3. Dezember 2020
Zeitarbeit Kündigung Stammmitarbeiter Personalreserve
Arbeitsrecht

Einsatz von Zeitarbeitnehmern: Unwirksamkeit von betriebsbedingten Kündigungen von Stammmitarbeitern

Zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen sind die mit Zeitarbeitnehmern besetzten Arbeitsplätze "freizumachen", wenn diese nicht als echte Personalreserve eingesetzt werden.

Ist der Anwendungsbereich des KSchG eröffnet, ist eine Kündigung nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Der Arbeitgeber muss im Streitfall beweisen, dass eine Kündigung aufgrund von verhaltens-, personen- oder betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG). Die Darlegungs- und Beweislast obliegt dabei dem Arbeitgeber. 

In einem Rechtsstreit reicht es folglich aus, dass der gekündigte Arbeitnehmer* behauptet, dass die ausgesprochene Kündigung sozial nicht gerechtfertigt sei – der Ball liegt dann im Spielfeld des Arbeitgebers, der sodann zu den Gründen substantiiert vortragen muss. In Zusammenhang mit einer betriebsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber darlegen (und im Zweifel beweisen), dass der gekündigte Arbeitnehmer nicht auf einem freien Arbeitsplatz im Unternehmen hätte weiterbeschäftigt werden können (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 lit. b) KSchG). In der Praxis stellt sich dabei die Frage, ob der Kunde berechtigt ist, einen Stammmitarbeiter betriebsbedingt zu kündigen, wenn und soweit dieser Zeitarbeitnehmer beschäftigt. Diese werden auf einem Arbeitsplatz des Kunden eingesetzt, so dass dieser an sich nicht frei ist und damit nicht für den gekündigten Stammarbeitnehmer zur Verfügung steht. 

Im Rahmen eines Kündigungsschutzrechtsstreits hat das LAG Köln insoweit eine abweichende Ansicht vertreten. Das Gericht hat entschieden, dass eine betriebsbedingte Kündigung von Stammmitarbeitern wegen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber Zeitarbeitnehmer beschäftigt, mit denen er ein nicht schwankendes, ständig vorhandenes (Sockel-)Arbeitsvolumen abdeckt (Urteil v. 2. September 2020 – 5 Sa 295/20, 5 Sa 14/20).

Automobilzulieferer kündigte Stammarbeitnehmer, obwohl noch Zeitarbeitnehmer beschäftigt wurden 

Bei dem beklagten Automobilzulieferer sind laut der vorliegenden Pressemitteilung neben 106 eigenen Mitarbeitern auch Zeitarbeitnehmer tätig. Weil dessen Auftraggeber das Volumen seiner Autoproduktion reduzierte, sprach der Arbeitgeber wegen des dadurch bei diesem entstehenden Personalüberhangs gegenüber den Klägern und vier weiteren Kollegen, allesamt Stammarbeitnehmer, betriebsbedingte Kündigungen aus. 

In den knapp zwei Jahren setzte die Beklagte sechs Zeitarbeitnehmer fortlaufend mit nur wenigen Unterbrechungen, etwa zum Jahresende oder während der Werksferien, in ihrem Betrieb ein.

LAG Köln: Fortlaufend beschäftigte Zeitarbeitnehmer sind keine Personalreserve

Das LAG Köln hat den gegen die Kündigung gerichteten Kündigungsschutzklagen stattgegeben. Übereinstimmend mit dem ArbG Köln ist auch das LAG Köln der Auffassung, die Kläger hätten auf den Arbeitsplätzen der Zeitarbeitnehmer weiterbeschäftigt werden können. Diese seien als freie Arbeitsplätze anzusehen.

Zwar fehle es nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG daran, wenn der Arbeitgeber Zeitarbeitnehmer als Personalreserve zur Abdeckung von Vertretungsbedarf beschäftige. Eine solche Vertretungsreserve verneint das LAG Köln jedoch im vorliegenden Fall. Zeitarbeitnehmer, die fortlaufend beschäftigt würden, seien nicht als Personalreserve zur Abdeckung von Vertretungsbedarf im Unternehmen eingesetzt. Wenn immer wieder (unterschiedliche) Arbeitnehmer in einem absehbaren Umfang ausfielen, sei kein schwankendes, sondern ein ständig vorhandenes (Sockel-)Arbeitsvolumen vorhanden. Dementsprechend habe das BAG entschieden, dass der Sachgrund der Vertretung nicht vorliege, wenn der Arbeitgeber mit der befristeten Beschäftigung eines Arbeitnehmers einen dauerhaften Bedarf abdecken wolle.

Personalreserve zu Vertretungszwecken“ oder „Bedienung eines (Sockel-)Arbeitsvolumens“?

Das LAG Köln hat die Kündigungen als sozial nicht gerechtfertigt und damit als unwirksam qualifiziert. Die Entscheidung liegt dabei auf Linie der Rechtsprechung und der herrschenden Ansicht in der Literatur (vgl. BAG, Urteil v. 15. Dezember 2011 – 2 AZR 42/10; Urteil v. 18. Oktober 2012 – 6 AZR 289/11; so auch: LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 19. Mai 2015 – 8 Sa 368/14; LAG Hamm, Urteil v. 21. Oktober 2014 – 7 Sa 806/14).

Im Ergebnis steht und fällt die Frage, ob im Vorfeld einer betriebsbedingten Kündigung eines Stammbeschäftigten mit Zeitarbeitnehmern besetzte Arbeitsplätze „freigemacht″ werden müssen, z.B. durch eine Abmeldung gegenüber dem Personaldienstleister, damit, zu welchem Zweck die Zeitarbeitnehmer bei dem Kunden eingesetzt werden.

Im Zweifel wird der Arbeitgeber im Prozess behaupten, dass keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten vorhanden sind; wird dies von dem gekündigten Arbeitnehmer bestritten bzw. weist dieser sogar ausdrücklich auf die bei dem Arbeitgeber eingesetzten Zeitarbeitnehmer hin, muss das Unternehmen zu den Hintergründen des Einsatzes vortragen. Die Stellen der Zeitarbeitnehmer gelten dann nicht als frei, wenn diese:

  • Auftragsspitzen bei dem Arbeitgeber abdecken sowie
  • als „Personalreserve″ zur Vertretungszwecken vorgehalten werden, unabhängig von der Vorherseh- oder Regelmäßigkeit und/oder der zeitlichen Dauer der Vertretung.

Eine abweichende Bewertung ist hingegen geboten, wenn und soweit ein ständig anfallendes Volumen bei dem Arbeitgeber vorhanden ist, das dieser von – ggf. auch wechselnden – Zeitarbeitnehmern bearbeiten lässt. 

In der Praxis dürfte die Schwierigkeit des Arbeitgebers oftmals darin bestehen, hinreichend trennscharf dazu vorzutragen, ob noch eine Personalreserve zu Vertretungszwecken vorgehalten oder schon ein (Sockel-)Arbeitsvolumen permanent mit Zeitarbeitnehmer bedient wird. Die Abgrenzung zwischen den beiden Varianten dürfte dabei fließend sein.

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte unserem „Infobrief Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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