Das Tarifeinheitsgesetz hat den Bundestag passiert. Kleinen Gewerkschaften wie der GDL droht die Entmachtung und die Einschränkung ihrer (Streik-)Rechte.
Während Kritiker von einer „Lex GDL“ sprechen, hat die Große Koalition stets betont, dass das am 22. Mai 2015 vom Bundestag durchgewinkte Tarifeinheitsgesetz unabhängig von aktuellen Tarifauseinandersetzungen verabschiedet wurde. Ab dem 1. Juli soll für eine Berufsgruppe in einem Betrieb nur noch ein Tarifvertrag gelten.
Klar ist bereits jetzt: Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) und andere kleine Spartengewerkschaften trifft es besonders hart, da sie sich nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr mit eigenen Tarifverträgen durchsetzen können sollen, sofern eine größere Gewerkschaft bereits die Interessen einer Berufsgruppe im gleichen Betrieb tariflich abdeckt.
Den Arbeitgebern ist es hingegen wichtig, dass unterschiedliche Tarifverträge und damit eine Zersplitterung der Tariflandschaft für ein und dieselbe Berufsgruppe vermieden werden.
Was ist eine Tarifkollision?
Hintergrund des seit Monaten schwelenden Konflikts zwischen GDL und Deutscher Bahn ist (auch) das Tarifeinheitsgesetz: dessen Ziel ist es nach dem Willen des Gesetzgebers, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu erhalten.
Nach Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit durch das Bundesarbeitsgericht (BAG vom 07.07.2010 – 4 AZR 549/08) können für dieselbe Beschäftigtengruppe unterschiedliche Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften gleichzeitig zur Anwendung gelangen. Bei einer solchen Tarifkollision überschneiden sich die Geltungsbereiche der von verschiedenen Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträge, die inhaltlich nicht identisch sind.
Beispiel: Für Krankenhausärzte existiert ein Tarifvertrag des Marburger Bundes, gleichzeitig bezieht auch der von ver.di abgeschlossene TVöD Ärzte mit ein.
In einem solchen Fall soll allein der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat. Der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft kann hingegen keine Wirkung mehr entfalten und würde verdrängt.
Und weil ein erstreikter Tarifvertrag von dem Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft verdrängt werden würde, könnte der Arbeitgeber versucht sein, einen Streik arbeitsgerichtlich untersagen lassen.
Gesetz soll für Klarheit in der Tariflandschaft sorgen
Nach Ansicht des Gesetzgebers würden Tarifkollisionen die Gefahr bergen, dass die Gewerkschaften der ihnen aufgrund von Art. 9 des Grundgesetzes zustehenden und im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens nicht mehr gerecht werden könnten. Wenn zwei Gewerkschaften und Tarifverträge auf dieselbe Arbeitnehmergruppe zielen, müsse es Klarheit darüber geben, welcher Tarifvertrag letztlich gelte. Das Ergebnis eines Tarifabschlusses für eine Berufsgruppe dürfe nicht dadurch in Gefahr geraten, dass es jederzeit durch neue Forderungen und Arbeitskämpfe einer anderen Gewerkschaft in Frage gestellt werde. Das Gesetz sei insofern kein Eingriff in ein Grundrecht, sondern diene lediglich dessen inhaltlicher Ausgestaltung.
Tarifeinheitsgesetz gilt nur subsidiär: Einvernehmliche Einigung hat Vorrang
Dabei greift die Kollisionsregel des Tarifeinheitsgesetzes ohnehin nur subsidiär ein: Die beteiligten Gewerkschaften und Arbeitgeber können sich dahingehend verständigen, dass für eine bestimmte Gruppe von Beschäftigten je nach Mitgliedschaft in einer bestimmten Gewerkschaft unterschiedliche Tarifverträge gelten sollen.
So kann etwa die Deutsche Bahn mit EVG und GDL eine Absprache treffen, dass für die Zugbegleiter, die EVG-Mitglieder sind, die EVG-Tarifverträge, und für die Zugbegleiter, die GDL-Mitglieder sind, die GDL-Tarifverträge zur Anwendung kommen sollen. Erst wenn die Gewerkschaften die zwischen ihnen bestehenden Interessenkonflikte nicht in Einklang bringen können, greift das Tarifeinheitsgesetz ein. In diesem Fall setzt sich der Tarifvertrag der mitgliedstärkeren Mehrheitsgewerkschaft durch.
Ein Tarifvertrag für einen Betrieb
Das Gesetz sieht vor, dass es zukünftig nur einen Tarifvertrag für die gleiche Berufsgruppe in einem Betrieb geben kann. Kleinere Gewerkschaften kritisieren, der Betriebsbegriff sei im Gesetzentwurf nicht hinreichend definiert. Die Bundesregierung vertritt dazu eine abweichende Ansicht: Dieser entspräche dem Begriff des „Betriebes“ im Betriebsverfassungsgesetz, der wiederum durch jahrelange Rechtsprechung ausreichend Kontur habe.
Kleinere Gewerkschaften haben Recht auf Anhörung und Nachzeichnungsrecht
Flankiert wird das neue Gesetz durch eine Verfahrensregelung, die den Belangen von Minderheitsgewerkschaften Rechnung tragen soll: Der neu gefasste § 4a Abs. 5 TVG (Tarifvertragsgesetz) gewährt einer Gewerkschaft ein Recht auf Anhörung durch die Arbeitgeberseite, wenn diese mit einer konkurrierenden Gewerkschaft in Verhandlungen über den Abschluss eines Tarifvertrags eintritt. Es gibt im Vorfeld von Tarifvertragsabschlüssen Gelegenheit, Tarifforderungen aufeinander abzustimmen und damit Tarifkollisionen zu vermeiden.
Die Anhörung ist jedoch keine Voraussetzung für den Abschluss des Tarifvertrags mit der Mehrheitsgewerkschaft. Darüber hinaus steht der Minderheitsgewerkschaft ein sog. Nachzeichnungsrecht zu. Danach kann eine Minderheitsgewerkschaft vom Arbeitgeber oder von der Vereinigung der Arbeitgeber die Nachzeichnung der Rechtsnorm eines mit ihrem Tarifvertrag kollidierenden Tarifvertrags verlangen.
Kritiker sehen Existenz von kleinen Gewerkschaften gefährdet
Mehrere kleinere Gewerkschaften planen derzeit, das geplante Gesetz zur Tarifeinheit vor dem Bundesverfassungsgericht anzugreifen. Kritik kommt vor allem von kleinen Spartengewerkschaften wie neben der GDL auch dem Marburger Bund. Nach deren Auffassung ist das Gesetz verfassungswidrig, da es kleineren Gewerkschaften faktisch das Streikrecht abspricht und zudem praktisch kaum umsetzbar sei. Unklar sei, wer die Gewerkschaftszugehörigkeiten ermittle und auf welcher rechtlichen Grundlage dies geschehen solle. Auch die Frage, wer die Betriebsmehrheit definiere und zu welchem Stichtag dies erfolgen solle, sei offen.