LAG Köln: Auch im Arbeitsverhältnis findet der pauschale Schadensersatz in Höhe von 40 Euro bei Verzug der Lohnzahlung Anwendung.
Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro.
Das LAG Köln bestätigte diesen Grundsatz auch im Arbeitsrecht. Der Arbeitnehmer habe bei Zahlungsverzug des Arbeitgebers einen Anspruch auf einen pauschalen Schadensersatz in Höhe von 40,00 Euro aus § 288 Abs. 5 S. 1 BGB (Urt. v. 22.11.2016 – 12 Sa 524/16).
§ 288 Abs. 5 S. 3 BGB steht Anwendung nicht entgegen
§ 288 Abs. 5 BGB sei nach Ansicht des LAG Köln auch bei Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis einschlägig.
Einem Anspruch stehe § 288 Abs. 5 S. 3 BGB nicht entgegen. Danach sei die Pauschale nach § 288 Abs. 5 S. 1 BGB auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen. Dies gelte, soweit der Schaden in Kosten für die Rechtsverfolgung liege. Anders als im allgemeinen Zivilrecht bestehe jedoch im Arbeitsrecht kein außergerichtlicher Kostenerstattungsanspruch (§ 12a ArbGG analog). Aufgrund des Fehlens eines solchen komme § 288 Abs. 5 S. 3 BGB bei arbeitsrechtlichen Entgeltforderungen deshalb keine Bedeutung zu.
Interessant ist sodann die Argumentation des LAG Köln in Zusammenhang mit dem pauschalen Schadensersatz nach § 288 Abs. 5 BGB. Dabei schließt sich das Gericht der wohl überwiegenden Ansicht in der Literatur an, dass die Vorschrift auch im Arbeitsrecht gilt (vgl. Richter, ArbR 2016, 229 ff.; Tiedemann, ArbRB 2015, 312 ff.; Lembke, FA 2014, 357 ff.; ders., NZA 2016, 1501 ff.). Diese hat zuletzt auch das LAG Baden-Württemberg bestätigt (Urt. v. 13.10.2016 – 3 Sa 34/16, Rn. 80 ff.).
Das LAG Köln setzt sich umfänglich mit der Gegenauffassung (vgl. ArbG Düsseldorf v. 12.05.2016 – 2 Ca 5416/15; Diller, NZA 2015, 1095 ff.; Ulrici, jurisPR-ArbR 44/2016 Anm. 2; Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl., § 288 Rn. 15) auseinander und lehnt diese im Ergebnis ab.
Keine planwidrige Regelungslücke oder Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht
Nach Ansicht des LAG Köln fehle es bezüglich der 40-Euro-Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB insbesondere an einer planwidrigen Regelungslücke, die für eine analoge Anwendung des § 12a ArbGG erforderlich wäre. Die Ausgestaltung des § 288 Abs. 5 BGB durch die gesetzliche Neuregelung im Jahr 2014 stelle vielmehr eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers dar.
Aus der Auslegung der Vorschrift ergäben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht. Der Wortlaut von § 288 Abs. 5 BGB spreche eindeutig für eine Anwendung auf arbeitsrechtliche Entgeltansprüche. Auch die historische Auslegung der Vorschrift führe zu keinem anderen Ergebnis. § 288 Abs. 5 BGB diene der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr.
Der deutsche Gesetzgeber habe deren Vorgaben jedoch bewusst übererfüllt. Während die Richtlinie eine entsprechende Regelung lediglich für den unternehmerischen Rechtsverkehr verlangt habe, habe der deutsche Gesetzgeber die Bestimmung bewusst zugunsten von Verbrauchern auf Gläubigerseite erweitert (vgl. BT-Drucks. 18/1309, S. 18). Gerade diese Ausweitung stehe einer Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht diametral entgegen. Denn dieser Sachverhalt sei die klassische Konstellation einer Entgeltforderung aus einem Arbeitsvertrag. Wenn der deutsche Gesetzgeber gerade über die EU-Richtlinie hinausgehend auch einen Verbraucher vor der schlechten Zahlungsmoral seines Vertragspartners, der kein Verbraucher sei, schützen wolle, spreche einiges dafür, dass dann der Arbeitnehmer vor der schlechten Zahlungsmoral seines Arbeitgebers über § 288 Abs. 5 BGB geschützt werden solle. Zudem führe die systematische Auslegung von § 288 Abs. 5 BGB unter Berücksichtigung des Zwecks dieser Vorschrift zu deren Anwendbarkeit auf Arbeitsentgeltansprüche.
Der Gesetzestelos spricht für Anwendung der Verzugspauschale im Arbeitsrecht
Für eine solche Auslegung spreche der Zweck von § 288 Abs. 5 S. 3 BGB. Durch die Norm solle eine übermäßige Sanktion zu Lasten des säumigen Schuldners verhindert werden. Auch ein drohender außergerichtlicher Kostenerstattungsanspruch für Rechtsverfolgungskosten könne bereits die mit der Regelung des § 288 Abs. 5 S. 1 BGB erwünschte Zielrichtung verfolgen, den Schuldner zur pünktlichen und vollständigen Zahlung anzuhalten. Der Schuldner wisse, dass ihm bei unpünktlicher bzw. unvollständiger Zahlung drohe, dass der Gläubiger einen Rechtsanwalt mit der außergerichtlichen Geltendmachung der Forderung beauftrage. Wenn der Schuldner sodann die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung zu erstatten habe, sei bereits dieser Umstand durchaus geeignet, Druck auf den Schuldner auszuüben, pünktlich und vollständig zu zahlen.
Komme es dennoch zum Schuldnerverzug und zu einer Erstattungspflicht der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten, sei es naheliegend und systematisch folgerichtig, dass § 288 Abs. 5 S. 3 BGB anordne, dass nicht zusätzlich zu den erstattungspflichtigen Rechtsverfolgungskosten noch die 40-Euro-Pauschale gezahlt werden solle, nachdem der bezweckte „Druck″ bereits durch die potentielle Kostenerstattungspflicht (letztlich erfolglos) aufgebaut worden sei. Diese Überlegungen griffen jedoch nur, wenn es materiell-rechtlich einen Kostenerstattungsanspruch für vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten gebe. Existiere ein solcher nicht, wie dies bei arbeitsrechtlichen Entgeltforderungen bis einschließlich des erstinstanzlichen Verfahrens der Fall sei (§ 12a ArbGG), sei für die Anwendbarkeit der Ausnahmevorschrift des § 288 Abs. 5 S. 3 BGB kein Raum.
Arbeitgeber sollten Verzugspauschale im Auge haben
Zwar ist bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt, ob § 288 Abs. 5 BGB bei Entgeltforderungen aus dem Arbeitsverhältnis tatsächlich Anwendung findet; jedoch haben bereits zwei Obergerichte diese Frage bejaht. Bis zu einer Entscheidung des BAG wächst in den Instanzen das Risiko, dass sich weitere Gerichte dieser Ansicht anschließen werden.
Zwar dürfte sich die Kostenbelastung für den beklagten Arbeitgeber – zumindest absolut gedacht – im Rahmen halten, die Entscheidung des LAG Köln zeigt jedoch auf, dass sich die Pauschale in Höhe von 40 Euro in Relation zu dem geltend gemachten Anspruch durchaus in beachtlicher Art und Weise niederschlagen kann. Der dem Zeitarbeitnehmer von dem Arbeitgeber in dem vorliegenden Verfahren zu zahlende Betrag wurde durch pauschalen Schadensersatz nämlich annähernd verdoppelt.
Da für die Anwendung von § 288 Abs. 5 BGB keine – zumindest keine gesetzliche vorgesehen – Mindestgrenze gilt, die überschritten sein muss, um die Pauschale ansetzen zu können, kann es gerade bei geringfügigen Unterbezahlungen für den Arbeitnehmer durchaus attraktiv sein, eine „Gewinnmaximierung″ durch die (monatliche) Geltendmachung von § 288 Abs. 5 BGB zu versuchen. Dies gilt erst recht unter Beachtung der Tatsache, dass mitunter die Ansicht vertreten wird, dass die Pauschale in jedem Monat jeweils gesondert für verschiedene Vergütungsbestandteile, die nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig ausgezahlt werden, geltend gemacht werden kann (vgl. Tiedemann, ArbRB 2015, 312 ff.).
Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass sie zukünftig verstärkt mit einem pauschalen Schadensersatzbegehren bei einer (vermeintlich) nicht korrekten Abrechnung konfrontiert werden. Dies gilt auch und insbesondere für Zeitarbeitsunternehmen, da die ordnungsgemäße Abrechnung und Abwicklung des Arbeitsverhältnisses durchaus als komplex und fehleranfällig bezeichnet werden kann. Dies betrifft insbesondere die komplizierte Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und des Urlaubsentgelts.
Die aktuelle Lage – Update vom 09.01.2018
Zwischenzeitlich hat sich eine Reihe von weiteren Landesarbeitsgerichten der Auffassung der 12. Kammer des LAG Köln angeschlossen (LAG Berlin-Brandenburg vom 22. März 2017 – 15 Sa 1992/16; LAG Niedersachsen v. 20. April 2017 – 5 Sa 1263/16; LAG Köln [3. Kammer] v. 16. August 2017 – 3 Sa 15/17; LAG Baden-Württemberg [4. Kammer] v. 09. Oktober 2017 – 4 Sa 8/17; LAG Düsseldorf vom 27. Oktober 2017 – 10 Sa 308/17).
Lediglich die 5. Kammer der LAG Köln (Urteil vom 04. Oktober 2017 – 5 Sa 229/17) stellt sich dem entgegen. Die Begründung dafür ist eher knapp gehalten und wiederholt die bekannten Gegenargumente (s. dazu auch Blogbeitrag „Verzugspauschale gemäß § 288 Abs. 5 BGB im Arbeitsrecht″ vom 13. Dezember 2016). Der Anwendung von § 288 Abs. 5 BGB auf arbeitsrechtliche Forderungen stehe § 12 a ArbGG entgegen. Nach der Rechtsprechung des BAG schließe § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG „jeden denkbaren Schadenersatzanspruch″ aus, also auch den nach § 288 Abs. 5 BGB pauschalierten. Solange das BAG an dieser Rechtsprechung festhalte, ergebe sich daraus die Konsequenz, dass im Arbeitsrecht kein Anspruch auf die Verzugspauschale bestehe. Darüber hinaus sei es als widersprüchlich anzusehen, dem Arbeitnehmer eine unabhängig vom tatsächlichen Aufwand zu leistende Pauschale zuzubilligen, obwohl der Ersatz für den tatsächlichen außergerichtlichen Aufwand, der typischerweise erheblich höher ausfalle, ausgeschlossen sei.
Zusammenfassend entspricht es derzeit der überwiegenden Auffassung, dass ein Anspruch auf die Verzugspauschale gemäß § 288 Abs. 5 BGB auch im Arbeitsrecht besteht. Klarheit wird erst das BAG bringen können. In allen Verfahren wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfrage die Revision auch zugelassen. Jedoch ist beim BAG soweit erkennbar derzeit keine der Entscheidungen anhängig. Im Falle des Urteils vom LAG Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2016 (13 Sa 34/16) wurde das Verfahren während seiner Anhängigkeit beim BAG durch Vergleich erledigt. In den anderen Fällen wurde die Revision offenbar nicht bzw. noch nicht eingelegt. Insofern wird die Rechtsfrage noch einige Zeit unbeantwortet bleiben.
Jedenfalls bis dahin sollten sich Arbeitgeber – insbesondere vor dem Hintergrund der sich immer stärker durchsetzenden Meinung, die die Anwendbarkeit von § 288 Abs. 5 BGB bejaht – verstärkt auf Forderungen von Verzugspauschalen einrichten und entsprechende Sorgfalt bei der Erstellung ihrer Gehaltsabrechnungen walten lassen.