26. März 2020
BVerfG Europäische Einheitspatent
Patentrecht & Gebrauchsmusterrecht

Das BVerfG stoppt vorerst das Europäische Einheitspatent

Wie geht es mit dem europäischen Einheitspatentsystem weiter? Kann es mit einer erneuten Abstimmung im Bundestag wieder auf den Weg gebracht werden?

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 20. März 2020 seine lange erwartete Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) verkündet.

Für die Fachwelt überraschend hat das BVerfG der Verfassungsbeschwerde stattgegeben und das Zustimmungsgesetz für nichtig erklärt. Das BVerfG hatte schon mit seiner mit lediglich zwei Tagen Vorlauf erfolgten Vorankündigung der Entscheidung überrascht. Seine Entscheidung gleicht einem Paukenschlag, der das gesamte Projekt des europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung nebst Einheitlichen Patentgericht in Frage stellt, zumindest aber für erhebliche Zeit verzögern wird.

Inkrafttreten des EPGÜ hängt von Ratifikation durch Deutschland ab

Mit der EU-Verordnung Nr. 1257/2012 ist das europäische Einheitspatent geschaffen worden. Diese EU-Verordnung sieht die Möglichkeit vor, als Anmelder neben einzelnen Mitgliedsstaaten des EPÜ auch eine gemeinschaftsweite einheitliche Wirkung für erteilte europäische Patente zu bestimmen.

Für das Inkrafttreten dieser EU-Verordnung ist erforderlich, dass das EPGÜ in Kraft tritt. Dafür ist dessen Ratifikation durch mindestens dreizehn Mitgliedsstaaten erforderlich, unter denen sich zwingend die drei Mitgliedsstaaten, in denen im Jahre 2012 die meisten europäischen Patente in Kraft standen, befinden müssen. Dies waren Frankreich, das Vereinigte Königreich und Deutschland. Aktuell wurde das EPGÜ von Frankreich und dem Vereinigten Königreich sowie vierzehn weitere Mitgliedsstaaten, unter denen u.a. auch Italien und die Niederlande sind, ratifiziert.

Für das Inkrafttreten des EPGÜ fehlt daher nur noch die Ratifikation durch Deutschland, das eigentlich als „sicherer Kandidat″ galt. Durch die Entscheidung des BVerfG vom 20 März 2020 wird das Inkrafttreten nun weiter verzögern.

Die Verfassungsbeschwerde

Die Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zum EPGÜ wurde unmittelbar nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens am 31. März 2017 eingereicht und nur verzögert wurden weitere Hintergründe zu ihr bekannt.

Nach fast drei Jahren hat das BVerfG, für viele Fachleute überraschend, das Zustimmungsgesetz zum EPGÜ nun für nichtig erklärt. Die Entscheidung stützt sich im Kern darauf, dass das Zustimmungsgesetz zum EPGÜ nicht mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit durch den Bundestag beschlossen wurde. Der Entwurf des Zustimmungsgesetzes wurde durch den Bundestag in dritter Lesung am 10. März 2017 zwar einstimmig angenommen. In der Sitzung des Bundestages waren bei Beschlussfassung nach den Feststellungen des BVerfG aber lediglich etwa 35 Abgeordnete anwesend. Es wurde seinerzeit zudem die Beschlussfähigkeit des Bundestages nicht festgestellt. Ebenso wenig hat der Bundestagspräsident damals festgestellt, dass das Zustimmungsgesetz mit qualifizierter Mehrheit beschlossen wurde. Den Bundesrat passierte das Gesetz am 31. März 2017.

Das BVerfG hält zunächst fest, dass es sich bei dem EPGÜ zwar um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt, der jedoch in einem Ergänzungs- oder sonstigem besonderen Näheverhältnis zum Integrationsprogramm der EU steht. Daher müsse das Gesetz im Einklang mit den Bestimmungen von Art. 23 GG zustande gekommen sein. Insbesondere war nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG eine Zwei-Drittel-Mehrheit in den gesetzgebenden Körperschaften erforderlich, da durch das EPGÜ das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert werde.

Durch das EPGÜ wird ein Teil der Rechtsprechung in Bezug auf Patente von den nationalen Gerichten auf ein zwischenstaatliches Gericht, das Einheitliche Patentgericht (UPC) übertragen. Die rechtsprechende Gewalt wird in Deutschland aber gemäß Art. 92 GG durch das Bundesverfassungsgericht, die Bundesgerichte und die Gerichte der Länder ausgeübt. Daher modifiziere die durch das EPGÜ geplante Übertragung von Rechtsprechungsaufgaben auf ein zwischenstaatliches Gericht diese umfassende Rechtsprechungszuweisung. Es bewirke damit eine materielle Verfassungsänderung und deutsche Gerichte könnten in dem auf diese nicht-deutsche Organisation übertragenen Bereich nicht mehr den Grundrechtsschutz gewährleisten. Daher seien auch die grundrechtlichen Garantien des Grundgesetzes berührt. Schließlich sei durch diese Übertragung von Kompetenzen auch die konkrete Ausgestaltung der Gewaltenteilung betroffen.

Beschlussfassung über Zustimmungsgesetz zum EPGÜ in weiter Ferne

Das Vorhaben der Schaffung eines europäischen Einheitspatentsystems wird durch diese Entscheidung des BVerfG erneut erheblich verzögert, wenn sie in letzter Konsequenz nicht sogar sein vollständiges „Aus″ bedeutet.

Natürlich kann das Zustimmungsgesetz noch einmal dem Bundestag zur Beschlussfassung mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit vorgelegt werden. In Zeiten der Corona-Virus Krise bestimmen derzeit aber andere Themen die Agenda der Politik. Zudem befasste sich der Bundestag bereits parallel zum Verfahren beim BVerfG erneut mit dem Zustimmungsgesetz. Am 26. Februar 2018 hatte die AfD-Fraktion einen Antrag u.a. auf Aufhebung des Zustimmungsgesetzes eingereicht. Über diesen Antrag wurde am 15. März 2018 im Bundestag verhandelt und dieser in vier Ausschüsse überwiesen. Eine erneute Beschlussfassung im Bundestag über ein Zustimmungsgesetz zum EPGÜ ist daher insbesondere nach ggfs. geänderten Mehrheitsverhältnissen in einer neuen Legislaturperiode sicher kein „Selbstläufer″.

Über diese deutsche Perspektive hinaus, darf auch die internationale Dimension nicht übersehen werden. Selbst bei einer kurzfristigen Ratifikation des EPGÜ durch Deutschland muss geprüft werden, ob die bereits durch das Vereinigte Königreich erfolgte Ratifikation dann noch zum Inkrafttreten des EPGÜ aufgrund des zwischenzeitlich erfolgten Brexit ausreicht. Dieses zwingende Ratifikationserfordernis könnte dann zwar durch die bereits erfolgte Ratifikation durch Italien ersetzt werden. Dann stellt sich allerdings die weitere Frage, ob das Vereinigte Königreich Mitglied im Einheitspatentsystem wird oder bleiben kann – und dies auch will. Letzteres ist nach inoffiziellen Verlautbarungen der britischen Regierung Ende Februar 2020 eher nicht zu erwarten. Sollte sich dies bestätigen, verliert das Einheitspatentsystem erheblich an Attraktivität für die Wirtschaft. Zusätzlich stünde das Einheitspatentgericht vor dem weiteren Dilemma, dass die wichtige, für Chemie- und Pharma-Patente zuständige Abteilung der Zentralkammer, die in London residieren sollte, noch einmal verlegt werden muss. Hierfür ist voraussichtlich eine Änderung des EPGÜ erforderlich, der schwierige und langwierige Verhandlungen vorausgehen könnten.

Dennoch sollte man weiterhin vorsichtig optimistisch bleiben, dass in absehbarer Zeit das europäische Einheitspatentsystem kommt. Diese Vorhaben hat bereits in der Vergangenheit zahlreiche, nahezu unüberwindbar erscheinende Herausforderungen und Hürden genommen.


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Tags: BVerfG Europäische Einheitspatent UPC