Der BGH Beschluss setzt das Achmea Urteil des EuGH zur Vereinbarkeit von Intra-EU Schiedsverfahren mit dem EU-Recht um. Es fehlt an einer Schiedsvereinbarung.
Mit Beschluss vom 31. Oktober 2018 (I ZB 2/15) hat der Bundesgerichtshof (BGH) den Achmea Schiedsspruch aufgehoben. Diese Entscheidung war nicht anders zu erwarten, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im März 2018 auf das Vorlageersuchen des BGH entschieden hatte, dass die Schiedsklausel, auf die sich Achmea gestützt hatte, nicht mit EU-Recht vereinbar ist (EuGH, Urteil vom 6. März 2018 – C-284/16).
Nachdem der BGH in seinem Vorlagebeschluss vom 3. März 2016 (I ZB 2/15) an den EuGH noch eine gegenteilige Auffassung zu erkennen gegeben hatte, schwenkte er nun auf die Linie des EuGH ein. Der BGH entschied, dass es an der erforderlichen Schiedsvereinbarung zwischen Achmea und der Slowakei fehle. Mit Beitritt der Slowakei zur Europäischen Union (EU) am 1. Mai 2004 – und damit vor Einleitung des Schiedsverfahrens durch Achmea im Jahr 2008 – sei das Angebot des Staats an Investoren zur Durchführung eines Schiedsverfahrens entfallen und konnte daher von Achmea nicht mehr durch die spätere Einleitung des Schiedsverfahrens angenommen werden.
Vorrang des EU-Rechts führt zur fehlenden Schiedsvereinbarung
Grundlage für die Aufhebung des Schiedsspruchs durch den BGH bildet das deutsche Schiedsrecht. Demnach stellt eine ungültige Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien des Schiedsverfahrens einen Aufhebungsgrund dar. Der Ungültigkeit stellte der BGH das Fehlen einer Schiedsvereinbarung gleich.
Der BGH stellte fest, dass eine Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien grundsätzlich durch die Einleitung des Schiedsverfahrens hätte zustande kommen können. In diesem Moment kann ein Investor normalerweise das in einem bilateralen Investitionsschutzabkommen (BIT) ausgesprochene Angebot des Staats auf Durchführung eines Schiedsverfahrens mit Investoren aus dem anderen Staat annehmen.
Im konkreten Fall habe es bei Einleitung des Schiedsverfahrens jedoch an einem wirksamen Angebot der Slowakei gefehlt. Zwar hatte die Slowakei ein solches Angebot ursprünglich in Artikel 8(2) des Niederlande-Slowakei BIT abgegeben. Mit Beitritt der Slowakei zur EU sei dieses Angebot jedoch entfallen, weil – wie der EuGH auf Vorlage des BGH entschied – Artikel 8 des Niederlande-Slowakei BIT mit der unionsrechtlichen Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten (Artikel 344 AEUV) und der durch das Vorabentscheidungsverfahren (Artikel 267 AEUV) gewährleisteten Autonomie des EU-Rechts unvereinbar sei. Der BGH stellte klar, dass das EU-Recht seit dem Beitritt der Slowakei zur EU am 1. Mai 2004 Teil des nach Artikel 8(6) des Niederlande-Slowakei BIT auf die Streitigkeit anwendbaren Rechts sei. Seit diesem Zeitpunkt handele es sich um ein unionsinternes Abkommen (Intra-EU BIT) und Artikel 8 sei aufgrund der vom EuGH festgestellten Unvereinbarkeit mit dem EU-Recht nicht mehr anwendbar.
Zwar gelte Artikel 8 des Niederlande-Slowakei BIT zunächst nur zwischen den Niederlanden und der Slowakei. Infolge der Unanwendbarkeit sei jedoch auch das Angebot der Slowakei zur Durchführung eines Schiedsverfahrens mit niederländischen Investoren entfallen. Es habe also kein Angebot mehr vorgelegen, das Achmea durch die Einleitung eines Schiedsverfahrens hätte annehmen können. Insoweit sei „das BIT untrennbar mit der Schiedsvereinbarung verbunden″.
BGH lässt Achmeas Einwände nicht gelten
Der BGH setzte sich auch mit den von Achmea nach dem EuGH-Urteil erhobenen Einwänden auseinander. Keinen davon hielt er jedoch für durchgreifend. Insbesondere stellte der BGH fest, dass der Entscheidung des EuGH kein fehlerhaftes Verständnis des deutschen Schiedsrechts zugrunde liege.
In seinem Vorlagebeschluss vom 3. März 2016 hatte der BGH noch die Auffassung vertreten, dass die einheitliche Auslegung des EU-Rechts dadurch sichergestellt werden könne, dass vor einer Vollstreckung das staatliche Gericht die Vereinbarkeit des Schiedsspruchs mit dem EU-Recht überprüfen und bei Zweifeln über die Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift die Sache dem EuGH vorlegen kann. Diese Auffassung entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH zu handelsrechtlichen Schiedssprüchen, die er im Achmea Urteil explizit aufrechterhalten hat.
Der BGH verwies nunmehr darauf, dass es für den EuGH maßgeblich sei, dass das Schiedsgericht selbst kein „Gericht″ im Sinne von Artikel 267 AEUV sei und daher kein Vorlageersuchen an den EuGH stellen könne. Der EuGH habe sich zu der Möglichkeit, ein solches Ersuchen über ein staatliches Gericht zu stellen, nicht geäußert, sodass diese Frage „unerheblich″ sei. Vielmehr erachte der EuGH die vom deutschen Schiedsrecht vorgesehene beschränkte Überprüfungsmöglichkeit von Schiedssprüchen – anders als bei Handelsschiedssprüchen – als nicht ausreichend.
Die vom EuGH vorgenommene Unterscheidung zwischen Handels- und Investitionsschiedsverfahren hat bereits für viel Diskussion gesorgt. Sie wurde vom EuGH nicht näher begründet und wird vielfach als nicht überzeugend abgelehnt. Wieso soll eine (ebenso begrenzte) Überprüfungsmöglichkeit für Handelsschiedssprüche ausreichen, für Investitionsschiedssprüche aber nicht? Hierzu äußerte sich auch der BGH nicht, sondern gab lediglich die Ansicht des EuGH wieder.
Schicksal weiterer Intra-EU Schiedssprüche ebenfalls entschieden?
Der Beschluss des BGH zieht die wohl unvermeidbare Konsequenz aus dem EuGH Urteil zur Unvereinbarkeit des Artikel 8(2) des Niederlande-Slowakei BIT mit dem EU-Recht. Der Achmea Schiedsspruch ist damit aufgehoben. Achmea bleibt nun noch der Rechtsschutz vor slowakischen Gerichten. Doch welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für andere Intra-EU Schiedssprüche?
Der Aufhebungsgrund einer ungültigen, da fehlenden Schiedsvereinbarung im deutschen Schiedsrecht basiert auf dem sogenannten UNCITRAL Modellgesetz und ist daher in gleicher oder ähnlicher Form auch in vielen anderen Schiedsrechten enthalten. Er entspricht auch einem der Nichtanerkennungsgründe in der New Yorker Konvention über die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Schiedssprüchen. Das Schicksal des Achmea Schiedsspruchs könnte daher auch weitere Intra-EU Schiedssprüche treffen, die in Deutschland oder anderen EU-Mitgliedsstaaten vollstreckt werden sollen.
Entscheidend wird sein, ob das Urteil des EuGH zu Artikel 8(2) des Niederlande-Slowakei BIT auch auf die Schiedsklausel in anderen Intra-EU BITs übertragbar ist. Während der allgemein gehaltene Tenor des Achmea Urteils diese Möglichkeit umfassen würde, setzt sich die Begründung des EuGH mit einigen Besonderheiten des Artikel 8 auseinander, die nicht ohne Weiteres auf andere BITs übertragbar sind. Insbesondere die explizite Regelung in Artikel 8(6) zur Anwendbarkeit des slowakischen Rechts (und als dessen Bestandteil des EU-Rechts) auf die Streitigkeit lässt Raum für eine abweichende Auslegung anderer BITs.
Daneben ist zu beachten, dass die Aufhebungsgründe des deutschen Schiedsrechts auf Schiedssprüche, die nach der ICSID Konvention erlassen werden, keine Anwendung finden. ICSID Schiedssprüche unterliegen einem eigenen, besonderen Vollstreckungsregime, das den nationalen Gerichten keine Überprüfung der Schiedsvereinbarung mehr erlaubt. Dies gilt zum Beispiel auch für das Vattenfall Verfahren gegen Deutschland, in dem das Schiedsgericht kürzlich seine Zuständigkeit trotz Achmea Urteil bejaht hat. Die Vattenfall Entscheidung betraf die Schiedsklausel des Energiecharta Vertrags.
Der BGH Beschluss mag vorerst der letzte Akt im Achmea Verfahren gewesen sein; unter die Diskussion über die Zulässigkeit von Intra-EU Schiedsverfahren hat er hingegen keinen Schlusspunkt gesetzt. Dafür sind die möglicherweise betroffenen Verfahrenskonstellationen und auch die auszulegenden Streitbeilegungsklauseln in den BITs zu vielfältig. Es bleibt abzuwarten, wie sich Schiedsgerichte und staatliche Gerichte in der EU in anderen, nicht unmittelbar vom Achmea Urteil entschiedenen Verfahren positionieren werden.