Das im Fernabsatz geltende 14-tägige Widerrufsrecht steht dem Verbraucher zu, wenn ein Videospiel vorab heruntergeladen wurde, aber noch nicht spielbar ist.
Das gesetzliche Widerrufsrecht ist insbesondere im E-Commerce ein zentrales Element des Verbraucherschutzes. Mittlerweile ist es für jeden Verbraucher* im Internet selbstverständlich, dass er sich von Verträgen innerhalb einer 14-tägigen Frist ohne Angabe von Gründen wieder lösen kann.
Die Grundidee des Widerrufsrechts ist, dass Verbrauchern die Möglichkeit gegeben werden soll, die Ware nach Zusendung eingehend zu prüfen. Anders als bei einem Kauf im Ladenlokal hat der Kunde im Fernabsatz nämlich nicht die Möglichkeit, die Ware vor Vertragsschluss zu begutachten.
Ausnahme vom Widerrufsrecht bei Downloads
Das Gesetz kennt jedoch auch Ausnahmen vom Widerrufsrecht im Fernabsatz. So kann beispielsweise dann nicht widerrufen werden, wenn verderbliche oder maßangefertigte Waren geliefert werden. Auch bestimmte Hygieneartikel sind vom Widerruf ausgeschlossen (siehe § 312g Abs. 2 BGB).
Zudem kann das Widerrufsrecht auch in bestimmten Fällen vor Ablauf der 14‑tägigen Frist zum Erlöschen gebracht werden. So erlischt das Widerrufsrecht beispielsweise bei Verträgen, bei denen der Vertragsgegenstand per Download bereitgestellt wird, wenn der Verbraucher
- ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer mit der Vertragsausführung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt, und
- seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er durch seine Zustimmung mit Beginn der Vertragsausführung sein Widerrufsrecht verliert (§ 356 Abs. 5 BGB).
Zweck der Regelung ist es, den Unternehmer vor Missbrauch zu schützen: Hat er einmal digitale Inhalte per Download zur Verfügung gestellt, stehen ihm bei einem Widerruf keine Möglichkeiten mehr zur Verfügung, eine anschließende Löschung der Inhalte durch den Käufer sicherzustellen.
Hersteller wollte Widerrufsrecht bei Pre-Loads ausschließen
Ein großer japanischer Hersteller von Spielekonsolen und Videospielen hatte in seinem E‑Shop Videospiele vor dem offiziellen Erscheinungstermin zum Download angeboten (sogenannter „Pre-Load“). Unmittelbar nach dem Download konnte der Käufer das Videospiel noch nicht spielen – auf der Konsole wurde lediglich ein Symbol angezeigt. Die vollständige Freischaltung des Videospiels erfolgte erst später per Update zum offiziellen Release.
Die Käufer mussten im Rahmen des Pre-Loads bereits durch Anklicken einer Checkbox bestätigen, mit der sofortigen Ausführung des Kaufs einverstanden zu sein und auf ihre Widerrufsrechte zu verzichten. Der Hersteller argumentierte, dass auf diese Weise das Widerrufsrecht im Vorhinein wirksam ausgeschlossen worden sei.
Ausschluss des Widerrufs bei Pre-Loads unzulässig – so OLG Frankfurt a.M.
Gegen diesen Widerrufsausschluss ging der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) gerichtlich vor und scheiterte zunächst in erster Instanz (LG Frankfurt a.M. – Urteil nicht veröffentlicht). Die Berufung des vzbv vor dem OLG Frankfurt a.M. war jedoch erfolgreich und der beklagte Hersteller erkannte den Klageanspruch des vzbv auf Anraten des Gerichts an (Urteil v. 28. Oktober 2021 – 6 U 275/19, das Anerkenntnisurteil enthält wie üblich keine Entscheidungsgründe).
Durch das Anerkenntnisurteil kommt zum Ausdruck, dass die Frankfurter Richter die Bereitstellung des Pre-Loads nicht als „Beginn der Vertragsausführung“ im Sinne von § 356 Abs. 5 BGB durch den Hersteller werteten. Die Vertragsausführung beginnt bei Downloads normalerweise, sobald der Unternehmer mit der Datenübermittlung beginnt. Die Besonderheit bei Pre-Loads liegt jedoch darin, dass zwar eine Datenübermittlung stattfindet, die übermittelten Daten jedoch bis zum Zeitpunkt der Freischaltung des Videospiels keinen Wert für die Käufer haben. Daher ist der Unternehmer, der noch keine für den Käufer nutzbaren Daten zur Verfügung gestellt hat, keiner Missbrauchsgefahr ausgesetzt.
Der vzbv sieht den Verbraucherschutz durch das Urteil gestärkt:
Das Widerrufsrecht ist eine wichtige Errungenschaft des Verbraucherschutzes und darf nicht von Unternehmen umgangen werden. Es ist gut, dass [der Hersteller] den Verbraucher:innen das ihnen zustehende Widerrufsrecht nun einräumen muss.
Rosemarie Rodden, Rechtsreferentin beim vzbv, Quelle: https://www.vzbv.de/urteile/gericht-bestaetigt-widerrufsrecht-bei-videospielen
Verbraucherfreundliche Gerichte – Nachteil für Unternehmen im E-Commerce
Der Fall verdeutlicht eine Grundhaltung deutscher Gerichte bezüglich der Auslegung verbraucherschützender Vorschriften, speziell von Ausschlusstatbeständen für das Widerrufsrecht. Zum Schutze des Verbrauchers wenden die Richter stets die verbraucherfreundlichere von mehreren Auslegungsmöglichkeiten an. Das gilt insbesondere, wenn die einschlägige Norm auf EU-Recht basiert und somit das Damoklesschwert einer Entscheidung des (äußerst verbrauchergeneigten) EuGH über dem Fall schwebt. Insofern ist die Entscheidung des OLG nicht überraschend. Der beklagte Hersteller hat seine E-Shops als Reaktion auf das Urteil bereits angepasst.
Unternehmen im E‑Commerce sollten stets eingehend prüfen, ob ein Ausschluss von Widerrufsrechten möglich ist, bevor sie diesen beispielsweise in ihren AGB verankern. In einem viel beachteten Urteil entschied der EuGH im Jahr 2019, dass sogar ein Vertrag über eine Matratze widerrufbar sein muss, deren Schutzfolie vom Käufer nach Zusendung entfernt wurde (EuGH, Urteil v. 27. März 2019 – C-681/17). Auf dieser Grundlage ist auch in Zukunft damit zu rechnen, dass Gerichte in Grenzfällen eher für den Verbraucher und gegen einen Ausschluss von Widerrufsrechten entscheiden werden.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.