3. Juli 2018
TV Leiz Übernahmeanspruch
Arbeitsrecht

TV LeiZ: Übernahmeanspruch des Zeitarbeitnehmers?

AÜG-Reform von 2017 erhört die Bedeutung der Tarifverträge zur Leih-/Zeitarbeit. Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten kann überschritten werden.

Mit Wirkung zum 1. März 2017 ist die AÜG-Reform mit dem Ziel in Kraft getreten, die Zeitarbeit auf „ihre Kernfunktion zu orientieren″ (vgl. BT-Drucksache 18/9232, 2), indem diese (wieder) gesetzlich strenger reguliert wird. Der Gesetzgeber hat dabei u.a. eine Überlassungshöchstdauer von grundsätzlich 18 Monaten vorgesehen, von der in Tarifverträgen der Einsatzbranche oder darauf aufsetzenden Betriebsvereinbarungen abgewichen werden kann (vgl. § 1 Abs. 1 S. 4, Abs. 1b AÜG; dazu auch: Bissels/Falter, ArbR 2018, 4 ff.).

Besondere Bedeutung der TV LeiZ

Vor dem Hintergrund dieser Deregulierungsmöglichkeit kommt den in der M+E-Industrie geltenden Tarifverträgen zur Leih-/Zeitarbeit (TV LeiZ) nunmehr eine besondere Bedeutung zu. Dabei gilt kein bundeseinheitlicher TV LeiZ; vielmehr ist in den jeweiligen Tarifbezirken jeweils gesondert ein eigener TV LeiZ abgeschlossen worden. Die verschiedenen Tarifverträge sind inhaltlich aber nahezu identisch.

Wurden diese ab dem Jahr 2012 zunächst vereinbart, um die Zeitarbeit – zu Lasten der M+E-Unternehmen und damit mittelbar auch zu Lasten der Personaldienstleister – tariflich zu beschränken, so können diese Tarifverträge nunmehr genutzt werden, um zugunsten der M+E-Unternehmen von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten nach oben abzuweichen.

Ziel des TV LeiZ war es, durch die grundsätzliche Pflicht des M+E-Kunden, einem überlassenen Arbeitnehmer nach einem Einsatz von 24 Monaten ein Angebot auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags zu unterbreiten (es sei denn, es gilt für den betreffenden Betrieb eine Betriebsvereinbarung zur Zeitarbeit, vgl. Ziff. 3, 4 TV LeiZ).

Neue Tarifverträge in allen Tarifbezirken – Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten möglich

Inzwischen gelten in allen Tarifbezirken neu vereinbarte Tarifverträge, die eine Überlassungshöchstdauer von bis zu 48 Monaten zulassen (s. dazu: Ziff. 2.3 TV LeiZ Nordrhein-Westfalen vom 02. Februar / 22. Mai .2017). Der TV LeiZ stellt damit ein Regulierungs- und gleichzeitig ein Flexibilisierungsinstrumentarium dar, um den Einsatz von Zeitarbeit in den betreffenden Kundenbetrieben maßgeschneidert steuern zu können.

Dazu sind im TV LeiZ Öffnungsklauseln zugunsten von Betriebsvereinbarungen vorgesehen. Brisant ist insoweit, dass sich nach der gesetzlichen Konstruktion auch nicht-tarifgebundene Kundenunternehmen der M+E-Industrie über entsprechende Betriebsvereinbarungen die verlängerte Überlassungshöchstdauer nach dem TV LeiZ nutzbar machen können. Und zwar nicht gedeckelt auf 24 Monate, da der TV LeiZ selbst eine eigene Überlassungshöchstdauer von bis zu 48 Monaten zulässt (vgl. § 1 Abs. 1b S. 6 AÜG).

Vor dem Hintergrund des erheblichen Bedeutungszuwachses entsprechender Tarifverträge ab dem 1. April 2017 sind gerichtliche Entscheidungen zu deren Auslegung interessant, selbst wenn diese – wie das nachfolgend besprochene Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 08.11.2017 (Az. 19 Sa 42/17) – noch zum TV LeiZ a.F. ergangen sind.

Zeitarbeitnehmer klagt gegen Unternehmen der Automobilindustrie

Der klagende Zeitarbeitnehmer wurde im Wege der Arbeitnehmerüberlassung bei dem beklagten Unternehmen der Automobilindustrie in der Werksicherheit als Werkfeuerwehrmann in der Zeit vom 16. Januar 2013 bis zum 31. Juli 2016 eingesetzt. Aufgrund einer beidseitigen Tarifbindung kommt der TV LeiZ Baden-Württemberg vom 19. Mai 2012 zur Anwendung.

Bei der Beklagten gilt eine Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2013 (BV 2013) zur Festlegung der weiteren Vorgehensweise in Bezug auf den Bereich Werksicherheit. In dieser werden u.a. Regelungen zu einer maximal zulässigen Anzahl der dort bis zum 31. Dezember 2015 zu beschäftigenden Zeitarbeitnehmer und konkrete Übernahmebestimmungen vereinbart. Die Laufzeit der BV 2013 wurde bis zum 31. Dezember 2015 befristet; eine Nachwirkung wurde ausdrücklich ausgeschlossen.

Protokollnotiz zur geplanten Reorganisation ausschlaggebend

Bei der Beklagten gilt zudem eine Protokollnotiz zu der BV 2013 vom 16. Dezember 2015 (Protokollnotiz 2015), die vor dem Hintergrund einer geplanten Reorganisation des Bereichs Werksicherheit unterzeichnet wurde. Dort heißt es u.a. wörtlich:

Das Unternehmen ist für den Zeitraum bis zum Einführung des 24 h-Modells für die Werkfeuerwehr, längstens jedoch bis zum 31.12.2016 berechtigt, die aktuelle vereinbarte Sollstärke im Bereich Werksicherheit in Höhe von 73 AK bei deren Überschreitung zur Sicherstellung der gesetzlichen Auflagen mit Zeit-AN abzudecken. […]

Die Fluktuation, die sich durch die unterschiedlichen Eintrittsstichtage in die Passivphase der ATZ ergeben, kann durch den Einsatz von Zeit-AN an Tor 4 bis längstens 31.12.2017 kompensiert werden.

Es wurde zudem vorgesehen, dass die Protokollnotiz 2015 nach Ablauf des 31. Dezember 2017 ohne Nachwirkung ausläuft.

Zeitarbeitnehmer begehrt unbefristeten Arbeitsvertrag

Auf Grundlage von Ziff. 4 TV LeiZ begehrt der Kläger von der Beklagten die Abgabe eines Angebotes auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag im Bereich Werksicherheit als Werksfeuerwehrmann. Dies lehnte die Beklagte unter Hinweis auf eine bestehende Betriebsvereinbarung nach § 3 TV LeiZ ab.

LAG Baden-Württemberg: Ablehnung des unbefristeten Arbeitsvertrags rechtmäßig

Zu Recht – wie das LAG Baden-Württemberg bestätigte. Einem Anspruch nach Ziff. 4.1 TV LeiZ stünden die vom Anwendungsbereich von Ziff. 3.1 TV LeiZ erfasste BV 2013 und die Protokollnotiz 2015 entgegen. Nach einer Auslegung der tarifvertraglichen Bestimmungen seien nur materielle, nicht aber „abschließende″ Regelungen zur Zeitarbeit in einer (freiwilligen) Betriebsvereinbarung erforderlich. Dafür spreche bereits der Wortlaut von Ziff. 3.1 TV LeiZ, in dem weder eine Einschränkung des Regelungsgegenstandes der Betriebsvereinbarung noch eine materielle Vorgabe, etwa im Sinne eines bestimmten Mindestinhalts, vorgesehen sei.

Es würden im TV LeiZ lediglich beispielhaft verschiedene (mögliche) Regelungsbereiche genannt, nämlich Einsatzzwecke/-bereiche, Volumen, Höchstdauer des Einsatzes sowie Höhe der Vergütung und Übernahmebestimmungen. Die betrieblichen Bestimmungen müssten deshalb weder zwingend die genannten Gegenstände betreffen, noch wären sie darauf beschränkt. Es könne auch keine „abschließende“ Regelung in einer Betriebsvereinbarung verlangt werden. Dies wäre nur denkbar, wenn der Tarifvertrag selbst hinreichende Vorgaben zu den einzelnen Regelungsgegenständen machen würde. Davon sehe der TV LeiZ aber gerade ab.

Zudem möge es allenfalls wünschenswert sein, dass eine entsprechende Betriebsvereinbarung ausdrücklich auf § 3 TV LeiZ oder den TV LeiZ in Gänze Bezug nehme. Der Tarifvertrag enthalte indessen kein Zitiergebot.

Protokollnotiz 2015 enthält weitere Regelungsgegenstände – dies sei unschädlich

Unschädlich sei darüber hinaus, dass die BV 2013 und die Protokollnotiz 2015 nicht ausschließlich den Einsatz von Zeitarbeit, sondern weitere Regelungsgegenstände beträfen. Denn diese stünden zumindest in einem Sachzusammenhang mit den Bestimmungen über die Zeitarbeit. Die BV 2013 regele nämlich in hinreichender Form im Einsatzbereich des Klägers (Feuerwehr- und Werksicherheit) das zulässige Volumen von Zeitarbeit und die Höchstdauer des Einsatzes. Sie sehe darüber hinaus Übernahmeregeln vor und decke damit eine Mehrzahl der in Ziff. 3.1 TV LeiZ vorgeschlagenen (möglichen) Regelungsgegenstände ab.

Übernahmeanspruch stehen sowohl BV 2013 als auch die Protokollnotiz 2015 gegenüber

Dem Übernahmeanspruch nach 24 Monaten habe zunächst die BV 2013 und ab dem 1. Januar 2016 die Protokollnotiz 2015 entgegengestanden. Bei Letztgenannter handele es sich ebenfalls um eine Betriebsvereinbarung i.S.v. Ziff. 3.1 TV LeiZ. Protokollnotizen von Tarifvertragsparteien könnten eigenständige tarifliche Regelungen darstellen, aber auch lediglich den Charakter einer authentischen Interpretation des Tarifvertrags oder eines bloßen Hinweises auf die Motive der Vertragschließenden haben. Welcher rechtliche Status ihnen zukomme, sei durch eine Auslegung zu ermitteln.

Für Protokollnotizen der Betriebsparteien gelte nichts anderes. Die Protokollnotiz 2015 enthalte dabei inhaltlich keine Erläuterungen der BV 2013, sondern treffe eigenständige Regelungen. Dafür spreche bereits, dass an mehreren Stellen, z.B. im Einleitungssatz von „vereinbaren″ bzw. „Vereinbarung“ die Rede sei. Zudem seien konkrete Verpflichtungen vorgesehen, bestimmten Handlungen vorzunehmen oder auf solche zu verzichten. Für ein solches Verständnis sei ergänzend der zeitliche Geltungsbereich der Protokollnotiz 2015 anzuführen. Denn die BV 2013 habe ohne Nachwirkung zum 31. Dezember 2015 geendet; die erst am 16. Dezember 2015 abgeschlossene Protokollnotiz 2015 hätte hingegen eine darüber hinaus gehende Laufzeit bis Ende 2017. Sie stelle deshalb eine Nachfolgeregelung zu der BV 2013 dar. Diese habe Bestimmungen für die Feuerwehr und die Werksicherheit bis zum 31. Dezember 2015 getroffen. Die Protokollnotiz 2015 befasse sich inhaltlich mit dem nachfolgenden Zeitraum bis Ende 2017.

Protokollnotiz enthält inhaltliche Bestimmungen aus dem TV LeiZ

Die Protokollnotiz 2015 sehe inhaltliche Bestimmungen vor, die Ziff. 3 TV LeiZ zuzuordnen seien. Dort sei u.a. vereinbart, dass innerhalb eines bestimmten Zeitraums im Bereich Werksicherheit Zeitarbeitnehmer eingesetzt werden könnten. Das Tor 4 sei ab der Einführung des 24-h-Modells mit bestimmten Stammmitarbeitern zu besetzen. Deren Fluktuation könne durch den Einsatz von Zeitarbeitnehmern bis längstens zum 31. Dezember 2017 kompensiert werden.

Damit enthalte die Protokollnotiz als Betriebsvereinbarung für den Bereich Werksicherheit und Werkfeuerwehr Regelungen zum Einsatz von Zeitarbeit, indem Einsatzbereiche und Volumen sowie die Höchstdauer des Einsatzes definiert würden. Dies trage den tarifvertraglichen Vorgaben gem. 3.1 TV LeiZ Rechnung. Die Protokollnotiz 2015 genüge ebenfalls der einzuhaltenden Schriftform gem. § 77 Abs. 2 BetrVG.

Entscheidung des LAG Baden-Württemberg auf neuen TV LeiZ übertragbar

Die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg erging zwar noch zum TV LeiZ a.F., hat jedoch ebenfalls Bedeutung für die im Jahr 2017 angepasste Fassung des Tarifvertrags, durch den seit dem 1. April 2017 die gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten auf bis zu 48 Monate erhöht werden kann. Die von LAG Baden-Württemberg aufgestellten Grundsätze sind insoweit übertragbar, da der TV LeiZ n.F. insoweit keine maßgebliche Änderung erfahren hat.

Abreden sollten ausdrücklich als Betriebsvereinbarung bezeichnet werden

Um eine gerichtliche Auseinandersetzung von vornherein zu vermeiden oder zumindest die argumentative Ausgangslage des im Zweifel auf Übernahme in Anspruch genommenen Kundenunternehmens zu stärken, sollte die betreffende Abrede ausdrücklich als Betriebsvereinbarung (und nicht als Protokollnotiz) bezeichnet werden.

Zwar hat das LAG Baden-Württemberg vorliegend erkannt, dass inhaltlich eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden ist, jedoch zeigt eine gleichfalls kürzlich zur Anwendung des TV LeiZ a.F. ergangene Entscheidung des LAG München, dass insoweit durchaus eine abweichende Argumentation möglich ist. Das Gericht lehnte nach einer Auslegung einer Protokollnotiz den Normsetzungswillen der Betriebspartner und damit das Vorliegen einer Betriebsvereinbarung i.S.v. Ziff. 3.1 TV LeiZ – wenngleich mit einer wenig überzeugenden Begründung – ab (Urteil v. 8. Februar 2018 – 2 Sa 223/17). Solche Unklarheiten und Rechtsrisiken begründende Umstände sollten durch ein ausdrückliches Bekenntnis für eine auch als solche bezeichnete Betriebsvereinbarung von vornherein ausgeschlossen werden.

Betriebsvereinbarung sollte zudem Bezug zum TV LeiZ herstellen

Zudem ist empfehlenswert, in der Betriebsvereinbarung selbst einen direkten Bezug zum TV LeiZ herzustellen. Zwar besteht – dies arbeitet das LAG Baden-Württemberg richtig heraus – kein Zitiergebot, jedoch sollte in diesem Zusammenhang kein Zweifel daran gelassen werden, dass die zwischen dem Kundenunternehmen und dem Betriebsrat geschlossene Betriebsvereinbarung auf Grundlage des TV LeiZ verhandelt worden ist. Dies kann bzw. sollte durch die ausdrückliche Inbezugnahme von Ziff. 3.1 TV LeiZ und einer entsprechend vorgeschalteten Präambel klargestellt werden.

Inhaltlich müssen in der Betriebsvereinbarung materielle Regelungen zur Zeitarbeit enthalten sein. Der Katalog in Ziff. 3.1 TV LeiZ dient dabei nur als „Gedankenstütze″ der Betriebsparteien, welche Regulationen möglich sind; der TV LeiZ verlangt jedoch nicht, dass diese sämtlich in der Betriebsvereinbarung „abgearbeitet″ werden.

Neuer TV LeiZ: Überlassungshöchstdauer von mehr als 18 Monaten möglich

Auf Grundlage des TV LeiZ n.F. ist es m.E. nunmehr möglich, in dieser ausschließlich eine über die 18 Monate hinaus gehende Überlassungshöchstdauer (von bis zu 48 Monaten) vorzusehen; auch dies ist eine materielle, die Zeitarbeit im Betrieb betreffende und i.S.v. Ziff. 3.1 hinreichende Bestimmung.

Eine darüber hinausgehende Regulierung der Zeitarbeit hinsichtlich der Einsatzzwecke/-bereiche, des Volumens sowie der Höhe der Vergütung und Übernahmebestimmungen wird vom TV LeiZ nicht verlangt und ist vor diesem Hintergrund nicht erforderlich, wenn und soweit der Betriebsrat des Kundenbetriebs einer solchen kurz gehaltenen Betriebsvereinbarung zur Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer zustimmt. Um auf „Nummer Sicher“ zu gehen, kann ergänzend noch klargestellt werden, dass ein Übernahmeanspruch des Zeitarbeitnehmers nach 24 Monaten ausdrücklich ausgeschlossen wird.

Das LAG Baden-Württemberg hat die Revision zum BAG nicht zugelassen. Die Entscheidung ist folglich rechtskräftig.

Die weiteren Einzelheiten dazu entnehmen Sie bitte unserer Juni-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit“, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

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