für Arbeit / Kündigung nach unvollständiger Anzeige bei der Agentur für Arbeit 

Den Entscheidungen lag in beiden Fällen eine Massenentlassung zugrunde. 

Im Fall Tomann (C-134/24) hatte der Arbeitgeber es versäumt, diese überhaupt bei der zuständigen Agentur für Arbeit anzuzeigen, wie es nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG gesetzlich vorgesehen ist. Anders als vom Arbeitgeber ursprünglich angenommen, war der Schwellenwert von 20 regelmäßig Beschäftigten erreicht.

Im Fall Sewel (C-402/24) ging es hingegen um die Rechtswirkung einer fehlerhaften bzw. unvollständigen Anzeige. Der Arbeitgeber hatte zwar eine Anzeige erstattet, dieser aber weder eine abschließende Stellungnahme der Arbeitnehmervertreter zur Konsultation beigefügt noch konkrete Angaben zum Inhalt der im Rahmen dieser Konsultation geführten Gespräche gemacht.

Zum Hintergrund: Die Vorschriften der §§ 17 ff. KSchG setzen die Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG (MERL) in deutsches Recht um. Demnach müssen beabsichtige Massenentlassungen der zuständigen Behörde angezeigt werden, § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchGNach bisheriger ständiger Rechtsprechung führt eine fehlende oder fehlerhafte Anzeige zur Unwirksamkeit der Kündigung (vgl. BAG, Urteil v. 22. November 2012 – 2 AZR 371/11; BAG, Urteil v. 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19).

Mit Beschluss vom 14. Dezember 2023 beabsichtigte der 6. Senat des BAG, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Nach seiner Auffassung sollten Fehler im Anzeigeverfahren künftig nicht mehr automatisch zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Da dies von der bisherigen Linie des 2. Senats abwich, wurde ein sogenanntes Divergenzanfrageverfahren eingeleitet. Vor diesem Hintergrund hat der 2. Senat mit Beschluss vom 1. Februar 2024 den EuGH um Auslegung der MERL ersucht. Kurz darauf reichte auch der 6. Senat mit Beschl. vom 23. Mai 2024 – 6 AZR 152/22 (A) – letztlich aus prozessualen Gründen – ähnliche Fragen beim EuGH zur Prüfung ein. 

Die Entscheidungen – Kündigung nur bei ordnungsgemäßer Massenentlassungsanzeige wirksam

Die nun ergangenen Urteile des EuGH stellen Folgendes klar: Das Hauptziel der MERL besteht darin, dass vor Massenentlassungen eine Konsultation der Arbeitnehmervertreter durchgeführt und die zuständige Behörde unterrichtet wird. Die Einhaltung des Anzeigeverfahrens ist (und bleibt) zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigungen. 

Nach § 18 KSchG darf eine Entlassung grundsätzlich erst einen Monat nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit ausgesprochen werden. Die Möglichkeit der Verkürzung der Frist besteht nur ausnahmsweise, wenn die Behörde einer Verkürzung zustimmt.

Der EuGH betont, dass diese – in Art. 4 Abs. 1 Unterabschnitt 1 MERL verankerte – Sperrfrist der Behörde einen verbindlichen Prüfungszeitraum gewähren soll, um Maßnahmen zur Milderung der arbeitsmarktpolitischen Folgen von Massenentlassungen zu ergreifen. Nur durch diese zeitliche Sperre könne der Schutzzweck der Richtlinie – der Schutz der Arbeitnehmer und die Stabilität des Arbeitsmarkts – erreicht werden. Die zwingende Voraussetzung der Einhaltung der Sperrfrist ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Richtlinie. 

Weiter hat das Gericht (in Sache Sewel) ausgeführt, dass der Zweck der Richtlinie nicht durch eine unvollständige oder fehlerhafte Anzeige erreicht werden könne, weil der Behörde dann nicht alle zweckdienlichen Angaben vorlägen. Dies gelte auch dann, wenn die Behörde die Anzeige nicht beanstande. 

Die 30-Tagesfirst beginnt erst mit erfolgter Anzeige.

Keine nachträgliche Heilung bei fehlender Massenentlassungsanzeige

Zudem entschied der EuGH (in Sachen Tomann), dass eine versäumte Anzeige nicht nachträglich geheilt werden kann. 

Ob eine Heilung einer unvollständigen Anzeige durch das Nachreichen von Angaben erfolgen kann, musste das Gericht mangels Relevanz für die Fälle nicht entscheiden. Nach den bisherigen Ausführungen ist aber davon auszugehen, dass auch insofern keine Heilung möglich ist. 

Die Anzeige, die insbesondere Angaben zu den Gründen der Entlassungen, der Zahl der betroffenen und regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer sowie dem geplanten Entlassungszeitraum enthalten muss, diene nicht nur der Transparenz, sondern auch der Überprüfbarkeit durch die betroffenen Arbeitnehmer, ob die gesetzlichen Anforderungen eingehalten wurden.

Nach Auffassung des EuGH ist es daher unzulässig, wenn ein Arbeitgeber eine Kündigung bereits vor erfolgter Anzeige ausspricht und deren Wirksamwerden lediglich „aufschiebt“, bis die Anzeige nachgereicht wird. Eine derartige Konstruktion unterlaufe den Zweck des Anzeigeverfahrens. 

Fehlt eine ordnungsgemäße Anzeige, bleibt die Kündigung unheilbar nichtig. Das Anzeigeverfahren muss ordnungsgemäß vorgenommen und die Kündigungen neu ausgesprochen werden. Diese können dann frühestens einen Monat nach Eingang der Anzeige wirksam werden (wobei weiterhin die individuellen Kündigungsfristen einzuhalten sind).

Eine gänzlich fehlende Anzeige kann also nicht geheilt werden. Offengelassen hat der EuGH, ob eine Heilung auch dann nicht möglich ist, wenn eine Anzeige erstattet wurde, diese aber unvollständig war. Jedenfalls beginnt die 30-Tagesfrist erst mit vollständiger und ordnungsgemäßer Anzeige.

Unbeantwortet gebliebene Fragen

Das BAG hatte dem EuGH zudem die Frage vorgelegt, ob auch bloße Fehler im Anzeigeverfahren (etwa unzureichende) Angaben zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Hier stellt das Gericht darauf ab, dass sich die Rechtsfolgen nach dem nationalen Recht richten würden (Sache Sewel). 

Legt man die bisherigen Ausführungen des EuGH zugrunde, ist jedoch zu erwarten, dass auch unvollständige bzw. fehlerhafte Angaben die Unwirksamkeitsfolge weiterhin nach sich ziehen werden. 

Keine Lockerung der Rechtsprechung in Bezug auf die Folgen unterlassener Massenentlassungsanzeigen zu erwarten

Eine wirksame anzeigepflichtige Kündigung setzt – neben der ordnungsgemäßen Konsultation des zuständigen Arbeitnehmervertretungsgremiums – die vorherige Anzeige bei der zuständigen Behörde voraus und ist frühestens mit Ablauf der einmonatigen Sperrfrist wirksam. Fehlt die Anzeige, kann dieser Mangel nicht nachträglich mit heilender Wirkung beseitigt werden – die ausgesprochenen Kündigungen sind und bleiben unwirksam. Ob dies zwingend auch für fehlerhafte oder unvollständige Anzeigen gelten muss, hat der EuGH nicht vorgegeben. Jedenfalls aber beginnt die 30-tägige Sperrfrist für das Wirksamwerden der Kündigung erst mit vollständiger und korrekter Anzeige zu laufen. 

Klare Vorgabe des EuGH: ohne vorherige Anzeige keine wirksamen Massenentlassungen

Arbeitgeber müssen weiterhin die Vorgaben der §§ 17 ff. KSchG konsequent und vollständig einhalten, möchten sie nicht die Unwirksamkeit (aller) Kündigungen riskieren. Hierzu gehört nicht nur die umfangreiche Konsultation (einschließlich schriftlicher Dokumentation, § 17 Abs. 2 KSchG), sondern auch die formgerechte und vollständige Anzeige bei der Agentur für Arbeit – diese ist keine Kür, sondern Pflicht. Der Verfahrensablauf von Konsultation, Anzeige und Kündigung ist zwingend einzuhalten. Zwar bleibt auch nach den Entscheidungen des EuGH offen, ob die Unwirksamkeit der Kündigung zwingende Rechtsfolge bei bloßen Fehlern oder Unvollständigkeit der Anzeige sein muss. Hier verweist der EuGH auf die nationalen Regelungen, die eine wirksame Umsetzung der Richtlinie sicherstellen müssten. Arbeitgeber sollten hier weiterhin jegliches Risiko vermeiden. Sowohl in der Konsultation als auch in der konkreten Massenentlassungsanzeige sind alle notwendigen Angaben vollständig und korrekt zu erfassen. 

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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