Pierre Cardin und Ahlers sollen eine kartellrechtswidrige Strategie absoluten Gebietsschutzes umgesetzt haben. Nun hat die EU-Kommission das Bußgeld verhängt.
Die Europäische Kommission („Kommission“) hat ihr Verfahren gegen das französische Modehaus Pierre Cardin und seinen deutschen Lizenznehmer Ahlers wegen vermeintlicher Kartellrechtsverstöße durch Vertriebs- und Lizenzierungspraktiken am 28. November 2024 mit Bußgeldern abgeschlossen. Pierre Cardin muss rund EUR 2,2 Mio., Ahlers EUR 3,5 Mio. zahlen.
Markenlizenzen in der Bekleidungsindustrie
Pierre Cardin vergibt, wie in der Bekleidungsindustrie üblich, für die Herstellung und den Vertrieb seiner Bekleidung Lizenzen für seine Marke. Der deutsche Bekleidungshersteller Ahlers ist der größte Lizenznehmer von Pierre Cardin im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Pierre Cardin hat Ahlers bestimmte Lizenzgebiete für den Vertrieb der Kleidungsstücke zugewiesen.
Die Anwendung des Kartellverbots bei Markenlizenzverträgen
Das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV verbietet wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Ein Lizenzvertrag ist eine Vereinbarung zwischen Unternehmen. Bei der kartellrechtlichen Beurteilung der Klauseln des Lizenzvertrags ist zwischen dem Bestand des Markenrechts und dessen Ausübung zu differenzieren. Das Kartellverbot berührt nicht den Bestand des Markenrechts, es erfasst aber die Ausübung des Markenrechts mittels Vereinbarungen. Die Ausübung des Markenrechts kann dann unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, wenn sie den Gegenstand, das Mittel oder die Folge einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung darstellt. Umgekehrt ist eine markenrechtliche Vereinbarung nicht wettbewerbsbeschränkend, wenn sie zum spezifischen Gegenstand des Markenrechts gehört und ihre Wahrnehmung in Ausübung des Markenrechts den spezifischen Gegenstand des Markenrechts verwirklicht. Kartellrechtsneutral sind danach z.B. Qualitätsvorgaben, eine Markenbenutzungspflicht oder das Verbot der Unterlizenzierung.
Entscheidung der Kommission: Absoluter Gebietsschutz
Die Kommission ist im Zuge ihrer Ermittlungen zu der Auffassung gelangt, dass Pierre Cardin und Ahlers gegen EU-Kartellrecht verstoßen haben. Sie stellte insbesondere fest, dass die zwischen 2008 und 2021 praktizierten Vereinbarungen zwischen den Unternehmen darauf abzielten, andere Pierre-Cardin-Lizenznehmer und deren Kunden daran zu hindern, Bekleidung der Marke Pierre Cardin (offline wie online)
- außerhalb ihrer Lizenzgebiete (sog. Gebietsbeschränkung) und/oder
- an Händler mit niedrigem Preisniveau (z. B. Discounter) (sog. Kundengruppenbeschränkung)
zu verkaufen. Ziel dieser Abstimmung zwischen Pierre Cardin und Ahlers sei ein absoluter Gebietsschutz von Ahlers in den ihm zugewiesenen EWR-Ländern gewesen. Diese Praktiken würden Händler daran hindern, Produkte in Mitgliedstaaten mit niedrigeren Preisen frei zu beschaffen, und zu einer künstlichen Abschottung des Binnenmarktes führen. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager betonte insoweit auch die vermeintlichen Auswirkungen auf Verbraucher. Sie könnten daran gehindert worden sein, sich nach einem besseren Angebot umzusehen und von einer größeren Auswahl zu profitieren.
Kommission hält absoluten Gebietsschutz für kartellrechtswidrig
Absoluter Gebietsschutz bedeutet im Allgemeinen, dass den anderen Lizenznehmern nicht nur aktive Verkäufe in Lizenzgebiete anderer Lizenznehmer untersagt sind (also die gezielte Ansprache von Kunden), sondern auch passive Verkäufe (d.h. ein auf unaufgeforderte Anfragen einzelner Kunden zurückgehender Verkauf). Derartige Gebietsbeschränkungen hat die Kommission in der jüngeren Vergangenheit bereits mehrfach als kartellrechtswidrig bewertet und entsprechend bebußt (siehe u.a. Nike im März 2019, Bußgeld i.H.v. EUR 12,5 Mio.; Sanrio im Juli 2019, Bußgeld i.H.v. EUR 6,2 Mio.; NBCUniversal im Januar 2020, Bußgeld i.H.v. EUR 14,3 Mio.). Die Möglichkeit einer Freistellung vom Kartellverbot hat die Kommission dabei stets abgelehnt.
Ahlers als Lizenznehmer ebenfalls bebußt
Eher ungewöhnlich im vorliegenden Verfahren ist, dass neben dem Lizenzgeber Pierre Cardin mit Ahlers auch ein Lizenznehmer im Fokus der Kommission steht. Den Verstoß gegen das Kartellverbot begehen formal betrachtet zwar alle an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen. Vielfach nehmen Lizenznehmer aber eine bloß „passive“ Rolle beim Kartellrechtsverstoß ein, indem sie den Lizenzvertrag schlicht abschließen und befolgen. Die Kommission berücksichtigt das bei ihrer Ermessensausübung und eröffnet in der Regel keine Verfahren gegen die bloßen „Mitläufer“. Dass nun auch Ahlers bebußt werden könnte, mag daran liegen, dass Ahlers als größter Lizenznehmer scheinbar aktiv und mit Pierre Cardin gemeinsam den Schutz der eigenen Lizenzgebiete vorangetrieben hat. Pierre Cardin und Ahlers sollen laut Kommission eine Strategie gegen Parallelimporte und Verkäufe an bestimmte Kundengruppen entwickelt haben.
Bandbreite unzulässiger Praktiken ist groß
Die eigentliche Entscheidung gegen Pierre Cardin und Ahlers ist bislang noch nicht veröffentlich. Wie der absolute Gebietsschutz in den Lizenzverträgen zwischen Pierre Cardin und den weiteren Lizenznehmern ausgestaltet sein soll, ist daher noch nicht öffentlich bekannt. Die Bandbreite denkbarer Praktiken ist groß: Neben ausdrücklichen Exportverboten im Lizenzvertrag mag man, wie im Nike-Fall, an die Verpflichtung zur Weiterleitung von Bestellungen aus dem Ausland an Pierre Cardin oder Ahlers, an Klauseln, mit denen bei Auslandsverkäufen doppelte Lizenzgebühren fällig werden oder an indirekte Maßnahmen, wie die Androhung der Kündigung bei Auslandsverkäufen oder die Verweigerung der Bereitstellung von Hologrammen mit der Kennzeichnung „offizielles Produkt“ im Falle der Möglichkeit von Lieferungen in andere EWR-Länder denken.
Take-Aways: Vertikale Beschränkungen bleiben „Hot Topic“! Lizenznehmer aufgepasst!
Das Bußgeld gegen Pierre Cardin und Ahlers zeigt:
- Vertikale Beschränkungen (d.h. solche zwischen Unternehmen auf verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette, hier Lizenzgeber und Lizenznehmer) bleiben für die Kommission ein Hot Topic. Primär im Fokus standen dabei in der Vergangenheit Gebietsbeschränkungen, online wie offline (wie z.B. bei den Vertriebsbeschränkungen durch Guess und Beschränkungen beim Vertrieb von Videospielen oder Hotelzimmern). Sie führen regelmäßig zu Bußgeldern.
- Lizenznehmer oder Abnehmer von Lieferanten (Groß- und Einzelhändler) können ebenfalls ein Bußgeld kassieren. Sie sollten daher auch an einer kartellrechtskonformen Ausgestaltung der Vertriebsbeziehung mitwirken, jedenfalls aber keine kartellrechtswidrigen Praktiken einfordern oder bestärken.
Zur Vertiefung: Schöner/Schlimpert/Gregor, in: Bauer/Rahlmeyer/Schöner, Handbuch Vertriebskartellrecht, 2. Aufl. 2024, § 32 Markenlizenzverträge