13. April 2023
Regierungsentwurf 11. GWB-Novelle
Kartellrecht

Regierungsentwurf zur 11. GWB-Novelle

Das Bundeskabinett beschließt eine Verschärfung des Kartellrechts sowie neue Eingriffsinstrumente des Bundeskartellamts.

Die Bundesregierung hat am 5. April 2023 die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) beschlossen. Sie muss nun noch das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag und Bundesrat durchlaufen. Der Regierungsentwurf (RegE) folgt auf den oftmals unter dem Kurznamen „Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz“ bekannten Referentenentwurf des BMWK vom September 2022. Der Gesetzentwurf bleibt in seinen Grundzügen unverändert, insbesondere sieht er die Stärkung der Kartellbehörde in drei Bereichen vor:

  • Das Bundeskartellamt soll direkt nach einer Sektoruntersuchung und unabhängig von konkret festgestellten Kartellrechtsverstößen – sehr weitgehende – Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen ergreifen dürfen („New Competition Tool“ für das Bundeskartellamt). 
  • Weiter soll das Bundeskartellamt in die Lage versetzt werden, wegen möglicher Verstöße gegen den Digital Markets Act (DMA) zu ermitteln und dafür auch von den ihm bei dem Verdacht von Kartellrechtsverstößen zur Verfügung stehenden Ermittlungsbefugnissen Gebrauch zu machen. 
  • Schließlich soll die behördliche Vorteilsabschöpfung gestärkt werden. Daneben soll der Gesetzgeber Redaktionsfehler bei früheren Novellen beheben und eine vergaberechtliche Änderung vornehmen.

Im Detail gibt es im Regierungsentwurf jedoch Änderungen im Vergleich zum Referentenentwurf. Im Einzelnen sieht der Regierungsentwurf Folgendes vor: 

1. Neue Eingriffsmöglichkeiten nach Sektoruntersuchungen – ein „New Competition Tool“ für das Bundeskartellamt 

Bundesjustizminister Buschmann hat in einer Stellungnahme zum Regierungsbeschluss der 11. GWB-Novelle den vielzitierten Begriff der „Wettbewerbsbehörde mit Biss“ aufgenommen und die Stärkung der Befugnisse des Bundeskartellamts betont. Dies betrifft die erheblich aufgewertete Rolle der Sektoruntersuchungen im GWB.

Bei der Sektoruntersuchung handelt es sich um ein etabliertes Werkzeug der Kartellbehörden, das diesen erlaubt, fundierte Erkenntnisse über die Wettbewerbsverhältnisse auf den untersuchten Märkten zu gewinnen. Dieses Werkzeug leidet bisher jedoch unter zwei Beschränkungen: Zum einen nehmen Sektoruntersuchungen, die eine weitreichende Befragung von Marktteilnehmern* und die umfassende Aufklärung der Funktionsweise der Märkte erfordern, regelmäßig eine erhebliche Zeitdauer in Anspruch. Die Aktualität und Verwertbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse ist daher begrenzt. Zum anderen können die Behörden auf Grundlage ihrer Erkenntnisse aus den Untersuchungen nicht direkt tätig werden; um in den Markt einzugreifen und mögliche Missstände zu beheben, müssen sie – ggf. aufbauend auf den Ergebnissen der Untersuchung – einzelne Verfahren einleiten und Verstöße gegen die kartellrechtlichen Vorschriften feststellen.

Beide Aspekte sollen durch die 11. GWB-Novelle angegangen werden. Eher ein technisches Detail ist dabei die Begrenzung der als Soll-Frist ausgestalteten Dauer von Sektoruntersuchungen auf 18 Monate, was praktisch dadurch gelöst werden soll, dass die Schaffung zusätzlicher Stellen (konkret: acht Stellen) für das Bundeskartellamt vorgesehen ist. Eine sehr weitreichende Neuerung ist dagegen die Erweiterung der Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamts nach Sektoruntersuchungen (§ 32f GWB-RegE), die eine echte Revolution im deutschen Kartellrecht darstellen würde. Nach dem Gesetzentwurf kann das Bundeskartellamt zukünftig nämlich bereits dann Abhilfemaßnahmen gegen Störungen des Wettbewerbs ergreifen, wenn es eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs festgestellt hat – unabhängig vom Vorliegen eines Verstoßes gegen kartellrechtliche Regeln. Der Regierungsentwurf enthält dabei gegenüber dem Referentenentwurf eine wichtige Neuerung und Einschränkung. Danach ist eine solche Feststellung der erheblichen und fortwährenden Störung des Wettbewerbs nur zulässig, soweit die Anwendung der sonstigen kartellrechtlichen Befugnisse voraussichtlich nicht ausreicht, um der festgestellten Störung des Wettbewerbs ausreichend entgegenzuwirken. Die neuen Eingriffsinstrumente sind also subsidiär gegenüber den bisherigen Befugnissen der Kartellbehörde.

Diese Maßnahmen können für Unternehmen weitreichende verhaltensorientierte oder quasistrukturelle Verpflichtungen, die zur Beseitigung oder Verringerung der Störung des Wettbewerbs erforderlich sind, umfassen. Der Gesetzentwurf nennt als solche insbesondere (i) die Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen, (ii) Vorgaben zu Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten und auf verschiedenen Marktstufen, (iii) die Verpflichtung zur Etablierung transparenter, diskriminierungsfreier und offener Normen und Standards durch Unternehmen, (iv) Vorgaben zu bestimmten Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen (einschließlich vertraglicher Pflichten zur Informationsoffenlegung), (v) das Verbot der einseitigen Offenlegung von Informationen, die ein Parallelverhalten von Unternehmen begünstigen, und (vi) die organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen. Als Ultima Ratio kann das Bundeskartellamt sogar eine missbrauchsunabhängige Entflechtung von Unternehmen, die entweder marktbeherrschend sind oder für die bereits eine überragende marktübergreifende Bedeutung nach § 19a GWB festgestellt wurde, anordnen. 

Dem Bundeskartellamt wird damit nach der Novelle ein sehr weitreichendes Eingriffsinstrument zur Verfügung stehen, um Märkte auch unterhalb der Schwelle konkreter kartellrechtswidriger Verhaltensweisen aus Sicht des Gesetzgebers „reparieren“ zu können oder – wie es Kartellamtspräsident Andreas Mundt formuliert – „um verkrustete Wettbewerbsstrukturen aufzubrechen und dadurch überhaupt erst wieder den Wettbewerb zu ermöglichen“. Dieses Eingriffsinstrument entspricht den Überlegungen auf EU-Ebene zur Einführung eines „New Competition Tool“, die 2020 zu Gunsten des (auf digitale Märkte und Gatekeeper beschränkten) Digital Markets Act (DMA) verworfen wurden. Tatsächlich überträgt das deutsche Kartellrecht mit § 32f GWB-RegE den Ansatz aus der Digitalwirtschaft, Märkte einer engeren, von konkreten Verstößen gegen das Kartellrecht unabhängigen Regulierung zu unterwerfen (§ 19a GWB, Digital Markets Act), in das allgemeine Kartellrecht. 

Dazu passt weiter die geplante Regelung (§ 32f Abs. 2 GWB-RegE), dass das Bundeskartellamt Unternehmen durch Verfügung verpflichten kann, sich in einem Zeitraum von jeweils drei Jahren schon dann zur Fusionskontrolle anzumelden, wenn der Erwerber EUR 50 Mio. Umsatz und das Zielunternehmen EUR 0,5 Mio. Umsatz im Inland erzielte – was eine Extra-Fusionskontrolle weiter unterhalb der regulären Umsatzschwellen der deutschen Fusionskontrolle darstellt, und auch dies ist eine Anleihe aus der Digitalregulierung. 

2. Effektive Durchsetzung des DMA – Unterstützung der Kommission durch das Bundeskartellamt und Private Enforcement 

Am 12. Oktober 2022 wurde der DMA im Amtsblatt der EU veröffentlicht und trat 20 Tage später in Kraft; ab dem 2. Mai 2023 gelten die Verpflichtungen und ab etwa März 2024 müssen die von der Kommission designierten Gatekeeper sich an die strengen Dos and Don’ts des Gesetzes halten. Die Rolle der Kartellbehörden der EU-Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung des DMA ist relativ beschränkt (mit der Forderung nach weitergehenden Kompetenzen konnte sich die Bundesregierung auf EU-Ebene nicht durchsetzen), die Hauptkompetenz liegt bei der Kommission und – dazu sogleich – womöglich künftig auch bei den Zivilgerichten. Allerdings erlaubt der DMA den Behörden der EU-Mitgliedstaaten, eine etwaige Missachtung der Gatekeeper-Dos and -Don’ts des DMA in ihrem Hoheitsgebiet zu untersuchen. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür in Deutschland sollen durch die 11. GWB-Novelle geschaffen werden (§ 32g GWB-RegE). Das Bundeskartellamt kann damit die Kommission bei der Durchsetzung des DMA tatkräftig unterstützen und praktisch auch die Anwendung von deutschem Spezialkartellrecht für die Aufsicht über Gatekeeper (§ 19a GWB) und die Umsetzung europäischen Rechts koordinieren.

Darüber hinaus erweitert der Gesetzentwurf die Erleichterungen im GWB für kartellrechtliche Privatklagen dort, wo es geboten erscheint, auf Verstöße gegen den DMA. Dies wird das Private Enforcement des DMA in Deutschland erheblich stärken (genauso wie den Gerichtsstandort Deutschland). 

3. Verstärkung der Vorteilsabschöpfung

Schließlich soll die Neuregelung des § 34 Abs. 4 GWB-RegE das Instrument der behördlichen Vorteilsausgleichung verstärken. Dazu soll § 34 GWB in mehrfacher Hinsicht geändert werden. Die Vorschrift, deren Wurzeln in die 1980er-Jahre zurückreichen, spielte wegen der hohen rechtlichen Hürden, gemessen am gesamtwirtschaftlichen Schaden der Verstöße, in der Praxis bislang keine Rolle. 

Eine drastische Änderung ist die Einführung einer Vermutung der Erzielung eines Vorteils i.H.v. mind. 1 % der tatbefangenen Umsätze im Inland. Die Vermutung soll zwar widerleglich sein, aber nur durch den Nachweis, dass kein (weltweiter) Konzerngewinn in dieser Höhe erzielt wurde. Sie ist nicht anwendbar, wenn die Erlangung eines Vorteils aufgrund der besonderen Natur des Verstoßes ausgeschlossen ist. Darüber hinausgehend darf die Kartellbehörde die Höhe des Vorteils – wie bisher – schätzen, allerdings soll künftig schon eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Bei 10 % des Vorjahresgesamtumsatzes soll die Abschöpfung gedeckelt sein. 

Anders als der Referentenentwurf sieht der Regierungsentwurf zur 11. GWB-Novelle aber nicht mehr vor, dass das Verschuldenserfordernis (§ 34 Abs. 1 GWB) der betroffenen Unternehmen entfallen soll. Es soll also entgegen dem Referentenentwurf bei der bisherigen Beschränkung der Vorteilsabschöpfung auf Fälle schuldhafter Kartellrechtsverstöße bleiben. 

Auch die zeitliche Begrenzung der Vorteilsabschöpfung auf fünf Jahre soll entgegen dem Referentenentwurf nicht entfallen; weiter soll auch die Zeit, die sich die Kartellbehörde mit der Vorteilsabschöpfung ab Beendigung des Kartellrechtsverstoßes lassen darf, nicht verlängert werden. Nach dem Regierungsentwurf gilt somit, dass die Vorteilsabschöpfung nur innerhalb einer Frist von bis zu sieben Jahren seit Beendigung der Zuwiderhandlung und längstens für einen Zeitraum von fünf Jahren, den sog. Abschöpfungszeitraum, angeordnet werden kann. Trotz der Abschwächung des weitergehenden Referentenentwurfs hat der Gesetzentwurf das Potential, den Papiertiger der Vorteilsabschöpfung zu einem gefährlichen Raubtier mit überaus spitzen Krallen zu machen. Bremsen können wird das Raubtier wohl nur die schon bisher vorgesehene Subsidiarität, z.B. gegenüber dem kartellrechtlichen Schadensersatz.

4. Praxis durch die 11. GWB-Novelle mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert

Es ist damit zu rechnen, dass die Koalitionsfraktionen den Gesetzentwurf rasch und mit ihrer Mehrheit durch das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag bringen werden. 

Wie immer bei weitgehenden Plänen für die Änderung des Kartellrechts bleibt dann abzuwarten, ob das, was heiß gekocht wird, auch so heiß gegessen wird oder ob die Realität des Lebens nicht zur Abkühlung führt. So äußerte Kartellamtspräsident Andreas Mundt unmittelbar nach dem Kabinettsbeschluss, dass sich die Rechtspraxis durch den jetzigen Entwurf mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert sehe und die neuen Befugnisse nach Sektoruntersuchungen in einem Spannungsverhältnis zu dem ebenfalls verfolgten Ziel vorhersehbarer und zügiger Verfahren stehen. Es bleibt daher abzuwarten, wie das Bundeskartellamt mit den neuen Eingriffsinstrumenten umgehen wird. 

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