24. April 2020
Vertrauensschutz Scheinselbständig
Arbeitsrecht

Vertrauensschutz für Scheinselbstständige?

Worauf Arbeitgeber bei der Rückforderung von an Scheinselbstständige gezahlte Honorare achten sollten.

Das LAG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass Unternehmen gegen von ihnen beschäftigte vermeintlich freie Mitarbeiter*, die faktisch jedoch als Scheinselbstständige beschäftigt wurden, nur unter bestimmten Voraussetzungen die Rückzahlung der gezahlten Honorare geltend machen können (LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 21. Januar 2020 – 1 Sa 115/19).

Freie Mitarbeiter oder Arbeitsverhältnis – Abgrenzung oftmals schwierig

Der Auseinandersetzung vor dem LAG Schleswig-Holstein ging die Frage voraus, ob der Beklagte, der als Altenpfleger zwischen Januar und Juli 2015 für die Klägerin tätig war, als freier Mitarbeiter oder sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer tätig wurde. Vertraglich hatten sich die Parteien – auf Vorschlag und auf Basis des von dem Beklagten vorgelegten Vertrages – auf ein freies Dienstverhältnis geeinigt. Die Klägerin hätte zwar eine Festanstellung bevorzugt, hatte jedoch Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu finden, die auf Basis eines Arbeitsvertrages sozialversicherungspflichtig tätig werden wollten. Daher einigten die Parteien sich darauf, dass der Beklagte als freier Mitarbeiter für die Klägerin tätig werden sollte. Er erhielt auf dieser Basis ein Honorar, das über dem von den festangestellten Altenpflegern erzielten Arbeitsentgelt lag.

Im Rahmen einer sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung bei der Klägerin wurde festgestellt, dass der Beklagte – entgegen der Absicht und der getroffenen Vereinbarung der Parteien – sozialversicherungspflichtig beschäftigt wurde und die Klägerin dementsprechend zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern verpflichtet war. Gegen die Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung ging die Klägerin nicht weiter vor; auch informierte sie den Beklagten nicht über das Prüfverfahren.

Die Einzelheiten der Tätigkeiten des Beklagten für die Klägerin sind zwischen den Parteien streitig. Dabei wird erneut deutlich, wie komplex und oftmals „unbefriedigend″ die Antwort auf die Frage ist, ob eine Person in einem freien Dienstverhältnis oder aber einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu dem Auftraggeber steht. Auch wenn es auf die Einzelheiten der zu treffenden Abwägung vorliegend nicht ankam, zeigt das Urteil, vor welchen Herausforderungen der Rechtsanwender beim compliancegerechten Einsatz von Fremdpersonal steht.

Dies ergibt sich auch aus dem weiteren Verlauf des Verfahrens: Denn nach Abschluss der behördlichen Prüfung klagte die Arbeitgeberin vor dem Arbeitsgericht gegen den Mitarbeiter und machte die (teilweise) Rückforderung der an ihn gezahlten Honorare geltend.

Nachdem die Deutsche Rentenversicherung zu dem Ergebnis gekommen war, der Beklagte sei Beschäftigter der Klägerin und damit als Scheinselbständiger tätig gewesen, war das ArbG Elmshorn der exakt gegenteiligen Auffassung. Denn das Arbeitsgericht wies die Klage mit der Begründung zurück, der Beklagte sei freier Mitarbeiter der Klägerin gewesen. Aus diesem Grund habe kein Rückforderungsanspruch auf die an ihn auf Basis des freien Dienstvertrages gezahlten Honorare bestanden (vgl. ArbG Elmshorn, Urteil v. 11. April 2019 –1 Ca 1659 c/18).

Ein und derselbe Sachverhalt, zwei verschiedene Institutionen und zwei sich widersprechende Einschätzungen der rechtlichen Qualität der Zusammenarbeit der Parteien.

Gescheiterter Versuch des Arbeitgebers sich bei dem Scheinselbstständigen schadlos zu halten

Im Rahmen der arbeitsgerichtlichen Verfahren der ersten und zweiten Instanz hat die Klägerin die Auffassung vertreten, der Beklagte sei als Arbeitnehmer (nicht – wie ursprünglich beabsichtigt – als freier Mitarbeiter) für sie tätig geworden. Auf diese Weise bezweckte die Klägerin einen Teil der an den Beklagten gezahlten Honorare zurückzufordern. Der Beklagte hat sich hingegen weiterhin auf den Standpunkt gestellt, es habe – trotz der Feststellungen im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung – kein Arbeitsverhältnis vorgelegen.

An dieser Stelle ist anzumerken, dass die von den Parteien eingenommenen Positionen in der Praxis oftmals anders verteilt sind: Denn in der Regel macht der freie Mitarbeiter geltend, es liege ein Arbeitsverhältnis vor, während sich die Unternehmen darauf berufen, dass dies nicht der Fall ist.

Vorliegend sah sich die Klägerin jedoch den Nachzahlungen aufgrund der Betriebsprüfung ausgesetzt und wollte sich – jedenfalls in gewissem Umfang – bei dem Beklagten schadlos halten, indem sie die an ihn gezahlten Honorare teilweise zurückforderte.

Rückzahlungsanspruch des Arbeitgebers im Falle von Scheinselbstständigkeit nur unter bestimmten Voraussetzungen

Das ArbG hatte in der ersten Instanz festgestellt, dass der Klägerin kein entsprechender Anspruch zustehe, da der Beklagte nicht als Arbeitnehmer, sondern freiberuflich bei ihr tätig gewesen sei.

Im Ergebnis hat sich das LAG Schleswig-Holstein dem angeschlossen, seine Entscheidung jedoch anders begründet. Nach Ansicht des LAG kam es insofern überhaupt nicht darauf an, ob der Beklagte als Arbeitnehmer oder aber als freier Mitarbeiter zu qualifizieren gewesen sei. Denn auch dann, wenn ein Arbeitsverhältnis vorgelegen hätte, könne die Klägerin den von ihr geltend gemachten Anspruch nicht wirksam durchsetzen.

Die Klägerin könne sich nicht auf einen Rückforderungsanspruch (aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) berufen, weil sie sich rechtsmissbräuchlich verhalte, wenn sie den Beklagten auf Rückzahlung der an ihn gezahlten Honorare in Anspruch nehme.

Grundsätzlich habe der Auftraggeber (der sich im Falle einer Scheinselbstständigkeit als Arbeitgeber „entpuppt″) zwar einen entsprechenden Anspruch gegen den Auftragnehmer (d.h. den faktischen Arbeitnehmer) auf (teilweise) Rückzahlung der geleisteten Honorare. Dieser Anspruch sei der Höhe nach auf die Differenz zwischen der im Arbeitsverhältnis geschuldeten Vergütung und dem an den freien Mitarbeiter gezahlten, im Zweifel höheren Honorar begrenzt (so auch das BAG in seinem Urteil vom 26. Juni 2019 – 5 AZR 178/18).

Regelmäßiger Vertrauensschutz für den Scheinselbstständigen

Vorliegend verneinte das LAG Schleswig-Holstein jedoch den geltend gemachten Anspruch, da die Klägerin – selbst dann, wenn es sich faktisch um ein Arbeitsverhältnis gehandelt und der Beklagte dementsprechend zu hohe Honorare (im Vergleich zu der ihm als Arbeitnehmer zustehenden üblichen Vergütung) erhalten habe – keine Rückzahlung verlangen könne. Dies begründet das Gericht damit, dass sich der Beklagte auf ein schützenswertes Vertrauen berufen könne, so dass die Geltendmachung der Rückzahlung durch die Klägerin rechtsmissbräuchlich sei. Denn der vermeintlich freie Mitarbeiter könne bei Abschluss eines freien Dienstvertrages und bei einer entsprechenden Behandlung des Vertragsverhältnisses durch die Parteien darauf vertrauen, dass es sich auch tatsächlich um ein solches handelt (und eben nicht um ein Arbeitsverhältnis, auf dessen Basis ihm nur ein geringeres Arbeitsentgelt zustünde). Der Arbeitgeber handle daher rechtsmissbräuchlich, wenn er versuche, dem Arbeitnehmer die ihm entstandenen Vorteile (in Form des – gegenüber dem normalen Arbeitsentgelt – erhöhten Honorars) wieder zu entziehen.

Der Vertrauensschutz des Mitarbeiters bestehe auch unabhängig von der Motivlage der Parteien und unabhängig davon, auf wessen Initiative das Vertragsverhältnis als freies Dienstverhältnis aufgesetzt wird. Das LAG Schleswig-Holstein hat zudem einen erhöhten Vertrauensschutz des Beklagten angenommen, weil die Klägerin ihn nicht über die sozialversicherungsrechtliche Betriebsprüfung informiert und ihm so die Möglichkeit genommen habe, im Rahmen des Verfahrens für die Anerkennung seiner Tätigkeit als freie Mitarbeit zu argumentieren. Auch habe die Klägerin gegen die Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung keine Rechtsbehelfe eingelegt, sondern diese schlichtweg hingenommen. Die Klägerin könne daher nun nicht versuchen, sich bei dem Beklagten schadlos zu halten.

Etwas anderes gelte nur dann, wenn der freie Mitarbeiter eine Statusklage erhebe oder ein Statusfeststellungsverfahren anstrenge, da er hierdurch zum Ausdruck bringe, dass er selbst an der Rechtsqualität des Vertragsverhältnisses zweifle. Wenn sich der Auftragnehmer selbst darauf berufe, es liege ein Arbeitsverhältnis vor, müsse er sich durch den Arbeitgeber auch entsprechend behandeln lassen und kann sich insoweit nicht auf einen (partiellen) Vertrauensschutz berufen.

Praxistipps für Arbeitgeber: Mitarbeiter über Statusfeststellungsverfahren informieren und Rückzahlungsansprüche prüfen

Sofern im Rahmen sozialversicherungsrechtlicher Prüfverfahren festgestellt werden sollte, das einzelne (oder auch eine Vielzahl von) Mitarbeiter(n) nicht – wie von den Parteien beabsichtigt – frei tätig, sondern abhängig beschäftigt sind, sollten Arbeitgeber immer auch prüfen, ob und inwieweit sie zumindest einen Teil der an die Scheinselbstständigen gezahlten Honorare zurückfordern können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Unternehmen in diesen Fällen nicht nur die Arbeitgeber-, sondern auch die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nachzahlen müssen und sich diese – wenn überhaupt – nur in sehr begrenztem Umfang durch den Arbeitnehmer erstatten lassen können (vgl. §§ 28g SGB IV: sog. Lohnabzugsverfahren).

Zudem ist es – jedenfalls nach Ansicht des LAG Schleswig-Holstein – empfehlenswert, die (vermeintlich) freien Mitarbeiter rechtzeitig zu informieren, wenn deren sozialversicherungsrechtlicher Status Gegenstand einer behördlichen Prüfung ist. Dies kann dazu beitragen, in einem späteren „Regressverfahren″ den Vertrauensschutz der freien Mitarbeiter ggf. zu reduzieren.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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