Sie haben im Februar gegen die neue Arbeitsstättenverordnung gewettert, wussten aber eigentlich nichts Genaues? Was wirklich Sache ist, finden Sie hier.
Um den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu verbessern, wird seit geraumer Zeit die Überarbeitung verschiedener Arbeitsschutzverordnungen diskutiert. Der Vorstoß des Bundesarbeitsministeriums, mit dem die Arbeitsstättenverordnung (ArbStV) geändert werden sollte, scheiterte im Februar. Der Änderungsvorschlag wollte die Regelungen der ArbStV inhaltlich erweitern und die Arbeitsschutzverordnung zu künstlicher optischer Strahlung und die Bildschirmarbeitsverordnung in die Arbeitsstättenverordnung integrieren. Daraus ist bekanntlich nichts geworden.
Ihren Vorschlag zur Änderung der Arbeitsstättenverordnung hatte die Bundesregierung am 20. Oktober 2014 beschlossen. Mit diesem Vorschlag befasste sich der federführende Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik und der Wirtschaftsausschuss und gab unter dem 08. Dezember 2014 Empfehlungen ab. Der Bundesrat entschied sich am 19. Dezember 2014, dem Vorschlag der Bundesregierung nur mit Änderungen zuzustimmen. Er übernahm aber auch nicht alle Empfehlungen des Ausschusses. Die so überarbeitete Fassung, die das Kabinett Ende Februar beschließen wollte, ist bis heute nicht Wirklichkeit geworden. Es heißt, dass das Bundeskanzleramt und das Bundesarbeitsministerium zur Zeit über weitere Änderungen diskutieren.
Die viele Stimmen, die sich gegen die Änderungen wehrten, machten ihre Vorbehalte an einzelnen Regelungen fest. Nach dem Stopp ist es still geworden; Zeit für eine kurze Bestandsaufnahme, um viele Wahnvorstellungen mit der Wirklichkeit zu überprüfen.
Was sollte geändert werden?
Die angestrebten Änderungen hätten den Umfang der Verordnung inhaltlich nahezu verdoppelt, was allerdings dem Umstand geschuldet ist, dass die Arbeitsschutzverordnung zu künstlicher optischer Strahlung und die Bildschirmarbeitsverordnung in die Arbeitsstättenverordnung integriert werden sollen. Beide Verordnungen würden damit als eigenständige Verordnungen entfallen.
Es sind allerdings einige inhaltliche Änderungsvorschläge hervorzuheben oder hervorgehoben worden:
- Neue Begriffsbestimmungen – neue Reichweite?
Der § 2 enthält einige Begriffsbestimmungen. In der Vorschrift sollte der Begriff der Arbeitsstätte überarbeitet und ausgedehnt werden, indem beispielsweise Sicherheitseinrichtungen oder Lüftungsanlage ausdrücklich als Teil der Arbeitsstätte bezeichnet werden. Ferner sollte unter den Begriffsbestimmungen nun auch Bildschirmarbeitsplätze oder Telearbeitsplätze mitbenannt werden – letztere, um damit rechtliche Unsicherheiten zu beseitigen. Telearbeit entspricht dem „Home-Office″ – nicht aber der Heimarbeit nach dem Heimarbeitsgesetz.
Derzeit betreffen die Regelungen Räumlichkeiten, die sich auf dem Gelände des Betriebs oder einer Baustelle befinden. Andererseits werden Telearbeitsplätze nicht in § 2 Abs. 2 als zur Arbeitsstätte zugehörig aufgelistet. Dies wirft einige Fragen auf: Sind sie damit also doch kein Teil der Arbeitsstätte? Wenn Telearbeitsplätze aber „vom Arbeitgeber eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze″ sind, liegt die Überlegung nicht fern, der Arbeitgeber müsse auch bei diesem Bildschirmarbeitsplatz dafür sorgen, dass die allgemeinen Anforderungen der neuen Ziffer 6 des Anhangs (also der „alten″ Bildschirmarbeitsverordnung) eingehalten würden. Dieser Ansicht ist jedenfalls die Bundesarbeitsministerin. Ist der Arbeitgeber dann aber nur der Einrichtende oder auch der Betreiber dieser Arbeitsplätze?
- Gefährdungsbeurteilung – auf ein Neues?
§ 3 sollte detailliertere Vorgaben zur Gefährdungsbeurteilung enthalten, indem Ausschnitte der Untersuchungsgegenstände des § 5 Abs. 3 ArbSchG genannt werden. Die Änderungen soll laut Regierungsentwurf der Klarstellung dienen, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz auch die psychische Gesundheit beinhaltet.
Unklar bleibt aber, warum der Entwurf über die Klarstellung im ArbSchG hinausgeht, für die unter anderem im Katalog des § 5 Abs. 3 ArbSchG nur die Ziffer 6 mit „psychischen Belastungen bei der Arbeit″ eingefügt wurde. Hier wagt der Entwurf eine Verknüpfung mit weiteren Faktoren (Arbeitsabläufe, Sehvermögen usw.), ohne dass er dabei beispielsweise die von der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) veröffentlichten Faktoren – übernimmt. Ist das ministerielle Unsicherheit oder Abkehr?
- Nichtraucherschutz X.0?
Der Nichtraucherschutz würde verschärft. Zwar taucht nicht ausdrücklich die E-Zigarette auf. Bisher aber muss der Arbeitgeber nach § 5 Abs. 2 in Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr wie Gaststätten Schutzmaßnahmen treffen, wenn die Natur des Betriebs und die Art der Beschäftigung es zulassen – dem Wortlaut nach also keine zwingende Pflicht, auch wenn man aus Ziffer 3.6 des Anhangs mehr ableiten mag. Nach dem Entwurf müsste er aber – beschränkt auf Arbeitsräume – in jedem Fall Maßnahmen treffen. Diese können dann so ausgestaltet sein, dass sie der Natur des Betriebs entsprechen und auf die Art der Beschäftigung angepasst sind. Eine eher kleine Änderung mit großer Wirkung.
- Unterrichtung und Unterweisung
Der § 6 widmete sich bislang einzelnen Raumarten, enthält im Entwurf aber die „Unterrichtung und Unterweisung der Beschäftigten″. Durch die Änderungen sollten umfangreiche Unterrichtungs-, Unterweisungs-, und Dokumentationspflichten eingeführt werden, wie schon an der geänderten Überschrift deutlich wird. Dabei hat der Entwurf auch von uns durchgesetzte Rechtsprechung berücksichtigt, indem es heißt, die Unterrichtung müsse auf der Grundlage der Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung erfolgen.
- Die Steilvorlage: Tageslicht und Sichtverbindung
Im Anhang wurde unter Ziffer 3.4 (1) eine folgenschwere Änderung vorgesehen: Arbeits-, Sanitär-, Pausen- und Bereitschaftsräume sowie Kantinen, Erste-Hilfe-Räume und Unterkünfte müssen danach nicht nur „möglichst″ ausreichend Tageslicht erhalten, sondern sie „müssen Tageslicht erhalten″ und zudem „eine Sichtverbindung nach außen haben″. Ausnahmen waren im Regierungsentwurf für solche Räume vorgesehen, bei denen dies betriebstechnisch nicht möglich ist, für Verkaufs- und Schankräume im Keller oder in Einkaufszentren oder ab einer bestimmten Raumgröße, wenn Oberlichter vorhanden sind. Was aber wäre mit Wasch- und Sanitärräumen in Kellergeschossen? Was – wie befürchtet – mit dem Imbiss im Bahnhof? Die Befürchtung erheblicher Umbaumaßnahmen ist damit vorgezeichnet…
Der Bundesrat sah zur Entschärfung vor, dass die Vorgabe nur für Arbeitsräume gelten soll, in denen sich die Beschäftigten regelmäßig für einen längeren Zeitraum und nicht nur kurzfristig aufhalten müssen, und beschränkte die Nebenräume auf Pausen- und Bereitschaftsräume sowie Kantinen und Unterkünfte. Die Toilette im Keller könnte demnach – anders als befürchtet – also bleiben…
- Abschließbare Kleiderablage als Todschlagargument ?
Ein Wut-Thema wurde auch die abschließbare Kleiderablage. Unter Ziffer 3.3 des Anhangs ist schon immer eine Kleiderablage vorgesehen, die jedem Beschäftigten zur Verfügung stehen muss, wenn es keine Umkleideräume gibt. Wo sollen die Jacken auch sonst hinkommen?
Der Bundesrat wollte aber die Möglichkeit, dass Mitarbeiter auch persönliche Wertgegenstände einschließen können – ein Thema, das in den vergangenen Jahren lautlos durch die betriebliche Praxis geregelt wurde. Und schon sehen sich die Arbeitgeber mit weiteren Umbauerfordernissen konfrontiert.
- Die Raumtemperatur: Hochschwanger im Schützenpanzer
Ferner sieht der Vorschlag im Anhang unter Ziffer 3.5 (1) vor, dass die Raumtemperatur nicht nur während der Arbeitszeit, sondern während er Nutzungsdauer gesundheitlich zuträglich sein muss. Hier müssen auch psychische Belastungen der Beschäftigten (durch die Raumtemperatur) berücksichtigt werden.
Ausgedehnt wird die Pflicht zur gesundheitlich zuträglichen Temperatur auch für Unterkünfte. Wer schnell frierende oder schwitzende Mitarbeiter in einem Raum arbeiten lassen oder unterbringen will, könnte also so seine Probleme bekommen.
Die geäußerte Besorgnis auch in Schützenpanzern müssten so gute Klimabedingungen herrschen, dass selbst für hochschwangere Soldatinnen die Beförderung bei einem Gefechtseinsatz noch möglich sei, ist allerdings ziemlicher Unsinn.
Zum einen wäre – wie bisher in § 1 Abs. 3 ArbStV– nach § 1 Abs. 6 auch in Zukunft das Bundesministerium für Verteidigung nach ministerialer Abstimmung in der Lage Ausnahmen zuzulassen. Zum anderen sind für schwangere Soldatinnen schon die Mutterschutz-Arbeitsplatzverordnung bzw. das Mutterschutzgesetz einschlägig.
Die Kritik
Vor allem von Seiten der Wirtschaft wurde scharfe Kritik an diesen Änderungsvorschlägen geübt. Die Dokumentationspflichten habe eine deutliche Zunahme an Bürokratie zur Folge. Auch die Forderung nach Tageslicht/Sichtverbindung nach außen in einer Vielzahl von Räumen sah sich erheblicher Kritik ausgesetzt. Die Fensterpflicht könnte auch die Zulässigkeit vieler Empfangsbereiche in Hotels, Arztpraxen oder Verwaltungsgebäuden in Frage stellen. Auch Labore oder Untersuchungszimmer in Krankenhäusern dürften regelmäßig nicht unter die – spärlich vorgesehenen – Ausnahmen fallen. Die wirtschaftlichen Folgen, die mit dem erforderlichen Umbau einhergingen, wären in vielen Fällen nicht unbeträchtlich.
Was den Ruf nach einer abschließbaren Kleiderablage für jeden Arbeitnehmer angeht, erscheint fraglich, ob ein ernstzunehmendes Bedürfnis für eine Vorschrift in dieser Hinsicht besteht – zum Hashtag hat es die #abschließbareKleiderablage jedenfalls in den Vergangenen Jahren nicht geschafft.
Auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit lässt sich beim Thema Raumtemperatur stellen. In wenig frequentierten Räumen wie Kellern, Archiven oder Teeküchen, die nicht zum längeren Aufenthalt vorgesehen sind, erscheint dies überzogen. Auch die Ausdehnung von der Arbeitszeit auf die Nutzungsdauer vermag bei Arbeitsräumen nicht zu überzeugen, wann werden Arbeitsräume außerhalb der Arbeitszeit genutzt?
Bei Sanitär- oder Pausenräumen ist der Begriff der „Nutzungsdauer″ dagegen zutreffend. Wenn die Änderungen dazu würden, dass zukünftig im Sommer die Pausenbrote nicht vor Hitze zerlaufen oder im Winter weniger Eiszapfen in Sanitärräumen zu finden sind, dürfte dies sicher den einen oder anderen Nutzer freuen.
Wie geht es weiter?
Die Überarbeitung läuft, Stellungnahmen gibt es derzeit nicht. Schon vor geraumer Zeit hat das Arbeitsministerium Kompromissbereitschaft in einigen Teilen signalisiert – unter der Prämisse die Verordnung zeitnah zu beschließen und die Kritik erst im Wege einer anschließenden Änderungsverordnung zu würdigen. Das wäre in der Tat Unfug.
Ob und inwiefern der nächste Entwurf auf die dargestellten Kritikpunkte eingehen wird, und wann es überhaupt weitergeht, müssen wir abwarten.
Update: Reförmchen der Reform
Am 2. November 2016 hat die Bundesregierung den abgestimmten Entwurf der ArbStättV beschlossen.