21. Dezember 2021
Verfall Urlaub Langzeiterkrankung Mitwirkung Arbeitgeber
Arbeitsrecht

Verfall von Urlaubsansprüchen: Keine Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bei Langzeiterkrankten 

Urlaub verfällt bei Langzeiterkrankten grds. 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahrs. Gilt dies auch, ohne dass der Arbeitgeber hierauf hinweist?

Das BAG hat den EuGH gefragt, ob auch langzeiterkrankte Arbeitnehmer* über den Verfall ihres Urlaubsanspruchs vom Arbeitgeber informiert werden müssen (vgl. BAG, EuGH-Vorlage vom 7. Juli 2020 – 9 AZR 245/19 (A)). Der EuGH hat diese Frage bislang nicht beantwortet. 

Zwischenzeitlich hat das ArbG Köln in seinem Urteil vom 30. September 2021 (8 Ca 2545/21) entschieden, dass die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers zur Urlaubsgewährung nicht gegenüber einem langzeiterkrankten Arbeitnehmer gelten.

Grundlagen zum Urlaubsrecht: Verfallfristen und Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers

Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr genommen und gewährt werden. Eine Übertragung des Urlaubs in das folgende Kalenderjahr ist nur in Ausnahmefällen möglich, wenn eine Inanspruchnahme des Urlaubs im Urlaubsjahr aufgrund dringender betrieblicher oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe nicht zu gewährleisten ist (§ 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG). Im Falle einer (ausnahmsweise) zulässigen Übertragung verfällt der Urlaub nicht am 31. Dezember des jeweiligen Urlaubsjahres, sondern erst am 31. März des Folgejahres (§ 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG).

Für durchgehend arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer verfällt der Urlaubsanspruch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des BAG erst 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres (EuGH, Entscheidung vom 22. November 2011 – C-214/10; BAG, Urteil vom 7. August 2012 – 9 AZR 353/10). Langzeiterkrankten Arbeitnehmern, die während ihrer Krankheit ihren Urlaub nicht in Anspruch nehmen können, müsse eine längere Zeit gewährt werden, um den Urlaub „nachzuholen“. Gleichzeitig soll auch verhindert werden, dass Arbeitnehmer aufgrund von Krankheit jahrelang Urlaub ansammeln, sodass der 15-Monats-Zeitraum angemessen sei.

Wesentliche Voraussetzung für den Verfall des Urlaubsanspruchs ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des BAG, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt hat, ihren Urlaub zu nehmen. Der Arbeitgeber muss hierfür die Arbeitnehmer dazu auffordern, ihren Urlaub zu nehmen, und ihnen klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub verfällt, wenn sie ihn nicht nehmen. Missachtet der Arbeitgeber diese Mitwirkungsobliegenheit, verfällt der Urlaubsanspruch nicht (vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 2018 – C-684/16; BAG, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 423/16). 

Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers auch gegenüber Langzeiterkrankten? Das ArbG Köln sagt „Nein“!

Das ArbG Köln hat das Verfahren (etwas überraschend) nicht ausgesetzt, bis der EuGH die vorgelegte Frage zum Verfall von Urlaubsansprüchen beantwortet, sondern hat selbst in der Sache entschieden.

Nach dem ArbG Köln gelte die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers im Urlaubsrecht nicht gegenüber einem langzeitarbeitsunfähigen Arbeitnehmer. Die Urlaubsgewährung sei in dieser Zeit gegenüber einem Langzeiterkrankten tatsächlich und rechtlich unmöglich. Der dauererkrankte Arbeitnehmer könne durch den Hinweis vom Arbeitgeber nicht in die Lage versetzt werden, seinen Urlaub zu nehmen. Denn der langzeitarbeitsunfähige Arbeitnehmer könne während seiner Arbeitsunfähigkeit schlicht keinen Urlaubsanspruch geltend machen. In diesem Fall könne auch nicht vom Arbeitgeber ein Hinweis auf etwas für den betroffenen Arbeitnehmer Unmögliches verlangt werden. 

Die Belehrung seitens des Arbeitgebers könne bei einer Langzeiterkrankung ihren Zweck nicht erfüllen. Zudem sei der Hinweis noch während der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit mit nicht absehbarem Ende nicht nur missverständlich, sondern auch falsch. 

Nach dem ArbG Köln bleibt es unklar, wann der Urlaub bei fehlender Inanspruchnahme verfalle, wenn schon nicht bekannt ist, ab wann die Inanspruchnahme des Urlaubs wieder möglich ist. Einen entsprechend konkreten Hinweis zum Verfall des Urlaubs könne der Arbeitgeber damit nicht erteilen, weil er schlicht nicht wisse, wann der Arbeitnehmer wieder genesen sei.

Mitwirkungsobliegenheit aber wieder ab dem Zeitpunkt der Arbeitsfähigkeit

Deshalb hat das ArbG Köln entschieden, dass die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers wieder ab dem Zeitpunkt bestehe, wenn der Arbeitnehmer arbeitsfähig wird. Denn dann könne der Urlaub wieder in Anspruch genommen werden. Damit gehe die Pflicht des Arbeitgebers einher, ab diesem Zeitpunkt die Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, den Urlaub zu nehmen oder andernfalls verfallen zu lassen. 

Vorlageverfahren des EuGH sollte abgewartet werden

Das Urteil des ArbG Köln überzeugt mit seiner ausführlichen Begründung. Die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers im Urlaubsrecht sind sehr hoch. Sie können aber nicht so weit gehen, dass vom Arbeitgeber Unmögliches verlangt wird.

Da das ArbG Köln lediglich in erster Instanz tätig geworden ist, bleibt abzuwarten, ob sich diese Rechtsprechungslinie durchsetzen wird. Mit großer Spannung wird auf die Beantwortung der Fragen im Vorlageverfahren des EuGH gewartet, da dessen Entscheidung für die Praxis maßgeblich sein wird. 

Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Tags: Arbeitgeber Langzeiterkrankung Mitwirkungsobliegenheit Urlaub Verfall