31. Oktober 2025
Fehler Massenentlassungsanzeige Kündigung
Arbeitsrecht

Fehler im Massenentlassungsverfahren: Kündigungen weiterhin unwirksam 

Der Europäische Gerichtshof hat die vom 6. Senat des BAG geplante Lockerung der Unwirksamkeitsfolge bei Fehlern im Massenentlassungsverfahren verworfen. 

Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 30. Oktober 2025 (C-134/24) führt eine unterlassene Anzeige der Entlassungen bei der Agentur für Arbeit zwingend zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen. Insbesondere könne ein Arbeitgeber* die fehlende Massenentlassungsanzeige nicht in der Weise nachholen, dass damit die Kündigung 30 Tage nach der Nachholung wirksam würde. Eine nachträgliche Heilung sei ausgeschlossen. In Fällen, in denen die Massenentlassungsanzeige versäumt wurde, ist es demnach weiterhin erforderlich, die Anzeige nachzuholen. Ist dies geschehen, muss der Arbeitgeber neue Kündigungen aussprechen – die dann erst zum Ablauf der dann (erneut) laufenden Kündigungsfrist wirksam werden. Die Folge sind hohe finanzielle Einbußen aufgrund der bis zum Ablauf der Kündigungsfrist (der zweiten Kündigung) zu zahlenden Gehälter. 

Der Fall – Kündigung ohne Anzeige bei der Agentur für Arbeit? 

Der Entscheidung lag eine Massenentlassung zugrunde. Im Fall hatte der Arbeitgeber es versäumt, diese bei der zuständigen Agentur für Arbeit anzuzeigen, wie es nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG jedoch gesetzlich vorgesehen ist. Anders als vom Arbeitgeber ursprünglich angenommen, war der Schwellenwert von 20 regelmäßig Beschäftigten erreicht.

Zum Hintergrund: Die Vorschriften der §§ 17 ff. KSchG setzen die Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG (MERL) in deutsches Recht um. Demnach müssen beabsichtige Massenentlassungen der zuständigen Behörde angezeigt werden, § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchGNach bisheriger ständiger Rechtsprechung führt eine fehlende oder fehlerhafte Anzeige zur Unwirksamkeit der Kündigung (vgl. BAG, Urteil v. 22. November 2012 – 2 AZR 371/11; BAG, Urteil v. 13. Februar 2020 – 6 AZR 146/19).

Mit Beschluss vom 14. Dezember 2023 beabsichtigte der 6. Senat des BAG, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Nach seiner Auffassung sollten Fehler im Anzeigeverfahren künftig nicht mehr automatisch zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Da dies von der bisherigen Linie des 2. Senats abwich, wurde ein sogenanntes Divergenzanfrageverfahren eingeleitet. Vor diesem Hintergrund hat der 2. Senat mit Beschluss vom 1. Februar 2024 den EuGH um Auslegung der MERL ersucht und dem EuGH vier Fragen zur Entscheidung vorgelegt. 

Die Entscheidung – Kündigung nur bei ordnungsgemäßer Massenentlassungsanzeige wirksam

Das nun ergangene Urteil des EuGH stellt Folgendes klar: Die Einhaltung des Anzeigeverfahrens ist (und bleibt) zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigungen. 

Nach § 18 KSchG darf eine Entlassung grundsätzlich erst einen Monat nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit ausgesprochen werden. Die Möglichkeit der Verkürzung der Frist besteht nur ausnahmsweise, wenn die Behörde einer Verkürzung zustimmt.

Der EuGH betont, dass diese – bereits in der MERL verankerte – Sperrfrist der Behörde einen verbindlichen Prüfungszeitraum gewähren soll, um Maßnahmen zur Milderung der arbeitsmarktpolitischen Folgen von Massenentlassungen zu ergreifen. Nur durch diese zeitliche Sperre könne der Schutzzweck der Richtlinie – der Schutz der Arbeitnehmer und die Stabilität des Arbeitsmarkts – erreicht werden. Die zwingende Voraussetzung der Einhaltung der Sperrfrist ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Richtlinie. 

Der EuGH geht in seiner Entscheidung nicht darauf ein, ob die Behörde nach erfolgter Anzeige überhaupt Aktivitäten entfaltet.

Keine nachträgliche Heilung bei fehlender Massenentlassungsanzeige

Zudem entschied der EuGH, dass eine versäumte Anzeige nicht nachträglich geheilt werden kann.

Die Anzeige, die insbesondere Angaben zu den Gründen der Entlassungen, der Zahl der betroffenen und regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer sowie dem geplanten Entlassungszeitraum enthalten muss, diene nicht nur der Transparenz, sondern auch der Überprüfbarkeit durch die betroffenen Arbeitnehmer, ob die gesetzlichen Anforderungen eingehalten wurden.

Nach Auffassung des EuGH ist es daher unzulässig, wenn ein Arbeitgeber eine Kündigung bereits vor erfolgter Anzeige ausspricht und deren Wirksamwerden lediglich „aufschiebt“, bis die Anzeige nachgereicht wird. Eine derartige Konstruktion unterlaufe den Zweck des Anzeigeverfahrens.

Fehlt eine ordnungsgemäße Anzeige, bleibt die Kündigung unheilbar nichtig. Das Anzeigeverfahren muss ordnungsgemäß vorgenommen und die Kündigungen neu ausgesprochen werden. Diese können dann frühestens einen Monat nach Eingang der Anzeige wirksam werden (wobei weiterhin die individuellen Kündigungsfristen einzuhalten sind).

Unbeantwortet gebliebene Fragen

Das BAG hatte dem EuGH zudem die Frage vorgelegt, ob auch bloße Fehler im Anzeigeverfahren (etwa unzureichende) Angaben zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Weiter hat das BAG angefragt, ob die Behörde selbst die Wirksamkeit der Anzeige verbindlich feststellen kann. Beide Fragen hat der EuGH mangels Entscheidungsrelevanz für den Fall unbeantwortet gelassen. 

Legt man die bisherigen Ausführungen des EuGH zugrunde, ist jedoch zu erwarten, dass auch unvollständige Angaben die Unwirksamkeitsfolge weiterhin nach sich ziehen werden. 

Keine Lockerung der Rechtsprechung in Bezug auf die Folgen unterlassener Massenentlassungsanzeigen zu erwarten

Eine wirksame anzeigepflichtige Kündigung setzt – neben der ordnungsgemäßen Konsultation des zuständigen Arbeitnehmervertretungsgremiums – die vorherige Anzeige bei der zuständigen Behörde voraus und ist frühstens mit Ablauf der einmonatigen Sperrfrist wirksam. Fehlt die Anzeige, kann dieser Mangel nicht nachträglich mit heilender Wirkung beseitigt werden – die ausgesprochenen Kündigungen sind und bleiben unwirksam.

Klare Vorgabe des EuGH: ohne vorherige Anzeige keine wirksamen Massenentlassungen

Arbeitgeber müssen weiterhin die Vorgaben der §§ 17 ff. KSchG konsequent und vollständig einhalten, möchten sie nicht die Unwirksamkeit (aller) Kündigungen riskieren. Hierzu gehört nicht nur die umfangreiche Konsultation (einschließlich schriftlicher Dokumentation, § 17 Abs. 2 KSchG), sondern auch die formgerechte und vollständige Anzeige bei der Agentur für Arbeit – diese ist keine Kür, sondern Pflicht. Zwar bleibt auch nach der Entscheidung des EuGH offen, ob die Anzeige sämtliche formalen Anforderungen erfüllen muss, so als wäre eine fehlerhafte Anzeige mit einer gänzlich unterbliebenen Anzeige gleichzusetzen. Dies liegt jedoch mit Blick auf die harte Linie der Rechtsprechung nahe. Arbeitgeber sollten hier jegliches Risiko vermeiden. Sowohl in der Konsultation als auch in der konkreten Massenentlassungsanzeige sind alle notwendigen Angaben vollständig und korrekt zu erfassen. 

Zwar steht das finale Urteil des BAG noch aus, doch ist das nationale Gericht an die unionsrechtliche Auslegung des EuGH gebunden und dieser hat sich klar geäußert: ohne vorherige Anzeige keine wirksamen Massenentlassungen. 

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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