30. November 2023
Recht auf Reparatur
Commercial

Das europäische „Recht auf Reparatur“ – Nachbesserung statt Neulieferung

Defekte Produkte sollen künftig öfter repariert statt ausgetauscht werden. Die EU nimmt dafür Hersteller und Händler in die Pflicht.

Mit dem „European Green Deal“ verfolgt die EU das ambitionierte Ziel, bis 2050 als erster Kontinent klimaneutral zu werden. Hierfür ist der Wandel „von der Wegwerfgesellschaft zur Recyclinggesellschaft“ von zentraler Bedeutung, der durch die langfristige Etablierung einer Kreislaufwirtschaft erreicht werden soll. Dies soll insbesondere durch die Instandhaltung bereits gekaufter Produkte gefördert werden, durch die der bei Neukäufen entstehende Ressourcenverbrauch und das hier anfallende Abfallaufkommen gleichermaßen eingedämmt werden. 

Die EU-Kommission plant verschiedene Maßnahmen, um zu erreichen, dass Produkte in Zukunft langlebiger und dadurch nachhaltiger werden. Der Vorschlag für eine Ökodesign-Verordnung zielt darauf ab, dass bereits bei der Produktion sichergestellt wird, dass Produkte möglichst reparierbar sind. Der Vorschlag für eine Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel soll dafür sorgen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher vor dem Kauf ausreichend über die Haltbarkeit und Reparierbarkeit von Produkten informiert werden, um fundierte Kaufentscheidungen treffen zu können. 

Ergänzt werden sollen die Maßnahmen durch ein EU-weites „Recht auf Reparatur“, dass die EU-Kommission durch den im März 2023 vorgestellten Vorschlag für eine Richtlinie über gemeinsame Vorschriften zur Förderung der Reparatur von Waren etablieren will. Dabei nimmt die Kommission nicht nur das außervertragliche Verhältnis des Endkonsumenten zu dem Hersteller in den Blick, sondern schlägt auch Änderungen für das geltende Gewährleistungsrecht vor. 

Im November 2023 haben das Europäische Parlament und der Rat ihre Positionen zu dem Richtlinienvorschlag der Kommission beschlossen, so dass nun die Trilogverhandlungen über die endgültige Fassung der Richtlinie beginnen können. 

Regelungssystematik der EU-Richtlinie zum Recht auf Reparatur

Der Richtlinienvorschlag verfolgt ein dreispuriges Regelungskonzept:

  • Er umfasst zum einen Änderungen im Gewährleistungsrecht, d.h. dem Verhältnis des Käufers zu seinem Vertragspartner (= Verkäufer).
  • Außerhalb der gesetzlichen Gewährleitung werden Hersteller, sowie subsidiär auch Importeure oder Händler gegenüber dem Endkonsumenten zur (kostenpflichtigen) Reparatur bestimmter Produkte für einen bestimmten Zeitraum verpflichtet.
  • Schließlich wird der Reparatursektor in den Blick genommen, indem erhöhte Transparenzanforderungen statuiert werden und der Zugang der Verbraucher zum Reparaturmarkt erleichtert wird.

Änderungen im Gewährleistungsrecht: Reparatur vor Neulieferung 

Der Vorschlag zielt zunächst auf eine erhebliche Änderung des geltenden Grundsatzes des Wahlrechts des Käufers bei der Nacherfüllung. Derzeit kann nach der Warenkauf-Richtlinie (in Deutschland umgesetzt im Mängelgewährleistungsrecht des BGB) der Käufer die von ihm favorisierte Nacherfüllungsvariante – Nachbesserung oder Ersatzlieferung – grundsätzlich frei wählen. Einschränkungen gelten nur, wenn die vom Käufer gewählte Nacherfüllungsart unmöglich oder mit unverhältnismäßigen Kosten für den Verkäufer verbunden ist. Der Richtlinienvorschlag beabsichtigt nunmehr, durch eine Änderung der Warenkauf-Richtlinie die Reparatur gegenüber der Neulieferung insoweit zu fördern, als dass die Nachbesserung immer Vorrang vor der Ersatzlieferung genießen soll, wenn die Kosten dafür nicht höher sind als die einer Ersatzlieferung. 

Das Europäische Parlament will den Vorrang der Reparatur nicht ganz so strikt/absolut in das Gewährleistungsrecht integrieren, sondern sieht in seinem Standpunkt eine gewisse Einschränkung des vorgeschlagenen Grundsatzes dahingehend vor, dass eine Reparatur (d.h. die Nachbesserung) nicht nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn sie faktisch oder rechtlich unmöglich ist, sondern auch wenn sie „erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher“ verursachen würde. Dies soll beispielsweise der Fall sein, wenn der Verbraucher auf die ununterbrochene Nutzung der Kaufsache angewiesen und ein vorübergehender Ersatz nicht verfügbar ist, oder wenn die Sache zuvor bereits erfolglos repariert wurde. In diesen Fällen soll es einem Verbraucher weiterhin möglich sein, die Ersatzlieferung als Nacherfüllungsvariante zu wählen. 

Zusätzlich will das Parlament den Verbrauchern ermöglichen, sich auch während des Gewährleistungszeitraums unmittelbar an den Hersteller des Produkts zu wenden und die Reparatur der mangelhaften Kaufsache auch von diesem verlangen zu können. Kommt der Hersteller dem nach, soll der Verkäufer von seiner Reparaturverpflichtung frei werden. 

Parlament und Rat für Verlängerung der Gewährleistungsfrist für reparierte Ware 

Um den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Reparatur zusätzlich schmackhaft zu machen, spricht sich das Parlament dafür aus, die Gewährleistungsfrist für reparierte Waren einmalig um ein Jahr ab Erhalt der reparierten Ware zu verlängern. 

Demgegenüber möchte der Rat das Wahlrecht des Verbrauchers zwischen Nachbesserung und Nachlieferung grundsätzlich beibehalten und die derzeit EU-weit mindestens zweijährige Gewährleistungsfrist bei Wahl der Reparatur (unabhängig von deren Zeitpunkt) einmalig um sechs Monate verlängern. Über die Wahlmöglichkeit und die Verlängerung der Gewährleistung im Fall der Reparatur soll der Händler den Verbraucher informieren. Nach Auffassung des Rats soll es den Mitgliedsstaaten freistehen, eine längere Gewährleistungsfrist bei Reparatur zu wählen oder weitere Anreize für eine Entscheidung zur Nachbesserung zu schaffen.

Außerhalb der Gewährleistung: Reparaturpflichten für Hersteller  

Außerhalb der gesetzlichen Gewährleistung sollen Hersteller dazu verpflichtet werden, bestimmte Produkte innerhalb von fünf bis zehn Jahren nach Abschluss des Kaufvertrags (abhängig vom jeweiligen Produkt) bzw. – nach dem Willen des Parlaments – mindestens während der voraussichtlichen Lebensdauer des Produkts (entgeltlich oder unentgeltlich) selbst oder durch Subunternehmer zu reparieren. Daneben müssen sie über den gesamten vorgeschriebenen Reparaturzeitraum Ersatzteile sowie reparaturbezogene Informationen und Werkzeuge zur Verfügung stellen. Zudem sollen Hersteller die Verbraucher über ihre Reparaturpflicht informieren müssen. 

Erfasste Produktgruppen 

Die Reparaturpflicht soll allerdings nur für bestimmte Produktgruppen gelten, die in Annex II des Richtlinienvorschlags aufgelistet sind. Nach dem Kommissionsvorschlag und auch nach Ansicht des Rats sollen dies nur Produkte sein, für die nach europäischen Ökodesign-Vorgaben bereits Anforderungen an ihre Reparierbarkeit und die Vorhaltung von Ersatzteilen bestehen. Dies betrifft beispielsweise (Haushalts-)Waschmaschinen und Geschirrspüler, Kühlgeräte und Staubsauger, elektronische Displays und Datenspeicherungsvorrichtungen und künftig auch Mobiltelefone, Schnurlostelefone und Tablets. Das Parlament hat sich zudem dafür ausgesprochen, Fahrräder in den Anwendungsbereich mit aufzunehmen, obwohl für diese bislang keine entsprechenden Ökodesign-Anforderungen bestehen.  

Erlöschen der Reparaturpflicht 

Die Hersteller der betroffenen Produkte sollen von der Reparaturpflicht nur entbunden werden, wenn diese technisch unmöglich ist, weil das Produkt beispielsweise derart beschädigt ist, dass es nicht mehr repariert werden kann oder der Verbraucher den Schaden an dem Produkt selbst verursacht hat. Für den Fall, dass ein Produkt nicht mehr repariert werden kann, soll der Hersteller dem Verbraucher stattdessen ein überholtes (refurbished) Produkt anbieten dürfen.

Sonderpflichten für ausländische Hersteller, Importeure und Vertreiber  

Für Hersteller, die ihre Niederlassung außerhalb der EU haben, gilt grundsätzlich, dass ihre bevollmächtigten Repräsentanten die Reparaturverpflichtung erfüllen müssen. Sofern ein solcher Bevollmächtigter nicht vorhanden ist, können subsidiär auch Importeure und in Ermangelung solcher Fulfillment-Dienstleister oder Vertreiber in die Hersteller-Pflichten einrücken, sodass auch deren Pflichten erweitert werden. 

Parlament will hohe Bußgelder bei Verstößen gegen die Reparaturpflicht

Während der Kommissionsvorschlag die Mitgliedstaaten nur allgemein verpflichten will, für den Fall von Verstößen gegen die Reparaturpflichten „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“ zu verhängen, wird das Europäische Parlament konkreter: Seinem Standpunkt zufolge sollen für Verstöße gegen die Reparaturpflichten, die sich in mehreren EU-Mitgliedstaaten auswirken, Bußgelder gegen die verstoßenden Unternehmen von bis zu 4% des Jahresumsatzes verhängt werden können.   

Online-Matchmaking Reparaturplattformen sollen Suche nach Reparaturbetrieben erleichtern

Weiter sieht der Kommissionsvorschlag die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einrichtung von nationalen Online-Vermittlungsplattformen für Reparaturen, die Verbraucher mit möglichst lokalen Reparaturbetrieben und Verkäufern instandgesetzter Waren zusammenbringt, vor. Die Plattformen sollen konkret eine strandortspezifische Suche nach bestimmten Qualitätsstandards ermöglichen, um Verbrauchern zu helfen, attraktive Angebote zu finden und Reparaturanbieter bzw. Verkäufer von refurbished-Produkten sichtbarer machen. 

Der Rat hält hingegen eine einzige, von der EU-Kommission betriebene europäische Reparaturplattform für zielführender als 27 nationale Plattformen. 

Das Parlament spricht sich in seinem Standpunkt außerdem dafür aus, die Mitgliedstaaten auch zu weiteren „geeigneten Maßnahmen“ zur Förderung von Reparaturen zu verpflichten. Beispielhaft nennt es dafür Reparaturgutscheine, nationale Reparaturfonds oder andere Maßnahmen und Anreize.  

Mehr Transparenz durch Reparaturinformationsformulare 

Ein standardisiertes europäisches Reparaturinformationsformular soll zudem für Transparenz bezüglich der Reparaturmodalitäten der verschiedenen Betriebe sorgen und den Verbrauchern den Vergleich von Angeboten erleichtern, indem dort Bedingungen wie der Preis und seine Berechnungsmethoden, die Reparaturzeit und die eventuelle Bereitstellung von Ersatzgeräten für die Reparaturzeit aufgelistet werden und als Vertragsbestandteil Verbindlichkeit erlangen, wenn der Vertrag innerhalb von 30 Tagen nach Aushändigung des Formulars abgeschlossen wird. 

Während  Kommission und Rat die Bereitstellung eines solchen einheitlichen Formulars jedenfalls für die reparaturpflichtigen Unternehmen zur Pflicht machen wollen, spricht sich das Parlament für eine freiwillige Verwendung durch die Reparaturbetriebe aus. 

Kein verbindlicher Qualitätsstandard für Reparaturen 

Einen verbindlichen Europäischen Qualitätsstandard für Reparaturleistungen sieht der Richtlinienvorschlag nicht vor. Aus dem Vorschlagstext geht jedoch hervor, dass die EU die Entwicklung eines freiwilligen Qualitätsstandards für Reparaturleistungen durch die Kommission in Zusammenarbeit mit Unternehmen, Behörden und europäische Normungsorganisationen befürwortet. Unternehmen sollten daher die zukünftigen Entwicklungen in diesem Bereich verfolgen. 

Trilogverhandlungen über die endgültige Fassung des Rechts auf Reparatur stehen bevor – Umsetzungsfrist noch unklar

Rat und Parlament beginnen nun die Verhandlungen über die endgültige Fassung des Rechts auf Reparatur. Ein erster Termin ist für den 7. Dezember 2023 angekündigt. Nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens sieht der Kommissionsvorschlag eine Umsetzungsfrist von 24 Monaten vor, innerhalb derer die Mitgliedstaaten die Regelungen in ihre nationalen Rechtsordnungen überführen müssen. Der Rat will den Mitgliedstaaten anschließend noch weitere 6 Monate Zeit geben, bevor die neuen Regelungen anzuwenden sind. Das Parlament ist hier ambitionierter und will den Mitgliedstaaten nur 18 Monate Zeit für die Umsetzung und Anwendung lassen. 

Umweltministerium will 2024 deutsches Reparaturgesetz vorlegen

Das BMUV will dies nicht abwarten, sondern hat angekündigt, bereits 2024 ein deutsches Reparaturgesetz vorlegen zu wollen. Dieses soll Hersteller verpflichten, mindestens zehn Jahre lang Ersatzteile für Produkte vorzuhalten und diese innerhalb von 14 Tagen zu einem angemessenen Preis zur Verfügung zu stellen, sowie Verbrauchern und Reparaturbetrieben kostenlose und transparente Reparaturinformationen bereitzustellen. 

Neue Herausforderungen für die Industrie, ökologischer Nutzen bleibt fraglich 

Gerade im Zusammenspiel mit der geplanten Ökodesign-Verordnung und dem Richtlinienentwurf zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel werden die Richtlinie zur Förderung der Reparatur von Waren und auch das angekündigte deutsche Reparaturgesetz ihren praktischen Nutzen erweisen müssen. Das effektive Ineinandergreifen der verschiedenen Regelungsvorhaben wird auch den Rechtsanwender vor eine Herausforderung stellen. 

Aus ökologischer Sicht bleibt fraglich, ob durch die Einführung eines Rechts auf Reparatur die erhofften Ziele überhaupt effektiv erreicht werden können. Kunden, die am technischen Fortschritt partizipieren wollen, werden auch zukünftig Neugeräte beziehen, was energieeffizienztechnisch sogar sinnvoller sein kann als die Verlängerung des Lebenszyklus des Altgeräts. Eine Verpflichtung zur Reparatur kann zudem auch mit anderen Ökodesign-Vorgaben in Konflikt geraten. Sogar kann der für die Reparierbarkeit eines Produkts benötigte Materialeinsatz bei der Herstellung aus ökologischer Sicht im Vergleich nachteilig sein. Zudem werden durch die erweiterten Pflichten Produktionsressourcen des Herstellers gebunden, die stattdessen für technische Innovation eingesetzt werden könnten.

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