Über die Konsequenzen des Beschlusses des BAG vom 14.12.2010 (Az. 1 ABR 19/10) zur Tarifunfähigkeit der CGZP haben wir an dieser Stelle schon in zahlreichen Beiträgen berichtet. Aufgrund der vermeintlichen Unwirksamkeit der von der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge haben die Rentenversicherungsträger bei zahlreichen Personaldienstleistern Betriebsprüfungen zur Ermittlung etwaiger Beitragsnachzahlungen auf die Entgeltdifferenz zwischen dem Entgelt eines vergleichbaren Beschäftigten des Kunden und dem jeweiligen überlassenen Arbeitnehmer angekündigt und inzwischen auch abgeschlossen.
Gegen entsprechende Nachforderungsbescheide sind zahlreiche Personaldienstleister gerichtlich vorgegangen. Mit Blick auf die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Rentenversicherungsträger ist dabei regelmäßig streitig, ob ein im Rahmen einer vorherigen Betriebsprüfung erlassener Bescheid aufgehoben werden muss, bevor eine weitere Nachforderung für einen zeitlich (teil)identischen Prüfzeitraum erlassen werden kann.
In einer aktuellen Entscheidung hat das SG Nürnberg diese Frage nun bejaht (Beschluss vom 18.02.2012 – S 18 R 138/12 ER):
Im vorliegend relevanten Prüfzeitraum vom 01.12.2005 bis 31.12.2009 wandte das Unternehmen das Tarifwerk der CGZP an. Dessen überlassene Arbeitnehmer erhielten dabei geringere Löhne als die nach ihrer Tätigkeit vergleichbaren Stammmitarbeiter bei den Kunden. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 04.01.2010 erhob der zuständige Rentenversicherungsträger für den Prüfzeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.12.2008 eine Nachforderung von ca. 900 €. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass das ArbG Berlin am 01.04.2009 festgestellt habe, dass die CGZP nicht tariffähig sei und diese Entscheidung beitragsrechtliche Folgen nach sich ziehen könne. Im Dezember 2011 wurde eine weitere Betriebsprüfung für den Prüfzeitraum vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 durchgeführt. Dabei stellte der Rentenversicherungsträger mit Bescheid vom 31.01.2012 fest, dass sich aufgrund der Unwirksamkeit des angewandten Tarifvertrags Nachforderungen zur Sozialversicherung i.H.v. ca. 40.000 € ergäben. Der Gesetzgeber habe ab 01.01.2004 für den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung den Grundsatz „equal pay“ aufgestellt und in § 10 Abs. 4 S. 1 AÜG gesetzlich verankert. Die Entlohnung des überlassenen Arbeitnehmers habe sich nach der Stammbelegschaft des Entleihers zu richten. Von dieser Regel könne nur dann zum Nachteil des Mitarbeiters abgewichen werden, wenn in einem Tarifvertrag eine abweichende Regelung getroffen worden sei. Die Bestätigung des Tarifunfähigkeit der CGZP durch das BAG habe die Unwirksamkeit des Tarifvertrags zur Folge, so dass das Unternehmen ihre Arbeitnehmer entsprechend dem equal pay-Grundsatz hätte bezahlen müssen. Als Beitragsbemessungsgrundlage für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge müsse daher der Entgeltanspruch eines vergleichbaren Stammmitarbeiters herangezogen werden. Unter Zugrundelegung der höheren Entgelte ergebe sich die geltend gemachte Nachforderung. Der Personaldienstleister beantragte schließlich beim SG Nürnberg, die aufschiebende Wirkung des eingelegten Widerspruchs anzuordnen.
Das Gericht gab dem Antrag statt. Dem Gesetz sei bezüglich der Abwägung bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu entnehmen: der Gesetzgeber schätze durch den ausdrücklichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage in den Fällen des § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug von Beitragsbescheiden grundsätzlich höher ein als das Privatinteresse an der vorläufigen Aussetzung. Je größer die Erfolgsaussichten von Widerspruch und Klage seien, desto größer sei aber das Aussetzungsinteresse des Unternehmens zu bewerten. Seien die Erfolgsaussichten nicht abschätzbar, bleibe es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Nach Ansicht des SG Nürnberg bestehen nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, da der Rentenversicherungsträger es versäumt habe, zunächst den bestandskräftigen Bescheid vom 04.01.2010 gem. § 44 ff. SGB X aufzuheben.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X dürfe ein rechtswidrige Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt habe, nachdem er unanfechtbar geworden sei, nur unter Einschränkungen zurückgenommen werden. Mit Bescheid vom 04.01.2010 habe der Rentenversicherungsträger für den Prüfzeitraum vom 01.01.2005 bis 31.12.2008 einen inzwischen bestandskräftigen Beitragsbescheid erlassen, der eine Regelung hinsichtlich der in diesem Zeitraum bestehenden Beitragspflichten beinhalte und ggf. von Anfang an rechtswidrig sei, da er die Beitragsnachzahlungspflicht im Hinblick auf die tatsächlich geschuldeten Entgelte nach dem equal pay-Grundsatz nicht beinhaltet habe. Insoweit liege ein den Personaldienstleister begünstigender Verwaltungsakt vor, der nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X zurückgenommen werden könne. Dies sei vorliegend aber nicht erfolgt.
Die Entscheidung des SG Nürnberg ist richtig. Sie liegt dabei insbesondere auf Linie des Bayerischen LSG, das seine inzwischen st. Rspr. in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss erneut bestätigt hat: hat der zuständigen Rentenversicherungsträger in der Vergangenheit bereits eine Betriebsprüfung durchgeführt und in diesem Zusammenhang einen (nunmehr) bestandskräftigen Nachzahlungsbescheid erlassen, muss dieser vor einer erneuten Prüfung des zeitlich (teil)identischen Zeitraumes zurückgenommen werden; ansonsten ist das Vorgehen des Rentenversicherungsträgers rechtswidrig (vgl. Bayer. LSG, Beschl. v. 22.03.2012 – L 5 R 138/12 B ER; Bayer. LSG, Beschl. v. 07.10.2011 – L 5 R 613/11 B ER; Bayer. LSG, Urt. v. 18.01.2011 – L 5 R 752/08; in diesem Sinne auch: SG Dortmund, Beschl. v. 23.01.2012 – S 25 R 2507/11 ER; Kasseler Kommentar/Wehrhahn, § 28 p SGB IV Rn. 10; a.A. SG Würzburg, Beschl. v. 07.02.2012 – S 6 R 74/12 ER)
Die DRV lehnt diese Auffassung – wenig überraschend – ab, da durch die Anwendung von § 45 SGB X eine Aufhebung des ursprünglichen Bescheides aufgrund der Vertrauensschutz gewährenden Elemente nur eingeschränkt möglich ist. Ob in dem vom SG Nürnberg entschiedenen Fall der Personaldienstleister tatsächlich schutzwürdig gewesen wäre, ist aber zweifelhaft. Immerhin enthielt der Ausgangsbescheid einen Hinweis auf etwaige sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen, die aus einer etwaig höchstrichterlich noch festzustellenden Tarifunfähigkeit der CGZP ergeben könnten. Die Praxis zeigt aber, dass nur wenige Bescheide in diesem Sinne ergangen sind, so dass ein Personaldienstleister sich regelmäßig auf vertrauensschützende Umstände berufen kann, die einer Aufhebung des ursprünglichen Prüfbescheides und folglich einer weiteren Nachforderung für den (teil)identischen Prüfzeitraum entgegenstehen.
Es bleibt spannend, ob sich der Ansicht des SG Nürnberg und des Bayer. LSG weitere Gerichte anschließen werden.