16. Juni 2021
Compliance VerSanG-E Unternehmensstrafrecht
Compliance

Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende: Verbandssanktionengesetz für diese Legislaturperiode gescheitert

Compliance ade? – Trotz Absage an das für diese Wahlperiode geplante Verbandssanktionengesetz ist mit einer Neuordnung des Unternehmensstrafrechts zu rechnen.

Die im Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 vereinbarte Neuordnung des Sanktionenrechts für Unternehmen zur angemessenen und wirksamen Ahndung von Wirtschaftskriminalität hat nach mehreren vorgelegten Referenten- bzw. Regierungsentwürfen sowie nach zahlreichen angeheizten Diskussionen sein vorzeitiges Ende gefunden. Wie auf dem Deutschen Anwaltstag Anfang letzter Woche von CDU-Politiker Lucrak bekanntgegeben wurde, wird der von Politik und Wirtschaft kritisch beäugte Regierungsentwurf eines sog. Verbandssanktionengesetzes (Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, kurz: VerSanG-E) in dieser Legislaturperiode nicht mehr zum Abschluss kommen. 

Trotz dieses „Rückschlags″ sollten Unternehmen das Thema Compliance jedoch nicht auf die leichte Schulter nehmen, sondern vielmehr die gewonnene Zeit für Aufbau und Weiterentwicklung eines beständigen Compliance-Management-Systems nutzen. 

Der VerSanG-E wurde von kritischen Stimmen in den Bundestag begleitet  

Hintergrund des VerSanG-E war das bereits im Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 vereinbarte Ziel der Regierungsparteien, eine Neuordnung des Sanktionsrechts für Unternehmen zur wirksamen Ahndung von Wirtschaftskriminalität zu schaffen. Die bestehenden Instrumente, insbesondere das Opportunitätsprinzip bei der Sanktionierung von Unternehmen, die Beschränkung des Bußgeldrahmens auf EUR 10 Mio. und das Fehlen konkreter Zumessungsregeln für Unternehmenssanktionen, wurden als unzureichend bemängelt.

Mitte 2019 wurde sodann der erste Regelungsvorschlag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz öffentlich, im April 2020 folgte sodann – nach intensiven Debatten und Kritik an einzelnen Reglungen – der erste offizielle Referentenentwurf. Daraufhin wurde den Verbänden und Interessenvertretern bis Juni 2020 die Möglichkeit zu einer diesbezüglichen Stellungnahme eingeräumt, wobei bereits kurz nach Ablauf der Stellungnahmefrist der Regierungsentwurf eines Verbandssanktionengesetzes – ohne wesentliche Änderungen zum Referentenentwurf und weitestgehend ohne Berücksichtigung der Kritikpunkte der Interessenverbände – veröffentlicht wurde. 

Überraschenderweise und insbesondere auch entgegen der Empfehlung des federführenden Rechtsausschusses und des Wirtschaftsausschusses befürwortete sodann die Mehrheit des Bundesrates im September 2020 den Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Nach all den genommenen Hürden lag der VerSanG-E seit Oktober 2020 nunmehr unverändert im Bundestag.

Insbesondere die Trennung von Verteidigung und internen Untersuchungen überschattete die Förderung von Compliance-Bemühungen im VerSanG-E 

Trotz des vorläufigen Aus des Gesetzesvorhabens beinhaltete der VerSanG-E durchaus erfolgversprechende und Compliance-fördernde Ansätze, die ein eindeutiges Signal an die Unternehmen für Investitionen in Integrität und werteorientiertes Handeln sendeten. Insbesondere sollte durch das Verbandssanktionengesetz eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden, um explizit Compliance-Maßnahmen zu stärken und Anreize für die Aufklärung von Straftaten durch interne Untersuchungen zu schaffen, indem sowohl vor- als auch nachgeschaltete Compliance-Bemühungen beispielsweise bei der Bußgeldbemessung Beachtung finden sollten.

Jedoch wurden diese positiven Überlegungen durch einige, stark kritisierte Regelungen überschattet: Beispielsweise würde das im Gesetzesentwurf vorgesehene Legalitätsprinzip dazu führen, dass die ohnehin bereits knappen Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden unnötigerweise weiter belastet bzw. ausgereizt werden würden. Dies insbesondere auch deshalb, da durch die Regelungen im VerSanG-E der Fokus nicht nur auf Fällen der schweren Wirtschaftskriminalität liegen würden, sondern auch bloße Bagatelldelikte verfolgt werden müssten. Des Weiteren hätten die am Jahresumsatz orientierten Sanktionen des VerSanG-E (bis zu 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes) insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen existenzbedrohende Auswirkungen. 

Am Stärksten unter Beschuss war die im VerSanG-E vorgesehene Trennung von Unternehmensverteidigung und internen Untersuchungen, da diese systemfremd sei und lediglich der Aushöhlung des Beschlagnahmeschutzes diene. Insbesondere hätten nach dem Regierungsentwurf die Ergebnisse aus internen Untersuchungen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt werden können, weil sich das Unternehmen gerade eben nicht auf das Verteidigerprivileg hätte berufen können. Vor diesem Hintergrund wurde befürchtet, dass das Verbandssanktionengesetz nicht den gewünschten Anreiz geschaffen hätte, Fehlverhalten aufzuklären, sondern Unternehmen künftig eher von Untersuchungen abgesehen hätten.

Endgültiges Ende eines Unternehmensstrafrechts? 

Die vorhergehende, nicht abschließende Aufzählung von Kritikpunkten verdeutlicht die Ecken und Kanten des Gesetzesentwurfes, die wohl bis zum Ende hin nicht überwunden werden konnten. Zwar kann nur spekuliert werden, was letztlich der wirklich ausschlaggebende Punkt für das Ende des Gesetzesvorhabens gewesen ist. Jedoch ist wohl unbestritten, dass ein Gesetz mit dem Schwerpunkt einer verstärkten Unternehmenssanktionierung in Zeiten von Corona mit seinen einhergehenden Belastungen für die Wirtschaft nur noch schwer vermittelbar war. 

Auch wenn es das Verbandssanktionengesetz – beispielsweise im Gegensatz zum Lieferkettengesetz – diese Legislaturperiode nicht geschafft hat, so ist dennoch stark anzunehmen, dass ein vergleichbares Gesetzesvorhaben unter der nächsten Bundesregierung angestoßen werden wird. Die Notwendigkeit und das Bedürfnis der Eindämmung von Wirtschaftskriminalität – nicht zuletzt auch mit Blick auf die Erfüllung europäischer und internationaler Standards sowie die Schaffung von Strafverfolgungsgleichheit – ist nicht vom Tisch und bleibt bestehen. Insofern gilt der Grundsatz: Aufgeschoben ist nicht gleich aufgehoben. Jedoch ist stark zu hoffen, dass Politik und Wirtschaft zukünftig bei einem solchen Gesetzesvorhaben einen besseren Gleichklang finden und die Bedürfnisse von Unternehmen und Justiz stärker berücksichtigt werden.

Fazit: Compliance auch weiterhin elementarer Bestandteil der Unternehmensführung 

Die Unternehmen können aufatmen: die weitreichenden Regularien und Sanktionen des (ehemals geplanten) Verbandssanktionengesetzes werden derzeit keine zusätzliche Belastung für die ohnehin durch Corona teilweise stark wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmen werden.

Die Verschnaufpause kann und sollte jedoch von der Unternehmensleitung für Überprüfung, Aufbau und Weiterentwicklung von Compliance-Management-Systemen genutzt werden, um für die nächste Runde (nach Corona?) gewappnet zu sein. Die steigende Bedeutung von Compliance lässt sich nicht nur durch das hier thematisierte Gesetzesvorhaben verdeutlichen, sondern spiegelt sich auch in dem geplanten Lieferkettengesetz oder dem viel diskutierten Hinweisgeberschutzgesetz wider.

Nicht zuletzt ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass bereits nach derzeitiger Rechtslage – unabhängig von der Geltung eines Verbandssanktionengesetzes – anerkannt ist, dass sich Compliance-Bemühungen erheblich sanktionsmildernd auswirken können. 

Nach dem Auftakt zu unserer Serie zum Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz folgten Informationen zu Änderungen bei Internal Investigations, zum faktischen Kooperationszwang und der Aushöhlung von Verteidigungsrechten sowie zu den Verbandsgeldsanktionen und der „fachkundigen Stelle″. Zuletzt haben wir uns mit den Risiken nach einer M&A-Transaktion sowie der Neuordnung des Sanktionsrechts und den Kritiken aus der Wirtschaft und den Regelungen zu internen Untersuchungen beschäftigt. Im Anschluss folgte die Untersuchung der Empfehlung zu Ablehnung des Entwurfs durch den federführenden Rechtsausschuss und Wirtschaftsausschuss sowie die Freigabe durch den Bundesrat.

Tags: Compliance Unternehmensstrafrecht Verbandssanktionengesetz VerSanG-E