17. August 2015
Arbeitsrecht, Minusstunden, Arbeitszeitkonto
Arbeitsrecht

Positive Signale aus Hessen: LAG nickt Anrechnung von Minusstunden auf Arbeitszeitkonto des Zeitarbeitnehmers ab!

Ist ein Zeitarbeitnehmer nicht einsetzbar, können auf einem Arbeitszeitkonto angesammelte Plusstunden um die entsprechenden Minusstunden gekürzt werden. 

Trotz einer höchstrichterlichen Entscheidung (BAG v. 16.04.2014 – 5 AZR 483/12) scheint eine abschließende Klärung in der Praxis noch nicht erreicht zu sein – wie die gegenläufigen instanzgerichtlichen Urteile zeigen. Während das LAG Berlin-Brandenburg davon ausgeht, dass eine Anrechnung nicht zulässig sein soll (Urt. v. 17.12.2014 – 15 Sa 982/14), hat das Hess. LAG jüngst bestätigt, dass eine solche sehr wohl erfolgen kann (Urt. v. 09.06.2015 – 15 Sa 766/14).

Minusstunden, weil Zeitarbeitnehmer nicht ausgelastet wurde

Der Personaldienstleister zahlte dem klagenden Zeitarbeitnehmer monatlich eine verstetigte Bruttovergütung in Höhe von jeweils € 2.031,26 auf Grundlage der arbeitsvertraglich vereinbarten durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit von 162,5 Stunden. In den Monaten März bis Juni 2013 konnte der Personaldienstleister den Zeitarbeitnehmer nicht entsprechend auslasten und stellte – gemessen an der monatlichen Arbeitszeit von 162,5 Stunden – entsprechende Minusstunden in das Arbeitszeitkonto des Klägers ein. Dies führte zu einer Reduktion der dort bereits angesparten Plusstunden.

Anrechnung der Minusstunden auf Arbeitszeitkonto zulässig

Mit überzeugender Begründung bestätigte das Hess. LAG die erstinstanzliche Entscheidung, dass der Zeitarbeitnehmer für die entsprechenden Minusstunden auf seinem Arbeitszeitkonto noch eine (zusätzliche) Vergütung erhält.

Entgegen der Auffassung des Klägers ergebe sich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Verstoß gegen § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG. Danach kann das Recht des Zeitarbeitnehmers auf Vergütung bei Annahmeverzug (§ 615 S. 1 BGB) nicht durch Vertrag aufgehoben oder beschränkt werden. Zunächst sichere die arbeitsvertragliche Vereinbarung hinsichtlich der Zahlung der monatlich verstetigten Vergütung in Höhe des jeweils gültigen tariflichen Stundensatzes nebst Zulage multipliziert mit der vertraglich vereinbarten individuellen regelmäßigen durchschnittlichen Arbeitszeit pro Monat von 162,5 Stunden die Erfüllung eines etwaigen Anspruchs des Zeitarbeitnehmers auf Vergütung des Annahmeverzugs.

Zwar habe sich das Zeitarbeitsunternehmen in den Monaten März bis Juni 2013 in einem solchen befunden, weil dieses die angebotene Arbeitsleistung des Mitarbeiters nicht im vertraglich vereinbarten Umfang angenommen habe. Dennoch habe der Zeitarbeitnehmer – wie vereinbart – in jedem Monat unstreitig 162,5 Stunden vergütet erhalten.

Zeitarbeitnehmer muss nur für die vereinbarte monatliche Arbeitszeit vergütet werden – auch wenn ein Arbeitszeitkonto besteht

Auch die vereinbarte Einrichtung eines Arbeitszeitkontos, durch das ein Ausgleich zwischen der monatlichen Abweichung der vereinbarten individuellen regelmäßigen durchschnittlichen zu der tatsächlichen Arbeitszeit geschaffen werde, höben das Recht des Zeitarbeitnehmers auf Vergütung bei Annahmeverzug weder auf, noch beschränkten sie dieses Recht.

Das Hess. LAG verweist insoweit auf die Entscheidung des BAG vom 16. April 2014 (Az. 5 AZR 483/12). Es gebe keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass Arbeit nicht mit bezahlter Freizeit entgolten werden dürfe und stets in der Abrechnungsperiode, in der sie geleistet werde, zu vergüten sei. Sowohl den Arbeits- als auch den Tarifvertragsparteien bleibe es unbenommen, über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeitsstunden auf einem Arbeitszeitkonto anzusammeln und in der Folgezeit durch bezahlte Freizeit auszugleichen. Dies komme dem Flexibilisierungsinteresse des Arbeitgebers ebenso wie einem verbreiteten Bedürfnis von Arbeitnehmern nach Freizeitgewährung entgegen.

Gerade dies habe der Personaldienstleister getan, indem dieser Plusstunden aus dem Arbeitszeitkonto des Zeitarbeitnehmers mit Minusstunden aus den Monaten März bis Juni 2013 verrechnet. Unabhängig von der unter 162,5 Stunden zurückbleibenden Menge der geleisteten Arbeitsstunden wurde monatlich eine Vergütung in der vertraglich geschuldeten Höhe gezahlt. Der Personaldienstleister habe dem Zeitarbeitnehmer in den verleihfreien Zeiten bezahlte Freizeit gewährt und damit Arbeit, die dieser zuvor über die vertraglich vereinbarte individuelle regelmäßige durchschnittliche Arbeitszeit hinaus geleistet habe, in einer anderen Abrechnungsperiode entgolten.

Neben Plus- sind auch Minusstunden in das Arbeitszeitkonto einzustellen

Die in Einklang mit der herrschenden Ansicht in der Rechtsprechung stehende Entscheidung des Hess. LAG überzeugt. Wenn dem Zeitarbeitnehmer für die vertraglich vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit ein verstetigtes Entgelt gezahlt wird, können neben Plus- selbstverständlich auch Minusstunden in das Arbeitszeitkonto eingestellt werden. Ein Anspruch des Zeitarbeitnehmers auf eine (weitere) Vergütung der Minusstunden ist begriffsnotwendig ausschlossen, hat der Personaldienstleister die Arbeitsleistung des Zeitarbeitnehmers über Zahlung der verstetigten Vergütung bereits abgegolten.

Ruhe wird in dieser Frage dennoch nicht einkehren. Zwar hat das Hess. LAG die Revision zum BAG nicht zugelassen, dennoch wird sich Erfurt dem Umgang mit Arbeitszeitkonten in der Zeitarbeit nochmals annehmen müssen. Gegen die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 17.12.2014 – 15 Sa 982/14) sind Rechtsmittel eingelegt worden (Az. 5 AZR 109/15) – den 5. Senat wird es sicherlich (nicht) freuen!

Weitere Einzelheiten der Entscheidung des Hess. LAG und die Auswirkungen auf die Praxis entnehmen Sie der kommenden September-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit“, mit dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen zu beziehen, schreiben Sie mir bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com).

Unter dem nachfolgenden Link finden Sie einen Auszug aus dem aktuellen Newsletter: http://www.cms-hs.net/zeitarbeit

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