22. Juli 2014
Buntes Rechengerät
Arbeitsrecht

Zeiten des Nichteinsatzes unter Anrechnung von Plusstunden aus dem Arbeitszeitkonto, die (fast) Zweite!

BAG hat entschieden, ob einsatzlose Zeiten unter Anrechnung auf bereits im Arbeitszeitkonto angesparte Zeitguthaben überbrückt werden können.

Wir haben bereits darüber berichtet: Das BAG hat am 16. April 2014 (Az. 5 AZR 483/12) entschieden, ob ein Personaldienstleister berechtigt ist, einsatzlose Zeiten von Mitarbeitern unter Anrechnung auf bereits im Arbeitszeitkonto angesparte Zeitguthaben zu überbrücken – natürlich bei Fortzahlung der Vergütung. Mittlerweile liegen auch die Urteilsgründe vor. Es zeigt sich, dass der Fall eher untypisch war und grundsätzliche Fragen nach wie vor offen bleiben.

Einsatzfreie Zeit: Unterschiedliche Positionen bei Gewerkschaften und Rechtsprechung

Insbesondere Gewerkschaften haben die Anrechnungs-Praxis während einsatzfreien Zeiten in der Vergangenheit stark kritisiert und verlangt, dass die entsprechenden Stunden wieder dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben sind. Darüber hinaus müsse der Zeitarbeitnehmer seine Vergütung erhalten, da sich der Arbeitgeber – er kann dem Mitarbeiter schließlich keinen vertragsgemäßen Einsatz zuweisen – in Annahmeverzug befindet (§ 615 S. 1 BGB).

Die überwiegende Ansicht in der Rechtsprechung hat jedoch ein abweichendes Verständnis und Ansprüche der Zeitarbeitnehmer in diesem Zusammenhang abgelehnt (vergleiche LAG Düsseldorf vom 16. November 2011 – 7 Sa 567/11; LAG Baden-Württemberg vom 29. April 2009 – 17 Sa 4/09; anderer Ansicht LAG Rheinland-Pfalz vom 24. April 2008 – 10 Sa 19/08).

Die Begründung des BAG

Auch das BAG hat am 16. April 2014 die klageabweisende Entscheidung des LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 6. Februar 2012 – 22 Sa 58/11) bestätigt. Inzwischen liegen auch die vollständig abgesetzten Gründe des Urteils vor. Daraus ergibt sich Folgendes:

Das BAG geht zunächst davon aus, dass der Personaldienstleister nicht verpflichtet gewesen sei, den Zeitarbeitnehmer über die vertraglich vereinbarten 35 Stunden pro Woche hinaus zu beschäftigen. Der Mitarbeiter sei nämlich in diesem Umfang eingesetzt worden, so dass der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug geraten sei. Dies habe zur Folge, dass der Zeitarbeitnehmer das geltend gemachte Entgelt – ohne Arbeitsleistung – nicht verlangen könne.

Zwar bestehe laut Arbeitsvertrag bzw. des in Bezug genommenen Tarifvertrages die Pflicht, den Zeitarbeitnehmer auch über 35 Stunden pro Woche zu beschäftigen, wenn dieser bei einem Kunden tätig werde, dessen vergleichbare Stammarbeitnehmer eine längere Arbeitszeit hätten. Dazu fehle es aber bereits an einem entsprechenden Vortrag des Klägers.

Zudem habe der Zeitarbeitnehmer – mangels abweichender Festlegungen im Arbeits-/Tarifvertrag – keinen Anspruch darauf, von Montag bis Freitag beschäftigt zu werden. Vielmehr könne der Arbeitgeber per Direktionsrecht die Lage der Arbeitszeit bestimmen und diese unterschiedlich auf die Wochentage verteilen.

Auch die Vereinbarung einer unterschiedlichen Dauer der Arbeitszeit während der Zeiten des Nichteinsatzes und während der Überlassung sei unkritisch. Denn § 10 Abs. 4 AÜG, der an sich vorsehe, dass der Zeitarbeitnehmer während des Einsatzes in einem entsprechenden Umfang wie ein vergleichbarer Stammmitarbeiter beschäftigt werde, sei in Zeiten des Nichteinsatzes schlichtweg nicht anwendbar. Die Vertragsfreiheit der Parteien sei in diesem Zusammenhang grundsätzlich nicht eingeschränkt.

Arbeitszeitkonto als solches ist zulässig

Das BAG kommt darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass die getroffene Arbeitszeitregelung nicht wegen der Errichtung und Führung eines Arbeitszeitkontos unwirksam sei. Ein solches sei zulässig. Der 5. Senat wörtlich:

Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass Arbeit nicht mit bezahlter Freizeit entgolten werden dürfte und stets in der Abrechnungsperiode, in der sie geleistet wurde, zu vergüten wäre. Sowohl den Arbeitsvertrags- als auch den Tarifvertragsparteien bleibt es unbenommen, über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeitsstunden auf einem Arbeitszeitkonto anzusammeln und in der Folgezeit durch bezahlte Freizeit auszugleichen. Das kommt dem Flexibilisierungsinteresse des Arbeitgebers ebenso wie einem verbreiteten Bedürfnis von Arbeitnehmern entgegen.

Im Ergebnis konnte das BAG aber offen lassen, ob die arbeits- bzw. tarifvertraglichen Bestimmungen zum Arbeitszeitkonto tatsächlich wirksam sind. Selbst wenn dies nicht der Fall sei, bleibe die Regelung zur Dauer der Arbeitszeit unberührt. Daher sei über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehende Mehrarbeit stets zu vergüten – im vorliegenden Fall war dies aber nicht relevant.

Selbst wenn die gesamte Klausel zur Arbeitszeit (einschließlich Arbeitszeitkonten) unwirksam sei und die in Bezug genommenen tariflichen Regelungen zur Arbeitszeit nicht greifen würden, könne die Klage nach Ansicht des BAG keinen Erfolg haben. In diesem Falle hätten die Parteien überhaupt keine bestimmte Dauer der Arbeitszeit vereinbart, so dass der Zeitarbeitnehmer nur über § 10 Abs. 4 AÜG (Dauer der Arbeitszeit vergleichbarer Stammarbeitnehmer) oder eine in der Zeitarbeitsbranche „übliche“ Arbeitszeit zu einem 35 Wochenstunden übersteigenden zeitlichen Rahmen und damit zu einem Annahmeverzug kommen können. Zu beidem fehle aber jeglicher Sachvortrag.

Die üblichen Fragen bleiben unbeantwortet

Ende gut, alles gut – so könnte man zumindest meinen, da Erfurt die Arbeitszeitkonten in der Zeitarbeit zumindest im Grundsatz abgenickt hat. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass der Fall eher atypisch gelagert war. Im Arbeitsvertrag war eine umfängliche Regelung zur Arbeitszeit im Allgemeinen und zu Arbeitszeitkonten im Besonderen enthalten. Abgesehen davon hat der Kläger im Ergebnis 35 Wochenstunden gearbeitet.

Es stellte sich damit bereits nicht die Frage, ob die sonst in Zusammenhang mit Arbeitszeitkonten regelmäßig relevante Bezugnahmeklausel auf die DGB-Tarifverträge der Zeitarbeit wirksam ist (oftmals enthalten die Arbeitsverträge dazu keine oder allenfalls rudimentäre Regelungen). Darüber hinaus gibt es in der Praxis regelmäßig Fälle, in denen der Zeitarbeitnehmer gerade nicht die vereinbarte Wochenarbeitszeit tätig wird, sondern mangels Nichteinsatzbarkeit de facto mehrere Tage über das Arbeitszeitkonto bezahlt wird.

Vor diesem Hintergrund bleibt letztlich abzuwarten, „wohin die Reise weiter gehen wird.″ Beim LAG Hamburg ist dazu zumindest ein „passendes″ Verfahren anhängig (Az. 4 Sa 56/13), das bis zur Entscheidung des BAG vom 16. April 2014 ausgesetzt war. Dieses dürfte jetzt wieder aufgerufen werden und im Zweifel Erfurt erneut Gelegenheit geben, zur Frage der Zulässigkeit des Umgangs mit Arbeitszeitkonten in der Zeitarbeit Stellung zu nehmen – falls es denn soweit kommen sollte.

Dieser Blogbeitrag ist angelehnt an einen Artikel der Juli-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit“, mit dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen zu beziehen, schreiben Sie mir bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com).

Tags: Arbeitsrecht Arbeitszeitkonto