4. Februar 2020
Überlassungshöchstdauer personenbezogen
Arbeitsrecht

Personenbezogene Bestimmung der Überlassungshöchstdauer

Wie wird die mit Wirkung zum 1. April 2017 neu in das AÜG eingefügte Überlassungshöchstdauer bestimmt? Das LAG Köln folgt dabei einem arbeitnehmerbezogenen Ansatz.

Durch die AÜG-Reform 2017 wurde mit Wirkung zum 1. April 2017 eine tarifdisponible Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten in das Gesetz aufgenommen (§ 1 Abs. 1 S. 4, Abs. 1b AÜG). Dabei hat der Gesetzgeber jedoch nicht geregelt, ob diese arbeitnehmer*- oder arbeitsplatzbezogen zu bestimmen ist.

Das LAG Köln hat sich vertieft mit dieser Frage auseinandergesetzt und ist – mit der ganz herrschenden Ansicht in der Literatur – von einem arbeitnehmerbezogenen Ansatz ausgegangen (Beschluss v. 1. September 2019 – 9 TaBV 23/19).

Streit über Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates zur vorübergehenden Einstellung von Zeitarbeitnehmern

Der Betriebsrat verweigerte die von dem Arbeitgeber beantragte Zustimmung mit der Begründung, dass bereits seit längerem Zeitarbeitnehmer in dem betreffenden Bereich eingesetzt würden. Daher sei die Einrichtung eines regulären Arbeitsplatzes dringend erforderlich und der temporären Arbeitnehmerüberlassung vorzuziehen. Daraufhin informierte die Arbeitgeberin den Betriebsrat über die vorläufige Einstellung des Herrn X; der Betriebsrat bestritt sodann die Dringlichkeit der beabsichtigten Maßnahme.

Der Betriebsrat wollte sinngemäß gerichtlich feststellen lassen, dass die Arbeitgeberin nicht berechtigt sei, bei seiner fehlenden Zustimmung den bestehenden Beschäftigungsbedarf durch die Einstellung von Zeitarbeitnehmern zu decken, sofern es sich um Daueraufgaben und nicht um Auftragsspitzen handelt. Diesen Antrag wies das ArbG Aachen zurück. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrates hatte vor dem LAG Köln keinen Erfolg.

Der Betriebsrat ist nach Ansicht des LAG Köln gem. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG nicht berechtigt, bei der Einstellung von Zeitarbeitnehmern seine Zustimmung zu verweigern, wenn die Einstellung zur Besetzung eines Dauerarbeitsplatzes über 18 Monate hinaus erfolgte und schon andere Einsätze von Zeitarbeitnehmern auf diesem Arbeitsplatz vorausgegangen seien.

Nach § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG sei die Überlassungshöchstdauer arbeitnehmerbezogen ausgestaltet. Es handele sich um eine individuelle Einsatzlimitierung. Durch die zum 1. April 2017 erfolgte Neuregelung sollten Zeitarbeitnehmer geschützt werden, indem sie nur für einen klar begrenzten Zeitraum eingesetzt werden könnten. So solle einer dauerhaften Substitution von Stammbeschäftigten entgegengewirkt werden (vgl. BT-Drucks. 18/9232, S. 20).

Die zeitlich unbegrenzte Besetzung eines Arbeitsplatzes bei dem Kunden und die damit verbundene Einschränkung der Stammbelegschaft sei aber nach der Konzeption des Gesetzes zulässig. Dieser Auslegung stünden unionsrechtliche Bestimmungen nicht entgegen.

Auch ein Vergleich von § 1 Abs. 1b AÜG mit dem Befristungsrecht ergebe keine Wertungswidersprüche. Die Abdeckung eines ständigen, dauerhaften Personalbedarfs über aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse unterscheide sich grundlegend von dem vorübergehenden Einsatz eines von seinem Arbeitgeber unbefristet angestellten Zeitarbeitnehmers, sofern dieser – wie es die Zeitarbeitsrichtlinie (nachfolgend: RiLi) bezwecke – im Verhältnis zu seinem Vertragsarbeitgeber hinreichend geschützt sei.

§ 1 Abs. 1b AÜG und die darauf basierende Besetzung von Dauerarbeitsplätzen mit Zeitarbeitnehmern hielten zudem einer Missbrauchsprüfung stand (vgl. Art. 5 RiLi). Diese umfasse grundsätzlich nur die Zahl der mit derselben Person abgeschlossenen, nicht hingegen die zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossenen Verträge.

Zustimmungsverweigerungsrecht kann grundsätzlich bestehen, wenn der Einsatz des Zeitarbeitnehmers nicht mehr vorübergehend erfolgt

Das LAG Köln dürfte zunächst davon ausgehen, dass dem Betriebsrat bei einem Verstoß gegen die Überlassungshöchstdauer grundsätzlich ein Zustimmungsverweigerungsrecht gem. § 99 Abs. 2 Ziff. 1 BetrVG zustehen kann. Zwar geht die 9. Kammer auf diese Frage nicht explizit ein, allerdings hätte sich dies angeboten, bevor inhaltlich untersucht wird, wie die Überlassungshöchstdauer zu bestimmen und insbesondere ob diese europarechtskonform ist. Ganz unproblematisch ist diese Annahme des LAG Köln zum Widerspruchsrecht des Betriebsrates nämlich nicht.

Nach Auffassung einiger Instanzgerichte soll der Betriebsrat nach der Neufassung des § 1 AÜG mit Wirkung zum 1. Dezember 2011 seine Zustimmung gem. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG im Fall eines geplanten „Dauerverleihs″ von Arbeitnehmern im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit wegen des Verstoßes gegen das Erfordernis einer nur vorübergehenden Überlassung verweigern dürfen. Ein derartiger „Dauerverleih″ sei nach der Anpassung des § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG (Stand: 1. Dezember 2011) unzulässig. Beabsichtige der Arbeitgeber die unbefristete Einstellung eines Zeitarbeitnehmers auf einem sog. Dauerarbeitsplatz, könne der Betriebsrat seine Zustimmung zur Einstellung daher gem. § 14 Abs. 3 S. 1 AÜG, § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG wegen eines Gesetzesverstoßes verweigern (vgl. LAG Niedersachsen, Beschluss v. 19.  September 2011 – 17 TaBV 124/11; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 20. Dezember  2012 – 4 TaBV 1167/12; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 8. Januar 2014 – 3 TaBV 43/13; LAG Hamburg, Beschluss v. 4. September 2013 – 5 TaBV 6/13; a.A. LAG Nürnberg, Beschluss v. 9. Mai 2014 – 3 TaBV 29/13; LAG München, Beschluss v. 27. März 2013 – 8 TaBV 110/12; LAG Niedersachsen, Beschluss v. 14. November 2012 – 12 TaBV 62/12). Nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg soll ein solcher sogar dann vorliegen, wenn der Arbeitgeber beabsichtigt, auf Dauer eingerichtete Arbeitsplätze mit jeweils nur befristet eingesetzten Zeitarbeitnehmern zu besetzen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 20. Dezember 2012 – 4 TaBV 1163/12).

Das BAG hat inzwischen bestätigt, dass ein Zustimmungsverweigerungsrecht des bei dem Kunden gebildeten Betriebsrates nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG besteht, wenn der Einsatz des Zeitarbeitnehmers nicht mehr vorübergehend erfolgt (vgl. BAG, Beschluss v. 10. Juli 2013 – 7 ABR 91/11; BAG, Beschluss v. 30. September 2014 – 1 ABR 79/12). Dabei solle es – so das BAG – nicht darauf ankommen, ob und ggf. welche Rechtsfolgen sich aus einem Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG a.F. für das Rechtsverhältnis des einzelnen Zeitarbeitnehmers zum Kunden ergäben. Die Bestimmung enthalte nicht nur einen unverbindlichen Programmsatz, sondern verbiete die nicht nur vorübergehende Überlassung von Zeitarbeitnehmern. Sie diene zum einen deren Schutz. Zum andern solle sie die dauerhafte Aufspaltung der Arbeitnehmerschaft des Kundenbetriebs in eine Stammbelegschaft und eine überlassene Belegschaft verhindern. § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG stelle ein Gesetz i.S.v. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG dar, dessen Zweck nur erreicht werden könne, wenn die Einstellung unterbleibe.

Nur vorübergehende oder doch schon dauerhafte Überlassung von Zeitarbeitnehmern?

Nicht abschließend war allerdings geklärt, wann die Überlassung eines Zeitarbeitnehmers tatsächlich nicht mehr nur vorübergehend, sondern schon dauerhaft erfolgt. Das BAG hat in Form einer Negativabgrenzung lediglich festgestellt, dass kein vorübergehender Einsatz mehr vorliege, wenn der Arbeitgeber beabsichtige, einen Zeitarbeitnehmer ohne jegliche zeitliche Begrenzung statt einer Stammkraft einzusetzen (vgl. BAG, Beschluss v. 10. Juli 2013 – 7 ABR 91/11).

Der Gesetzgeber hat diesen in der Praxis häufig als „Missstand″ empfundenen Zustand bekanntermaßen mit Wirkung zum 1. April 2017 behoben, indem dieser eine gesetzliche Überlassungshöchstdauer von grundsätzlich 18 Monaten (§ 1 Abs. 1 S. 4, Abs. 1b AÜG) in das Gesetz eingeführt und damit den Begriff „vorübergehend″ konkretisiert hat. Dabei ist davon auszugehen, dass das BAG die noch zu § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG a.F. ergangene Rechtsprechung weiterentwickeln wird und dem Betriebsrat des Kunden in Fortschreibung seiner bisherigen Judikatur auch nach der neuen Gesetzeslage das Recht gewährt, einer gegen § 1 Abs. 1 S. 4, Abs. 1b AÜG verstoßenden Überlassung zu widersprechen.

Das BAG hat nämlich in der Vergangenheit ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrates im Kundenbetrieb anerkannt, wenn der Zeitarbeitnehmer dort von vornherein unter Verstoß gegen eine im AÜG bis zum 31. Dezember 2002 vorgesehene, allerdings nur für die Versagung der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis relevante, Überlassungshöchstdauer beschäftigt werden sollte (bejahend zu § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG i.d.F.v. 14.06.1985 mit einer Überlassungshöchstdauer von 6 Monaten: BAG, Beschluss v. 28. September 1988 – 1 ABR 85/87; vgl. zu § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG i.d.F.v. 10. Dezember 2001, in dem eine Überlassungshöchstdauer von 24 Monaten vorgesehen war: Hess. LAG, Beschluss v. 19. August 2003 – 4 TaBV 147/02; offengelassen: BAG, Beschluss v. 25. Januar 2005 – 1 ABR 61/03; für ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrates nach aktueller Rechtslage: Lembke, NZA 2017, 6; Ulrici, § 14 AÜG Rn. 51; Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 114; Baumgarten, CB 2018, 317 f.; ErfK/Kania, § 99 BetrVG Rn. 24; Ricken in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 99 BetrVG Rn. 66; BeckOK/Motz, § 14 AÜG Rn. 38; Schüren/Hamann, § 14 AÜG Rn. 246; Wank, RdA 2017, 109; a.A. Seel, öAT 2016, 26 f.; Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 14 AÜG Rn. 144).

LAG Köln folgt der h.M.: Überlassungshöchstdauer arbeitnehmerbezogen zu bestimmen

Der Beschluss des LAG Köln ist – soweit bekannt – die erste zweitinstanzliche Entscheidung seit Inkrafttreten der letzten AÜG-Reform am 1. April 2017, die sich mit der Frage auseinandersetzt, ob die Überlassungshöchstdauer arbeitnehmer- oder doch arbeitsplatzbezogen bestimmt wird.

Dabei schließt sich das LAG Köln der überzeugenden herrschenden Meinung im Schrifttum an, indem es einer arbeitnehmerbezogenen Auslegung folgt (vgl. Höpfner in: Henssler/Willemsen/Kalb, § 1 AÜG Rn. 56; Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, § 1 AÜG Rn. 211; Bissels/Falter, MDR 2019, 198; Bissels/Falter, DB 2016, 1444; Tschöpe/Bissels, Teil 6 D Rn. 17; Bissels/Falter, ArbR 2017, 4; Ulrici, § 1 AÜG Rn. 91; Thüsing/Waas, § 1 AÜG Rn. 152; Schüren/Hamann, § 1 AÜG Rn. 324; Giesen, ZRP 2016, 131; Seel, öAT 2016, 26 f.; Siebert/Novak, ArbR 2016, 392; Henssler, RdA 2017, 92; Siebert, öAT 2017, 45; Hamann, AuR 2016, 138; Hamann/Rudnik, NZA 2017, 209 f.; Baeck/Winzer/Hies, NZG 2016, 417; Zimmermann, BB 2016, 53; Lembke, NZA 2017, 12; Hund/Weiss, DB 2016, 2903; Henssler/Grau/Mehrens, § 5 Rn. 71; Böhm/Hennig/Popp, Rn. 171; Deinert, RdA 2017, 77; Scharff, BB 2018, 1141; Schiefer/Köster/Borchard/Korte, DB 2017, 548; Ulber, RdA 2018, 52; Wank, RdA 2017, 109; Ulber, § 1 AÜG Rn. 250; Behrendt/Weyhing, BB 2017, 2486; zweifelnd: Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 112 f.).

Die vom LAG Köln entwickelte Argumentation ist im Übrigen auf die Bestimmung der Frist zur Anwendung des zwingenden equal pay-Grundsatzes nach dem vollendenten neunten Einsatzmonat bei einem Kunden (§ 8 Abs. 4 S. 1 AÜG) übertragbar; in diesem Zusammenhang ist ebenfalls eine arbeitnehmerbezogene Betrachtung vorzunehmen.

Das LAG Köln hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Fragen die Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen, die inzwischen eingelegt worden ist (Az. 1 ABR 33/19). Erfurt wird daher bald die Gelegenheit bekommen, die Frage der arbeitnehmer- oder arbeitsplatzbezogenen Betrachtung bei der Bestimmung der Überlassungshöchstdauer und der Fristen bei Anwendung des equal pay-Grundsatzes höchstrichterlich zu klären.

* Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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