Der Geltungsbereich u.a. des in der Praxis wesentlichen Branchenzuschlagstarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie wurde mit Wirkung zum 1. Dezember 2021 erweitert – zu den Konsequenzen für die Praxis der nachfolgende zweite Teil des Beitrags.
Die Modifikation der Branchenzuschlagstarifverträge durch die Einfügung einer neuen Fallgruppe, der die Anwendung selbiger bedingt, gibt Anlass dazu zu hinterfragen, ob sich diese nicht mittelbar auch erweiternd auf die Auslegung des TV BZ ME im Übrigen auswirkt.
Nach bisher herrschender Meinung war ein Katalog- und ein Unterstützungsbetrieb (§ 1 Abs. 2 S. 2, HS. 1 und 2 TV BZ ME) vom TV BZ ME nur erfasst, wenn es sich um einen (fertigenden) Industrieb-/Produktionsbetrieb handelte; (reine) Dienstleistungsbetriebe blieben außen vor (vgl. BAG, Urteil v. 18. März 2020 – 5 AZR 430/18; dazu: Bissels/Falter, jurisPR-ArbR 29/2020 Anm. 7).
In der Literatur wird vertreten, dass durch die Änderung des TV BZ ME auf den Produktionsbezug in Gänze verzichtet werden solle (Motz, AIP 10/2021, 6 f.) – mit der Folge, dass beispielsweise auch die in der dienstleistungsgeprägten Hauptverwaltung eines Automobilherstellers (unterstellt der Kunde ist nicht tarifgebunden) tätigen Zeitarbeitnehmer* nunmehr einer Branchenzuschlagspflicht unterworfen würden. Richtig daran ist zwar, dass die Tarifvertragsparteien durch die Ergänzung des TV BZ ME um eine weitere Fallgruppe, wann eine Branchenzuschlagspflichtigkeit bestehen soll (nämlich bei der Bindung an ein regionales Tarifwerk der M+E-Industrie), für diese keinen Produktionsbezug mehr verlangen (mit der Folge, dass auch Dienstleistungsbetriebe erfasst werden).
Daraus dürfte aber nicht der allgemeine und grundsätzliche Schluss zu ziehen sein, dass auf den Produktionsbezug grundsätzlich für die übrigen Fallgruppen, die zu einer Branchenzuschlagspflicht führen können, verzichtet werden soll. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es sich bei der neu in den TV BZ ME eingefügten Variante um eine schlichte Fiktion handelt, wann eine Branchenzuschlagspflicht einschlägig sein soll („als Kundenbetrieb gelten […]“). Diese fingierte Branchenzuschlagspflichtigkeit des Betriebs tritt selbständig neben die Fiktionen nach § 1 Abs. 2 S. 2, HS. 1 und 2 TV BZ ME. Das zeigt sich auch daran, dass die neue Fallgruppe in systematischer Hinsicht durch einen neuen Absatz in den TV BZ ME eingefügt und damit von den bisherigen Bestimmungen „entkoppelt“ worden ist („stand alone“). Die Verwendung der Formulierung „gelten auch“ kann ebenfalls nur so verstanden werden, dass die bisherigen Regelungen des TV BZ ME und deren Auslegung von der Anpassung des Tarifvertrages nicht berührt werden sollen.
Dafür spricht darüber hinaus, dass die Tarifvertragsparteien den Katalog der branchenzuschlagspflichtigen Betriebe in § 1 Abs. 2 S. 2, HS. 1 TV BZ ME gerade nicht um reine Dienstleistungsbetriebe ergänzt haben, die laut Satzung der IG Metall in deren Zuständigkeitsbereich fallen, z.B. aus dem IT-Segment, sondern den Produktionsbezug ausdrücklich beibehalten haben. Es bleibt damit dabei, dass der TV BZ ME grundsätzlich ausschließlich „Kundenbetriebe der Metall- und Elektroindustrie“ (§ 1 Abs. 2 S. 1 TV BZ ME) und damit produzierende Betriebe erfassen soll. Die neu statuierte Fallgruppe bei einer Bindung an die Flächentarifverträge M+E wird hiervon nicht berührt.
In dem o.g. Beispiel ist folglich die Hauptverwaltung eines Automobilherstellers grundsätzlich (weiterhin) nicht branchenzuschlagspflichtig, wenn dieser nicht an die Flächentarifverträge gebunden ist. Es handelt sich nicht um einen Betrieb der Metall- und Elektroindustrie (§ 1 Abs. 2 S. 1 TV BZ ME), nicht um einen produzierenden Betrieb nach § 1 Abs. 2 S. 2, HS. 1 TV BZ ME und in der Regel nicht um einen (fertigenden) Unterstützungsbetrieb nach § 1 Abs. 2 S. 2, HS. 2 TV BZ ME.
Änderung des Prüfschemas bzgl. Anwendung eines Branchenzuschlagstarifvertrags
Im Ergebnis haben die tariflichen Anpassungen zur Folge, dass sich das Schema zur Prüfung, ob ein Branchenzuschlagstarifvertrag Anwendung findet, ändert; dieses stellt sich zukünftig wie folgt dar:
Liegt kein Katalog- oder kein Unterstützungsbetrieb vor, wird der Anwendungsbereich des TV BZ ME folglich zumindest – unter Beachtung der obigen Ausführungen – über eine entsprechende Geltung der M+E-Tarifverträge im Kundenbetrieb eröffnet.
Es besteht Handlungsbedarf nach der Anpassung der Branchenzuschlagstarifverträge
Ob (vergleichbare) Änderungen in den anderen Branchenzuschlagstarifverträgen zu erwarten sind, insbesondere bei denjenigen, die mit anderen Gewerkschaften des DGB geschlossen worden sind, bleibt abzuwarten.
Für die Personaldienstleister ergibt sich mit Blick auf die aktuellen Anpassungen (mit Wirkung für Neueinsätze ab dem 1. Dezember 2021) ein kurzfristiger Handlungsbedarf: Dieser bezieht sich zunächst auf die Fragebögen zur Bestimmung, ob ein Branchenzuschlagstarifvertrag anwendbar ist. Die neu in die o.g. Tarifverträge eingefügte Fallgruppe muss aufgenommen werden. Dabei ist die Tarifbindung des Kunden bzw. des Einsatzbetriebs zu erfragen. Im Zweifel sollte auch ein Nachweis vom Kunden erbracht werden, z.B. durch Übersendung des Haustarifvertrages oder die Bescheinigung über die Mitgliedschaft in dem (regionalen) Arbeitgeberverband Metall.
In diesem Zusammenhang müssen die entsprechenden Fragebögen bei sämtlichen Kunden eingereicht und von diesen ausgefüllt werden, um beurteilen zu können, ob sich durch eine Tarifbindung eine Neubewertung der Branchenzuschlagspflicht ergibt. Bejahendenfalls sind Neueinsätze ab dem 1. Dezember 2021 auf dieser Grundlage abzuwickeln. Zudem muss geprüft werden, wie Alteinsätze unter Berücksichtigung von ggf. anzurechnenden Einsatzzeiten zu bewerten sind.
Im Ergebnis führt die neu in die drei Branchenzuschlagstarifverträge eingefügte Fallgruppe, um eine Branchenzuschlagspflicht zu begründen, grundsätzlich dazu, dass über die Tarifbindung zukünftig relativ einfach abgegrenzt werden kann, ob der betriebliche Geltungsbereich des TV BZ eröffnet ist. Oftmals werden sich Schwierigkeiten, die sich durch die Anwendung der recht komplexen und schwer zu subsumierenden Rechtsprechung ergeben haben, erübrigen. Durch die tariflichen Branchenzuschläge entfällt – zumindest bis zum 15. vollendeten Monat des Einsatzes – die Dokumentation des Vergleichsentgelts in Zusammenhang mit einem gesetzlichen bzw. (bei einer Deckelung II) mit einem tariflichen equal pay. Die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses dürfte aufgrund der – zumindest im Vergleich zum gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatz – weniger komplexen Bestimmungen vereinfacht werden, da keine monatliche Schattenabrechnung erforderlich wird.
Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich die Überlassung von Arbeitnehmern durch die Erweiterung des betrieblichen Anwendungsbereichs des TV BZ ME und der damit verbundenen Erhöhung der branchenzuschlagspflichtigen Einsätze (zumindest bis zur Vollendung des 9. Monats) oftmals verteuern dürfte. Der Personaldienstleister dürfte in diesem Fall nicht umhinkommen, (wieder einmal) Kontakt mit dem Kunden aufzunehmen, um über eine Anpassung der Verrechnungspreise zu verhandeln.
Zudem ist anzumerken, dass grundsätzlich kein Wahlrecht besteht, nach dem bei der Einschlägigkeit eines Branchenzuschlagstarifvertrages für die Anwendung des gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatzes optiert werden kann. Die Branchenzuschlagstarifverträge sind über die in der Praxis verbreiteten und genutzten Bezugnahmeklauseln Bestandteil des mit den Zeitarbeitnehmern begründeten Arbeitsverhältnisses und müssen in diesem grundsätzlich angewendet und beachtet werden. Dieser Umstand wird von der BA im Rahmen von Betriebsprüfungen streng kontrolliert und kann bei Verstößen – neben dem Widerruf der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis – Bußgelder zur Folge haben.
Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte unserem „Infobrief Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.