11. April 2018
Transitfahrt MiLoG
Arbeitsrecht

(Transit)Fahrten durch Deutschland: Mindestlohnpflicht auch für ausländische Arbeitgeber?

Seit Einführung des allgemeinen Mindestlohns im Jahr 2015 ist die Frage der Anwendbarkeit ausländische Arbeitgeber ein "Dauerbrenner". Das FG Berlin-Brandenburg hat dieses Thema nun aufgegriffen und ernstliche Zweifel an der Anwendbarkeit des deutschen Mindestlohngesetzes auf im Ausland ansässige Arbeitgeber geäußert.

Mit Wirkung zum 1. Januar 2015 wurde durch das Mindestlohngesetz (MiLoG) ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland eingeführt. Seither hat nach § 20 MiLoG grundsätzlich jeder in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des verbindlichen Mindestlohns, derzeit also EUR 8,84 brutto pro Zeitstunde.

Bedeutung für (die Beauftragung von) Transport- und Logistikunternehmen

Ob sich das MiLoG mit seinen Anforderungen auch an Unternehmen richtet, die ihren Sitz ausschließlich im Ausland haben, ist in der Rechtsprechung bisher ungeklärt. Dabei hat diese Fragestellung insbesondere in der Transport- und Logistikbranche eine nicht unerhebliche Bedeutung und wurde bereits vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns kontrovers diskutiert.

Insbesondere bei sog. Transitfahrten ausländischer Unternehmen stellt sich die Frage, ob Arbeitnehmer, die Deutschland für die Zustellung von Waren passieren (nur Transit) oder Ware in Deutschland ausliefern/aufnehmen (sog. Kabotage-Fahrten), um anschließend wieder ins Ausland zurückzukehren, einen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für die Zeiten der Tätigkeit in Deutschland haben. Denn diese Arbeitnehmer üben ihre Tätigkeit zumindest kurzzeitig in Deutschland aus.

Besondere Bedeutung erlangt die Fragestellung auch dann, wenn deutsche Unternehmen ausländische Subunternehmer – etwa für die Ausführung der Transitfahrten – beauftragen. In diesem Fall haftet das deutsche Unternehmen neben dem ausländischen Unternehmen – und zwar verschuldensunabhängig – für die Mindestlohnpflichten des ausländischen Subunternehmers. Die Thematik hat auch deswegen eine große praktische Relevanz, weil die Nichteinhaltung der Vorschriften des MiLoG eine Ordnungswidrigkeit darstellen kann, die mit hohen Geldbußen belegt werden kann.

Anwendbarkeit des MiLoG auf ausländische Arbeitgeber umstritten

Die für die Logistikbranche höchst praxisrelevante Frage, ob das MiLoG auch auf Transitfahrten Anwendung findet, ist bisher nicht geklärt.

In § 20 MiLoG ist vorgesehen, dass Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland verpflichtet sind, ihren „im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern″ den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen. Nach dem Wortlaut sollen also auch Arbeitnehmer von ausländischen Arbeitgebern unter den gesetzlichen Mindestlohn fallen, wenn diese in Deutschland beschäftigt werden. Eine bestimmte Mindestdauer für die Inlandstätigkeit wird nicht gefordert. Für eine Erstreckung des MiLoG auch auf Transitfahrten könnte weiter sprechen, dass der Gesetzgeber gerade auf eine möglichst umfassende Geltung des gesetzlichen Mindestlohns – auch bei nur sehr kurzzeitigen Tätigkeiten in Deutschland – abzielte.

Gegen die Anwendbarkeit des MiLoG auf ausländische Arbeitgeber werden im Wesentlichen zwei Argumente vorgebracht. Zum einen wird vertreten, dass der Begriff der „Beschäftigung″ nach § 20 MiLoG anhand des Beschäftigungsbegriffs des Sozialversicherungsrechts zu bestimmen sei (Bissels/Falter/Evers, ArbR 2015, 4). Danach ist eine Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV). Anhaltspunkte für eine solche Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisung und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers, d.h. regelmäßig des Arbeitgebers.

Legt man ein solches Begriffsverständnis zugrunde, so erscheint eine Beschäftigung im Inland und damit eine Anwendbarkeit des MiLoG fraglich, wenn der Arbeitgeber seine Betriebsorganisation (z.B. seinen Fuhrpark, seine Verwaltung, sein Betriebsgelände) im Ausland vorhält und der Arbeitnehmer dort eingebunden ist sowie weisungsgemäß eine Transitfahrt in Deutschland ausführt. Denn in diesem Fall wird der Arbeitnehmer lediglich anlässlich eines auslandsgeprägten Beschäftigungsverhältnisses vorübergehend im Inland eingesetzt. Eine Beschäftigung im Inland ist hierin nicht zu erkennen.

Zum anderen wird die Anwendbarkeit des MiLoG auf ausländische Unternehmen auch unter dem Aspekt einer möglichen Unionsrechtswidrigkeit der Vorschrift diskutiert.Demnach verstoße die Ausdehnung des gesetzlichen Mindestlohns auf ausländische Arbeitgeber gegen die Dienstleistungsfreiheit. Die hier maßgebliche Vorschrift (Art. 56 AEUV) verlange insbesondere auch die Aufhebung aller Beschränkungen, die geeignet sind, Tätigkeiten eines ausländischen Dienstleisters zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Die Vertreter dieses Ansatzes beziehen sich dabei auf die Rechtsprechung des EuGH zu Tariftreueregelungen. Danach stellt die Verpflichtung zur Zahlung eines Mindestentgelts eine zusätzliche wirtschaftliche Belastung dar, die nach Ansicht des EuGH geeignet ist, die Erbringung von Dienstleistungen in Deutschland zumindest weniger attraktiv zu machen.

Finanzgericht Berlin-Brandenburg bestätigt Zweifel an der Anwendbarkeit des MiLoG

Mit der Entscheidung des Finanzgerichtes Berlin-Brandenburg vom 7. Februar 2018 hat nun erstmals auch ein deutsches Gericht ernsthafte Zweifel an der Anwendbarkeit des MiLoG auf im EU-Ausland ansässige Unternehmen der Transport- und Logistikbranche und deren Arbeitnehmer artikuliert (Az.: 1 V 1175/17). Das Gericht setzte in dem Verfahren die Vollziehung einer Prüfungsverfügung einer Zollbehörde aus und begründete dies im Wesentlichen mit der weiterhin ungeklärten Streitfrage, ob das MiLoG auf ein im EU-Ausland ansässiges Unternehmen überhaupt Anwendung finden kann. Das Gericht sah die Rechtslage insoweit als offen an und befand, dass die Rechtsfragen zu komplex seien, um sie in dem Eilrechtsschutzverfahren zu entscheiden. Das Gericht betonte dabei, dass seine Entscheidung dazu führe, dass die Vorschriften des MiLoG „partiell nicht durchgesetzt werden können″; dies sei jedoch durch das Klageverfahren, d.h. das Hauptsacheverfahren (das sich dem Eilrechtsschutzverfahren anschließt), zu klären. Es bleibt abzuwarten, ob das Gericht, das auch über das Verfahren in der Hauptsache zu entscheiden hat, die streitgegenständlichen Fragen dem EuGH zur Entscheidung vorlegen wird.

Bereits zuvor hatte sich auch schon das Bundesverfassungsgericht mit der Frage der Anwendbarkeit des MiLoG auf ausländische Unternehmen befasst. Das Bundesverfassungsgericht musste die Frage jedoch im Ergebnis nicht entscheiden, da es die Verfassungsbeschwerde mehrerer ausländischer Transport- und Logistikunternehmen im Jahr 2015 bereits aus Zulässigkeitsgründen nicht zur Entscheidung angenommen hat (Az.: 1 BvR 555/15). Es stellte insofern nur fest, dass unklar sei, was unter einer Beschäftigung im Inland nach § 20 MiLoG zu verstehen ist und ob die Mindestlohnpflicht für ausländische Unternehmen der Transportbranche mit Unionsrecht zu vereinbaren sei.

Die Entscheidung des Finanzgerichtes Berlin-Brandenburg lässt bereits eine gewisse Tendenz erkennen, dass die Rechtsprechung eine Anwendbarkeit des MiLoG auf ausländische Unternehmen und somit auch auf Transitfahrten ablehnen könnte.

Grenzen der Anwendbarkeit des MiLoG bleiben weiterhin unklar

Auch wenn das Finanzgericht Berlin-Brandenburg die bestehenden rechtlichen Zweifel an der Anwendbarkeit des MiLoG auf ausländische Arbeitgeber teilt, bleibt die Frage in der Rechtsprechung weiterhin ungeklärt. Die Entscheidung des Finanzgerichtes Berlin-Brandenburg stützt jedoch die von diversen Seiten geäußerte Kritik an der Anwendbarkeit des MiLoG in den entsprechenden Fällen und wird von betroffenen Unternehmen sicher aufgegriffen.

In jedem Fall gilt: Solange keine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Thematik vorliegt, sollten sich Transport- und Logistikunternehmen – aufgrund der weitreichenden Pflichten nach dem MiLoG und den mit einem Verstoß hiergegen verbundenen empfindlichen Rechtsfolgen – mit dieser Thematik und möglichen Lösungen befassen.

Tags: Mindestlohn Transitfahrt