18. März 2024
Kenntnisnahme Dienstbeginn Arbeitsrecht
Arbeitsrecht

SMS und Anrufe des Arbeitgebers in der Freizeit 

Das BAG entschied jüngst, dass Arbeitnehmer auch außerhalb ihres Dienstes verpflichtet sind, arbeitgeberseitige Mitteilungen zur Kenntnis zu nehmen.

SMS und Anrufe des Arbeitgebers* in der Freizeit dürfen nicht einfach ignoriert werden. Führt die fehlende Kenntnisnahme einer Information, z.B. einer Dienstplanänderung, zu einem verspäteten Dienstantritt, kann dies für den Arbeitnehmer arbeitsrechtliche Konsequenzen haben.

Die Abgrenzung von Arbeitszeit und Freizeit sowie die Verpflichtung eines Arbeitnehmers in der Freizeit erreichbar zu sein, beschäftigte die Gerichte in der Vergangenheit immer wieder. Die kurze „Unterbrechung“ der Freizeit, um sich über eine Dienstplanänderung zu informieren, ordnete das BAG nun der Freizeit zu; Arbeitszeit liege wegen des geringfügigen Aufwands nicht vor.

Zum Sachverhalt: Notfallsanitäter nahm Arbeitseinteilung am Tag vor Dienstbeginn nicht zur Kenntnis und zeigte Arbeitsbereitschaft zu spät an

Dem BAG-Urteil vom 28. August 2023 (Az.: 5 AZR 349/22) lag ein Rechtsstreit über eine Abmahnung wegen des Nichterscheinens eines Notfallsanitäters zum Dienstbeginn zu Grunde. Weiter stritten die Parteien um die Gutschrift der versäumten Arbeitsstunden. 

Der Notfallsanitäter hatte seinen Dienst einmal gar nicht und ein weiteres Mal verspätet aufgenommen. Grund war jeweils, dass er am Vorabend auf die Versuche der Arbeitgeberin ihn zu erreichen, um den Dienst(beginn) zu konkretisieren, nicht reagierte. 

Damit verstieß er nach Ansicht des BAG gegen die arbeitgeberseitigen Weisungen. Denn die betriebliche Handhabung zur Diensteinteilung sieht im Rahmen einer Betriebsvereinbarung Folgendes vor: Zunächst werden die Notfallsanitäter in sogenannte unkonkrete Springerdienste eingeteilt. Hiermit soll sichergestellt werden, dass diese dem Grunde nach am Diensttag im jeweilig eingeteilten Zeitfenster (Tag-, Spät- oder Nachtdienst) verfügbar sind. Die Betriebsvereinbarung sieht hierfür eine Ankündigungsfrist von vier Tagen vor. Die Konkretisierung der genauen Uhrzeit zur Aufnahme des Dienstes sowie des Dienstortes erfolgt wiederum bis spätestens am Vorabend um 20:00 Uhr. Die Mitteilung tätigt die Arbeitgeberin mittels SMS und/oder E-Mail. Die Kenntnisnahme durch die Arbeitnehmer ist entsprechend zwingend erforderlich.

Im konkreten Fall unterließ der Notfallsanitäter die Kenntnisnahme. Auf Anrufe, SMS und E-Mail(s) zu den Konkretisierungen seines Dienstbeginns am Vorabend seines Tagdienstes regierte er nicht. Der Notfallsanitäter versäumte daraufhin seinen Dienstbeginn zu den eingeteilten Zeiten um 6.00 Uhr bzw. 6.30 Uhr und zeigte jeweils erst um 7:30 Uhr seine Arbeitsbereitschaft an.

Die Arbeitgeberin reagierte hierauf mit einer Abmahnung. Weiter verbuchte sie die Fehlzeiten im Arbeitszeitkonto des Notfallsanitäters. Hiergegen klagte dieser vor den Arbeitsgerichten.

Notfallsanitäter muss sich Kenntnis über Dienstbeginn am Vortrag verschaffen 

Das BAG stellte fest, dass die Praxis der Arbeitgeberin, den Dienst stufenweise (bis 20:00 Uhr am Vorabend) zu konkretisieren, rechtmäßig war. Korrespondierend war der Notfallsanitäter nach Ansicht des BAG bis zu diesem Zeitpunkt verpflichtet, sich über seinen konkreten Dienstbeginn Kenntnis zu verschaffen. Wegen der ausdrücklichen Regelung in der Betriebsvereinbarung sei ihm dies auch bekannt gewesen. Rechtliche Grundlage für die Pflicht zu Kenntnisnahme bilde die Betriebsvereinbarung i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB, der Rücksichtnahmepflicht als arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Die Unterlassung der Kenntnisnahme stelle eine Verletzung dieser dar.

Eine übermäßige Belastung des Arbeitnehmers in der Freizeit, die letztlich zu einer Einordnung als Arbeitszeit führen müsste, entstehe hierdurch nicht. Der Notfallsanitäter sei nicht zur ständigen Erreichbarkeit verpflichtet gewesen. Vielmehr stand es ihm frei, wann er – nach 20:00 Uhr – die eingegangenen E-Mails / SMS zu seinem Dienstbeginn sichtete.

Pflicht zur Kenntnisnahme einer Weisung ist keine Arbeitszeit 

Soweit es um die Einordnung von arbeitgeberseitigen Weisungen als Arbeitszeit geht, setzt das BAG seine bisherige Rechtsprechung – sowie die des BVerwG – konsequent fort: Maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Belastung des Arbeitnehmers in seiner Freizeit. Dementsprechend stellt die bloße Kenntnisnahme einer Weisung nach Ansicht der Richter keine Arbeitszeit dar.

Auch die Maßstäbe der EuGH-Rechtsprechung zur Rufbereitschaft werden abgebildet: Der EUGH hatte am 9. September 2021 – C-107/19 entschieden, dass als Arbeitszeit  Zeitspannen gelten, während derer dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen. Für die Ablehnung der Arbeitszeit stellt das BAG im vorliegenden Fall auf den geringen zeitlichen Aufwand der Kenntnisnahme (Lesen einer kurzen SMS oder E-Mail) sowie auf die freie Wahl des Zeitpunkts ab. Eine ganz erhebliche Beeinträchtigung der Gestaltung der freien Zeit des Arbeitnehmers sah es nicht als gegeben an.

Den gegenläufigen Rechtsauffassungen der Landesarbeitsgerichte Thüringen und Schleswig-Holstein tritt das BAG mit seiner Entscheidung damit deutlich entgegen:

  • Das LAG Thüringen (Urteil v. 16. Mai 2018 – 6 Sa 442/17) erteilte jeglicher Form der Erreichbarkeitspflicht in der Freizeit eine Absage. Begründung:  Es gehöre zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, selbst zu entscheiden, für wen man in seiner Freizeit erreichbar sein möchte.
  • Das LAG Schleswig-Holstein (Urteil v. 27. September 2022 – 1 Sa 39 öD/22) sah bereits im Lesen einer SMS durch den Arbeitnehmer eine Arbeitsleistung, zu der er in seiner Freizeit nicht verpflichtet werden könne. 

Arbeitnehmer werden durch kurze Mitteilungen in ihrer Freizeit nicht „erheblich beeinträchtigt″ 

Mit der Entscheidung des BAG, das Lesen einer SMS / E-Mail nicht als Arbeitszeit einzuordnen, lässt sich erstmals eine Art „Bagatellgrenze“ für die kurzzeitige Kenntnisnahme von arbeitsbezogenen Mitteilungen in der Freizeit oder im Urlaub erkennen. Für die Praxis ergibt sich hieraus ein weiterer Richtwert zur Bestimmung einer „erheblichen Beeinträchtigung“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH: Arbeitszeit liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn es lediglich um die kurze (und vom Arbeitnehmer zeitlich frei wählbare) Kenntnisnahme von Informationen in der Freizeit geht.

Auf Zuspruch dürfte die Entscheidung bei allen Arbeitgebern stoßen, die sich den Herausforderungen der Dienstplanerstellung im Schichtbetrieb gegenübersehen: Ihnen wird mit der Entscheidung ein (zeitlich) flexiblerer Umgang mit Diensteinteilungen erlaubt.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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