12. Juli 2021
Statusfeststellungsverfahren
Arbeitsrecht

Reform des Statusfeststellungsverfahrens

Eine flotte Reform des Statusfeststellungsverfahrens – aber auch eine gute? Fest steht, dass der Gesetzgeber zumindest auf halber Strecke stehengeblieben ist.

Am 20. Mai 2021 wurde im Bundestag ein Gesetzesentwurf beschlossen – die Änderungen sollen zum 1. April 2022 in Kraft treten. Im Kern geht es um Änderungen im Statusfeststellungsverfahren (§ 7a SGB IV). Ziel ist es, den Beteiligten zukünftig mehr Gewissheit darüber zu verschaffen, ob freie Mitarbeiter* selbstständig oder abhängig beschäftigt sind.

Der Entwurf sieht insbesondere neue Instrumentarien vor, die den Anwendungsbereich des Statusfeststellungsverfahrens erweitern. Inhaltlich wird aber (weiterhin) nicht geregelt, wann eine selbständige Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung vorliegt.

Erwerbsstatus als Feststellungsgegenstand im Statusfeststellungsverfahren möglich

Das Statusfeststellungsverfahren soll zukünftig eine Entscheidung über den sog. Erwerbsstatus (d.h. die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung) ermöglichen. Das bedeutet, dass das Statusfeststellungsverfahren von der Frage der Versicherungspflicht entkoppelt wird und – anders als bisher – umfangreiche Angaben und Prüfungen zur Sozialversicherungspflicht nicht mehr nötig sind. Bisher konnte in den Verfahren nach § 7a SGB IV nicht über das Vorliegen einer Beschäftigung isoliert entschieden werden, sondern ausschließlich über die Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung. Das neue Verfahren soll dem Interesse der Beteiligten Rechnung tragen, vorrangig den Erwerbsstatus klären zu lassen.

Dieses wurde bisher nicht bedient, wenn trotz Durchführung des Statusfeststellungsverfahrens eine Feststellung über den Erwerbsstatus offenblieb, wie beispielsweise bei Minijobbern, weil die Sozialversicherungspflicht aus anderen Gründen zu verneinen war. Das Gesetz kennt jedoch auch Konstellationen, in denen trotz Versicherungsfreiheit das Vorliegen einer Beschäftigung relevant sein kann. Darüber hinaus kann auch eine selbstständige Tätigkeit versicherungsrelevante Folgen haben (z.B. im Falle der Pflichtversicherung für Selbstständige nach § 2 SGB VI), sodass die Feststellung des Erwerbsstatus nicht bedeutungslos ist.

Weiterhin gilt jedoch, dass nur der Erwerbsstatus in einem konkreten Auftragsverhältnis festgestellt werden kann – nicht hingegen der allgemeine, „auftragsübergreifende“ Erwerbsstatus. 

Statusfeststellung zukünftig auch in Dreiecksverhältnissen möglich

Bisher war eine umfassende Klärung der in sog. Dreiecksverhältnissen bestehenden sozialversicherungsrechtlichen Beziehungen im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens nicht möglich; es mussten daher grundsätzlich mindestens zwei Statusfeststellungsverfahren angestrengt werden. 

Zukünftig soll § 7a Abs. 2 S. 2 SGB IV n.F. „Klarheit“ schaffen. Ein Dreiecksverhältnis besteht beispielsweise, wenn ein Dienstleister (Auftraggeber) einen Spezialisten (Auftragnehmer) bei einem Dritten (Endkunden) im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrages einsetzt. Es kann sich hierbei um eine (verdeckte) Arbeitnehmerüberlassung oder aber um „echte“ Dienst-/Werkverträge handeln. 

So kommt es bei der Frage, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt, nicht nur auf das Vertragsverhältnis zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber, sondern auf sämtliche Rechtsbeziehungen an, die dieses Vertragsverhältnis prägen – mithin auch auf Vereinbarungen zwischen dem Auftraggeber und dem Endkunden. Im Falle der abhängigen Beschäftigung soll zugleich die Folgefrage beantwortet werden, mit wem das Beschäftigungsverhältnis besteht – mit dem Endkunden oder dem Auftraggeber. Voraussetzung für diese Feststellung ist jedoch, dass Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Auftragnehmer in die Arbeitsorganisation des Endkunden eingegliedert ist und dessen Weisungen unterliegt. 

Nach den neuen Regelungen soll nun auch der Endkunde ein Statusfeststellungsverfahren einleiten können, um überprüfen zu lassen, ob zwischen ihm und dem Auftragnehmer ein Beschäftigungsverhältnis besteht. Ein entsprechendes Interesse des Endkunden hieran wird insbesondere in Fällen der illegalen bzw. verdeckten Arbeitnehmerüberlassung mit der Folge eines fingierten Arbeitsverhältnisses des Auftragnehmers zum Endkunden bestehen. Ob der Endkunde aufgrund der für ihn zu erwartenden Folgen tatsächlich eigeninitiativ Angaben zu einem „fehlgeleiteten“ Einsatz macht, ist jedoch zweifelhaft.

Beantragt der Endkunde die Durchführung des Statusfeststellungsverfahrens – bevor ein solches im Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer in die Wege geleitet wurde –, so stellt sich die Frage des Erwerbsstatus zwangsnotwendig als Vorfrage. Denn um festzustellen, ob ein Beschäftigungsverhältnis zum Endkunden besteht, muss zuvor geklärt werden, ob überhaupt eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt. Das hat zur Folge, dass der Auftraggeber und der Auftragnehmer im Zweifel gegen deren Willen (mittelbar) in das durch den Endkunden initiierte Verfahren einbezogen werden.

Keine „Klarheit“ im Dreiecksverhältnis, sondern rein verfahrensrechtliche Anpassung

Die DRV soll die Kompetenz haben, eine Tätigkeit umfassend zu beurteilen. „Klarheit“ im Sinne der Möglichkeit einer rechtssicheren Bestimmung, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt, schafft der Gesetzgeber mit dieser Neuregelung allerdings nicht. Es handelt sich ausschließlich um eine verfahrensrechtliche Anpassung. Der Gesetzgeber macht keine inhaltlichen Vorgaben für eine künftig rechtssichere Beantwortung der materiell-rechtlichen Abgrenzungsfragen. Die (nicht unerhebliche) Planungs- und Rechtsunsicherheit über den Ausgang eines Verfahrens bleibt – wie bisher – bestehen. Dies gilt insbesondere für Dreipersonenverhältnisse. 

Prognoseentscheidung: Statusfeststellungsverfahren vor Aufnahme der Tätigkeit möglich

Das Statusfeststellungsverfahren konnte bisher erst nach Aufnahme einer Tätigkeit durchgeführt werden. Grund hierfür war, dass das tatsächlich gelebte Vertragsverhältnis für die Beurteilung entscheidend ist. Zwar bleibt dieser Grundsatz im Kern bestehen. Auf Antrag der Beteiligten entscheidet die DRV nach der geänderten Rechtslage jedoch bereits vor Aufnahme der Tätigkeit über den Erwerbsstatus, vgl. § 7a Abs. 4a SGB IV n.F. So sollen die Beteiligten frühzeitig Rechtssicherheit erlangen können. Auch hier bestehen Zweifel, ob dieses Ziel mit der neuen Regelung erreicht wird. Denn die antizipierten tatsächlichen Einsatzumstände müssen hinreichend konkret sein, sonst droht eine Ablehnung des Antrags durch die DRV. 

Dennoch kann diese „sog. „Prognoseentscheidung“ den Beteiligten die Entscheidung darüber erleichtern, ob sie das geplante Vertragsverhältnis auch eingehen wollen. Bisher war dies ein „Blindflug“, da die Feststellung durch die DRV erst nach Aufnahme der Tätigkeit erfolgen konnte. Dies hat viele Beteiligte davon abgehalten, eine entsprechende Klärung zu initiieren.  

Mitteilungspflichten der Beteiligten 

Der Prognoseentscheidung liegt zudem das Konzept der Mitteilungspflicht der Beteiligten zugrunde. Ändern sich die Vereinbarungen oder die Umstände der Vertragsdurchführung innerhalb eines Monats nach Tätigkeitsaufnahme, müssen die Beteiligten dies unverzüglich mitteilen. Die DRV prüft dann erneut. Kommt sie zu einem anderen Ergebnis, hat sie die Entscheidung wegen geänderter Verhältnisse zurückzunehmen. 

Die Abänderung der Prognoseentscheidung (z.B. wenn eine selbstständige Tätigkeit prognostiziert wurde, es sich aber wegen geänderter Umstände tatsächlich um eine abhängige Beschäftigung handelt) wirkt zum Schutz der Beteiligten grundsätzlich nur für die Zukunft. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Beteiligten nicht schutzwürdig sind, z.B. wenn sie ihre Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt haben. Dann soll die Prognoseentscheidung mit Wirkung ab dem Tag der Aufnahme der Tätigkeit rückwirkend zurückgenommen werden (vgl. § 7a Abs. 4a S. 5 SGB IV n.F.) – mit der möglichen Folge von Beitragsrückzahlungen. 

Treten die Änderungen in der Tätigkeit hingegen erst nach der Monatsfrist ein, gelten weiterhin die allgemeinen Vorschriften zur Aufhebung des Verwaltungsaktes. Bedenklich ist insbesondere die Kürze dieser Frist, da sich eine Veränderung in der tatsächlichen Umsetzung des Vertragsverhältnisses wohl oftmals erst später zeigen dürfte. 

Gruppenfeststellung

Ein weiteres neues Instrumentarium ist die sog. Gruppenfeststellung, vgl. § 7a Abs. 4b SGB IV n.F. Eine solche kommt bei einer Identität der Vertragsparteien (z.B. bei einem Rahmenvertrag) bzw. bei unterschiedlichen Parteien in Betracht, wenn die Aufträge auf Grundlage von im Wesentlichen einheitlichen Bedingungen umgesetzt werden. Ziel dieser Neuregelung ist, dass sich die DRV, wenn sie in einem Einzelfall über den Erwerbsstatus entschieden hat, auf Antrag des Auftraggebers gutachterlich zu dem Erwerbsstatus von Auftragnehmern in gleichen Auftragsverhältnissen äußern kann. Da es sich bei dieser Äußerung um keinen Verwaltungsakt handelt, löst sie jedoch keine Bindungswirkung und damit auch keine umfassende Rechtssicherheit aus.

Hier stellt sich im Wesentlichen die Frage nach der Gleichheit der Auftragsverhältnisse. Dabei ist es nicht gerade hilfreich, dass sich Gesetzeswortlaut und Gesetzesbegründung widersprechen. Der Gesetzeswortlaut stellt klar, dass Auftragsverhältnisse gleich sind, 

wenn die vereinbarten Tätigkeiten ihrer Art und den Umständen der Ausübung nach übereinstimmen und ihnen einheitliche vertragliche Vereinbarungen zu Grunde liegen,

vgl. § 7a Abs. 4b S. 2 SGB IV n.F. Hingegen toleriert die Gesetzesbegründung geringfügige Abweichungen, z.B. hinsichtlich der Tätigkeit, der Höhe der Vergütung (!) und der Modalitäten der Leistungserbringung. 

Wurde im Rahmen einer Gruppenfeststellung eine selbstständige Tätigkeit angenommen und trifft ein anderer Versicherungsträger später eine abweichende Entscheidung (= abhängige Beschäftigung) so entfaltet diese nachträgliche Entscheidung grundsätzlich erst mit ihrer Bekanntgabe Wirkung (Vertrauensschutz, gem. § 7a Abs. 4c SGB IV n.F. unter den dort genannten Bedingungen). 

Antrag auf Anhörung

Die neu vorgesehene Möglichkeit eines Antrags auf mündliche Anhörung (vgl. § 7a Abs. 6 S. 2 SGB IV n.F.) kann zur Erläuterung des zu beurteilenden Sachverhalts sicherlich hilfreich sein, dürfte zeitlich jedoch zu spät ansetzen – denn sie ist erst im Widerspruchsverfahren möglich. 

Ob und wie lange die Änderungen halten, bleibt abzuwarten

Nach § 7a Abs. 7 SGB IV n.F. sind die Änderungen zunächst bis zum 30. Juni 2027 befristet. Die DRV ist verpflichtet, die Änderungen zu evaluieren und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bis zum 31. Dezember 2025 einen entsprechenden Bericht vorzulegen. 

Aus den Wahlprogrammen der Parteien folgt, dass das Thema unterschiedlich bewertet wird, sodass abzuwarten bleibt, ob das Statusfeststellungsverfahren ggf. bereits in der kommenden Legislaturperiode weiteren Änderungen unterzogen wird. 

Die Reaktionen auf die Reform sind im Weiteren divers. Wirtschaftsverbände monieren, ihre Interessen seien nicht beachtet worden. Die DRV begrüßt die Feststellung des Erwerbsstatus wegen des erwarteten Wegfalls des bürokratischen Aufwands, die Prognoseentscheidung und Gruppenfeststellung wird hingegen kritisch betrachtet. 

Schlussendlich ist nur klar, dass der Gesetzgeber sich des Hauptproblems nicht angenommen hat: Nämlich Abgrenzungskriterien zu formulieren, die bestimmen, wann genau eine abhängige Beschäftigung bzw. eine selbstständige Tätigkeit vorliegt.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Dreiecksverhältnis Erwerbsstatus Statusfeststellungsverfahren